Supply Chain Management : Amag bis Trumpf: So geht erfolgreiches Bestandsmanagement bei Industrieunternehmen

Hafenarbeiter bei Verladetätigkeiten in Mukran, Mecklenburg-Vorpommern

Hafenarbeiter bei Verladetätigkeiten in Mukran, Mecklenburg-Vorpommern

- © Jens Buettner / dpa / picturedesk.com

Das vergangene halbe Jahr hat es, aus Sicht des Logistikers, in sich. Keine existenziell bedrohliche Verknappung bei Rohstoffen und Komponenten, das ist ein Glück. Zu keinem Zeitpunkt mussten die Linzer die Produktion drosseln. Doch die extreme Teuerungswelle hat – da macht sich Supply-Chain-Bereichsleiter Reinhard Bauer nichts vor – die Lieferkette des Batterieherstellers Banner erreicht.

Die Preise für Kunststoff etwa, mit dem die Linzer ihr Produkt ummanteln und der rund ein Fünftel des Materialbedarfs der Oberösterreicher ausmacht, sind seit dem ersten Quartal von 1.400 auf 2.400 Euro pro Tonne in die Höhe geschnellt. Von den anziehenden Energiepreisen gar nicht erst zu reden. Komponentenlieferanten, die den Preissprung ebenfalls zu spüren bekommen und weniger gut abgesichert seien, würden nun im Monatsrhythmus nachverhandeln.

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Und wer kann es ihnen verdenken? Selbst gestandene Einkäufer wie Reinhard Bauer gibt es zu denken, wenn zum Chinesischen Neujahr für einen Seefrachtcontainer aus Vietnam 18.000 Dollar hinzublättern sind. Doch wie reagieren heimische Industrieunternehmen auf die Verknappung von Rohstoffen, Transportmittel und einer Unplanbarkeit, die zur Tagesordnung geworden ist?

Störungen erlebt Banner aktuell etwa in Produktgruppen, die der Sortimentsabrundung dienen - darunter Industriebatterien und Zubehör. So erlebt man „cut and run"-Aktionen – den vorzeitigen Abbruch des Ladevorgangs – zuletzt öfter. Ein Frachter etwa konnte nicht an seinem ersten Zielort in Hamburg abgeladen werden sondern wurde gleich nach Norwegen weitergeleitet und konnte erst bei der Rückfahrt mit zweiwöchentlicher Verspätung in Hamburg gelöscht werden.

Zugleich schlug bei Banner in den Lagerbeständen um wenige Wochen versetzt durch, was Automobilisten wegen schleppender Verfügbarkeit von Halbleitern und Kabelbäumen schon früher spürten – den Rückstau im Neugeschäft, in dem Banner als Erstausrüster gesetzt ist.

"Cut and run"-Aktionen – den vorzeitigen Abbruch des Ladevorgangs – erleben wir zuletzt öfter."
Reinhard Bauer, Bereichsleiter Supply Chain Management, Einkauf & Logistik, Banner

- © Martin Eder

Wo Lieferungen festhängen

Blickt Gerald Mayer gen Westen, ist das für ihn eine sehr beruhigende Aussicht. Der CEO beim oberösterreichischen Aluminiumkonzern Amag weiß, was es wert ist, in einer Zeit der globalen Verwerfungen mit 20 Prozent an der Aluminiumhütte Elektrolyse Alouette im kanadischen Standort Sept Iles beteiligt zu sein.

Dort, in Ost-Québec, werden jährlich rund 600.000 Tonnen Primäraluminium mittels elektrischer Energie aus Wasserkraft hergestellt. 120.000 Tonnen Primäraluminium gehen an die Amag und sichern so die Versorgung in Ranshofen ab. Das Vormaterial für die Elektrolyse kommt vornehmlich aus Südamerika. "Damit sind hier keine Auswirkungen durch die aktuelle Krise spürbar", sagt Mayer.

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Auch die weitere Versorgungssituation am Standort Ranshofen, an dem neben Recycling-Gusslegierungen insbesondere Aluminiumwalzprodukte in Form von Bändern, Blechen und Platten hergestellt werden, ist durch die geopolitischen Spannungen und preislichen Verwerfungen nicht kompromittiert.

