Standortentscheidung : Management-Experte: "Ich sehe hier keinen Beginn einer Deindustrialisierungswelle"

Moderator Rudolf Loidl, Industrieberater Walteer Woitsch (Syngroup)

Industrieberater Walter Woitsch im Interview mit Industriemagazin-Chefredakteur Rudolf Loidl.

- © WEKA Industrie Medien GmbH

Die hohen Strom- und Gaspreise setzen Unternehmen weiterhin stark unter Druck. Beispiele der Faser-, Papier- oder Chemieproduktion zeigen, welche dramatischen Kostenexplosionen auf die Unternehmen zuletzt zugekommen sind. Hatten Unternehmen in diesen Branchen bislang acht bis zehn Prozent Energiekostenanteil, so berichten einige Unternehmen – etwa der Papierindustrie – davon, dass dieser auf fast 25 Prozent gestiegen ist.

Die Einstellung ganzer Produktgruppen, wie zuletzt in der Papierindustrie – ist dabei nur ein erster Schritt. In Kombination mit dem nachteiligen steuerlichen und regulatorischen Umfeld und der Gefahr einer länger anhaltenden Inflation, besonders in Österreich, steigt die Befürchtung, dass Produktion in größerem Stil in andere Weltgegenden ausgelagert werden könnte.

Wirtschaftsminister Martin Kocher und auch die österreichische Industriellenvereinigung warnen bereits davor: Wegen der massiv gestiegenen Energiepreise und der großzügigen Unternehmensförderung in den USA und China drohe die Industrie aus Europa abzuwandern. Ist diese Sorge berechtigt?

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Praxisbeispiel ZKW

Im April läuft die fünfjährige Standortgarantie ab, die der koreanische Elektronik-Gigant LG Electronics nach der Übernahme von ZKW im Jahr 2018 abgegeben hat. Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Hersteller von Scheinwerfern und Elektronikmodulen für zahlreiche namhafte Automobilkonzerne sein Stammwerk in Wieselburg bis 2024 drastisch verkleinern und ein Viertel der Belegschaft abbauen wird.

Ein kleines Werk im oberösterreichischen Dietach soll noch heuer gänzlich geschlossen werden. Grund für den Schritt ist ein Kostensenkungsprogramm, das durch "enorme Energiekosten, hohe Inflation, Materialkostenerhöhungen und brüchige, globale Lieferketten" notwendig wurde, so das Unternehmen.

Im Rahmen eines Konzepts für nachhaltiges Wachstum, sollen die Kapazitäten in den Werken in China und Mexiko – aber auch die Produktion in der Slowakei erweitert werden. Für diese Werke wurde ein kontinuierlicher Einstellungsplan aufgestellt, der bis Ende 2024 abgeschlossen sein soll.

INDUSTRIEMAGAZIN NEWS hat zu diesem Thema mit dem Experten Walter Woitsch vom Industrieberatungsunternehmen Syngroup Management Consulting gesprochen, um die tatsächliche Gefahr einer Deindustrialisierungswelle in der Praxis einschätzen zu können.

IM NEWS: Die ZKW zitiert in ihrer Ankündigung zur Werksverkleinerung die enormen Energiekosten, hohe Inflation, Materialkostenerhöhung und brüchige globale Lieferketten. Ist das ein erstes sichtbares Zeichen jener Deindustrialisierung, die wir letztes Jahr aufgrund der Umstände befürchtet haben?

Walter Woitsch:
Nein, glaube ich absolut nicht. Deindustrialisierung gehört schon sehr, sehr lange in unser Wirtschaftsbild. Ich glaube, ZKW ist einfach nur ein schönes Beispiel, wie sich Betriebswirtschaft hier auswirken kann. Wir haben durch die Übernahme durch LG einerseits den Bonusfaktor des Mutterstandortes der weg fällt und dann wird gerechnet. Und wenn wir heute zum Beispiel Standorte in der Slowakei sehen, die sehr hohes Qualitätsniveau schaffen, und dabei auf die Kosten achten, dann hat schlichtweg die Betriebswirtschaft gesiegt.

Auch wenn es hart klingen mag, aber ich sehe das keineswegs als einen Startpunkt für eine große Deindustrialisierungswelle.

IM NEWS:
Jetzt sind nicht alle Unternehmen in der glücklichen Lage, wie ZKW, Aufträge oder ganze Produktionslinien an andere nahe Standorte verschieben zu können. Was beobachten Sie da?

Woitsch:
Ja und ich glaube, das ist genau der Punkt, wenn wir über Deindustrialisierung sprechen, dass ich hier einfach die betriebswirtschaftlichen Faktoren sehen muss. Eine Firma wie Wienerberger mit einem Radius von 150 Kilometer wird nicht daran denken können hier Aufträge zu verlagern. Wellpappe wäre ein ähnliches Produkt, mit 300 Kilometer Lieferradius. Auf der anderen Seite spielt die Investitionstätigkeit eine wichtige Rolle, denn muss man einen Standort neu aufbauen, müssen vielleicht 100 Millionen Euro in die Hand genommen werden, wird man sich das sehr gut überlegen, ob sich das mittel- und auch langfristig wirklich auszahlt. Wir sehen ja eher kurzfristige Störungen in den Lieferketten.

