15 Industriemanager über Europa : Heinz Paar: "Fahren mit Footprint Null in die Grube"
Inhalt
- Europas Weg in die "Footprint Null"-Falle
- Europa vor einem „Make it or Break it“-Moment
- Green Deal bietet große Chancen
- Illusion
- Am Scheideweg
- Schnellere Umsetzung von Freihandel
- Regulierungsliebe
- Fallstricke
- Übergeordnete Strategie fehlt
- Pole aufladen
- Schlechte Stimmung
- Auftrag um Auftrag verloren
- 15-Jahres-Pläne
- Von Wachstumsplan flankiert
- Selbst im Weg
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Europas Weg in die "Footprint Null"-Falle
Die überschaubarere Baustelle findet sich Mitte August in der beschaulichen Kärntner Marktgemeinde Griffen. Dort koordiniert Heinz Paar gerade die Errichtung eines Palastzelts. Freudiger Anlass: Das 25-jährige Firmenjubiläum der Fischer Edelstahlrohre Austria. Sechs Mast hoch - die statischen Herausforderungen sind nicht ohne. Doch sie sind nicht vergleichbar mit jenen Anforderungen, vor denen eine nicht ganz unbekannte Staatengemeinschaft steht. Dort muss im Zuge der zweiten Legislaturperiode des Kabinetts von der Leyens nicht neu verspachtelt, sondern umgebaut werden. "Ich blicke beängstigt auf den Kontinent", sagt Paar. „Offenbar plane Europa, in einer selbst erfüllenden Prophezeiung mit dem Footprint Null in die Grube zu fahren", so der Manager. Wie anders ließe sich erklären, dass ein vom hehren Ansatz richtiger Green Deal die Verwandlung in ein CSRD-Ungetüm vollzogen hat. "Jetzt ballistisch einzugreifen, wird spannend", sagt Paar. Die Kugel sei aus dem Lauf.
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Soll auch heißen: Der internationale Wettbewerb schläft nicht. Die Strategiekonzentrate von China und den USA nicht in die grüne europäische Gleichung einzubeziehen, sei "zu einer ziemlich disruptiven Angelegenheit für uns Europäer geworden", sagt Paar. Wie ein Schachspiel, "bei dem der Gegner beginnt, über Ihre Figuren zu springen, weil er sich in der Halma-Welt wähnt", meint der Manager. Und so hat Paar, der aus einer Zollbeamtenfamilie entstammt, Sorge vor einem zunehmenden Kontinental-Cocooning als „End of the Pipe“ Lösung mit Suizid-Garantie. Für sich selbst hat er ein "ganz böses Axiom" aufgestellt: Europa könne gar nicht anders, als sich selbst der größte Feind zu sein. Für Unternehmer bliebe da nur ein Leitsatz von Kolumbus 1492 zu beherzigen: "Weiterrudern, weiterrudern, weiterrudern".
Europa vor einem „Make it or Break it“-Moment
"Der großflächigste Krieg auf dem alten Kontinent, gescheitertes De-Risking mit China, US-Wahlen, deren Ausgang geopolitisch hochbrisant sind, ein Europa, dem wirtschafts-, energie- und sicherheitspolitisch womöglich eine Dekade strukturellen Abstiegs bevorsteht": So fasst die Politologin Velina Tchakarova die aktuelle - und ziemlich ernüchternde - Gemengelage zusammen. So erstaunt es Tchakarova nicht, dass mit der Formierung der alten, neuen Kommission "das politische Kontinuum gestärkt, der Status Quo fortgeschrieben" wird: Es gebe "diese große Sehnsucht nach Stabilität". Zugleich fehle vielfach ein strategischer Konsens: Etwa, "ob wir eine europäische Säule der Nato oder eine eigene Militärmacht sein wollen".
Und Tchakarova hat Zweifel an der von der Kommission vorgelegten Gleichung ausgabenseitig. Investitionen in kritische Industrien und Infrastrukturen, in die Energiediversifizierung, in die Verteidigung, in den Klimawandel - "das sind Posten mit großem Finanzierungsbedarf", sagt Tchakarova. Am Ende werde wohl die eine oder andere Variable rausfallen. Mögliches Szenario: Sicherheit wird priorisiert, der Green Deal wandert nach hinten. "Wir sehen politische Narrative und keine politischen Tatsachen", so Tchakarova. So habe das Projekt der Energiediversifizierung Europas im dritten Jahr des russischen Angriffskrieges immer noch "Klischeecharakter". Immer wahrscheinlicher: Ein "make it- or break it-Moment" für Europa, den schon Macron in seiner Rede anklingen ließ.
