Autokrise Deutschland : Verbrenner-Aus wankt: Deutschlands Kurswechsel schockiert Brüssel

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Die europäische Autoindustrie steht unter Druck: Hohe Transformationskosten, Energiepreise und die wachsende Konkurrenz aus China setzen den Herstellern zu.

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Es sollte Europas großer Aufbruch werden: Der Green Deal, das Ende des Verbrenners, die Wette auf eine saubere Zukunft. Doch drei Jahre nach dem Beschluss bröckelt das Versprechen. Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz will das Verbot am liebsten ganz kippen, Olaf Lies (SPD) und Markus Söder (CSU) fordern mehr Flexibilität – ihr gemeinsames Fazit: 100 Prozent Elektromobilität bis 2035 ist nicht mehr realistisch.

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Transformation der Autoindustrie: Wird der große Wandel zur Zerreißprobe?

Als die Europäische Union im Oktober 2022 das Ende des Verbrennungsmotors beschließt, scheint die Richtung klar: Raus aus Öl und Gas, hinein in eine neue Ära der Mobilität. Bis 2035 sollen nur noch emissionsfreie Fahrzeuge neu zugelassen werden – ein historischer Beschluss, gefeiert als Wendepunkt der Industriegeschichte.

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In Brüssel spricht Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von Europas „Man on the Moon Moment“. Es ist die Zeit großer Worte und noch größerer Erwartungen. Der Green Deal soll Klimaschutz, Innovation und wirtschaftliche Stärke vereinen. Doch schon damals stellt sich eine unbequeme Frage: Kann die europäische Autoindustrie diese Transformation überhaupt schultern? Und – noch entscheidender – will der Markt die neuen Autos überhaupt?

Was auf dem Papier wie ein genialer Plan wirkt, zeigt sich in der Realität als riskantes Experiment: Zwischen politischen Zielvorgaben, steigenden Energiekosten und unsicheren Lieferketten droht das Herzstück der europäischen Industrie an Tempo zu verlieren.

VW-Werk Zwickau – Symbol der deutschen E-Auto-Transformation und ihrer Grenzen.

- © Volkswagen

Krise bei Volkswagen: Vom Vorreiter zum Sorgenkind der E-Mobilität

Drei Jahre nach dem Start der europäischen E-Auto-Offensive steht ausgerechnet Volkswagen im Zentrum der Krise. Der Konzern, der einst als Vorreiter der Transformation galt, kämpft mit Werksschließungen, Absatzproblemen und schwindender Rendite.

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Im Februar 2025 wurde das Audi-Werk in Brüssel geschlossen – einst ein Vorzeigeprojekt der Elektromobilität. Hier lief der elektrische Audi Q8 e-tron vom Band, ein Modell, das den Aufbruch symbolisieren sollte. Doch am Ende wurde es zum Symbol des Scheiterns: zu teuer, zu spät, zu wenig Nachfrage. Rund 3.000 Beschäftigte verloren ihren Arbeitsplatz, die Suche nach einem Investor blieb erfolglos. Nach über 70 Jahren Automobilproduktion endet damit in Belgien eine industrielle Ära.

Auch in Deutschland spitzt sich die Lage zu. In Zwickau und Dresden stehen Produktionslinien still, in Emden und Hannover herrschte bereits 2023 Kurzarbeit – weil die Nachfrage fehlte.

Die geplanten Absatzsteigerungen bei Elektrofahrzeugen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Die Werke sind überdimensioniert, die Kosten steigen, und die Rendite der Kernmarke VW ist 2024 auf rund zwei Prozent gefallen.

Im Dezember 2024 zieht der Konzern die Notbremse. Bis 2030 sollen mehr als 35.000 Stellen abgebaut werden – offiziell über freiwillige Programme. Erstmals seit Jahrzehnten fällt die Beschäftigungsgarantie, ab 2025 sind betriebsbedingte Kündigungen wieder möglich. Mehrere Standorte – darunter Osnabrück, Kassel und Dresden – gelten intern als gefährdet.

Im Stellantis-Werk Mirafiori in Turin läuft nur noch eine Schicht. Die Produktion ist seit Jahresbeginn um mehr als ein Drittel eingebrochen.

