Autoindustrie : Mercedes Benz: Neue PKW-Software ändert Aufgaben der Zulieferer
Mit der Entwicklung einer eigenen Autosoftware bei Mercedes-Benz verändert sich die Rolle der Zulieferer. Der Vorstandsvorsitzende Ola Källenius sagte der dpa in Stuttgart: "Wir haben uns vor über vier Jahren entschieden, jetzt einen Schritt in die Zukunft zu gehen." An der Schnittstelle zwischen Software und Hardware ist dazu eine Neukonzeption des Fahrzeugs erforderlich. "Also weg von einer dezentralen Struktur, in der ich dann irgendwann mal über 100 Steuergeräte habe."
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Källenius sagte, dass man aus einer Zeit komme, in der man eine dezentrale elektrische und elektronische Architektur gehabt habe. Da habe man mit vielen Zulieferern zusammengearbeitet, Steuergeräte, Softwarepakete zugekauft, und dann sei es die Aufgabe des Automobilherstellers gewesen, all diese Funktionen perfekt in das Auto zu integrieren.
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Beim geplanten konzerneigenen Betriebssystem hingegen sei Mercedes-Benz der Architekt des Hauses. Die hauseigene Software des Autobauers heißt MB.OS (Mercedes Benz Operating System). Zur Höhe der Entwicklungskosten machte der Vorstandsvorsitzende keine Angaben. Nach dpa-Informationen belaufen sie sich auf ein bis zwei Milliarden Euro pro Jahr. Details zu MB.OS will das Unternehmen am Mittwoch bei einem Strategie-Update im kalifornischen Sunnyvale der Öffentlichkeit vorstellen.
Vom Auto-Bauer zum Architekten des Fahrzeuges
Vier Bereiche hat der Hersteller im Blick, wenn es um die hauseigene Software geht. Infotainment (Unterhaltung und Information), Fahrzeug- und Komfortfunktionen, Fahren und Laden sowie automatisiertes Fahren, so der Manager. "Bei allen Bereichen kann man entscheiden, es selber zu programmieren oder mit Partnern zusammenzuarbeiten." Gerade beim Infotainment müsse man als Autohersteller die Welt nicht neu erfinden. Das mache keinen Sinn. "In manchen Bereichen entscheidet man dann auch, mit starken Technologiepartnern zusammenzuarbeiten."
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Vorstandschef Källenius sagte weiter: "Das autonome Fahren ist der spannendste Bereich." Hier wurde bereits vor zwei Jahren eine Partnerschaft mit Nvidia bekanntgegeben. "Wir arbeiten sehr eng zusammen und entwickeln gemeinsam die nächste Generation von assistierten Fahrsystemen." In Deutschland ist das Team für die Softwareentwicklung zuständig. Im Ausland wird es weiter ausgebaut. Zum Beispiel in Bangalore. Dort gebe es inzwischen 5.000 Entwickler. Darunter seien viele Software-Spezialisten.
Mehr verdient als im Vorjahr
Der Autobauer Mercedes-Benz geht nach einem zuletzt starken Lauf vorsichtiger ins neue Jahr. Konzernchef Ola Källenius rechnet in den Kernbereichen mit weniger Gewinn, obwohl Absatz und Umsatz auf dem Niveau von 2022 liegen sollen. Dank Luxusmodellen und Preiserhöhungen verdiente das Unternehmen im vergangenen Jahr deutlich mehr als 2021. Das Konzernergebnis lag bei 14,8 Milliarden Euro, wie der Stuttgarter Autobauer mitteilte.
Das war ein Drittel mehr als im Vorjahr, wenn man nur die fortgeführten Geschäfte betrachtet. Ein milliardenschwerer Sonderertrag aus der Abspaltung des Lkw-Geschäfts von Daimler Truck hatte den Konzerngewinn 2021 auf mehr als 23 Milliarden Euro getrieben.
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Mercedes steigerte 2022 den Umsatz um 12 Prozent auf 150 Milliarden Euro. Das Unternehmen lieferte zwar etwas weniger Autos an Endkunden aus, verkaufte aber mit 2,04 Millionen rund 5 Prozent mehr an Großhändler. "Auch wenn wir makroökonomische und geopolitische Ereignisse nicht kontrollieren können, ist das Geschäftsjahr 2022 ein Beleg dafür, dass die strategische Ausrichtung stimmt", sagte Källenius.
Höhere Rendite dank teurer Fahrzeuge
Der Absatz von Oberklassemodellen wie der S-Klasse, Fahrzeugen der Tuningtochter AMG und der Luxusmarke Maybach zog an und sorgte für eine höhere Rendite. Der durchschnittliche Verkaufspreis der Autos stieg um 9 Prozent auf knapp 73.000 Euro. 2019 hatte der Durchschnittserlös pro Auto noch bei 51.000 Euro gelegen - seither kletterte er um 43 Prozent. Das um Sondereffekte bereinigte Konzernergebnis vor Zinsen und Steuern stieg um 20 Prozent auf 20,7 Milliarden Euro.
