Industriekongress : ECO-Direktorin Köppl-Turyna: „Warum sollte Russland noch Gas liefern?"
Was bedeuten die steigenden Energiepreise für Österreich beziehungsweise Europa? Beim 23. Industriekongress gehen Experten und Vertreter der Industrie dieser und anderen Fragen nach. „Die Preise sind so hoch wie noch nie“: Monika Köppl-Turyna, Direktorin des ECO Austria Instituts für Wirtschaftsforschung, spricht von einer Versiebenfachung oder gar Verachtfachung gegenüber letztem Jahr.
Was das Problem intensiviert: Die Preissteigerungen sind wohl nicht nur temporär, sondern über die nächsten Jahre prognostiziert. Außerdem betreffen die Teuerungen hauptsächlich Europa. Dass sich in den USA Energie nicht so dramatisch verteuert hat – Stichwort billiges Gas dank Fracking –, hat natürlich Auswirkungen auf den Wettbewerb. Als Resultat prognostiziert das Institut für Wirtschaftsforschung zwei Prozent weniger Wirtschaftswachstum als ohne Krieg.
Diese Prognose wirkt noch harmlos gegenüber dem, was sein könnte. Denn sollten die Gaslieferungen tatsächlich ausfallen – ein Szenario, das immer stärker droht –, würde die Wirtschaft hierzulande deutlich stärker einbrechen. Diese reale Gefahr zeige sich auch in den Preisen, besonders in den letzten Tagen, sagt Köppl-Turyna – wobei die Unsicherheit auch in der Vergangenheit teilweise schon eingepreist war.
Von der Gefahr eines Stopps der Gaslieferungen für die Wirtschaft kann auch Georg Kapsch, CEO der Kapsch Group & Kapsch TrafficCom, ein Lied singen. Sein Unternehmen ist zwar nicht energieintensiv, doch es hängt natürlich an der Gesamtwirtschaft. Der Energiepreis hat also auch hier mittelbare Konsequenzen.
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Was Kapsch unmittelbar spürt, sind hingegen die Herausforderungen in der Infrastruktur. „An Problemen in der Supply Chain leiden wir schon seit zwei Jahren.“ Der CEO ist sich sicher, dass hier die Investitionen in Europa und wahrscheinlich auch in den USA zurückgehen werden. Die sozialpolitischen Konsequenzen seiden dann „die wahre Gefahr.“
China ist kein großer Gewinner, wäre aber gern einer."Susanne Weigelin-Schwiedrzik
Wann werden die Sanktionen gegen Russland wirken?
Auch von den Sanktionen sieht sich der Chef des Anbieters von Verkehrslösungen nicht unmittelbar betroffen. „Wir machen einiges in Weißrussland. Das wenige, was wir in Russland machen, ist verkraftbar.“ Aber schließlich ginge es nicht nur um das eigene Unternehmen. „Ich glaube, die Politik der EU gegenüber Russland läuft schon seit langem falsch.“ Ohne den Krieg verharmlosen zu wollen, wie Georg Kapsch betont, meint er: „Unschuldig sind wir als Europa nicht.“
Da drängt sich die Frage auf, ob die Sanktionen ein Fehler waren. Kapsch verweist auf die erwünschte, aber nicht eingetroffene Wirksamkeit dieser. Und das nicht nur im gegenwärtigen Fall von Russland, sondern auch in der Vergangenheit – beispielsweise in Kuba und im Iran. „Die Sanktionen haben die Regime zumindest für zehn oder 20 Jahre nicht in die Knie gezwungen. Und gelitten hat immer nur die Bevölkerung“, so Kapsch.
Doch wurden die Sanktionen tatsächlich darauf ausgerichtet, Russland in die Knie zu zwingen? Zumindest nicht allgemein, sondern konkret bezogen auf die ökonomische Kapazität des Landes, den Krieg gegen die Ukraine zu führen. So erklärt es die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik, fügt aber hinzu, dass Russlands Militär zwar überschätzt worden wäre; die Resilienz und ökonomische Anpassungsfähigkeit aber offensichtlich unterschätzt.
Dem stimmt Gerhard Mangott, Politikwissenschafter von der Universität Innsbruck, zu. Eine Schwächung Russland sehe er nur langfristig, insbesondere durch ausfallende Importe, die die Wirtschaft dort dringend benötige.