- © Stellantis

Krise bei Stellantis: Europas Autoriese im Rückwärtsgang

Auch bei Stellantis, dem zweitgrößten Autokonzern Europas, ist von Aufbruch keine Spur geblieben. Der Konzern, zu dem Marken wie Peugeot, Fiat, Opel und Citroën gehören, kämpft mit einem massiven Einbruch der Produktion und sinkender Nachfrage in seinen europäischen Werken.

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2024 und 2025 wurden an mehreren Standorten immer wieder Produktionslinien gestoppt – teilweise für Wochen. Betroffen sind Werke in Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien. In Italien schrumpfte die Fahrzeugproduktion in der ersten Jahreshälfte 2025 um 36 Prozent – das niedrigste Niveau seit 1956.

Besonders hart trifft es die italienischen Werke Melfi und Pomigliano bei Neapel. Dort wird nur noch in einer Schicht gearbeitet, Tausende Beschäftigte befinden sich in Kurzarbeit. Gewerkschaften sprechen offen von einem „industriellen Stillstand“.

Auch in anderen Ländern drosselt der Konzern die Auslastung. Im Opel-Werk Eisenach in Thüringen werden Montagezeiten verkürzt, in Saragossa und Madrid fallen ganze Fertigungstage aus. Der Konzern verkauft weniger Autos, vor allem Elektro-Modelle liegen deutlich unter Plan.

2024 brach der Gewinn von Stellantis um rund 70 Prozent ein, 2025 gingen die Auslieferungen um weitere neun Prozent zurück – auf nur noch etwa 1,2 Millionen Fahrzeuge. Intern ist längst von einer „europäischen Rezession im eigenen Haus“ die Rede.

Hinter den Kulissen wird über mögliche Werksschließungen diskutiert: In Cassino (Italien), Hordain (Frankreich) und Tychy (Polen) gelten die Zukunftsaussichten als unsicher.

Seit Ende 2024 steht an der Spitze des Konzerns ein neuer Mann: Antonio Filosa, zuvor Chef der Marke Fiat. Er spricht von „Anpassung an Marktbedingungen“ – ein Euphemismus für die fortschreitende Erosion industrieller Substanz. Vom einstigen europäischen Multibrand-Champion bleibt ein Konzern, der spart, pausiert und sich neu erfinden muss – wenn er überleben will.

Produktion bei Mercedes-Benz: Zwischen E-Auto-Vision und Sparkurs steht der Premiumhersteller unter wachsendem Druck.

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Krise bei Mercedes und BMW: Wenn selbst die Premiumhersteller ins Straucheln geraten

Lange galten sie als unerschütterlich: Mercedes-Benz und BMW, die beiden Aushängeschilder deutscher Ingenieurskunst. Doch auch die Premiumhersteller bleiben von der Krise der Elektromobilität nicht verschont.
Hohe Kosten, stagnierende Nachfrage und verschobene Investitionen zwingen selbst die Branchenikonen zum Kurswechsel.

>>> Tabubruch mit Ansage: Mercedes und BMW verhandeln über Motoren-Allianz

Bei Mercedes-Benz läuft seit 2024 ein massives Sparprogramm. Bis 2027 sollen fünf Milliarden Euro eingespart und rund 30.000 Stellen abgebaut werden – offiziell über freiwillige Programme. Gleichzeitig verlagert der Konzern Teile seiner Produktion ins Ausland: Die Sprinter-Fertigung in Ludwigsfelde zieht nach Polen, weitere Baureihen werden nach China ausgelagert. Was als strategische Effizienzmaßnahme verkauft wird, ist in Wahrheit ein Rückzug aus Kernmärkten, die zu teuer geworden sind.

Auch bei den Elektro-Modellen bleiben die Verkaufszahlen hinter den Erwartungen zurück.
Nach dem Hype um die ersten EQ-Modelle stagniert die Nachfrage, während die Gewinne schrumpfen.

Ähnlich das Bild bei BMW: Der Konzern verkauft solide Stückzahlen, doch die Dynamik in Europa fehlt. Während China und die USA wachsen verliert Europa als einstiger Leitmarkt an Bedeutung. In München werden Modellzyklen verlängert und neue Fahrzeugprojekte aufgeschoben, um Kosten zu senken.

