Automotive : Der Unbesiegbare? Volkswagen trennt sich von Herbert Diess
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Was für Herbert Diess überraschend kam, war offenbar für einige Vorstandsmitglieder der Volkswagen AG schon länger klar: Diess muss gehen. Oliver Blume, Porsche-Chef, soll ab 1. September sein Nachfolger werden.
Aber wie kam es dazu?
Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hatte letzten Donnerstag gegen die Mittagszeit kurzfristig zum Gespräch gebeten und, so melden mehrer Quellen, die gemeinsame Zusammenarbeit mit VW-Chef Herbert Diess überraschend beendet. Für Diess sei es ein Schock gewesen, hatte er doch schon einige Führungskrisen überstanden, war mehrmals angezählt aber stets auf seinem Posten geblieben. Intern galt als er der Unbesiegbare.
Daraufhin ließ Pötsch am Freitagmorgen die Aufsichtsräte zusammenkommen: diese waren offenbar schon im Bilde über den Rauswurf des 63-jährigen Diess; der Beschluss nur noch Formsache. Als Nachfolger wurde ab 1. September Oliver Blume berufen, VW-Vorstand und Chef der VW-Sportwagen-Tocher Porsche. „Es war nur noch eine Formalie, die Entscheidung war längst gefallen“, so ein Beisitzer.
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Überraschung?
Fast zeitlich mit den offiziellen Meldungen des Aufsichtsrates zum Rauswurf des Managers, verabschiedete sich Diess von den Mitarbeitern über die Karriere-Plattform LinkedIn in die Werksferien: VW habe in der ersten Jahreshälfte viel erreicht. „Wir sind in guter Verfassung für die zweite Jahreshälfte“, schrieb er weiter.
Für Diess kam die Nachricht überraschend. Dabei zeichneten sich die Gründe für dienen Abgang schon lange ab: Das China-Geschäft läuft schleppend, der Mangel an Halbleitern trifft Europas größten Autobauer stärker als die Konkurrenz und die eigens für die Entwicklung neuer Fahrzeug-Software gegründete Tochter Cariad hängt den Erwartungen weit zurück. „Diese Themen haben wir am Freitag noch mal skizziert“, sagte ein Aufsichtsratsmitglied. „Aber wir kannten die Punkte eh.“
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Auch Pötsch waren die Probleme selbstverständlich nicht verborgen geblieben, wie es bei VW heißt. Als früherer Finanzvorstand ist Pötsch gut vernetzt im Unternehmen und über Irrläufe und Fehlentwicklungen schon früh im Bilde gewesen. Schön seit längerer Zeit, so hört man es aus dem Unternehmen, sei Pötsch mit den Großaktionären zur Causa Herbert Diess im Gespräch.
Aber wer sind die Großaktionäre bei Volkswagen eigentlich?
Zum einen sind da die Familien Porsche und Piëch, die die Mehrheit der Stimmrechte über die Porsche-Holding halten. Zweitgrößter Anteilseigner ist das deutsche Bundesland Niedersachsen mit dem Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU). Auf Rang drei folgt das Land Katar. Hinzu kommen zehn Vertreter der Arbeitnehmerbank.
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Machtverlust für Diess
Bereits im Sommer 2020 befand sich Diess als Vorstandsvorsitzender kurz vor der Ablösung: Der VW-Chef beschuldigte die Mitglieder des Aufsichtsrates, sie hätten interne Informationen an die Medien weitergegeben. „Das sind Straftaten, die im Aufsichtsratspräsidium passiert und dort offensichtlich zugeordnet werden können“, behauptete Diess damals.
Die Reaktionen der Aufsichtsräte folgten auf den Fuß: Auf einer eilig einberufenen Sondersitzung wurde über den Rauswurf von Diess beraten. Nach einer Entschuldigung bei den Aufsichtsräten durfte der Konzernchef schließlich bleiben. Dennoch: Auf Drängen der Kontrolleure musste er den zusätzlichen Vorstandsvorsitz bei der Marke VW abgeben und sich fortan auf die Führung des Konzerns konzentrieren.
Von "Erpressung" war die Rede
Zwar war der Rauswurf erst mal abgewendet, der Friede zwischen Diess und dem Aufsichtsrat währte aber nicht lange: Ende 2020 verknüpfte Diess zwei Personalfragen mit der Verlängerung seines eigenen Vertrages bis 2025. Der Aufsichtsrat stimmte zwar den Personalien zu, nicht jedoch seiner Vertragsverlängerung. Es war sogar von einem „Erpressungsversuch“ die Rede.