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Green Deal bietet große Chancen
Die Auflösung der Nationalstaaten, wie es der österreichische Schriftsteller Robert Menasse für unausweichlich hält, steht für Günter Eichhübl nicht zur Debatte. Oder wollen wir Europa zerstören, fragt der Berater und frühere langjährige Industriemanager rhetorisch. Der EU als tragendes Projekt für Europas Zukunft steht der frühere Chef des Antriebsbauers Traktionssysteme Austria vorbehaltslos gegenüber - "wenngleich wir es aus Brüssel gewohnt sind, dass die Beamten zuallererst mit Regulativen kommen, während die US-Wirtschaft die Freiheit genießt, sehr viel sensibler auf Restriktionen auszuschlagen", sagt Eichhübl. Insofern bewundert er die Vereinigten Staaten, in denen ein republikanischer Sieg in der "Wahl des Jahres" für Industrie & Co wohl durchaus Reiz hat: Diese Freiheit beflügelt - wenngleich mit einem erratischen Trump es geopolitisch "in einer Katastrophe enden könnte", so Eichhübl.
Europa will er - trotz seiner bedenklichen Mentalität des Bedienenlassens auf sicherheitspolitischer Ebene und allzu butterweicher Reden – keinesfalls abschreiben. Auch die grunsätzliche Idee des Green Deal sei intakt, er sei nur zu wenig moderiert worden. "Das laste ich von der Leyen an: Er war einfach so hingestellt", sagt der Ex-Manager. Im Lichte der Instabilitäten reihum sei es nun eine gute Strategie, hier - ökonomisch grundiert - in der nächsten Legislaturperiode Kontinuität zu zeigen. Rund um den Green Deal würden sich "tausend interessante Geschäftschancen" etablieren, während Populisten den Untergang des Autolandes Österreich propagieren. "So ein Blödsinn", sagt Eichhübl.
Zuweilen sieht er auch die Akteure der wohlgemerkt heimischen Wirtschaft als zu mieselsüchtig an. So beschleicht ihn das Gefühl, wir seien in Österreich gar nicht so innovationsoffen, sondern viel zu oft Neuem skeptisch gegenüber eingestellt. Auch in der Industrie. "Ich höre immer, was alles nicht geht und warum wir uns mit aller Kraft an das Exportprodukt Verbrennungsmotor klammern müssten", sagt er. Das könne aber nicht die "Zukunftsmusik sein".
Illusion
Der "Verlust an Diskursbereitschaft" innerhalb Europas Grenzen schmerze, sagt der Unternehmer Georg Kapsch. Zu vieles sei heute fundamentalistisch aufgeladen, so der CEO der Kapsch TrafficCom. Etwa auch die Umsetzung des Green Deals - "da hätte ich mir mehr Intelligenz " gewünscht. Er sei immer ein Befürworter des grünen Deals gewesen. "Die Grundidee ist ok, wir müssen ja die Umwelt entlasten", sagt Kapsch. Doch Europas Industrie werde damit überproportional belastet. Wenn Kommissionspräsidentin von der Leyen jetzt davon spricht, die Bürden für die Wirtschaft in der nächsten Legislaturperiode um ein Viertel zu reduzieren, vernimmt Kapsch das mit einem Quäntchen Hoffnung. "Vorerst merken wir davon aber nichts, im Gegenteil", sagt er. Es kommen immer mehr und mehr neue Regeln, die es in den Unternehmen umzusetzen gilt. Woran aber auch die - letztverantwortlichen - Ländervertreter im EU-Rat ihren Anteil hätten. "Die Nationalstaaten haben den Hang, sich an Kommission und Parlament abzuputzen, das ist auch nicht in Ordnung", sagt Kapsch.
