Lieferkette : AT&S bis ZKW: Lieferketten-Heroes
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Seit zwei Jahren treibt die Corona-Pandemie den Welthandel vor sich her. Gesperrte Häfen, stillgelegte Fabriksgelände und unzureichende Lieferkapazitäten haben zu einer Krise in der globalen Lieferkette geführt, von der sich die Industrie noch immer nicht erholt hat. Mit dem Vormarsch der Omikron-Variante bleibt die Unsicherheit auf einem hohen Niveau, wann die ersehnte Erleichterung kommt, bleibt ungewiss.
Im Oktober 2021 musste die Produktion von iPhones in China zum ersten Mal seit zehn Jahren stillgelegt werden. Ein historisches Ereignis, das das Ausmaß der Krise eindrucksvoll verdeutlicht. Doch das Lieferketten-Virus beschäftigt die Industrie seit dem Ausbruch von Corona und könnte sich durch die Zero-Covid-Strategie der chinesischen Regierung, die wohl auch den vorbeugenden Maßnahmen für die Olympischen Spiele geschuldet ist, erneut verschärfen. So wurden mit Jahresbeginn zahlreiche Werke in der High-Tech-lastigen Provinz Henan stillgelegt – Experten befürchten nun wieder eine Verschärfung der Supply-Chain-Krise.
Deutsche Automobilindustrie stark getroffen
In Europa hat die Lieferkettenkrise viele Branchen zerrüttet, am stärksten davon betroffen ist die Automobilindustrie. Obwohl die deutschen Autohersteller vorwiegend aus den EU-Nachbarländern Österreich, Polen oder Tschechien Teile zuliefern, sind sie bei den Schlüsseltechnologien von Asien abhängig. Hongkong, China, Taiwan, Südkorea, Singapur und Malaysia stehen für über drei Viertel aller weltweiten Halbleiter-Exporte, mehr als 90 Prozent aller Lithiumzellen werden in Asien produziert, allen voran in China, das weite Teile der Wertschöpfungskette dominiert. So kam es zu Beginn der Pandemie zu der Entscheidung, die Produktion stark zurückzufahren, was zum einen dazu führte, dass die Halbleiterhersteller ihre Produkte in den Consumer-Bereich verkauften und zum anderen, dass das erneute Hochfahren der Produktion einen Peitscheneffekt zur Folge hatte, der sich laut Expertenprognosen noch weit ins zweite Halbjahr 2022 hineinziehen dürfte.
Vom Automobilzulieferer bis hin zum kleinen Start-up – auch in Österreich wird man kaum ein produzierendes Unternehmen finden, dass von der Krise verschont geblieben ist. Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO liefert zur Lage in Österreich konkrete Daten. Im vierten Quartal 2021 waren es nicht die mangelnde Nachfrage oder sonstige Hindernisse, die die Wirtschaft am stärksten hemmten, erstmals seit Beginn der Pandemie waren es der Arbeitskräftemangel noch vor Material- oder Kapazitätsengpässen, die die wirtschaftliche Tätigkeit am stärksten schwächten.WIFO-Industrieökonom Werner Hölzl hat diesen Trend schon länger auf dem Radar: “Der Mitarbeitermangel ist eine Tendenz, die sich bereits vor der Krise abgezeichnet hat.
Dafür gibt es indirekte Hinweise auch in den Abschlüssen der Kollektivverträge, wo es insbesondere im Bereich der Lehrlingsausbildung deutliche Anstiege bei den Entlohnungen gibt. Das hängt auch mit dem demografischen Knick zusammen – einerseits kommen immer weniger Junge auf den Arbeitsmarkt und gleichzeitig haben wir einen Trend zur Höherqualifizierung an den Hochschulen.
Man müsste also die Lehre attraktiver machen.”Als momentan eine der größten Herausforderungen im internationalen Handel sieht Hölzl die stark steigenden Preise der Schiffstransporte. “Wir sehen derzeit eine Missallokation von Containern, die in Europa oder Nordamerika feststecken und in anderen Teilen der Welt fehlen. So ist es derzeit so, dass der Transport eines Containers von Asien nach Europa zehn Mal so viel kostet als in die andere Richtung.”