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„Unschuldig sind wir als Europa nicht.“Georg Kapsch
Russland und China – ein gefährliches Duo?
Keine Sanktionen zu verhängen, wäre aber auch keine Alternative gewesen, meint Kapsch. „Man hätte eine Verhandlungslösung von Anfang an ins Zentrum stellen können.“ Weigelin-Schwiedrzik ist für eine Neudefinition der Sanktionen, denn sie stimmt zu: Kurzfristig werden sie Russland nicht in die Knie zwingen – vielmehr gehe es um einen langen Abnutzungskrieg. Im Endeffekt müsse die russische Wirtschaft so geschwächt werden, um keinen anderen Krieg führen zu können. Mit anderen Worten: um China nicht nutzen zu können.
Stichwort China. Dort spricht man laut der Expertin Weigelin-Schwiedrzik davon, dass der Krieg sogar zehn Jahre dauern würde. Und dort lauert auch die Gefahr eines anderen Militärangriffs: eines auf Taiwan. Wird es auf einen Kampf zwischen dem Westen und China hinauslaufen? So möchte es Kapsch nicht formulieren, doch: „Wir haben uns auf einen wirtschaftlichen Opportunismus mit China eingelassen, aus dem wir nicht wieder rauskommen.“ Und das aufzulösen, könne nicht von einem auf den anderen Tag geschehen.
Wieso die Sanktionen doch noch helfen können
Welche Auswirkungen der aktuelle Konflikt auf China haben wird, kann freilich noch niemand vorhersagen. Klar ist nur, dass das Land gerne als Gewinner hervorgehen würde – etwa indem es sich als Moderator in der Lösungsfindung gibt.
Ob das gelingen wird, ist jedoch fraglich. Seit Kriegsbeginn wurde China aus Europa stark verdrängt. Das Land hat lange Bindungen zu den „unzufriedenen“ Ländern Europas, etwa Griechenland oder osteuropäische Staaten aufgebaut, wie Weigelin-Schwiedrzik es formuliert. Doch gerade die Ostflanke der EU ist mittlerweile stärker mit den USA verbündet. „Auch deshalb ist dieser Krieg sehr negativ für China“, so die Sinologin.
Doch einmal mehr geht die Diskussion zurück auf die Zukunft der westlichen Sanktionen und schließt mit einem Bezug auf die Energiepreise den Kreis. Denn hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Wenn der Gaspreis durch Sanktionen in die Höhe schnellt, stärkt es die russische Situation sogar noch. Zölle auf russische Energielieferungen würden zwar die Margen von Gazprom und damit des Staatshaushaltes mindern, so Köppl-Turyna. Doch sie gibt zu bedenken: „Warum sollte Russland noch Gas liefern, wenn es bei den hohen Preisen eventuell bessere Absatzmärkte findet?“ Und die gibt es mit China und Indien.
Vielleicht muss eben doch ein Schachzug weiter gedacht werden: etwa, indem die Sanktionen sehr wohl den Konflikt lösen können, wenn auch nicht durch wirtschaftliche Schwächung. „Man muss etwas anbieten können, damit Russland den Gesichtsverlust vermeiden kann“, so Weigelin-Schwiedrzik. Und das könnte die schrittweise Rücknahme der Sanktionen sein.
Zur Person: Georg Kapsch
Georg Kapsch ist Geschäftsführer der Kapsch Group (seit Oktober 2000) und Kapsch TrafficCom (seit Dezember 2002). 1982 bis 1985 war er im Konsumgütermarketing bei der Kapsch AG tätig, in den darauffolgenden Jahren im Investitionsgütermarketing. Er übernahm die Geschäftsführung der Kapsch Gruppe im Oktober 2000, im Dezember 2002 wurde er zusätzlich CEO der Kapsch TrafficCom. Georg Kapsch studierte Betriebswirtschaftslehre an der WU Wien. 1988-1992 war er in der Gruppe 1031, dem Netzwerk junger Unternehmer und Führungskräfte, eine Teilorganisation der Österreichischen Industriellenvereinigung. 2012-2020 war Georg Kapsch Präsident der Industriellenvereinigung.