In Wahrheit, sagt Kapsch, dessen Vision der Vereinigten Staaten von Europa sich für ihn mittlerweile als Illusion herausstellte, sei der europäische Binnenmarkt immer noch nicht vollendet. Und innenpolitisch habe man in Europa statt einem Gemeinschaftsgefühl "divergierende Interessen". Außenpolitisch hätte Europa einen Offenbarungseid geleistet. "Wir sind Spielball der beiden großen Blöcke USA und China und werden zwischen den beiden zerrieben", sagt Kapsch. Protektionismus habe nie zur Wohlstandssteigerung beigetragen sondern im Gegenteil. Doch wo die Grenzen überschritten werden und der Handel unfair ist, brauche es Regulative. "Da bin ich durchaus ein Befürworter tarifarischer und außertarifarischer Handelshemmnisse", so der Manager. Und auch wenn er eigentlich ein Antimilitarist sei: Eine einheitliche Verteidigungspolitik brauche es.
Am Scheideweg
Europa am Scheideweg sieht Thomas Friess, CEO des Schleifwerkzeugeherstellers Tyrolit in Schwaz. Als glühender Europäer fällt es ihm nicht schwer, das gute einzublenden: Die gemeinsame Kultur, das speziell auch in Österreich gut aufgestellte duale Ausbildungssystem, für dessen Erhalt der Unternehmer gerne drauflegt. Nicht so gerne aber legt er für den Erhalt eines überschäumenden Staatstreibens drauf. "Das gehört zurückgeschnitten", sagt Friess. Und er hat ein Lieblingsbeispiel dafür, was passiert, wenn Europa falsch abbiegt. China und USA hätten Künstliche Intelligenz ganz nach vorne entwickelt. Europa dagegen deren Regulierung. Wieder einmal - wie schon bei den LNG-Importen aus den Emiraten als Substitution russischen Gases - "wolle Europa der gute im Film sein", so Friess. Für die zweite Legislaturperiode des Kabinetts von der Leyens würde der Manager sich wünschen, dem Ideal der Freiheit wieder näher zu rücken. Milliarden fließen in einen Green Deal. "Zeigen Sie mir auch nur eine einzige Fabrik, mit Ausnahme weniger höchstsubventionierter, nicht marktfähiger Marketing-Projekte, die auf europäischem Boden entsteht", sagt der Manager. Solarpaneele, Windräder - mehrheitlich komme das alles aus China. "Für Europa bleiben wieder nur die Krümel übrig", sagt Friess.
Dass China zu einem Bruchteil der Energiekosten produziert, macht die Sache nicht leichter. "In Europa kriegen sie kostendeckend fast kein Chemiewerk mehr betrieben", so der Manager. Denn "zu all den Wettbewerbsnachteilen, die wir mit hohen Personal- und Transportkosten schon haben, kommen Abgaben wie die Co2-Steuer", sagt er. Insofern findet er es erfrischend, wenn man wie in Argentinien eher dereguliert: Sämtliche Regularien des Mietwohnungsmarkts wurden abgeschafft. Mit dem Ergebnis, dass sich "die Zahl der Mietangebote verdoppelt und die Mieten im doppelten Prozentbereich gesunken sind", so der Tyrolit-Chef.
Schnellere Umsetzung von Freihandel
Eine Vision für ein wettbewerbsfähiges Europa 2024 bis 2029 hat der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) unlängst in seinem Papier #EUmatters entworfen. Volle Rückendeckung gibt es dafür aus Österreich. "Ohne Masterplan wird es nicht gehen", sagt Markus Baldinger, Vorsitzender VDMA Österreich und Geschäftsführer des Landmaschinenherstellers Pöttinger Landtechnik. „Dazu gehört Europa wieder zu einem attraktiven und wettbewerbsfähigen Standort für Produktion und Innovation zu machen: Weniger Regulierung, mehr Freiheit für Unternehmen“. Europa müsse an seine früheren Stärken in der technologischen Revolution - wieso nicht auch bei industrienahen KI-Anwendungen - anschließen. Unternehmen bräuchten für derlei Spitzenleistungen jedoch ein gedeihliches Umfeld, wovon aktuell nicht unbedingt die Rede sein kann: Je nach Unternehmensgröße sind ein bis drei Prozent der Kosten im Maschinenbau allein für Berichtspflichten und Regulierungen aufzuwenden, das ist fast so viel wie die Aufwendungen für Forschung & Entwicklung mit 3,4 Prozent in der österreichischen Industrie.