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Der Wirtschaftsforscher geht davon aus, dass sich die Supply-Chain-Krise noch heuer entschärfen wird, warnt aber vor einem Restrisiko durch Omikron: “Wir erwarten uns, dass die Lieferverzögerungen und Knappheiten bei Vorprodukten und Materialien sich noch bis ins zweite Quartal 2022 ausstrecken werden, danach sollte es zu einer Normalisierung kommen. Dabei ist die Industriekonjunktur eine gewichtige Determinante, weil durch eine abgeschwächte Konjunktur auch die Lieferengpässe weniger werden. Ein Restrisiko bleibt die Omikron-Variante, die zu erneuten Stillständen und Sperrungen führen könnte. Dieses Risiko lässt sich aber schwer abschätzen.”
Re- und Nearshoring als mögliche Konsequenz
Auf EU-Ebene wird weiterhin an einem Lieferketten-Gesetz gearbeitet, das von der EU-Kommission immer wieder auf die lange Bank geschoben wird. Zentraler Punkt des Gesetzes, das bis März in einen Entwurf gegossen werden soll, ist die Sicherstellung von ethischen und ökologischen Mindeststandards entlang der Kette. Ein solches Gesetz könnte die langjährige Debatte um das Reshoring der Produktion von für Europa wichtige Güter erneut befeuern. Doch der WIFO-Experte sieht derzeit noch keinen wesentlichen Sinneswandel in der heimischen Industrie. “
Bei 91 Prozent der Unternehmen hat die Covid-Krise keine Auswirkungen auf das Thema Off- und Reshoring gehabt.” Viel mehr sieht Hölzl eine Anpassung im Risikomanagement der Unternehmen. “Durch die Krise hat sich das Risikomanagement in den Unternehmen deutlich sensibilisiert. Es werden alle möglichen Zulieferer angerufen und gefragt, ob sie das Produkt haben und dann wird auch schnell gekauft, was natürlich auch mit höheren Preisen verbunden ist. Und um dieses Risiko ein bisschen zu reduzieren, haben viele Unternehmen ihre Strategien angepasst”, so der WIFO-Experte.
Der Elektronikfertiger Melecs EWS wurde von der Supply-Chain-Krise stark getroffen. Andreas Pinzker, Vice President Global Strategic Purchasing, fasst die Situation zusammen: “Wir haben einerseits deutliche Versorgungsschwierigkeiten, andererseits sinkende Abrufzahlen seitens der Kunden. Das führt zu steigenden Kosten, sinkenden Umsätzen und hohen Beständen.” Pinzker glaubt nicht, dass die Pandemie der alleinige Auslöser der Supply-Chain-Krise ist, die wäre ohnehin gekommen. Zu stark sei der steigende Bedarf an Elektronik.
“Die Pandemie war eine Verstärkung dessen, was ohnehin da war”, so Pinzker, der jedoch überzeugt ist, dass die Krise ohne die Pandemie bei weitem nicht so hart ausgefallen wäre.Eine Strategieänderung wurde dadurch bei Melecs nicht ausgelöst, zu erfahren sei man mittlerweile schon mit solchen Situationen – die Weltfinanzkrise 2008/09, der Tsunami in Japan 2011 oder die MLCC-Krise 2018. Entscheidend sei eine vorausschauende Planung im Sourcing und direkte Beziehungen zu den Managementebenen der Zulieferer.