Das Premiumsegment, einst Garant für Stabilität, gerät unter denselben Druck wie die Volumenhersteller. Verlagerungen, Sparprogramme, sinkende Margen – auch die großen Marken müssen plötzlich rechnen.

Oder, wie es Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), formuliert: „Wir verlieren den Anschluss – und zwar schneller, als uns lieb ist.“ Ein Satz, der längst für die gesamte Branche gilt.

Der BYD Atto 3 steht für Chinas neuen Anspruch in der Autoindustrie – effizient, erschwinglich und längst auf Europas Straßen angekommen.

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China und Elektromobilität: Wie Europas Markt vom eigenen Erfolgsmodell überrollt wird

Während Europas Autoindustrie über Quoten, Normen und Zielvorgaben diskutiert, hat China längst Tatsachen geschaffen. Das Land ist in weniger als einem Jahrzehnt vom Billigproduzenten zur industriellen Supermacht aufgestiegen – mit einem klaren Ziel: die Weltmärkte für Elektromobilität zu dominieren.

Hersteller wie BYD, SAIC und Geely drängen in den europäischen Markt mit Modellen, die billiger, besser ausgestattet und schneller verfügbar sind als viele Fahrzeuge aus heimischer Produktion. Und während in Brüssel noch über Ladeinfrastruktur und Förderquoten gestritten wird, entstehen in China Batteriefabriken im Gigawattmaßstab.

>>> So will BYD 2025 Europa erobern

Der Erfolg kommt nicht zufällig. Die chinesische Regierung unterstützt ihre Autoindustrie seit Jahren mit massiven Subventionen, Steuererleichterungen und günstigen Energiepreisen. Führende Batteriehersteller wie CATL oder BYD profitieren direkt von staatlicher Industriepolitik – und sichern sich so globale Kostenvorteile, die europäische Produzenten kaum ausgleichen können.

Das Ergebnis: Europa verliert den Markt, den es selbst geschaffen hat. Was als Symbol für grünen Fortschritt gedacht war, wird zum Einfallstor für chinesische Industriepolitik.

Auch die Zahlen sprechen eine klare Sprache: 2025 steigt der weltweite Pkw-Absatz weiter – in Europa um 1,5 Prozent, in den USA um 5,7 Prozent, in China sogar um 10,7 Prozent.
Doch ausgerechnet die deutschen Hersteller verlieren: VW minus 4,0 Prozent, BMW minus 4,8 Prozent, Mercedes minus 11,4 Prozent.

Ein wachsender Markt – aber eine Industrie, die den Anschluss verliert. Und ein Kontinent, der erkennen muss, dass die Zukunft des Autos längst woanders gebaut wird.

Debatte um das Verbrenner-Aus: Wenn Ideale an der Realität scheitern

Die Vision vom emissionsfreien Europa hat Risse bekommen. Nach Jahren des unbedingten Fortschrittsglaubens kehrt in Brüssel, Berlin und Rom plötzlich Realismus ein – oder, wie Kritiker sagen würden: Angst. Kurz nach dem Autogipfel mehren sich in Deutschland die Stimmen, die das Aus für den Verbrennungsmotor infrage stellen. Bundeskanzler Friedrich Merz will das Vorhaben am liebsten gänzlich kippen, sagte er noch Anfang der Woche: „Ich möchte nicht, dass Deutschland zu den Ländern gehört, die an diesem falschen Verbot festhalten.“

Nur 24 Stunden vor dem Gipfel forderten Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) und Bayerns Länderchef Markus Söder (CSU) in ungewohnter Einigkeit mehr Flexibilität beim Verbrenner-Aus. Was 2022 als unumstößlich galt, steht 2025 wieder zur Debatte. Das Verbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035 – einst Herzstück des Green Deal – wird plötzlich zur Verhandlungsmasse. 

Doch der Sinneswandel hat weniger mit Überzeugung zu tun als mit Sorge: Sorge vor dem Verlust einer Industrie, die Millionen Arbeitsplätze sichert. Sorge vor einer Energiepolitik, die zu Wettbewerbsnachteilen führt. Und Sorge davor, dass die Autoindustrie – Europas wichtigster Wirtschaftszweig – den Anschluss an die Welt verliert. Nach Jahren der Visionen regiert die Realpolitik – und die lautet: Überleben vor Idealen.