"Das Geschäftsmodell hier basiert im Wesentlichen auf dem Recycling von Aluminiumschrott", hört man in Ranshofen. Die Schrotteinsatzrate liegt bei erstaunlichen 75 bis 80 Prozent. Aluminiumschrott sei eben ein in Europa in ausreichender Menge verfügbarer Rohstoff. "Einer, der auch in den letzten Krisen immer gut verfügbar war", sagt Mayer.

"Aluminiumschrott war auch in den letzten Krisen immer gut verfügbar."
Gerald Mayer, CEO Amag

- © AMAG

Unwetter, Lockdowns, Krieg

Dreht man den Blick um 180 Grad und schaut gen Asien, ändert sich die Wahrnehmung. "Besonders die Beschaffung aus Asien ist im Augenblick problematisch", sagt Christian Kainz, Vice President Group Procurement beim Kabelproduzenten GG Group. Selbst wenn man nicht direkt aus Asien oder speziell China Vormaterialien beziehe, stammen "doch sehr viele von dort", sagt er. Mitursache seien immer noch die lokalen Lockdowns, die Ausfälle in Lieferwegen und Logistik brächten.

Auch Ahmed Farid, Vice President Global Supply Chain & Facility Management beim Lagerautomatisierer Knapp, sieht Schwierigkeiten, in China an Komponenten zu gelangen - aber nicht nur dort: Vor allem betroffen seien elektronische Steuerungen, hier sind die Lieferketten in China, aber auch in Deutschland oder in den USA durch Überlastung der Kapazitäten betroffen", erzählt er.

Auch Unwetter und Lockdowns in China seien eine Schwierigkeit, konkret die Lockdowns in Shenzen sowie das Hochwasser 2021 in Deutschland. "Wir sehen starke Rückstände bei Industriesteuerungen", sagt Farid. Schiffsstaus vor den Häfen von Shanghai und Ningbo – Ursache: COVID-19 – sorgen beim Lagerhersteller SKF, der in Steyr mit 1.100 Mitarbeitern seinen größten Produktionsstandort hat, für angespannte Nerven.

Stahl würde die Preisspirale in der Beschaffung nach oben setzen, "ebenso wie Importsteuern", sagt Franz Hammelmüller, Geschäftsführer SKF Österreich. Und die – sanktionsbedingte – Verlagerung der bisher über die Transsib durchgeführten Transporte von Schiene auf Seefracht würde eine Verlängerung der Lieferzeiten um vier bis sechs Wochen zwischen China und Europa bringen.

Derzeit gebe es mehrere Hot-Spots, auf die unser Supply Chain Management Team fokussiert ist, schildert indes Franz Pfabigan, Supply Chain Manager beim Waldviertler Automobilzulieferer Pollmann Austria. Seine Shortlist: Ein Glasfaserengpass in den USA, die Covid-Situation in Shanghai, eine "Force Majeur eines bedeutenden Metallherstellers in Frankreich", so Pfabigan.

Fast jedwede Bauteile, die Strom durchfließt, seien aktuell kritisch verfügbar, berichtet Stefan Gruber, Leitung Einkauf beim Paschinger Biegemaschinenhersteller Trumpf Maschinen Österreich. Folglich Steuerungskomponenten, Kabel, Elektronische Sicherungsautomaten, Beleuchtung.

"Unternehmen müssen Importsteuern und die Preisspirale bei Stahl wegstecken."
Franz Hammelmüller, Geschäftsführer SKF Österreich

- © SKF

Wo zapfen Unternehmen an

Am Aufbau ihrer Sicherheitsbestände "vor allem von Primäraluminium" arbeitet der Aluminiumkonzern Amag. Erhöhte Sicherheitsbestände baut auch der steirische Intralogistikspezialist Knapp auf. "Unsere Lagerbestände haben sich um das 2,5-fache erhöht, die Umschlagshäufigkeit ist um einen Punkt gesunken", sagt Supply-Chain-Spezialist Ahmed Farid. Mitgrund seien allerdings auch größere Puffer bei den Anlieferterminen. "Durch Verknappung bestimmter Materialien kommt noch der Effekt hinzu, dass alle anderen Teile für einen Arbeitsauftrag länger auf Lager liegen und somit den Lagerbestand erhöhen", sagt Farid. Bei Händlern nutzt Knapp den weltweiten Zugriff auf alternative Bezugsquellen.

