Stefan Pierer in Interview : Stefan Pierer: "Ein einzelner Chiphersteller hat die ganze Industrie in Mitleidenschaft gezogen"

Unternehmer und KTM-Eigner Stefan Pierer im Interview

Pierer Mobility-CEO Stefan Pierer.

- © Gilbert Novy / KURIER / picturedesk.com

Die oberösterreichische Pierer Mobility AG, geführt von Stefan Pierer, konnte im vergangenen Geschäftsjahr, trotz massiver Herausforderungen in der Zulieferkette, den Konzernumsatz auf einen neuen Rekordwert steigern.

Das Unternehmen ist Hersteller von Motorrädern und E-Bikes. Im Konzern sind mittlerweile mehrere global erfolgreiche Premiummarken zu finden, darunter KTM. Der Weltmarkt wird großteils aus Österreich bedient, wo Pierer auch rund 5000 MitarbeiterInnen beschäftigt.

INDUSTRIEMAGAZIN NEWS hat mit dem Oberösterreicher, der seit vergangenem Jahr auch Präsident der Industriellenvereinigung OÖ ist, gesprochen.

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INDUSTRIEMAGAZIN NEWS: Herr Pierer, im Gegensatz zum aktuellen Markttrend, der in Europa, den USA und weiten Teilen der westlichen Welt eher stagnierend ist, haben Sie mit Ihrem Motorrad-Sektor einen Rekordabsatz erzielen können? Wie geht das?

Stefan Pierer: Pierer Mobility hat ja vergangenes Jahr 30 Jahre Motorrad gefeiert. Wir sind ein Wachstumswert. Wir sind in den letzten 30 Jahren immer zweistellig gewachsen, unabhängig von Krisen oder anderen Hindernissen. Das ist, was wir können. Gegen den Markttrend auch Marktanteile gewinnen.

Wobei das vorige Jahr am Anfang sehr ruppig war. Das erste Halbjahr war gezeichnet durch extreme Lieferkettenstörungen, insbesondere Semiconductor. Ich nenne den Namen eines bekannten deutschen Anbieters jetzt nicht, der die europäische Fahrzeugindustrie schwer in Mitleidenschaft gezogen hat. Wir konnten 15.000 Straßenmotorräder für den europäischen Markt nicht produzieren. Nichtsdestotrotz ist es uns gelungen, nachdem das zweite Halbjahr saisonbedingt besonders durch Geländemotorräder gezeichnet ist, war hier Amerika einer der Hauptabsatzmärkte. Wir haben die Produktion im Herbst um 20 % erhöht und haben damit in Amerika das erste Halbjahr wettmachen und natürlich verbessern können. Das ist der Grund, wieso wir trotz schwierigsten Rahmenbedingungen ein weiteres Rekordjahr abgeliefert haben.

IM NEWS:
Das heißt, eigentlich hat das USA Geschäft ihren Umsatz gerettet.

Pierer:
Das stimmt, ja. Das ist auch der Grund, wieso wir trotz schwierigen Rahmenbedingungen wieder einen sehr positive Outlook haben. 6 bis 10 % ist unsere Guidance, weil wir einfach in Europa wieder unsere Marktanteile zurückholen. Die Lieferketten -Situation hat sich verbessert, ist noch nicht ganz raus. Also wir dürfen nicht glauben, dass alles eitel Wonne ist, aber es schaut natürlich wesentlich vernünftiger aus. Und was im ersten Halbjahr besonders schwierig war, war die Logistik-Situation. Durch die unterschiedlichen Lockdowns in den asiatischen Ländern, China, Vietnam, usw. haben sie der Luftfahrtindustrie starke Unterstützung geben. Wir haben einen zweistelligen Millionenbetrag für Luftfracht einsetzen müssen, um trotzdem wieder einigermaßen produzieren zu können.

IM NEWS:
Weil sie die Chipindustrie angesprochen haben, ist es ein Nachteil, dass wir in Europa keinen Wettbewerb haben? Es ist ja eigentlich ein globaler Markt.

Pierer:
Ja, klar. Es ist die letzte Industrie, wo wir noch wirklich kompetent sind. Bei der Fahrzeugindustrie sind wir ja auch gerade dabei sie abzugeben, durch unsere politischen Vorschriften. Aber das haben wir leider genauso im Fahrrad-Bereich, wo alles aus Asien kommt. Das muss man sich vorstellen, dieser Irrsinn: Der Markt ist in Europa und in Asien liegen die ganzen Zulieferer-Kapazitäten. Das ist auch der Grund, wieso wir strategisch vor zwei Jahren nach Bulgarien gegangen sind, mit einem Partner, der die Fabrik betreibt und große Investitionen vorgenommen haben. Die Komponenten-Fertigung muss wieder zurück nach Europa.

IM NEWS:
Haben Sie das Gefühl, dass die Maßnahmen, die die Europäische Union trifft, zum Beispiel den European Chips Act und auch die Antworten, die wir auf den Inflation Reduction Act in den USA finden, ausreichend sind. Wir sehen ja, dass die USA gerade versuchen, die Industrie wieder zurück ins Land zu holen. Zum Teil auch auf Kosten Europas. Tun wir in Europa dahingehend genug?

Pierer:
Ich würde mal sagen, die Politik oder die strategische Ausrichtung von Brüssel in Sachen Europa reduziert sich auf Überschriften. Ob das "Fit for 55" und sonst wie heißt. Die europäische Union hat eine ein Versagen der politischen Führung zu verantworten. Ich rede jetzt nicht von der Energiekrise - es ist ein multiples, durchgängiges Versagen. Wir haben kein Leadership auf europäischer Ebene.

