Kriegsauswirkungen : „Risiko im Ukrainekrieg für China hoch“ – Expertin Weigelin-Schwiedrzik am Industriekongress

Susanne Weigelin-Schwiedrzik diskutiert auf dem Industriekongress über die Rolle Chinas in der Welt.

Univ.Prof. Dr. Susanne Weigelin-Schwiedrzik diskutiert auf dem Industriekongress über die Rolle Chinas in der Welt.

- © Matthias Heschl

"Europa werde sich gute Konzepte zurechtlegen müssen, wie mit der aufstrebenden Weltmacht China umzugehen sei." Dieser Meinung ist Susanne Weigelin-Schwiedrzik. China ging mit grundlegend anderen Erwartungen in das Jahr 2022, sagt die renommierte Chinaexpertin am Industriekongress.

Der Ukrainekrieg passe nicht in das Wiederwahlszenario von Xi Jinping, der es als persönliche politische Aufgabe sehe, die beanspruchte Inselrepublik Taiwan in die Volksrepublik einzugliedern. Nicht nach Jahren einer Öffnung gegenüber dem Westen, nicht nach Jahren des Aufstiegs zur Weltmacht.

Das Bild, das Weigelin-Schwiedrzik zeichnet, ist vielschichtig. Die Volksrepublick wolle nach eigenem Bekunden neutraler Akteur in einem Krieg bleiben, der nach chinesischer Lesart bis zu zehn Jahre dauern könne. China halte sich mit ausdrücklicher Kritik an Verstößen der russischen Armee gegen das Kriegsrecht zurück. Zugleich leiste man seit Tag Eins des Kriegs der Ukraine humanitäre Unterstützung, was im Westen weniger Beachtung findet. Das chinesische Außenministerium führe intensive Gespräche mit der Ukraine, der EU und den USA. „Große Aktivitäten werden im Hintergrund unternommen“, sagt die Sinologin.

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Warum der Ukrainekrieg der Weltmacht China zunehmend zur Prüfung wird, liegt am Anspruch Russlands, „bei der Aufteilung der Welt“ als großer dritter Akteur neben den USA und China Zugang zu finden. Russland und USA stoßen sich am angestrebten Imag-Gewinn Chinas. Entsprechend vorsichtig müsse China taktieren: „Eine nicht erfolgreiche Moderatorenfunktion im Ukrainekrieg würde den Interessen Chinas widersprechen und wird als solches als Risiko gesehen“, sagt Weigelin-Schwiedrzik.

China in der Klemme?

China versucht im Konflikt um die Ukraine, als neutraler Partner zwischen Ost und West aufzutreten. Einerseits sind da die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit den USA und der EU, den großen Handelspartnern der Volksrepublik, die unter keinen Umständen unter dem Krieg leiden sollen. Anderseits besteht eine freundschaftliche und wohl auf die autokratischen Gemeinsamkeiten gestützte Freundschaft zu Russland, welches aber als Absatzmarkt für China nur eine geringe Rolle spielt.

Und: Auch zur Ukraine unterhält China gute Beziehungen und sieht deren Recht auf Souveränität und Integrität durch den Krieg verletzt. Die Ukraine war zudem maßgeblich an der militärischen Aufrüstung Chinas beteiligt – durch das Know-How der Ukrainer ist es den Chinesen gelungen, ihr erstes militärisches Großflugzeug zu bauen.

Was passiert im Falle einer nuklearen Bedrohung durch Russland? Sollte Russland die Ukraine mit Atomwaffen angreifen, so wäre im Ernstfall China an der Seite der Ukraine zu finden. Jedenfalls hat die Volksrepublik das "Budapester Abkommen" von 1994 unterzeichnet und verpflichtet sich damit - rein formal natürlich - im Falle eines Nuklearkrieges an der Seite der Ukraine in den Krieg einzugreifen.

I-Kongress
Diskutierten zum Thema ‚Wandel durch Handel?‘; von links: Monika Köppl-Turyna, ECO Austria Institut für Wirtschaftsforschung, Innsbrucker Politologe Gerhard Mangott, Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik und Georg Kapsch, Geschäftsführer Kapsch Group // Kapsch TrafficCom; Moderation Rudold Loidl - © Matthias Heschl

China als Moderator zwischen den Blöcken?