Strategisch baue das Unternehmen alternative Hersteller auf. "Vor allem Japan etabliert sich immer stärker als zuverlässiger Lieferantenmarkt." Deutschland dagegen sei rückläufig. Für den Kabelhersteller GG Group lautet die Lösung mittel- bis langfristig „local for local“. Dieses Prinzip sei "in großen Teilen unserer Beschaffungsprozesse bereits umgesetzt ist und bringt Vorteile", sagt Procurement-Leiter Christian Kainz.

Und dann gebe es die Möglichkeit, auf zusätzliche Beschaffungsquellen zu setzen. So lassen sich "Bestände oder auch Restbestände von Händlern sichern", sagt Kainz. Zugleich lasse sich der Gemeinschaftssinn stärken, wenn man sich unter Branchenkollegen mit "gegenseitigem Hilfeleistungen – etwa dem Verborgen von Materialien oder Komponenten – über die Runden hilft" (O-Ton Kainz). Auch ein Ansatz: Alternative Materialien aus europäischer Produktion einzusetzen, sofern es dafür die Kundenfreigabe gibt.

"Wir verlassen uns auf etablierte Speditionen. Die haben auf die Reedereien noch Einfluss."
Ahmed Farid, Vice President Global Supply Chain & Facility Management, Knapp

- © Knapp AG

Kunde wird Entscheidungsträger

Auch bei Pollmann sei vieles in Bewegung, um Störungen in der Produktion und in der Kundenversorgung so gering wie möglich zu halten, schildert Supply-Chain-Profi Franz Pfabigan. So hole man bei Beistell- oder Setzteilen auch die Kunden als Entscheidungsträger beim Durchplanen der Supply Chain ins Boot, sei etwa ein Ausweichen auf einen anderen Produktionsstandort geboten. Auch bei Pollmann habe sich der Sicherheitsbestand erhöht. Freilich sei es "nicht Ziel, weitere, höhere Mengen in die Pollmann-Läger zu holen", sagt Pfabigan. Teils arbeite man also mit Mengenkontrakten. "Teils können wir vereinbaren, dass unsere Lieferanten immer einen definierten, jederzeit von uns abrufbaren Bestand auf Lager halten".

Wo möglich, stelle Pollmann seine Lieferanten auf Konsignation um. Eine Strategie, die auch SKF in Österreich fährt. Die Zusammenarbeit mit regionalen Lieferanten nehme insgesamt betrachtet an Bedeutung zu. Wo möglich, werden bei Neuausschreibungen europäische oder der Region nahe Lieferanten eingesetzt, "nur bei Nicht-Verfügbarkeit globale Lieferanten aus Asien", schildert Reinhard Blasl, Demand Chain Manager bei SKF Österreich. In Sachen Long Distance Beschaffungskanäle habe man Bestände und Reichweiten "etwas erhöht", um Störungen besser abfedern zu können, sagt Blasl. S&OP und aktives Demand Management seien zudem im Unternehmen verankert. Die Lagerhaltung im Distributionsbereich habe man etwas erhöht, um den Kundenservice anhaltend "sicherzustellen", so Blasl.

"Es ist nicht Ziel, dauerhaft hohe Mengen in die Pollmann-Läger zu holen."
Franz Pfabigan, Supply Chain Manager, Pollmann Austria

- © Pollmann Austria

Brokermärkte

Der "harten Allokation von Hableiterprodukten durch Hersteller" und der daraus resultierenden Verknappung begegnet der Maschinenbauer Trumpf in Pasching unter anderem durch Zukauf von Komponenten "auf Brokermärkten", was massive Mehrkosten, zusätzliche Aufwände und eine aufwändige Qualitätsprüfung mit sich bringe, wie Einkaufsleiter Stefan Gruber berichtet. Zusätzlich wurden Wiederbeschaffungszeiten, Freezezeiten und Sicherheitsbestände angepasst.

"Zudem unterstützen wir Lieferanten, die Bestände von Rohmaterialien in größerem Ausmaß als bisher führen, bei der Vorfinanzierung", sagt Gruber. Bei Rohstoffen wie Stahl seien die Verfügbarkeiten aktuell gegeben sehr gut, ein Produkt langjährig gewachsener Partnerschaften mit Lieferanten.

