Autoindustrie : Volkswagen: Investieren um Krisen abzuschütteln
Der VW-Konzern will nach dem schwierigen Jahr 2022 mit dem Krieg in der Ukraine, den Lieferengpässen und der enormen Inflation sein Geschäft deutlich ausbauen und mit weiteren Investitionen in Milliardenhöhe absichern. "Wir kommen aus einer Position der Stärke, ohne dabei die umfangreichen Handlungsfelder aus dem Blick zu verlieren", sagte Vorstandschef Oliver Blume am Dienstag in Berlin.
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Dort gab die Führungsspitze von Europas größtem Autobauer einen Ausblick auf ihre Pläne bis 2023 und darüber hinaus. In den kommenden fünf Jahren will der Volkswagen Konzern mehr als zwei Drittel seines Investitionsbudgets von rund 180 Milliarden Euro in E-Mobilität und digitale Vernetzung stecken.
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Gleichzeitig will Blume die lange schleppende Entwicklung eigener Autosoftware effizienter gestalten. Nach der Ablösung von Herbert Diess habe es "eine Renovierung und einige Umbauarbeiten" gegeben, sagte der Manager. Klarere Absprachen zwischen der IT-Sparte Cariad und den Marken sowie ein gestraffter Zeitplan seien "eines der dringendsten Themen" gewesen - mit dem Ziel einer realistischeren Planung und systematischerer Schnittstellen. 2022 häufte Cariad einen Verlust von mehr als zwei Milliarden Euro an, VW verwies auf hohe Anlaufkosten. 2023 werde ein "Jahr des Lieferns", betonte Blume.
"Jahr des Lieferns"
Viel Geld soll bis 2027 in so genannte Zukunftstechnologien fließen. In der letzten großen Planungsrunde hatte VW dafür rund 56 Prozent der Gesamtinvestitionen von 159 Milliarden Euro veranschlagt. Im Jahr 2025 soll jedes fünfte weltweit verkaufte Fahrzeug rein elektrisch angetrieben werden. Für den Aufbau weiterer Batteriezellfabriken und die Rohstoffsicherung sind innerhalb von fünf Jahren bis zu 15 Milliarden Euro vorgesehen. Ob Volkswagen die zunächst fest eingeplante zusätzliche Fabrik für das künftige Kernmodell Trinity in Wolfsburg braucht, ist noch nicht endgültig entschieden.
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Der Höhepunkt der Ausgaben werde voraussichtlich in zwei Jahren überschritten. "Nach 2025 können wir dann ernten", sagte Finanzvorstand Arno Antlitz. Zunächst gebe es eine "hohe Doppelbelastung", weil parallel zum Ausbau der E-Palette zunächst auch Verbrenner im Angebot bleiben sollen. Schärfere Abgasvorschriften der EU dürften die Abgastechnik für Benzin- und Dieselmotoren verteuern. Umstritten ist auch, ob Verbrennungsmotoren, die mit synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) betrieben werden, auch nach 2035 zugelassen werden sollen. Blume ist dafür. Der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte wegen dieses Streitpunkts eine Abstimmung in Brüssel blockiert.
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In Nordamerika will Volkswagen eine größere Rolle spielen, in China die Anstrengungen rund um die Digitalisierung im Auto verstärken. Auf seinem wichtigsten Markt hatte VW Probleme, die Ansprüche junger chinesischer Kunden zu erfüllen. Für die USA kündigte der Konzern ein neues Werk in South Carolina an - dort sollen ab 2026 Pickups der Submarke Scout gebaut werden. In der südkanadischen Provinz Ontario plant VW zudem seine erste Fabrik zur Herstellung eigener Batteriezellen für Elektroautos außerhalb Europas. Der Produktionsstart ist für 2027 geplant.
Der neue Markenchef Thomas Schäfer und Vorstandsmitglied Thomas Ulbrich hatten bereits ehrgeizigere Ziele für den weiteren Hochlauf der E-Mobilität ausgegeben. So soll bei VW Pkw der Anteil reiner Stromer in Europa bis 2030 mindestens 80 Prozent betragen, bis 2026 sollen zehn neue Elektromodelle auf den Markt kommen. Der ID.2 wird eines davon sein und in etwa die Größe eines Polo haben - das Konzept firmiert noch unter der Bezeichnung ID.2all. "Elektromobilität wird dann in jedem Volumen-Segment angeboten", kündigte Volkswagen an.
