Industrieversorgung : Wie lässt sich russisches Gas ersetzen? – Österreich und LNG
Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine würde die EU ihre Wirtschaftssanktionen gegen Russland gerne auch auf Erdgasimporte aus Russland ausdehnen - weil ein Gasboykott aber der europäischen Wirtschaft großen Schaden zufügen würde, schreckt man davor bisher zurück. Ersetzen lässt sich russisches Gas in den nächsten Jahren nicht, auch nicht durch LNG, also Flüssigerdgas. Dafür reicht die LNG-Infrastruktur in Europa noch lange nicht aus.
380 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbrauchte die EU im Jahr 2020, die eigene Produktion hat sich aber in den letzten zehn Jahren halbiert. Darum werden etwa 80 Prozent des EU-Bedarfs durch Importe gedeckt, mehr als 40 Prozent des in der EU verbrauchten Gases liefert Russland.
Dass es infolge der EU-Sanktionen gegen Russland auch zu Lieferunterbrechungen beim Gas kommen könnte, galt bisher als unwahrscheinlich, wird inzwischen aber nicht mehr ausgeschlossen. Die EU-Kommission ist eigenen Angaben zufolge für diesen Fall gerüstet. Man habe sich schon lange auf eine solche Situation vorbereitet, die sich hoffentlich nicht präsentieren werde, sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans am Mittwoch in Brüssel. Was das genau bedeutet, wollte der Holländer nicht verraten.
Russisches Pipeline-Gas durch LNG aus den USA, Katar, Algerien, Ägypten oder anderen Ländern zu ersetzen, ist kurzfristig jedenfalls nicht möglich, darüber sind sich Gas-Experten einig. Selbst wenn die gesamte Kapazität aller LNG-Terminals in der EU - das sind knapp 160 Mrd. Kubikmeter in gasförmigem Zustand - bisher völlig ungenutzt wäre, würde sie dafür nicht ausreichen.
Etliche Länder planen oder sind gerade dabei, ihre LNG-Terminals auszubauen, das wird aber noch Jahre dauern. Einer der größten Gasverbraucher in Europa, Deutschland, verfügt bisher noch über keinen einzigen LNG-Terminal. Bundeskanzler Olaf Scholz hat kürzlich Brunsbüttel und Wilhelmshaven als mögliche Standorte für Terminals genannt, auch über den Bau eines Terminals in Stadt wird diskutiert. Die Bauzeit wird aber auf mindestens drei Jahre geschätzt, Brunsbüttel dürfte frühestens 2026 in Betrieb gehen. Die Baukosten werden auf rund 1,5 Mrd. Euro geschätzt. Die LNG-Versorgung Deutschlands erfolgt bisher über die Terminals in Zeebrügge und Rotterdam.
Zum Vergleich: Der Bau der russischen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 mit einer Jahreskapazität von 55 Mrd. Kubikmetern hat 9 Mrd. Euro gekostet. Ihre Inbetriebnahme wurde aus politischen Gründen von den Europäern verhindert.
Einen Engpass gibt es nicht nur bei LNG-Terminals, auch LNG-Tankschiffe sind nur begrenzt verfügbar: Weltweit gibt es nur etwa 500 davon, die meisten sind in Asien unterwegs. Ein LNG-Schiff mit 125.000 Kubikmetern Fassungsvermögen kann so viel Gas transportieren, wie 75 Millionen Kubikmetern Pipeline-Gas (bei 15 Grad Celsius und einem Druck von 1.013 mbar) entspricht. Der Energiewert dieser Menge beträgt laut Carola Millgramm, Leiterin der Gas-Abteilung beim Energieregulator E-Control, 740 bis 850 GWh, je nach Heizwert des Gases. Die größten LNG-Schiffe habe Katar, mit einer Transportkapazität von mehr als 260.000 Kubikmetern. Die ganz großen Schiffe würden rund 250 Mio. Dollar (225,5 Mio. Euro) pro Stück kosten.
Österreich verbraucht jährlich etwa 8,5 Mrd. Kubikmeter Erdgas, davon kommen vier Fünftel über Pipelines aus Russland. Wollte man dieses Gas durch LNG ersetzen, bräuchte man alleine für Österreich rund 80 Tankschiffe.
