Automobilindustrie : Arbeitsplätze in akuter Gefahr: So wandert die Autoindustrie in die USA ab

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Der Standort Europa komme gegenüber den USA immer mehr ins Hintertreffen, so der Verband der Automobilindustrie in Deutschland.

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Europa und Deutschland drohen in der Auto-Industrie gegenüber den USA immer mehr ins Hintertreffen zu geraten, so die deutsche Automobilindustrie. "Die Situation ist dramatisch", sagte die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Hildegard Müller, der "Augsburger Allgemeinen" (Montagausgabe) laut Vorabbericht. "In unserer Branche werden derzeit Verlagerungsentscheidungen getroffen."

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Neun von zehn deutschen Automobilzulieferern seien der Ansicht, dass der Standort Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sei. Die Rede ist von der Gefahr einer schleichenden Erosion.

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Zuletzt hatte der deutsche Autozulieferer Schaeffler angekündigt, mehr Investitionen in den USA tätigen zu wollen. VW will nach eigenen Angaben nun doch kein neues Werk für den Bau von Elektroautos in Deutschland erreichten. Dafür will die Branche mehr in den USA investieren. "Die USA verfolgen eine konsequente Politik, die die Voraussetzungen schafft, den Weg zur Klimaneutralität zu ebnen, ohne die Industrie zu verlieren."

VDA-Präsidentin Hildegard Müller
VDA-Präsidentin Hildegard Müller - © VDA/Dominik Butzmann
Die Situation ist dramatisch.
Hildegard Müller - Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie.

Eindeutige Aufgabe für Brüssel

Der Standort USA sei Deutschland bei Energiepreisen, Steuern oder Rohstoffsicherheit weit voraus. US-Präsident Joe Biden fördert die US-Industrie mit Milliarden Dollar über den Inflation Reduction Act. Das Subventionspaket sorgt vor allem in der Automobilindustrie für Aufsehen.

In den letzten Jahren sind in Westeuropa eine Reihe von strukturellen Probleme entstanden, wie der verstärkte Preisdruck in der gesamten Zulieferindustrie, der fortschreitende Prozess der Deindustrialisierung in Westeuropa und das hohe Lohnniveau. Die Problematik wird u.a. durch enorme Energiekosten, hohe Inflation, steigende Materialkosten und fragile globale Lieferketten verschärft und beschleunigt.

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Ein großes Problem in Deutschland sind laut Müller die hohen Energiepreise. "Die Aufgabe an Berlin und Brüssel könnte nicht eindeutiger sein: Die Wettbewerbsfähigkeit muss durch aktive Standortpolitik schnell und gezielt wieder hergestellt werden. Eine Industrie, die zu 70 Prozent am Export hängt, braucht dringend international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Sonst wird es zwar weiterhin deutsche Autos geben, aber sie werden immer weniger in Deutschland gebaut", sagte Müller den Zeitungen.

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Der Produktionswert der Zulieferindustrie in Österreich beträgt nach eigenen Angaben rund 25 Mrd. EUR, die Wertschöpfung 7,4 Mrd. EUR. 81.700 Arbeitsplätze sollen direkt von der Branche abhängig sein, indirekt sichert die Branche an die 200.000 Arbeitsplätze. 900 Unternehmen sind laut Branchenvertretung ARGE Automobilzulieferindustrie ganz oder teilweise branchenaktiv.

Wie wichtig die Branche für Österreich ist, zeigt das BMW-Motorenwerk im oberösterreichischen Steyr. Es ist das größte Motorenwerk der Welt. Im Jahr 2021 produzierten die rund 4.400 Mitarbeiter knapp 1,1 Millionen Motoren. Auch der kanadische Zulieferer Magna ist ein wichtiger Arbeitgeber. Er beschäftigt rund 13.000 Menschen in Österreich. Ein technologischer Leitbetrieb ist wiederum die Grazer AVL List mit weltweit knapp 11.000 Beschäftigten.

Massiver Stellenabbau in Europa?

Der Wieselburger Lichtspezialist ZKW stellt Scheinwerfer und Elektronikmodule für Automobilhersteller wie Audi, BMW, Daimler, Geely, MAN, Opel, Porsche, Scania Truck, Skoda, Volvo und VW her. Am Produktionsstandort Wieselburg werden nun im Rahmen eines Kostensenkungsprogramms bis Ende 2024 rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgebaut. Wie es heißt, sollen die notwendigen Personalanpassungen so sozialverträglich wie möglich umgesetzt werden. ZKW wird seine Kapazitäten in China und Mexiko ausbauen, um den Bedarf an lokaler Produktion für Großkunden im Rahmen seines nachhaltigen Wachstumskonzepts zu decken. Auch in der Slowakei wird das Unternehmen seine Kapazitäten erweitern, um regionale Kunden mit kostengünstigen Produkten zu beliefern.

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Erst vergangene Woche hatte Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld angekündigt, künftig mehr in den USA als in Europa investieren zu wollen. "Die nächsten Werke bauen wir eher in Amerika", sagte Rosenfeld. Ein Grund dafür sei das milliardenschwere Subventionspaket Inflation Reduction Act. "Wir werden ihn auf jeden Fall nutzen, um verstärkt in den USA zu investieren", so Rosenfeld weiter.

Seit 60 Jahren produziert Schaeffler in Österreich Wälzlager am Standort Berndorf, wo rund 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt sind. Für die weltweite Produktion dieser Produktgruppe ist der Standort Berndorf das Leitwerk. Der Gesamtkonzern setzt mit rund 83.000 Beschäftigten rund 14 Mrd. EUR um.

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Der oberösterreichische Motorenhersteller Steyr Motors kämpft einmal mehr um das Überleben des Unternehmens. Bereits 2018 war das 2001 von einer Investorengruppe rund um den ehemaligen Generaldirektor der "Steyr Daimler Puch Werke" und Ex-Verkehrsminister Rudolf Streicher und Rudolf Mandorlen, Ex-Chef der Motorensparte von Magna Steyr, als eigenständiges Unternehmen gegründete Unternehmen zahlungsunfähig. Aufgrund eines "starken Umsatz -und Gewinnrückgangs" sei eine "Redimensionierung" unumgänglich, bis zum Sommer soll ein Großteil der 130 Mitarbeiter abgebaut werden.

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Nach der Ankündigung, in Deutschland tausende Arbeitsplätze zu streichen, hat der US-Autobauer Ford beschlossen, auch in Spanien 1.100 Stellen zu streichen. Grund sei die Einstellung der Produktion der Modelle S-Max und Galaxy im Werk Almussafes südlich von Valencia im April, teilte das Unternehmen am Freitag auf Anfrage mit. Derzeit sind dort noch 5.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.

Zuvor hatte Ford bereits den Abbau von 2.300 Stellen in Deutschland angekündigt. In Großbritannien sollen 1.000 Arbeitsplätze wegfallen. Der Autobauer befindet sich im Umbruch, nachdem er relativ spät auf Elektrokurs gegangen war. Ab 2030 will Ford in der EU nur noch Elektroautos verkaufen.

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Ein Global Player im Bereich Motoren für Militärfahrzeuge ist Steyr Motors. Nach turbulenten Jahren gab das Unternehmen kürzlich einen massiven Stellenabbau bekannt. Derzeit sind dort rund 130 Mitarbeiter beschäftigt. Auch die Tiroler Firmen Achleitner und Empl sowie insbesondere Rheinmetall MAN Military Vehicles in Wien sind stark im militärischen Bereich verankert.

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