Alleine in der grünen und digitalen Transformation der Europäischen Kommission werden derzeit 77 Rechtsakte, die für unsere Branche relevant sind, verhandelt“, rechnet Baldinger vor. Und es werden mit Data Act, Cyber Resilience Act sowie weiteren Regulierungen gerade eher nicht weniger. Und wenn er schon vom Umfeld spricht: Freihandelsabkommen müssten im neuen Fünfjahresprogramm der EU schneller umgesetzt werden. "Dass die Schweiz ein Abkommen mit Indien geschafft hat, was die EU nicht geschafft hat, ist schon eigenartig", sagt Georg C. Priesner, Geschäftsführer VDMA Österreich. Nicht minder erstaunlich: Wie es die EU-Politik zulässt, dass Europas Windindustrie an die Wand gedrückt wird, während chinesische Player "unter Produktionskosten anbieten und die Märkte fluten", sagt Priesner.
Was ihm Zuversicht gibt: Die Kommissionspräsidentin habe wohl verstanden, dass in ihrer ersten Legislaturperiode unterm Strich deutlich zu wenig für die Industrie passiert sei. Und dass es technologieoffene Anreizsysteme braucht statt Ordnungswut. So sei hinterfragenswert, wieweit das europäische Verbrenner-Aus 2035 unbedingt auch landwirtschaftliche Fahrzeuge über einen Kamm scheren müsse, sagt Unternehmer Baldinger.
Regulierungsliebe
In Sachen Standort, sagt Harold W. Kostka, CEO des Rieder Maschinenbauers Wintersteiger, wolle er rhetorisch gar nicht groß auf die Pauke schlagen. Für diesen Job seien andere, etwa aus dem Präsidium der IV Oberösterreich, prädestinierter, lächelt der Manager. Woran es Europa krankt, dazu hat er freilich eine akzentuierte Meinung. "Wir lieben die Bürokratie, wir lieben die Regulierung", sagt Kostka. Und während in Amerika aus Missetaten Präzedenzfälle geschaffen werden, wird in der EU schon im Vorfeld alles Erdenkliche getan, dass ja niemand über eine Linie treten kann", sagt er. Die Amis seien da viel pragmatischer - und entgingen dieser Verordnungsflut. Wenngleich auch sie nicht vor wirtschaftlichem Unbill gefeit seien. Donald Trumps in der Pandemie verteiltes Helicoptergeld erbte in Form von Inflation die Biden-Administration. Wer nun das Rennen in den USA mache? Beide Parteien hätten bewiesen, protektionistische Züge zu tragen. "Die einen rufen es eben deutlich mit 'America first' in die Welt hinaus, die anderen machen es mit Taten", so Kostka.
Wintersteiger erwirtschaftet in den USA und Kanada bereits ein Viertel seines Gesamtumsatzes, in North Carolina wolle man erweitern. Und in Europa? Da erwarte man sich Chancengleichheit. Es kann nicht sein, dass Indien Europa mit Billigstahl schwemmt. ESG-Zölle würden Abhilfe schaffen. "Man kann nicht einfach die Tore aufmachen und gleichzeitig die Produktion in Europa verdammen", sagt Kostka. Was ihn ebenfalls wurmt: Dass Europas Strategien so weit in die Zukunft geschrieben werden, dass sich niemand dafür verantworten wird müssen. "Bei einem Verbrenneraus 2035 kann sich jeder ausmalen, wie oft die Stoßrichtung aufgrund von kurzfristigen Befindlichkeiten noch verändert wird", sagt er. Am Ende bleiben höchst ambitionierte Ziele, "die wir nie erreichen".