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Mit ausgezeichneten Quartalszahlen im Rücken nahm er dann im Sommer 2021 nochmals Anlauf - und dieses Mal mit Erfolg. Sein Vertrag wurde von 2023 auf 2025 verlängert.
Im September des gleichen Jahres folgte dann die nächste Provokation: im Vergleich zu Tesla sei Volkswagen zu schwerfällig, so Diess. Er legte den Abbau von rund 30.000 Stellen bei VW nahe. Beim zweitgrößten Anteilseigner, dem Land Niedersachsen, kam das natürlich nicht gut an. Im Amt halten konnte sich Diess damals nur dank der Familien Porsche und Piëch - mit dem Kompromiss, in Zukunft jede weitere Provokation zu unterlassen.
Ein Grund für den Kompromiss soll die Zusage der Familien gewesen sein, Oliver Blume zukünftig für den Posten des VW-Chefs freizugeben. Blume leitete zu der Zeit bereits Porsche und war für den damals geplanten Börsengang des Sportwagen-Unternehmens unverzichtbar.
Blume übernimmt den Job aus Pflichtgefühl.heißt es aus Konzernkreisen.
Auch die letzten Unterstützer verloren
Im Mai dieses Jahres erklärte Diess in einem Interview, dass die VW-eigene Softwareschmiede Cariad, die die Betriebssoftware für künftige Autogenerationen entwicklen soll, bereit sei und schon an konkreten Lösungen arbeite. Offenbar stimmte das zu diesem Zeitpunkt nicht. Es kam zum Eklat im Aufsichtsrat. „An dem Tag stand fest, Diess ist ein Chef auf Abruf“, berichteten Beteiligte. Doch: Die Familie Porsche hält weiter zu ihm. Die Begründung dafür ist naheliegend: Diess hat es geschafft, den Konzern aus der Krise um die manipulierte Diesel-Software zu führen, der Volkswagen über 30 Milliarden Euro gekostet hat.
Die letzten Unterstützer hat Herbert Diess nun zu Beginn der letzten Woche verloren: Diess ist auch in den Augen der Familie Porsche zum Risiko geworden, er schaffe es nicht die Probleme des Konzerns zu lösen. Wolfgang Porsche hat schließlich sein Einverständnis für die sofortige Trennung von Diess gegeben.
Oliver Blume muss zu diesem Zeitpunkt schon von seiner Beförderung gewusst haben. Aus Konzernkreisen heißt es, „er übernimmt den Job aus Pflichtgefühl.“
Oliver Blume als neuer VW-Chef
Blume selbst kommt aus Niedersachsen und seit mehr als 30 Jahren mit Volkswagen und der Sportwagen-Tochter Porsche verbunden.„Er verspricht so viel, wie er auch einhalten kann“, sagt ein Vorstandskollege.
Seine Linie hat Blume bereits vor einiger Zeit in Vorgesprächen klar gemacht: Aus dem Vorstand soll ein Team werden und das Chaos rund um die Software-Tochter Cariad soll zugig gelöst werden. „Blume soll mit dem gesamten Vorstand die Transformation weiter vorantreiben – mit einer Führungskultur, die den Teamgedanken in den Mittelpunkt stellt“, so Pötsch am Freitag.
Diess stand für eine klare Ausrichtung von Volkswagen auf Elektroautos, und zwar ausschließlich batterieelektrische. Große Stückzahlen bei einheitlicher Technologie sah er als Schlüssel, die Kosten in den Griff zu bekommen und die Profitabilität zu halten. Blume dagegen will die Verbrennerwelt zumindest für die Porsche-Ikone 911er retten, indem er in emissionsärmeren synthetischen Kraftstoff investierte.
DSW-Präsident Hocker erwartet nun, dass auch bei VW eFuels und Brennstoffzelle/Wasserstoff noch eine Chance haben. Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer vermutet dagegen, dass Blume dem von Diess eingeschlagenen Kurs folgen wird. "Synfuels sind eine Nische für Porsche und nicht der Rede wert", erklärte der Chef des Center Automotive Research. Der neue Konzernchef werde an den hohen Investitionen in Batterieautos einschließlich eigener Batteriefabriken festhalten. Dazu gebe es für VW auch keine Alternative, um die Marktführerschaft zu erreichen.