Andere haben aber die Möglichkeit, diesen Schritt zugehen. Wir sehen es gerade bei Lenzing, wo die Produktion in Oberösterreich aufgrund dieser Faktorkosten kurz- und mittelfristig niedergefahren und in China, gleicher Standort, einfach hochgefahren wird. Das heißt, diese Faktoren werden wir haben, aber es ist kein Beginn einer großen Deindustrialisierung.

Wir sehen auch, dass Faktorkosten, noch nicht auf das alte Niveau zurückgekommen sind, sich aber durchaus schon wieder beruhigen.

IM NEWS:
Wir sehen bei den Umsatz- und Ertragszahlen in der Industrie, zumindest von den Unternehmen die berichten, dass nahezu alle ihre Kosten weitergeben konnten. Ist das auch eine Beobachtung, die Sie aus dem Mittelstand haben?

Woitsch:
Ja, absolut. Es war ein Drama, wenn ich mich zurückerinnere, diese Kostenweitergaben. Der Vertrieb hat gesagt, wir werden alle Kunden verlieren. Wie können wir das durchsetzen? Und da ist aufgrund dieser Rahmenbedingungen und dre Transparenz, die jetzt geschaffen wurde, fast ein Dammbruch erzielt worden. Und ich sehe hier ein sehr kooperatives Miteinander wie mit den Preiserhöhungen umgegangen wird.

Wenn aber gewisse Höhen erreicht werden, kommt es natürlich zu Kippeffekten. Die Kunden unserer Kunden sagen dann auch, dass sie nur ein gewisses Preisniveau akzeptieren können, damit keine Substitution betrieben und auf andere Produkte ausgewichen wird.
Aber grundsätzlich, glaube ich, hat sich da das Umfeld sehr stark verändert und wir sehen es an den Ergebnissen. Ob das jetzt im Mittelstand ist oder auch an börsennotierten Unternehmen, die Preisweitergabe konnte am Markt sehr gut untergebracht werden.

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M NEWS: Es gibt Energiepreise, die sind zum Beispiel wieder auf den Labels des Jahres 2021. Sehen Sie Probleme der Industrie, die doch nachlaufenden Kostensteigerungen, die heuer noch auftreten, auch heuer weiterzugeben?

Woitsch:
Ich glaube, die Transparenz ist heute hoch gegeben und es wird sich entscheiden, wenn die Faktorkosten wieder reduziert werden, wo es zu Problemen kommen könnte. Bei anderen Themen, sollten sie hoch bleiben, wird man durchaus auch weiter Gespräche führen können, um hier einfach ein vernünftiges partnerschaftliches Niveau herzustellen. Auch hier wird sich die Betriebswirtschaft wieder zeigen und sich dementsprechend die Faktoren gestalten.

Aber grundsätzlich sehen wir schon eine Entspannung in dem Bereich. Den Energiekosten laufen wir jetzt gerade noch etwas nach, aber grundsätzlich wird sich auch das wieder auf ein vernünftiges Niveau einpendeln. Und wir sehen ja schon die ersten Prognosen aus Deutschland und man kann sagen, die Konjunktur scheint sich ja nicht so schlecht zu entwickeln.

IM NEWS:
Was raten Sie den Kunden in der derzeitigen Situation?

Woitsch:
Man sollte sich, wie immer, die Faktorkosten im Blick haben. Das Thema Energie ist groß und man kann abklären, ob tatsächlich schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Das Thema Personal, andere Faktoren, die sich vielleicht verändert haben. Die Supplychain zu stabilisieren, wieder mit Läger zu arbeiten, wo vielleicht Unsicherheiten aufgetreten sind und das dann dementsprechend abzufedern. Also ich glaube hier wirklich, dass es sehr wichtig ist, die Faktoren eins für eins durchzugehen.

Wir sehen auch zum Beispiel Verlagerungen von Tschechien nach Luxemburg. Warum? Weil dort die Energiesituation am Standort einfach besser ist. Geothermie, Solarenergie und schlichtweg hat die Betriebswirtschaft ergeben, dass ein Auslagern sinnvoll ist. So sieht man, es wird auch mal in die umgekehrte Richtung deindustrialisiert, was man für normal eigentlich nicht für möglich halten würde. Das heißt, ich sehe die Zukunft durchaus positiv.

Sehen Sie das gesamte Interview vom 01.03.2023 mit Walter Woitsch, Syngroup Managment Consulting, zum Thema Deindustrialisierung der heimischen Industrie.