Fallstricke
Wenn ein arrivierter österreichischer Maschinenbauer in die Schweiz abwandert und höhere Kosten schluckt, nur um weniger Bürokratie zu erleben, dann ist das nicht blanke Fiktion. Ebensowenig, wenn ein Unternehmen nach stattlichen Anlageninvestitionen in Photovoltaik die Paneele wieder deinstalliert. Beispiele, die jeden Unternehmer zusammenzucken lassen, hört Thomas Welser fast jede Woche in Kundengesprächen. Und sie überraschen ihn schon gar nicht mehr: Zu gut weiß der CEO des weltweit agierenden Stahl- und Edelstahlprofileherstellers aus dem beschaulichen Ybbsitz über Fallstricke, die Unternehmern das Leben schwer machen können. Dabei ist Welser alles andere als ein Krakeeler, der EU-Bashing zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählt. "Die Regelungen des europäischen Green Deals machen wirklich Sinn, wenn wir nicht mit Bürokratie erschlagen werden", sagt der Unternehmer. Das sagt er etwa mit Blick auf die Co2-arme Stahlgewinnung und -wiederaufbereitung. Nur ist die Bürokratie eben nicht von der Hand zu weisen. Als Familienbetrieb hat Welser Profile mehr als 600 Kennzahlen im jährlichen Nachhaltigkeitsbericht zu implementieren, obwohl einem 360 Jahre alten Unternehmen Generationendenken wohl in die Wiege gelegt ist und Welser sich aktuell sogar mit Wiederaufforstung beschäftigt. Und während der Green Deal in Bürokratie erstickt, hauen die Amerikaner - Stichwort Inflation Reduction Act - "alles in die Wirtschaft rein", sagt Welser. So gibt es wohl fundamental unterschiedliche Positionen bei Harris und Trump - "nicht aber eine notorisch wirtschaftsfeindliche Haltung ", so Welser. Sein Fazit: Für die USA kann es im Moment wirtschaftlich nicht schlecht ausgehen. "Die sind in allen Branchen gesetzt".
Und Europa? Der Green Deal etwa war "extrem gut gemeint, aber nicht praktikabel umgesetzt", meint Welser. Der sich die Antrittsrede der alten neuen Kommissionschefin sehr genau angehört hat. Sein Fazit: Dass massive Kapitalströme aus Europa mangels Alternativen abwandern, sei wohl bewusst. Auch der Frust vieler Industrieunternehmen, die gar nicht anders könnten, als Arbeitsplätze abwandern zu lassen.
Übergeordnete Strategie fehlt
Kritische Töne schlägt auch Robert Machtlinger an. Der CEO des Luftfahrtzulieferers FACC sieht mit Blick auf Europa "lobenswerte Bereiche" wie etwa Innovationsreichtum und das frei zugängliche Bildungssystem. "Das sind große Assets", sagt Machtlinger. Zugleich vermisse er eine übergeordnete europäische Industrie- und Standortpolitik. Da seien China und die USA "unserer Zeit voraus". Den Punkt Energieversorgungssicherheit etwa hätte Europa nicht besonders schlau eingefädelt. Und vor allem auch Indien zeige sich in Industrien wie der Luftfahrt stark. Da müsse Europa aufpassen, dass "uns nicht der Rang abgelaufen wird", sagt der CEO. Wie zuversichtlich er für die zweite Legislaturperiode des Kabinetts von der Leyens ist? "In den letzten Wochen waren aus der Agenda der Kommission standortpolitische Akzente - davor schlichtweg inexistent - herauszulesen", sagt Machtlinger. Das macht Mut.
Auf den Ausgang der US-Wahl blickt er mit gemischten Gefühlen. Auch unter dem unorthodox kommunizierenden Herrn Trump würden wirtschaftlich die Vorzeichen wohl die gleichen bleiben - "freilich wäre die Methodik bei der Umsetzung einer US-orientierten Industriepolitik " polarisierender", sagt der FACC-Chef. Bidens Inflation Reduction Act sei jedenfalls eine ganz andere Nummer gewesen als Europas grüner Deal. Mit Schutzzöllen sollte Europa vorsichtig hantieren, sagt der Manager des Unternehmens, das mit hundertprozentiger Exportquote keinen eigentlichen Heimmarkt hat. "Im Idealfall ist der Zugang zu Märkten reziprok", so Machtlinger. Natürlich seien eigene Märkte zu stützen, wenn etwa aus China oder Indien übersubventionierter Stahl Europa schwemmt. Es sei jedoch vorsichtig mit dem Instrumentarium umzugehen, "denn sonst kippen Systeme", sagt Machtlinger.