Wo baut VW seine neue Zellfabrik?
VW will sich mit der Standortentscheidung für die vierte europäische Zellfertigung nach Nordschweden, Salzgitter und dem spanischen Valencia Zeit lassen. Man werde gründlich "abwägen, wo neue Fabriken errichtet werden", sagte Blume. Das sei derzeit nicht einfach. Einige EU-Länder seien bei den Energiekosten im Vergleich zu anderen Weltregionen nicht wettbewerbsfähig. Um unabhängiger von asiatischen Zulieferern zu werden, plant Volkswagen insgesamt sechs Batteriezellfabriken in Europa. Hoffnungen auf einen Zuschlag machen sich osteuropäische Länder sowie weitere mögliche Kandidaten in Ostfriesland und Sachsen.
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Insgesamt sollen zwischen 2023 und 2027 rund 180 Milliarden Euro in Technologien für Elektroautos und in die Digitalisierung investiert werden. Davon entfallen auf die Bereiche Elektrifizierung und digitale Vernetzung rund 68 Prozent, also mehr als zwei Drittel. In der vorangegangenen großen Planungsrunde über fünf Jahre hatte VW rund 56 Prozent der Gesamtinvestitionen von 159 Milliarden Euro für Zukunftstechnologien veranschlagt. Bereits 2025 soll jedes fünfte weltweit verkaufte Fahrzeug des Konzerns rein elektrisch angetrieben werden.
Viel Geld soll in den kommenden fünf Jahren in den Aufbau der Batteriezellfabriken und die Rohstoffsicherung des Konzerns fließen. Bis zu 15 Milliarden Euro sind dafür vorgesehen. Bis 2030 soll die Batterietochter PowerCo einen Jahresumsatz von mehr als 20 Milliarden Euro erwirtschaften.
Außerdem will VW auf dem nordamerikanischen Markt eine größere Rolle spielen und in China seine Anstrengungen rund um die Digitalisierung im Auto verstärken. Auf seinem wichtigsten Markt hatte VW in den vergangenen Jahren oft Probleme, die Ansprüche junger chinesischer Kunden an die Vernetzung im Auto zu erfüllen.
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Die Eckdaten hatte der Konzern bereits vorgelegt. Nachdem die Auslieferungen des nach Toyota zweitgrößten Autokonzerns 2022 vor allem wegen der Zulieferprobleme um 7 Prozent auf knapp 8,3 Millionen Fahrzeuge gesunken waren, peilt er für 2023 nun 9,5 Millionen Einheiten an. Ziel ist eine Steigerung des Umsatzes um 10 bis 15 Prozent.
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VW will den Stau in der Produktion auflösen und die Aufträge abarbeiten - unter der Voraussetzung, dass die Versorgung mit Chips und Rohstoffen stabiler wird, soll das den Absatz wieder ankurbeln. Zuletzt mussten die Kunden oft lange warten. Das Ergebnis nach Steuern verbesserte sich im Vergleich zum Vorjahr um knapp 3 Prozent auf 15,84 Milliarden Euro. Der Umsatz stieg auch wegen höherer Autopreise von 250,2 auf 279,2 Milliarden Euro.
Rückenwind in den USA dank Subventionen
Aus dem milliardenschweren US-Förderprogramm IRA für klimafreundliche Technologien erwartet Volkswagen Rückenwind. "Das gibt uns noch mehr Unterstützung in unserer Strategie, die Produktion zu lokalisieren", sagte Finanzvorstand Arno Antlitz in einer Telefonkonferenz mit Journalisten, in der er die Bilanz 2022 erläuterte. Zu den Beratungen im Aufsichtsrat über eine Batteriezellenfabrik in Nordamerika äußerte er sich nicht.
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Als logische Option für eine Batteriezellfabrik hatte der Konzern vor einiger Zeit Kanada genannt. Auch die Entscheidung über ein eigenes Produktionswerk für die neue Konzernmarke Scout in den USA, in dem elektrische Pickups und SUVs vom Band laufen sollen, stand am Freitag auf der Tagesordnung des Kontrollgremiums.