Zur Person: Monika Köppl-Turyna
Priv.-Doz. Dr. Monika Köppl-Turyna ist Direktorin von EcoAustria. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Öffentliche Finanzen, Verteilungsfragen, Arbeitsmarkt und Fragen der politischen Ökonomie. Die 36-jährige Ökonomin promovierte 2011 an der Universität Wien und war von 2011 bis 2015 Assistenzprofessorin am Lisbon University Institute. Anschließend war sie bei Agenda Austria als Senior Economist tätig. Seit 2015 ist sie zudem Universitätslektorin an der Wirtschaftsuniversität Wien und Fellow der Global Labour Organisation.
Darüber hinaus ist sie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Rudolf Sallinger Fonds und des Klimarats der Bürgerinnen und Bürger, sowie des Rats für Neue Arbeitswelten beim Bundesministerium für Arbeit. Köppl-Turyna habilitierte sich im Sommer 2020 an der Johannes Kepler Universität Linz. Im aktuellen Ökonomen-Ranking 2021 von Presse/FAZ/NZZ belegt sie Rang 5 der einflussreichsten ÖkonomInnen in Österreich.
Zur Person: Gerhard Mangott
Univ.Prof. Mag. Dr. Gerhard Mangott ist Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck mit dem Schwerpunkt Osteuropa und Russland. Er studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Slawistik an der Universität Innsbruck sowie an der Universität Salzburg. Er spezialisierte sich auf den Fachbereich „Vergleichende Regierungslehre und die politischen Systeme des östlichen Europa“. Im Jahr 2001 promovierte er zum Doktor der Philosophie im Fach Politikwissenschaft. Gerhard Mangott wurde im Jahr 2002 habilitiert und ist seit 1. Oktober 2015 Universitätsprofessor für Internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck. Sein Hauptforschungsgebiet ist Internationale Politik und vergleichende Regimelehre.
Zur Person: Susanne Weigelin-Schwiedrzik
Nach Studium der Sinologie, Japanologie und der Politischen Wissenschaften (1973-1978) in Bonn, Peking und Bochum Promotion im Fach Geschichte Chinas an der Ruhr-Universität Bochum 1982, Habilitation 1989. 1989-2002 Ordinaria für Moderne Sinologie an der Universität Heidelberg, dort Pro-Rektorin für Internationales 1999-2001. Seit 2002 Professorin für Sinologie an der Universität Wien, seit 2011 korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2011-2015 Vize-Rektorin für Forschung und Nachwuchsförderung an der Universität Wien. Seit Oktober 2020 im Ruhestand.
Forschungsaufenthalte an der Peking University (1980), University of California, Berkeley (1984-1985), Tsinghua University, Peking (1987), Kyoto University (1992), Hong Kong University of Science and Technology (1997), University of California, Berkeley (1999), Brandeis University (2005), Chinese Academy of Social Sciences (2014) und an der Chinese University of Hong Kong (2018).
Forschungsschwerpunkte: Chinesische Geschichte und Geschichtsschreibung im 20.Jahrhundert, Ostasiatische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Analysen zu Politik und Außenpolitik der VR China.
Zum Event: der 23. Industriekongress
Der Krieg in der Ukraine, Lieferengpässe, das Gespenst der Stagflation und die Fragen nach der geopolitischen Macht prägen nicht nur das aktuelle Zeitgeschehen, sondern bedrohen freien Handel und Globalisierung.
Österreichs Industrie bleibt von diesen drastischen Entwicklungen nicht verschont. Die Verteuerungen von Energie und Rohstoffen, nicht enden wollende Pandemie und eine zunehmende Liquiditätsklemme für KMUs bieten genügend Zündstoff.
Gleichzeitig ermöglicht aber gerade der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Energieproblematiken die einmalige Chance, das Thema der Klimakrise und Nachhaltigkeit zügig für den Industrie-Standort Österreich anzugehen.
Am 23. Juni 2022 fand der 23. Industriekongress im Wiener Hotel The Ritz-Carlton statt - und mit dabei waren hochrangige ExpertInnen aus Forschung und Industrie: Hans Joachim Schellnhuber, Gerhard Mangott, Karin Exner-Wöhrer, Gerald Grohmann, Robert Machtlinger und viele andere Speaker diskutierten über die Fragen unserer Zeit.