Pole aufladen
Mit Spannung und hohen Ansprüchen erwartet Ewald-Marco Münzer, Chef des größten heimischen Biokraftstoffproduzenten Münzer Bioindustrie, das Programm und vor allem die Zusammensetzung der neuen EU-Kommission. Besonders auf die Ausformulierung des Green Deals und dessen Aufladung mit Standpunkten der Wirtschaft ist er neugierig, denn: "Die Notwendigkeit der ökologischen Transformation ist unbestritten. Diese muss jedoch ökonomisch verträglich sein, sonst wird das Projekt scheitern. Ein Pol, der bisher viel zu wenig durch Brüssel aufgeladen wurde," sagt der Unternehmer, denn "in seiner jetzigen Ausformung müsse man aufpassen, dass der Green Deal nicht zu einem "Chinese Green Deal" mutiere." Die - deutlich zweistellige - Zahl der aktuell laufenden Außenwirtschaftskontrollverfahren gegen China würde Bände sprechen. Bei einem jüngst zum Abschluss gebrachten Verfahren war Münzer durch seine Verbandsarbeit direkt involviert. So flutete China Europas Märkte mit Biodiesel, ein Schutzzollverfahren für alternative Kraftstoffe wurde angestrengt. Seit 16. August sind die Zölle nun in Kraft. Münzer, der protektionistischen Tendenzen grundsätzlich wenig abgewinnen kann, spricht von Selbstschutz der EU: Diese würden nur das Level Playing Field sicherstellen. "Ich gewinne manchmal den Eindruck, China hat den Green Deal am akribischsten von allen gelesen", sagt er. E-Fahrzeuge, alternative Kraftstoffe, Großspeichermedien: Es sei wohl kein Zufall, dass Europa ausgerechnet mit diesen grünen Produkten aus China geflutet werde.
Von plumpem Brüssel-Bashing hält Ewald-Marco Münzer, aktuell Präsident des Europäischen Biokraftstoffverbands EWABA (European Waste-based & Advanced Biofuels Association), trotzdem nichts. So will er die Erneuerbaren Energien Richtlinie (RED) aus dem Hause Europa aus einem einfachen Grund nicht mit der Zuschreibung Bürokratiemonster versehen: "Wenn Verordnungen kolportiert werden, wonach Pkw ab einem gewissen Alter nicht mehr repariert werden dürfen, dann können schon Zweifel aufkommen". Die RED habe aber "einen vernunftbetonten Rahmen vorgegeben, in dem sich eben Erneuerbare unter monetären Anreizen entwickeln konnten", sagt Münzer. Und dass, obwohl die Richtlinie von einem knackigen Dreiseiter in ihrer dritten Auflage mächtig angeschwollen ist. "Mit Ordnungspolitik, die mit Verboten anstelle von Anreizen arbeitet, ist Europa noch nie gut gefahren," so Münzer.
Schlechte Stimmung
Was es heißt, wenn die Welt aus den Fugen ist, hat Gerald Hanisch eben erst in Mozarts "Don Giovanni", dargeboten in Salzburg, erlebt. "Überall Desaster", so der Gründer und Eigentümer des Linzer Brecherherstellers Rubble Master. Eine Etikettierung, die er glücklicherweise nicht für Europas aktuellen Zustand wählen muss. "Wer genauer draufblickt, sieht, dass Europa einiges zu bieten hat", sagt Hanisch. Er will in Erinnerung rufen, wie schwierig es Anfang der Neunziger war, Exportgeschäfte innerhalb der heutigen Grenzen abzuwickeln. "Jedes Mal eine Malaise", so Hanisch. Heute liefe das mit EU-Staaten und den zur EU assoziierten Staaten "einfach super". Trotzdem sei die Stimmung einfach schlecht. "Ich sehe auf europapolitischer Ebene keinen, der wachrüttelt", sagt der frühere Geschäftsführer. Keiner mit dem "Impuls, es jetzt anzugehen". Deutschland habe mit andauerndem Herumgemosere und Herrunterreden der wirtschaftlichen Erfolge gar eine self fulfilling prophecy entwickelt. In den USA sei "nicht die Hölle los, aber es herrscht positive Stimmung", sagt Hanisch. Von der Kommissionsspitze erwartet er sich mehr als nur Headlines. "In meinem Hemd als Industrieller" muss ich mir erwarten dürfen, dass es "ein klareres Bekenntnis zur Basis- und Schwerindustrie gibt". Nachsatz: Die Welt bestehe nicht nur aus Technologien, die "fancy und nice sind" wie Biotech.