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IM NEWS:
Wenn man sich die Bilanzen ansieht, können Sie ja aber eigentlich nicht klagen. Sie bedienen aus Österreich auch große Teile des Weltmarktes und haben seit dem Vorjahr inzwischen 6000 Mitarbeiterinnen, 5000 davon in Österreich. Also trotz der schwierigen Personallage scheinen Sie da aber keine Probleme zu haben.

Pierer: Die Rekrutierungs-Situation ist ja ein Thema der demografischen Entwicklung. Das hätte man sich ja vor vier, fünf Jahren auch schon ausrechnen können. Während Corona waren wir mehr oder weniger zwei Jahre wie eingefroren und jetzt sind wir total überrascht, als alles aufgegangen ist, dass die Babyboomer schon teilweise in Pension sind, und es kommen immer weniger nach. Wenn 100 in Pension gehen, kommen nur 55 bis 60 nach. Das ist eine statistische Aufgabenstellung. Das ist für alle Bereiche von Gesundheitsbereich, öffentlichen Bereich, Industrie, Dienstleistung, jeder hat die selben Probleme. Und jetzt entsteht natürlich ein enormer Wettbewerb um die Mitarbeiter. Da tun wir uns natürlich als großes, bekanntes Unternehmen, auch mit entsprechendem globalen Aufsicht, wesentlich leichter, als kleine mittelständische Unternehmen oder andere Bereiche. Das ist klar, aber es ist eine Herausforderung.

Wir haben außerdem ein riesiges Lehrlings-Programm. Wir haben 200 Lehrlinge, denn ohne diesem Programm oder einer dualen Ausbildung würde die Industrie in Österreich, in Deutschland und in der Schweiz nicht diese Quote haben. Und mit unserer Produktpalette ist man unter 15 oder 16-jährigen Mädels und Burschen in der ersten Reihe.

Trotzdem ist es ein zunehmend schwieriges Thema und wird uns die Industriequote unter Druck bringen. Ich rede jetzt gar nicht von Tourismus, Gasthäusern und ähnlichem. Es beginnt auch im Gesundheitsbereich dramatisch zu werden.

IM NEWS:
Die Industrie hat dahingehend ja große Vorteil relativ hohe Löhne und Gehälter, attraktive Arbeitszeiten. Die Industrie ist damit von den großen Problemen, die zum Beispiel die Gastronomie hat, nicht betroffen.

Pierer:
Aber es ist eine Herausforderung. Wir haben zum Beispiel 800 Mitarbeiter netto eingestellt und sie haben eine Fluktuationsrate, die in Zeiten wie diesen zwischen 3 und 5 % ist. Jetzt müssen Sie erst einmal 1200 einstellen, damit Ihnen netto 800 bleiben, grob gerechnet. Das ist schon eine Aufgabenstellung und das kostet natürlich auch Geld, keine Frage. Aber wenn Sie das nicht tun, kriegen Sie es nicht. Und die Industrie, Sie sagen es richtig, tut sich leichter, weil sie wirklich attraktive Löhne hat. Wenn Sie einen Industriebetrieb, nehmen Sie jetzt unseren her, dann durchdividieren durch die Kopfzahl, dann werden Sie sehen hier liegt das Durchschnittsgehalt 3500 Euro. Das sind jene 25 % der Steuerzahler, die 75 % der Steuern einliefern. Darum ist die Industrie so wichtig. Das ist die Grundlage des Wohlstands. Ja, aber es sind natürlich Bereiche Gesundheitsbereich, der öffentliche Bereich, dann das Service, Bereich, Gastronomie massiv unter Druck.

IM NEWS:
Lassen Sie mich zum Schluss noch eine Frage zu einem anderen Thema stellen. In indischen Medien werden Sie damit zitiert, dass Sie bei Sport und High End Motorrädern die letzten sein könnten, die ihre Motoren elektrifizieren. Warum ist das eigentlich so?

Pierer:
Ich bin jährlich unterwegs, auch bei Investoren. Dieser Elektro-Hype beginnt sich langsam dem naturwissenschaftlichen Hausverstand anzunähern. Also das ist eine positive Entwicklung. Es erinnert mich ein bisschen an die Internet-Krise 1.0 und Millennium. Da war der gleiche Hype und schlussendlich hat uns alle die Realität eingeholt.

Das hängt mit der Energiedichte zusammen. Sie müssen sich vorstellen, ein Liter Sprit oder Gasoline hat 0,8 Kilogramm und hat eine Energiedichte, die vergleichbar ist, wenn Sie dasselbe von einer Lithium-Ionen-Batterie haben wollen, das zehnfache an Gewicht und Volumen. So, jetzt müssen Sie sich vorstellen, Motorräder und auch motorisierte Zweiräder haben das extreme Problem nicht viel Platz zu haben. Es gibt keine Bodenplatte wie beim Auto, wo sie 800 Kilogramm Batterien platzieren können.

Wenn ich einen 10-Liter-Tank habe, bräuchte ich fast 100 Kilogramm Batterien oder Volumen, um dieselbe Reichweite zu erreichen, das ist einfach technisch nicht möglich. Da ist viel Hausverstand. Aber bis zu 125 Kubik, das ist sind Roller und kleine Motorräder, und wo man keine großen Distanzen mit dem Tank fahren wird, wird viel elektrisch werden. Vor allem in den Städten, wo man mittlerweile Verbrenner verbietet, wird das Thema kommen. Aber alles was darüber hinaus geht, Sport-Motorräder, Reise-Enduro usw. – da ist es leider unrealistisch. Unabhängig davon: Je größer die Batterie, desto mehr senden Sie Ihre Marge nach China oder nach Korea. Das ist auch der einfache betriebswirtschaftliche Hausverstand.

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Sehen Sie hier das vollständige Interview mit Pierer Mobility-Chef Stefan Pierer.