Das schwächelnde, zugleich aber für Volkswagen lebenswichtige China-Geschäft und die Software-Strategie mit der Tochter Cariad als Herzstück sind nach Ansicht der Fachleute die größten Baustellen. Alles zusammen wäre zuviel auf Blumes Schreibtisch. "Spätestens nach dem IPO wird Blume zu hundert Prozent bei VW sein", lautet Dudenhöffers Prognose. Eine Neuausrichtung werde es unter dem neuen VW-Chef bei Cariad geben. Der Plan von Diess, alles zentral zu machen, dürfte überdacht werden. "Die Fehlschläge bei der Einheits-Lösung, die Widerstände bei den einzelnen Marken werden nach meiner Einschätzung zu einem generellen Überdenken führen", ergänzt Dudenhöffer. Software sei Blumes größte und wichtigste Aufgabe, um den Kampf mit den Tech-Giganten aus den USA um digitale Dienste, den Gewinnbringer der Zukunft, zu gewinnen.
Porsches Börsengang in Gefahr?
Der überraschende Wechsel an der Volkswagen-Spitze von Konzernchef Herbert Diess zu Porsche-Boss Oliver Blume stößt Anlegern kurz vor dem für Herbst geplanten Börsengang der Sportwagenschmiede sauer auf. An Blumes Eignung zur Führung des deutschen Autokonzerns gibt es zwar keine Zweifel. Aber dass er gleichzeitig Chef von Porsche bleiben soll, halten viele für keine gute Idee.
"Gerade letzte Woche noch wurde für den Teilbörsengang damit geworben, dass Porsche dadurch eigenständig wird und mehr Wertschöpfung bieten kann. Das steht mit der Doppelrolle in Frage und ist Gift für das Porsche IPO", erklärte Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef der Fondsgesellschaft Deka, am Montag. Der Kleinaktionärsverband DSW plädierte für ein Verschieben des Börsengangs, bis ein neuer Porsche-Chef ins Amt kommt. "Bei einem Börsengang braucht man eine Leitfigur", sagte Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).
VW-Aktien gerieten zu Wochenbeginn unter Druck mit Abschlägen von zeitweise 4,6 Prozent. Die Papiere des Großaktionärs Porsche SE gaben bis zu 3,7 Prozent nach. Neben dem Fragezeichen hinter dem Porsche-Börsengang belaste auch die Unsicherheit über die künftige Strategie mit der klaren Ausrichtung auf batterieelektrische Autos den Aktienkurs, sagte Speich.
Die bei Volkswagen übliche Ämterhäufung sorgt schon länger für Kritik. An der Börse gilt heute als Erfolgskriterium, dass Unternehmen die sogenannten ESG-Prinzipien beherzigen - das steht für ökologische wie soziale Nachhaltigkeit und für "Governance", also auch gute Unternehmensführung. Bei Europas größtem Autobauer ist der Aufsichtsratschef Hans-Dieter Pötsch zugleich Vorstandschef der Holding der Eigentümerfamilien Porsche und Piech, der Porsche SE.
Porsche-Finanzchef Lutz Meschke, womöglich eine Option als künftiger Porsche-Chef, managt zugleich die Finanzen der PSE. Das führe zu starken Abhängigkeiten und zu mangelnder Kontrolle bei Volkswagen, wo neben der Eignerfamilie das Land Niedersachsen als Aktionär mitzureden hat und Betriebsrat wie die Gewerkschaft IG Metall viel Einfluss haben. "Der VW-Konzern müsste all diese Doppelbesetzungen abschaffen", forderte Speich.
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Die Gemengelage beim DAX-Konzern aus Wolfsburg führe meistens zu Kompromissen, die den Wert für Minderheitsaktionäre nicht maximierten, erklärte Daniel Schwarz von Stifel Research. VW-Aktien kauften Investoren nicht wegen der guten Unternehmensführung, sondern wegen üppiger Gewinne, der klaren E-Autostrategie, starken Marken und des Porsche-Börsengangs. In Blumes Doppelmandat sieht Schwarz letztlich auch eine Chance. "Kommt der Börsengang von Porsche zustande, hat Blume als unangefochtener CEO einen Startvorteil", sagte der Experte.