Auf künstliche Intelligenz setzt der burgenländische Weltkonzern in der Beschaffung noch nicht, doch der Trend gehe klar in diese Richtung: “KI wird eine entscheidende Rolle spielen in naher Zukunft. Und ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir hier alle den Anschluss nicht verlieren. Wir müssen vorne mit dabei sein, um uns von den anderen weiter abzusetzen”, so Pinzker.Der Elektronikproduzent leidet unter dem globalen Chipmangel. Die Halbleiterindustrie habe ihre Kapazitäten in den vergangenen Monaten ausgebaut, doch eine kurzfristige Entspannung erwartet sich Pinzker nicht: “Ich gehe von einer Stabilisierung auf einem kritischen Niveau in den kommenden Monaten aus, in etwa zur Jahresmitte wird es zu einer Entspannung kommen.”
ZKW Group erwägt lokales Sourcing
Der Wieselburger Spezialist für Premium-Lichtsysteme ZKW Group agiert als strategischer Partner der Automobilindustrie in Europa, Amerika und Asien. Der weltweite Chipmangel hat hier tiefe Spuren hinterlassen, die aber laut Franz Nigitz, Group Vice President Purchasing, erst 2022 deutlich sichtbar werden: “Das wird sich heuer noch stärker auswirken, weil wir es 2021 noch geschafft haben, die meisten unserer Kundenaufträge zu erfüllen. Auch wenn nicht in der gewünschten Art und Weise. 2022 wird uns noch massiver treffen, weil der Markt mittlerweile wirklich leer ist und spezielle Chips einfach nicht verfügbar sind und auch die Kapazitäten nicht so kurzfristig erhöht werden können.”Bei der ZKW Group verfolgt man seit mehr als zehn Jahren eine Global-Sourcing-Strategie.
Durch die Probleme der vergangenen Jahre wird nun über Alternativen nachgedacht. “Wir haben Standorte in China, Mexiko usw. Aber die Chipkrise hat dafür gesorgt, dass wir über lokale Alternativen für unser Sourcing nachdenken. Jedoch kurzfristig ist das nicht möglich – das benötigt zumindest eine Vorlaufzeit von zwei Jahren”, so Nigitz. Eine Entspannung der Krise erwartet er sich frühestens zum Jahresende.
Der oberösterreichische Batterieproduzent Banner ist in über 70 Ländern Europas, Afrika und Asiens vertreten. Mit 24 eigenen Vertriebsniederlassungen europaweit werden sowohl die großen Autohersteller als auch der Aftermarket mit Banner-Produkten beliefert. Laut Reinhard Bauer, Leiter Einkauf, Logistik, SCM, äußert sich die Krise bei Banner auf zwei Arten: “Erstens die Auswirkungen für Halbfertigprodukte, die wir aus Asien beziehen. Dort sind wir mit deutlich längeren Transportzeiten und teilweise extrem hohen Transportkosten konfrontiert. Zweitens treten unsere Lieferanten aufgrund höherer Rohstoffkosten mit erhöhten Preisforderungen an uns heran und wälzen so ihre hohen Transport- und Rohstoffkosten ab.
So versuchen wir einerseits noch zeitnaher Bestellungen abzusetzen, andererseits werden natürlich auch Alternativen evaluiert.”
Aufgrund der Pandemie hat man mit Ausfällen von Mitarbeitern in der Produktion zu kämpfen – man setzt hier auf vorausblickende Planung. Konkrete Maßnahmen in Sachen lokales Sourcing wurden bereits eingeleitet: “Produkte, die wir traditionell in Fernost bezogen haben, werden wir in Zukunft zu einem gewissen Teil in Europa beziehen.
Grund dafür sind einerseits die angesprochenen hohen Transportkosten, andererseits die Volatilität bei den Lieferzeiten der Produkte, die wir jetzt aus Asien beziehen.” Bauer erwartet sich eine Entspannung erst ab 2023: “Vorlaufzeiten und die Pipeline sind bereits für mindestens das nächste halbe Jahr gefüllt.
So ist derzeit keine markante Entspannung zu erkennen.”