Die in Österreich vor wenigen Tagen beschlossene strategische Gasreserve von 12,6 TWh entspricht laut Gas-Expertin Millgramm etwa 13 Prozent des Jahresverbrauchs von 95 TWh - 13 Prozent ist auch der aktuelle Füllstand der Gasspeicher in Österreich. Dieser Wert bewegt sich in die Nähe jener Mindestfüllmenge die es benötig um jenen Druck, den es für den Betrieb braucht, aufrecht zu erhalten. Ausserdem sei da auch der Speicher in Haidach dabei, der nur an das deutsche Gasnetz angeschlossen sei. Auch Tirol und Vorarlberg seien nur über Deutschland ans Netz angeschlossen. Die strategische Gasreserve soll aber in Speichern gelagert werden, die Ostösterreich versorgen können.
Was die LNG-Terminals angeht, dürfe man nicht nur die Gesamtkapazität betrachten, sondern auch die Pipeline-Verbindungen. So gebe es etwa große Terminal-Kapazitäten in Spanien, aber zwischen Spanien und Frankreich nur eine Pipeline-Verbindung mit einer Kapazität von 7 Mrd. Kubikmetern pro Jahr.
Österreich könnte LNG im Reverse Flow über die TAG-Leitung aus Italien beziehen, erklärte Millgramm. Die Trans Austria Gasleitung bringt normalerweise russisches Erdgas von Baumgarten an der slowakisch-österreichischen Grenze bis nach Norditalien. Künftig könnte LNG auch aus Deutschland nach Österreich transportiert werden, aber auch vom Terminal auf Krk in Kroatien, wo es aber noch keine Import-Infrastruktur gebe.
Derzeit beziehen die EU-Länder LNG vor allem aus den USA, über Großbritannien aus Katar, aber auch aus Russland, Algerien oder Ägypten. Im Jänner und Februar seien auch größere Spotmengen über eine Leitung aus Großbritannien nach Kontinentaleuropa gekommen. "Wenn man das russische Gas längerfristig ersetzen will, muss man wohl auch mittel- bis längerfristige Verträge mit LNG-Lieferanten abschließen." So könnte man auch bessere Preise erzielen als kurzfristig an den Spotmärkten. Beim Preis stehe Europa aber immer auch im Wettbewerb mit dem asiatischen Raum. Das könnte dazu führen, dass viele Abnehmer in Asien sich das LNG dann nicht mehr leisten könnten. Pakistan und Indien hätten damit schon jetzt Probleme.
Grundsätzlich sei LNG aus Nordamerika, aber auch aus Norwegen, Katar oder Algerien auch das in Österreich von Umweltschützern kritisierte Fracking-Gas.
Überlegungen, wonach Russland möglicherweise technisch gar nicht in der Lage wäre, seine Gasproduktion und Lieferung nach Westen kurzfristig zu stoppen, lassen nach Ansicht der E-Control-Expertin außer Acht, dass Russland das geförderte Gas auch speichern könnte. "Russland hat große Gasspeicher mit etwa 70 Mrd. Kubikmetern Speichervolumen, die sind nach dem Winter leer gewesen. Wir wissen auch nicht, wie viel Gas in Russland verbraucht werden könnte."
Außerdem verfüge auch Russland über LNG-Kapazitäten und könnte seine Exporte auch umleiten. "Es ist auf russischer Seite auch ein massiver Ausbau der LNG-Kapazitäten für 2023 geplant und auch für die Jahre danach."
Der nächste Punkt ist, dass LNG nicht überall Erdgas ersetzen könnte. Laut Energieexperte Florian Haslauer liegt beim Ziel, den Gasverbrauch zu senken "der große Hebel" in der Gasverstromung– nicht in den Haushalten und auch nicht in der Industrie. In letzterer sehe er nur einen Spielraum von 10 Prozent, wo ein Umstieg auf andere Brennstoffe möglich sei, ohne die Produktion einzuschränken. Haslauer sieht ebenfalls Potenzial in einem erhöhten LNG-Bezug, doch prognostiziert auch, dass künftig viel mehr Kohle- und Atomkraftwerke laufen werden. (apa/red)