Autoindustrie in der Krise : Panik macht sich breit: Warum BMW, Mercedes und VW die Aufträge ausgehen

Automotive Dealership Store. New and Pre Owned Vehicles in Front of the Showroom Building.

Panik macht sich breit unter den deutschen Automobil-Herstellern

- © Tomasz Zajda - stock.adobe.com

Die europäische Automobilindustrie ist im Vergleich zu der Zeit vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie deutlich geschrumpft. Das ist das Ergebnis aktueller Produktionszahlen, die dem Handelsblatt vorliegen. Allein bei Volkswagen, Audi, BMW und Mercedes-Benz wurden auf dem Heimatkontinent von Januar bis Mai 2023 gut eine halbe Million Pkw weniger produziert als im gleichen Zeitraum 2019. Das entspricht einem Rückgang von fast 20 Prozent, wie der Informationsdienst „Marklines“ mitteilte.

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Die Hersteller sehen sich dabei mit einem sich drastisch verändernden Marktumfeld konfrontiert. In den Jahren 2020 bis 2022 hatten Corona-Lockdowns sowie Engpässe bei Halbleitern und Kabelbäumen die Pkw-Produktion gebremst. In dieser Zeit überstieg die Nachfrage das Angebot. Die Hersteller waren in der Lage, hohe Preise zu verlangen und die Produktionsausfälle durch Kurzarbeit zu kompensieren. Inzwischen sind die Lieferketten wieder weitgehend intakt - nach Jahren des Ausnahmezustands. Die Branche rechnete deshalb mit einer kräftigen Erholung der Produktion im Jahr 2023. Doch diese droht auszubleiben.

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Waren lange Zeit rar: Kabelbäume für die PKW-Produktion

- © Leoni

Panik macht sich breit

Vor allem bei batterieelektrischen Modellen gibt es Nachfrageprobleme. „Die Auftragseingänge bei Elektroautos liegen branchenweit 30 bis 50 Prozent unter dem Vorjahr“, warnt Thomas Peckruhn, Skoda-Händler und Vizepräsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) im Handelsblatt. Davon sind nahezu alle Hersteller betroffen.

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Laut Peckruhn spiegeln die derzeit noch hohen Zulassungszahlen nicht die tatsächliche Marktsituation wider. Offen zu Tage treten würden die Probleme spätestens ab dem vierten Quartal. Dann seien die Auftragsbestände abgearbeitet und die zuletzt hohen Preise nicht mehr haltbar: „Die Party ist vorbei, bei Neuwagen genauso wie bei Gebrauchten.“

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Schon jetzt macht sich bei den ersten Autoherstellern Panik breit. „Die Zukunft der Marke VW steht auf dem Spiel“, sagte VW-Markenchef Thomas Schäfer kürzlich auf einer Videoschalte mit Managern des Konzerns.

Thomas Schäfer VW
VW-Marken-Chef Thomas Schäfer: "Das Dach brennt." - © Anne Hufnagl / anne@annehufnagl.com

Ungewisse Zukunft für die Mitarbeiter

Volkswagen pridzierte in Europa in den ersten fünf Monaten des Jahres über 22 Prozent weniger Fahrzeuge als im gleichen Zeitraum im Jahr 2019. In Zwickau, dem wichtigsten Produktionsstandort der Wolfsburger, wo neben den VW-Modellen ID.3, ID.4, ID.5 auch die auf der gleichen Plattform basierenden Modelle Audi Q4 E-Tron und Cupra Born montiert werden, soll deshalb die dritte Schicht an einer der beiden Montagelinien gestrichen werden.

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Für den Hochlauf der Elektromobilität wurden am sächsischen Standort mit knapp 11.000 Beschäftigten 2.700 Mitarbeiter befristet eingestellt. 540 von ihnen sollen im kommenden Jahr in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen werden, für den Rest ist die Zukunft ungewiss. Volkswagen hat nach eigenen Angaben die Marktsituation ständig im Blick und stimmt Anpassungsbedarfe mit dem Betriebsrat ab.

Ungewisse Zukunft für die Mitarbeiter bei VW in Zwickau

- © Volkswagen

Premium-Marken ebenfalls betroffen

Produktionsrückgänge mussten in jüngster Zeit auch die deutschen Premiumhersteller hinnehmen. So liegt zum Beispiel BMW bei der Fahrzeugproduktion um mehr als zehn Prozent unter dem Niveau vor der Corona-Krise. Bei Mercedes ist der Rückgang allerdings besonders deutlich.

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Zwischen Januar und Mai 2019 hatten die Schwaben in Europa noch etwa 627.000 Fahrzeuge hergestellt, davon mehr als 484.000 in deutschen Werken. Nur noch 434.000 Einheiten waren es vier Jahre später. Das entspricht einem Minus von über 30 Prozent. In Deutschland ist die Produktion um mehr als 140.000 auf 343.000 Fahrzeuge zurückgegangen.