Ob der Green Deal in seiner überarbeiteten Form das Zeug zur positiven Verstärkung hat? Hanisch ist skeptisch. "Ich denke, wir werden immer neue Vorschriften bekommen und keine positive Animation", sagt er. Der grüne Industrie-Deal sollte jedenfalls mehr sein als die Summe "der mit zusammengebissenen Zähnen durchlebten Kasteiungen".
Auftrag um Auftrag verloren
Er sei, auch wenn es immer schwerer fällt, "ein überzeugter Freihändler", sagt Rob van Gils, CEO des Aluminiumhalbzeugeherstellers Hammerer Aluminium Industries. Freilich einer, der zuletzt nicht umhin gekommen ist, einen gewissen Protektionismus mit ins Denken aufzunehmen. Europa müsse sich von seiner Blauäugigkeit lösen, dass fairer Wettbewerb ohne Spielregeln funktioniert, sagt der HAI-Chef. So beobachtet er, wie chinesische Unternehmen in nicht der EU zugehörigen europäischen Staaten wie Serbien oder der Türkei derzeit massiv investieren und dort bisweilen hochsubventionierte Fertigungsstandorte hochziehen. Für sie gelte kein Green Deal und sie würden das Lieferkettengesetz wohl nur am Papier respektieren, sei zu befürchten. "So können Sie aus diesen low-Cost-Ländern in der Folge dank Freihandelsabkommen zollfrei in den europäischen Markt einführen", sagt van Gils. Wenn man dies zulässt, so der Manager, dürfe man sich eben auch nicht wundern, wenn den EU-Wettbewerbern "Auftrag um Auftrag verloren geht". Er sieht, werde nicht hart gegengesteuert, eine schleichende Gefahr für Europas etablierte Industrien. Mit Zeug "zum big bang", so van Gils.
Auch deshalb hat er mit einer gewissen Genugtuung vernommen, dass in von der Leyens Rede schon im dritten Satz von Industrie die Rede war, während diese in vielen anderen Reden gänzlich ausgespart blieb. Doch es dürfe nicht bei Worthülsen bleiben, sagt der HAI-Chef. Die überdurschschnittlich hohen Energie- und Personalkosten seien nur ein Teil des Problems. Das andere die enormen bürokratischen Aufwände. "Offenbar hat man unterschätzt, welche bürokratischen Monster hier etwa über die Lieferketten scharf geschaltet werden", sagt van Gils. Hoffnung hat er, dass Instruemente wie der Critial Raw Materials Act oder der Net Zero Industry Act Abhängigkeiten von globalen Mitstreitern wie etwa in Asien reduzieren. "Europa hat jetzt einen Werkzeugkoffer, in den jetzt auch die richtigen Werkzeuge eingelegt werden müssen", so der Manager.
15-Jahres-Pläne
Wenn Peter Sticht über Europas Staatenbund spricht, dann sieht er zunächst eine Reihe von Vorteilen. Allein die Zollformalitäten, die auf einen Aussteller einer Schweizer Industriemesse zukommen: Das alles ist in der EU um einiges leichter zu bewältigen. Der Chef der Stiwa Holding glaubt an die europäische Idee, ein Zurück ins Einzelstaatliche könne er sich nicht mehr vorstellen. "Vieles hier wird als Selbstverständlichkeit hingenommen, obwohl es das längst nicht ist", sagt Sticht. Dennoch müsse Europa langsam aus der Pubertät und ins Erwachsenenalter kommen. Etwa bei der Steuerlast und der Ausgestaltung weiterer Standortfaktoren. "Wenn ein internationales Unternehmen mit einem Entwicklungsstandort in Österreich eine Produktion in Dubai hochzieht, muss uns das zu denken geben", sagt er.
Und auch bei der gemeinsamen Verteidigungspolitik sieht er Handlungsbedarf. Er erwartet zudem europäische Lösungen auf die großen Themen Klimawandel und Demographie. "Wenn sich die auf Legislaturperioden ausgerichtete Politik mit langfristigen Projekten auch denkbar schwer tue - es braucht 15- oder 20-Jahres-Pläne für die großen Themen unserer Zeit", sagt Sticht. Nachsatz: Vernünftige Positionen statt radikaler Maßnahmen seien gefragt.