"Die Incoterms sind unverändert. Anders steht es um Expresslieferungen."
Stefan Gruber, Leitung Einkauf, Trumpf Maschinen Österreich

- © Trumpf Maschinen Österreich

Wo der Preisauftrieb hinführt

Die Preisentwicklung im Markt für Primäraluminium wird durch die Materialbörse LME bestimmt. Die Preise für Aluminiumschrott orientieren sich teilweise an dieser Entwicklung. "Aufgrund der guten Liquidität der Märkte waren keine besonderen Vereinbarungen zur Absicherung der Vormaterialversorgung erforderlich", schildert Amag-CEO Gerald Mayer.

Auch bei den Logistikservices musste die Amag zuletzt keine Anpassungen vornehmen. Jedoch, im Vergleich zu früher, "viel enger an den Lieferungen dranbleiben", damit die zeitgerechte Auslieferung an internationale Kunden sichergestellt ist. Der Aufwand für das Management der Lieferketten und die damit einhergehenden Kosten seien "jedenfalls gestiegen", sagt Mayer.

Fixe Abnahmekontingente mit langer Laufzeit, also Vereinbarungen, wie man sie vor einiger Zeit in der Beschaffung noch kannte, seien nicht mehr machbar, sagt Knapp-Supply-Chain-Spezialist Ahmed Farid. Die Abnahmemenge sei zwar verbindlich. Planlieferzeiten und Pönalen jedoch "nicht mehr fixierbar oder diskutierbar", so Farid. Bestellungen mit ein oder zwei Jahren Vorlauf würden erst relativ kurzfristig – zwei oder drei Monate vor Liefertermin – bestätigt. Ob man neben dem Angebot klassischer Speditionen neue Beschaffungswege, also einen Do-it-yourself-Ansatz oder Kapazitätsbörsen nutze? "Nein, wir verlassen uns auf die etablierten Speditionen, die auf die Reedereien noch Einfluss haben und gut vernetzt sind", sagt Farid.

"Wir helfen uns gegenseitig über die Runden."
Christian Kainz, Vice President Group Procurement, GG Group

- © GG Group

Abnahmegarantien und Vorauszahlungen hätten in der aktuellen Situation zugenommen", beobachtet Reinhard Blasl, Demand Chain Manager bei SKF Österreich. Kontrakte würden aktuell nicht in dem gewohnten Ausmaß respektiert, beobachtet Christian Kainz, Vice President Group Procurement bei GG Group. Force Majeure sei – obwohl nicht immer gerechtfertigt – an der Tagesordnung. Auch deshalb werde das Insourcing von einzelnen Komponentenfertigungsschritten gerade evaluiert. Dass in diesen Zeiten eine gute und ehrliche Lieferantenbeziehung unumgänglich sei, steht für Lieferkettenmanager allesamt außer Frage.

"Es ist die Zeit der Vorauszahlungen."
Reinhard Blasl, Demand Chain Manager, SKF Österreich

- © SKF Österreich

So auch für Franz Pfabigan, Supply Chain Manager bei Pollmann Austria. Aktuell herrsche großer Preisauftrieb. "Viele Lieferanten konfrontieren uns mit steigenden Produktpreisen getrieben durch steigende Rohstoffpreise, Energiekostenzuschläge und andere Nebenkosten", sagt Pfabigan. Das Unternehmen Pollmann suche jedenfalls aktiv das Gespräch. Ob sich Preissprünge in der Beschaffung kostenseitig abfedern ließen? "Nicht zu einhundert Prozent", sagt er.

Die Incoterms, Klauseln rund um handelsübliche Vertragsformeln im internationalen Warenhandel, hätten sich mit den Partnern von Trumpf "nicht verändert", gibt Stefan Gruber, Leitung Einkauf bei Trumpf Maschinen Österreich, zu Protokoll. Lediglich bei Express- oder Sonderlieferungen seien teils zusätzliche Kosten fällig. Intern optimiere man die Prozesse, etwa den Milkrun, und betreibe Outsourcing dort, wo Lieferzeitverkürzungen erzielbar seien.