Proaktives Sourcing bei Rosenbauer International
Mit erhöhten Lieferzeiten und steigenden Materialkosten hat auch der Leondinger Feuerwehrausstatter Rosenbauer zu kämpfen. “Seit Mitte 2021 spürt man den Preisdruck deutlich. Es ist an den Rohstoffindizes ersichtlich, dass gewisse Grundmaterialien wie Stahl, Aluminium oder Kunststoff preislich sehr stark angezogen haben”, erzählt Head of Supply Chain Management Markus Schallaböck. Die Auftragslage sei gut, doch durch die hohen Lieferzeiten der Zulieferer kommt es zu verspäteten Auslieferungen. Im Sourcing hat Rosenbauer die Kontakte zu den Lieferanten intensiviert.
“Wir gehen proaktiv auf sie zu und versuchen noch früher in die Beschaffung zu gehen, um den längeren Laufzeiten Rechnung zu tragen.” KI im Sourcing wird bereits in einem Pilotprojekt getestet, ist aber noch nicht produktiv im Einsatz. “Digitalisierung und KI sind wichtige Zukunftsthemen, um mehr Transparenz in die Supply-Chain zu bringen und noch früher zu erkennen, wo sich gerade Probleme zusammenbrauen und genauer die Materialflüsse verfolgen zu können.”
Für das erste Halbjahr 2022 erwartet sich Schallaböck noch keine Entspannung – es herrsche aber ein “unbegründeter Optimismus”. Als nachhaltiges Problem nach der überwundenen Lieferkettenkrise sieht Schallaböck den andauernden Fachkräftemangel. “Fehlende Personalressourcen werden sich weiterhin auf die Supply-Chain auswirken.”
AT&S voll auf Expansionskurs
Der steirische Leiterplattenhersteller AT&S kündigte im Juni 2021 die größte Investition in der Firmengeschichte an – rund 1,7 Milliarden Euro werden in den kommenden fünf Jahren in einen neuen Standort in Malaysia fließen. Nicht weniger als den “Aufstieg in die Champions League der Hochtechnologie” soll das Investment laut dem Aufsichtsratsvorsitzenden Hannes Androsch bringen.
Neben dem Investment in Malaysia werden weitere Expansionspläne in China, Korea und Österreich verfolgt – das Ziel ist die Erhöhung der Produktionskapazitäten, um der hohen Nachfrage nachzukommen.“Wir haben die Auswirkungen der verlängerten Lieferzeiten und der gestiegenen Preise proaktiv durch gute Beziehungen zu den Lieferanten, enge Kommunikation, verstärkte Notfallpläne für das Geschäft, längerfristige Sichtbarkeit und Engagement gegenüber den Lieferanten, Optimierung der Lieferfristen und der Produktionsplanung sowie erhöhte Sicherheitsbestände abgefedert”, schildert Petri Helin, Director Global Supply Chain Management, die Maßnahmen bei AT&S.
Die Situation wurde zudem als Katalysator genutzt, um die Digitalisierung im Sourcing voranzutreiben. Dazu gehören unter anderem eine durchgängige Bedarfsplanung und vorausschauende Prognosen sowie eine Procure-to-Pay-Plattform und die Zusammenarbeit mit Lieferanten in Echtzeit, um die Widerstandsfähigkeit und Flexibilität der Lieferkette zu stärken. Helin geht davon aus, dass die angespannte Lage noch bis zum zweiten Halbjahr 2023 andauern wird.
Zwischen Hoffnung und harter Realität
Während das Warten auf eine Entspannung in der Industrie weitergeht und die Prognosen tendenziell düster ausfallen, überschlagen sich die optimistischen Meldungen aus der Forschung. So verlautbarte das Beratungsunternehmen Ernst & Young die Lieferkettenkrise als Chance, die es nun zu nutzen gelte. Denn jene Unternehmen, die ihre Supply-Chains jetzt stärken, würden gestärkt aus der Krise hervorgehen. Optimistisch gestimmt sind auch die Wirtschaftsforscher der Nationalbank und des IHS, die für 2022 ein baldiges Aus der Lieferkettenkrise prognostizieren. Wie nahe die Theorie an der Praxis liegt, werden wir in den kommenden Monaten sehen.