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Antlitz sagte in der Telefonkonferenz auch, dass Volkswagen möglicherweise mit fünf statt sechs Batteriezellen-Fabriken in Europa auskommen könnte. Das würde die Pläne nicht über den Haufen werfen. Die einzelnen Fabriken könnten aber produktiver arbeiten als ursprünglich geplant. Das könnte auch die Investitionen reduzieren. Bislang will Volkswagen bis zum Ende des Jahrzehnts sechs große Batteriezellfabriken in Europa hochziehen und hat dafür bis zu 20 Milliarden Euro veranschlagt. Weitere rund zehn Milliarden Euro sind für die Beschaffung von Batteriematerialien und Rohstoffen vorgesehen.
4.000 neue Jobs - in Carolina
Der Aufsichtsrat des deutschen Autokonzerns Volkswagen hat grünes Licht für eine neue Produktionsstätte der Marke Scout in den USA gegeben. Wie Scout Motors nach der Sitzung des Kontrollgremiums mitteilte, soll in der Nähe von Columbia im US-Bundesstaat South Carolina eine zwei Milliarden Dollar teure Produktionsstätte entstehen. Dort sollen Elektro-Pickups und SUVs der nächsten Generation vom Band laufen. Mehr als 4.000 Arbeitsplätze sollten entstehen. Bei Vollauslastung könnten in der Fabrik mehr als 200.000 Fahrzeuge pro Jahr vom Band laufen. Die Serienproduktion soll nach früheren Angaben 2026 beginnen.
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Der Name Scout geht auf ein Modell des früheren US-Herstellers International Harvester zurück. Dessen Lkw-Sparte wurde später unter dem Namen Navistar weitergeführt. Mit der Übernahme des US-Lkw-Herstellers durch Traton im Jahr 2020 gingen die Markenrechte an Scout an Volkswagen über.
Die von International Harvester hergestellten Modelle Scout und Travelall waren Vorläufer beliebter SUVs der großen drei Detroiter Autohersteller wie dem Ford Bronco und dem Chevrolet Suburban von General Motors. Harvester stellte die Produktion 1980 ein, als das Unternehmen nach den Ölpreisschocks Mitte der 1970er Jahre umstrukturiert wurde.
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Grundzüge des Scout-Looks leben heute in Fahrzeugen wie dem aktuellen Bronco von Ford oder dem Design der Pickup- und SUV-Reihe R1 des Elektro-Start-ups Rivian weiter. Für Volkswagen ist die Wiedereinführung der Marke Teil der Strategie, den Marktanteil in den USA auf zehn Prozent zu verdoppeln.
Blume Verzichtet auf Rat von Herbert Diess
Auch die Kernmarke VW Pkw konnte ungeachtet des Absatzrückgangs einen Gewinnsprung erzielen. Das Ergebnis aus dem laufenden Geschäft stieg ohne Sondereinflüsse um 22,5 Prozent auf knapp 2,65 Milliarden Euro. Der Umsatz der Kernsparte kletterte um 8,7 Prozent auf 73,8 Milliarden Euro. VW sprach von einer "verbesserten Preisdurchsetzung". Zudem sei das Volumen der Verkaufshilfen zurückgegangen - viele Händler gewährten weniger Rabatte. Porsche verdiente operativ sogar 28,3 Prozent mehr als im Vorjahr, das Ergebnis stieg auf 6,42 Milliarden Euro. Bei Audi (inklusive Bentley und Lamborghini) fiel das Plus mit 7,62 Milliarden Euro ähnlich hoch aus.
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Für die kommenden Monate zeigte sich VW zuversichtlich. Allerdings gebe es nach wie vor zahlreiche Risiken, sagte Blume: "Die geopolitische und wirtschaftliche Ordnung unserer Welt wird aktuell massiv auf die Probe gestellt." Die Automobilindustrie sei auf freien Handel und funktionierende Lieferketten angewiesen. "Rohstoffe haben sich ganz erheblich verteuert", ergänzte Antlitz.
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Ein Großteil der Mittel aus dem Porsche-Börsengang soll in die Technologieentwicklung fließen. Bis zum Ende des Jahrzehnts will der Konzern die neue Plattform SSP "über alle Marken ausrollen", so Blume. Wo genau welche Modelle gebaut werden, werde noch entschieden. Die Kooperation mit Ford beim aktuellen Elektrobaukasten MEB werde um ein weiteres Modell des US-Autobauers erweitert.
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Zu seinem Vorgänger Diess bestehe weiterhin eine "kollegiale Beziehung", sagte Blume. Direkten Rat lasse er sich von ihm nicht geben. "Aber wir haben uns hin und wieder bei einer Veranstaltung getroffen."