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Dies ist auch der Luxusstrategie von Vorstandschef Ola Källenius geschuldet. Bewusst verabschiedete sich Mercedes aus dem Rennen um immer neue Verkaufsrekorde. Auch bei den eigenen Elektroautos und Plug-in-Hybriden kämpfen die Schwaben wie VW mit mauen Bestellungen.

Setzt auf Luxus statt auf Masse: Mercedes-Chef Ola Källenius

- © Mercedes Benz

Künstliche Auslastung der Werke

„In Summe werden wir womöglich nie wieder auf ein Verkaufsniveau wie vor der Coronapandemie mit 3,6 Millionen Pkw zurückkehren“, glaubt ZDK-Vizepräsident Peckruhn. Nicht viel besser sehen die Prognosen im übrigen Europa aus. Überall leidet die Auslastung der Werke unter der Krise. Besonders betroffen sind aber die deutschen Werke.

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Rund 60 Prozent aller in Europa produzierten Autos werden bei VW und Audi in der Bundesrepublik gefertigt. Bei Mercedes liegt der Anteil bei 79 Prozent und bei BMW sogar bei fast 97 Prozent. Aus Branchenkreisen ist zu hören: Viele deutsche Hersteller verzögern deshalb künstlich den Abbau des noch vorhandenen Auftragsüberhangs. Nur so sei ihnen die Auslastung ihrer Werke auch in Zukunft möglich.

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Die europäischen Ambitionen von Tesla und chinesischen Elektroautoherstellern erschweren die Lage der traditionellen Automobilhersteller. Nach und nach nehmen sie in Europa immer mehr Marktanteile von VW, BMW und Mercedes ab. Die Newcomer produzieren außerhalb Europas einen Großteil ihrer Fahrzeuge für den europäischen Markt. In Europa gibt es bislang keine Werke chinesischer Hersteller wie MG, BYD oder Nio. Lediglich Tesla stellt seinen Bestseller, das Model Y, auch in Deutschland her.

Bis zu 8 Millionen chinesische E-Autos bis 2027

Bei den Automobilzulieferern werden daher vor allem mit Blick auf die chinesischen Hersteller Prognosen erstellt, die aufzeigen, welche Auswirkungen die Expansion der chinesischen Hersteller auf den Produktionsstandort Europa haben könnte. So könnten nach Einschätzung eines großen deutschen Zulieferers im Jahr 2027 bereits fünf bis sieben Millionen chinesische Elektroautos in der EU und Großbritannien unterwegs sein. „Ich rechne sogar mit acht Millionen“, sagt eine Führungskraft des Zulieferers. „Acht Millionen chinesische Elektroautos bedeuten, dass europäische Hersteller in Europa etwa zehn Werke zu viel hätten.“

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Das Problem der deutschen Hersteller ist, dass sie bei der Transformation der Branche hinterherhinken. Die Verkaufszahlen ihrer Elektroautos steigen zwar. Das reicht aber bei weitem nicht aus, um die Rückgänge im Geschäft mit Verbrennungsmotoren auszugleichen. Von Januar bis Mai 2019 brachte die Marke VW in Europa noch knapp 770.000 neue Verbrenner auf die Straße. Im gleichen Zeitraum des laufenden Jahres waren es nur noch knapp 445.000, rund 42 Prozent weniger. Bei Mercedes gingen die Verbrennerzulassungen sogar um fast 50 Prozent zurück.

Preiskampf auch bald in Europa?

VW, Audi, BMW und Mercedes sollten daher ihren Absatz von Elektrofahrzeugen erheblich steigern. Doch laut Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research (CAR), geht diese Rechnung nicht auf. „Wir erwarten in den nächsten Monaten eine stärkere Abflachung des Wachstums bei Elektroautos. Für das Jahr 2024 kann auch ein Rückgang der Marktanteile nicht ausgeschlossen werden.“

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So liege der Auftragseingang für Elektrofahrzeuge auf der MEB-Plattform von Volkswagen, auf der die ID-Baureihe der Kernmarke, der Skoda Enyaq, der Cupra Born sowie der Audi Q4 E-Tron basieren, je nach Modell um 30 bis 70 Prozent unter dem geplanten Niveau, heißt es aus Konzernkreisen. Kommentieren wollte VW die Zahlen nicht.

Insgesamt will der Konzern heuer 9,5 Millionen Autos absetzen, gut eine Million mehr als im Vorjahr. Zur Halbzeit des Jahres liegen die Wolfsburger nach eigenen Angaben bei 4,4 Millionen Autos - und damit um mehrere hunderttausend Fahrzeuge unter dem Plan.

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Diskutiert werden bei der Marke VW nun die hohen Verkaufspreise der Elektroautos. Das liegt auch daran, dass Tesla und zahlreiche chinesische Hersteller mit ihren günstigen Preisen die deutschen Hersteller vor sich her treiben. Rabatte auf ihre Elektroautos lehnen diese - zumindest offiziell - bislang ab. Denn heimlich, still und leise sind die ersten deutschen Hersteller dazu übergegangen, ihre Leasingraten zu senken.

Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research

- © Volkswagen AG