Von Wachstumsplan flankiert
Von Wachstumsplan flankiert.Wenn einer glühender Europäer ist, dann Martin Hagleitner. Das kommt bei seiner Vita nicht ganz überraschend. Gleich nach dem Studium startete er seine Karriere im Außenamt, war in die Vorbereitungen des EU-Beitritts eingebunden und auch als Attaché bei der Unterzeichnung des Beitragsvertrag auf Korfu zugegen. Und heute? Der Chef des Warmwasser- und Heizsystemeherstellers Austria Email hat die klare Erwartung, dass ein grüner Industriedeal von einem offensiven Wachstumsplan flankiert wird. Am liebsten wäre ihm ein Befreiungsschlag zum Schutze der Industrie, nicht protektionistisch interpretiert. "Bei Subventionitis oder Protektionismus sollten wir nicht andere Kontinente kopieren", sagt er. Der Green Deal umfasse sage und schreibe über fünftausend Seiten Rechtstext. Unter Verweis auf „ESG-Exzess“ und Lieferkettengesetz beanstandet er "was Unternehmen nun auch noch an hoheitlichen Aufgaben aufgebürdet wird“. Die von der Politik schon länger angekündigte Regulierungsbremse in Form von „One in One out“ würde er deshalb erweitern auf „One in Two out“, wobei jede neue Regelung einem Praxistest unterzogen werden muss, ob sie die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärkt. Zur Sicherung von Wohlstand braucht es einen Rahmen, der Anreize und Entlastung schafft.
Doch damit, den gesamten Rechtsbestand noch einmal radikal auf den Prüfstand zu stellen, ist es nicht getan. Teils werde in Europa "ohne Wirkungsorientierung" Geld ausgegeben. Es braucht Maßnahmen, die wenig Aufwand verursachen und viel bringen, die Standortattraktivität zu erhöhen. Insgesamt aber sieht Hagleitner aber auch Unternehmen und die Gesellschaft stark in der Eigenverantwortung, durch offensives Denken und Handeln Wohlstand und westliche Werte zu sichern und Europa wieder auf die Überholspur zu bringen. „Der Ruf nach Obrigkeit und noch mehr Staat ist der falsche Ansatz", sagt der Unternehmer.
Selbst im Weg
Seit jeher ein Promoter der europäischen Einheit ist Karl Purkarthofer. "Die EU ist ein Friedensprojekt, das auch die wirtschaftliche Entfaltung unterstützt", sagt der CEO des führenden Technologie- und Serviceanbieters für die Stahlindustrie, PrimetalsTechnologies Austria. Er erwarte sich angesichts virulenter Herausforderungen wie dem europäischen Energieeinkauf jedoch "mehr Führung". Es brauche mehr Lösungsorientierung und Leadership, er selbst habe nicht den Eindruck, dass hier ausreichend an Lösungen geschraubt werde. Trotzdem ist er Positivdenker, etwa beim Green Deal. "Als Technologieanbieter beschäftigen wir uns intensiv mit Dekarbonisierung und Digitalisierung ", zwei Polen, die durch den grünen Deal aufgeladen werden. "Manchmal fährt der Zug schneller, manchmal langsamer, aber er fährt", sagt Purkarthofer. Und speziell Linz sei die Wiege der modernen Stahlindustrie und erfährt durch die grüne Stahlproduktion weiter Aufwertung. "Das sind einzigartige Voraussetzungen", sagt der Manager.
Manchmal freilich stehe sich Europa selbst im Weg. " Die Vielzahl an immer neuen Vorschriften, ist wirklich belastend. ", sagt Purkarthofer. Er wünsche sich mehr Pragmatismus. Der Grundgedanke hinter dem Lieferkettengesetz war gut, mit der Umsetzung dessen schießt man übers Ziel", sagt er. Was Unternehmen also zu tun bleibt: Wir können dazu beitragen, dass es davon reichlich gibt, was Europa immer schon stark gemacht habe - die Innovation. "Diesen Vorteil müssen wir gegenüber USA und China nutzen". Denn: Innovation halte Europa wettbewerbsfähig.
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