Nun stellt das Management um Källenius die Aktionäre auf weniger Gewinn ein. Die um Sondereffekte bereinigte Gewinnspanne vor Zinsen und Steuern im Automobilgeschäft soll bei 12 bis 14 Prozent liegen und damit unter dem Vorjahreswert von 14,6 Prozent.
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Während das Unternehmen bei den Nettopreisen mit einer leicht positiven Entwicklung rechnet, wird das Gebrauchtwagengeschäft voraussichtlich unter dem Vorjahreswert liegen. Der geplante steigende Anteil von batteriebetriebenen Fahrzeugen dürfte angesichts der noch schwächeren Margen in diesem Bereich rund einen halben Prozentpunkt Marge kosten, sagte Finanzvorstand Harald Wilhelm.
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Kostenentlastung erwartet Finanzvorstand Wilhelm in den kommenden Jahren unter anderem durch das Direktvertriebsmodell. Bisher verkauft der Konzern die Autos an die Händler. Künftig sollen diese nur noch eine Provision für die Vermittlung an die Kunden erhalten. Das soll für einheitliche Preise und weniger Rabatte sorgen, auch weil der Preiswettbewerb zwischen den eigenen Händlern ausgeschaltet wird. In England sei das Modell im Januar gestartet, in Deutschland solle es noch in diesem Jahr kommen, sagte Källenius.
10.000 neue Schnellladesäulen bis 2030
Mit einem eigenen Netz von Stromtankstellen will Mercedes-Benz den Verkauf von Elektroautos ankurbeln. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen in Nordamerika, Europa, China und anderen Kernmärkten mehr als 10.000 Schnellladestationen entstehen. Das kündigte der Autobauer auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas an. Die USA und Kanada sind die ersten Länder, in denen die Marke mit dem Stern ab diesem Jahr gemeinsam mit dem US-Partner MN8 Energy eigene Ladestationen errichtet.
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Die Investitionskosten von gut einer Milliarde Euro teilen sich Mercedes-Benz und MN8 Energy je zur Hälfte. Für das weltweite Netz kalkuliert Mercedes-Benz laut Konzernchef Ola Källenius mit einem niedrigen einstelligen Milliardenbetrag. "Das ist ein weiterer Baustein unserer strategischen Reise", sagte Källenius mit Verweis auf den geplanten Ausbau des E-Auto-Angebots.
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Die Ladestationen sollen für alle Hersteller zugänglich sein, aber Vorteile für Mercedes-Kunden bieten. Mit den Ladestationen will das Unternehmen Autokäufern den Umstieg auf Elektroautos erleichtern. "Wir wollen nicht zusehen und abwarten, bis es gebaut ist. Daher errichten wir selbst ein globales Schnellladenetzwerk."
Das Geschäftsmodell, das in fünf bis sieben Jahren profitabel sein soll, basiere nicht auf Subventionen. Dennoch prüfe Mercedes, ob das in der EU umstrittene Förderpaket der US-Regierung, der Inflation Reduction Act, genutzt werden könne, sagte Technikchef Markus Schäfer.
Amerikaner skeptischer beim Kauf von E-Autos
Fehlende Lademöglichkeiten und damit die Sorge, mit leerer Batterie liegen zu bleiben, halten viele Menschen noch vom Umstieg auf Elektroautos ab. In den USA gewöhnen sich die Verbraucher langsamer an Elektroautos als in Europa. Das Ladenetz von Mercedes sei ein Beitrag, die Reichweitenangst zu überwinden, sagte MN8-Energy-Chef Jon Yoder. In Nordamerika seien bis 2027 mehr als 400 Ladeparks mit über 2.500 High-Power-Chargern (HPC) geplant. Sie sollen allen Automarken offenstehen, aber Mercedes-Kunden können gegen Gebühr reservieren und ohne Wartezeit an die Reihe kommen. Standorte werden in Großstädten oder Ballungsräumen gesucht - dort, wo sich Mercedes-Kunden gerne aufhalten, zum Beispiel in der Nähe von Luxus-Einkaufsmeilen.
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Für Europa werde noch mit Partnern verhandelt, sagte Källenius. Das eigene Ladenetz soll den Anbieter Ionity ergänzen, den die deutschen Autobauer 2017 mit Partnern für Schnellladesäulen an Autobahnen gegründet haben. Ionity betreibt derzeit rund 430 Standorte in zwei Dutzend europäischen Ländern und strebt bis 2025 mehr als 1.000 Stationen mit rund 7.000 Ladepunkten an. Verglichen mit dem Bedarf in Europa ist das wenig: Die Unternehmensberatung McKinsey beziffert ihn für 2030 auf mindestens 3,4 Millionen Ladepunkte. Der Autoherstellerverband ACEA hält doppelt so viele für nötig. Die Infrastruktur werde in den kommenden Jahren von vielen Akteuren vorangetrieben, unter anderem von den Mineralölkonzernen, sagte Källenius.
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Auch die Volkswagen-Töchter Audi und Porsche haben begonnen, Stromtankstellen unter eigener Marke anzubieten. Audi testet in Nürnberg und Zürich Ladestationen, die mit einer eigenen Lounge ausgestattet sind. Porsche eröffnete gemeinsam mit dem spanischen Energieversorger Iberdrola die erste von 35 geplanten Schnellladestationen in Spanien.
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