China würde gern vermitteln: Als Moderator zwischen dem Westen und Russland könnte die Volksrepublik ihre Weltmachtstellung ausbauen und auf internationalem Parkett glänzen. Könnte – wären da nicht innenpolitische Spannungen aufgrund der strengen Zero-Covid-Politik und dem Unmut der Chinesen, der sich nun immer häufiger regt.

Auch auf der Weltbühne sind einige Akteure nicht an einer Imagepflege der Volksrepublik interessiert - die USA ganz vorn. Auch Russland selbst wird einem moderierenden China nur wenig Beifall zollen, könnte es doch als kleinste der drei Mächte unter die Räder kommen und eigene Interessen gegen China und die USA nur schwer durchsetzen.

"I have a 1989-feeling"
Weigelin-Schwiedrzik über ein Gespräch in China.

Chinas Wirtschaft kühlt ab

Laut der Expertin beruht die chinesische Wirtschaft im Grunde auf drei Säulen: Dem Immobilienmarkt, dem Exportsektor und den staatlichen Investitionen.

Der Immobilienmarkt ist in den letzten beiden Jahren stark zurückgegangen, China hat aufgrund seiner staatlich verordneten Zero-Covid-Strategie große Schwierigkeiten im Export und die staatlichen Investitionen sind aufgrund der hohen Schulden im Zuge der Corona-Krise auf ein Minimum zurückgegangen.

Selbst staatliche Gehälter können wohl teilweise nicht mehr gezahlt werden. Die Arbeitslosenzahlen steigen - 250 Millionen Menschen könnten es im Ernstfall dieses Jahr werden. "Es rumort von unten und es gibt keine Führung von oben", so Susanne Weigelin-Schwiedrzik. Die Menschen werden auf die Straße gehen, ist sich die Expertin sicher. So wie 1989.

Zur Person: Susanne Weigelin-Schwiedrzik

Nach Studium der Sinologie, Japanologie und der Politischen Wissenschaften (1973-1978) in Bonn, Peking und Bochum Promotion im Fach Geschichte Chinas an der Ruhr-Universität Bochum 1982, Habilitation 1989. 1989-2002 Ordinaria für Moderne Sinologie an der Universität Heidelberg, dort Pro-Rektorin für Internationales 1999-2001. Seit 2002 Professorin für Sinologie an der Universität Wien, seit 2011 korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2011-2015 Vize-Rektorin für Forschung und Nachwuchsförderung an der Universität Wien.

Seit Oktober 2020 im Ruhestand. Forschungsaufenthalte an der Peking University (1980), University of California, Berkeley (1984-1985), Tsinghua University, Peking (1987), Kyoto University (1992), Hong Kong University of Science and Technology (1997), University of California, Berkeley (1999), Brandeis University (2005), Chinese Academy of Social Sciences (2014) und an der Chinese University of Hong Kong (2018).

Forschungsschwerpunkte: Chinesische Geschichte und Geschichtsschreibung im 20. Jahrhundert, Ostasiatische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Analysen zu Politik und Außenpolitik der VR China.

Susanne Weigelin Schwiedrzik
© Weigelin Schwiedrzik

Die besten Bilder vom Industriekongress 2022

Zum Event: der 23. Industriekongress

Der Krieg in der Ukraine, Lieferengpässe, das Gespenst der Stagflation und die Fragen nach der geopolitischen Macht prägen nicht nur das aktuelle Zeitgeschehen, sondern bedrohen freien Handel und Globalisierung.

Österreichs Industrie bleibt von diesen drastischen Entwicklungen nicht verschont. Die Verteuerungen von Energie und Rohstoffen, nicht enden wollende Pandemie und eine zunehmende Liquiditätsklemme für KMUs bieten genügend Zündstoff.

Gleichzeitig ermöglicht aber gerade der Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Energieproblematiken die einmalige Chance, das Thema der Klimakrise und Nachhaltigkeit zügig für den Industrie-Standort Österreich anzugehen.

Am 23. Juni 2022 fand der 23. Industriekongress im Wiener Hotel The Ritz-Carlton statt - und mit dabei waren hochrangige ExpertInnen aus Forschung und Industrie: Hans Joachim Schellnhuber, Gerhard Mangott, Karin Exner-Wöhrer, Gerald Grohmann, Robert Machtlinger und viele andere Speaker diskutierten über die Fragen unserer Zeit.