Automotive : Weniger Zulassungen: EU-Automarkt bremst sich ein
Insbesondere fehlende Halbleiter und gestörte Lieferketten machen es der Autoproduktion in der EU dieser Tage schwer. Und: eine Trendwende ist aktuell nicht in Sicht. In den ersten sechs Monaten sind die PKW-Neuzulassungen in der EU um 14 Prozent auf 4,61 Millionen zurückgegangen. In der Vorjahresperiode waren es noch 5,36 Millionen Neuzulassungen. In Österreich war der Rückgang der Neuwagenverkäufe mit 19,2 Prozent auf 108.606 Fahrzeuge (Vorjahresperiode: 134.396) noch stärker.
Im Juni sanken die Pkw-Neuzulassungen EU-weit um 15,4 Prozent auf 886.510 Fahrzeuge (Vorjahresmonat: 1,05 Millionen). Die heimischen Zulassungszahlen gingen in dem Monat um 12,7 Prozent auf 22.760 zurück (Juni 2021: 26.075).
Von den vier wichtigsten EU-Märkten war der Rückgang am stärksten auf dem deutschen Markt zu spüren, mit 18,1 Prozent weniger Neuzulassungen im Vergleich zum Vorjahresmonat, gefolgt von Italien (minus 15 Prozent), Frankreich (minus 14,2 Prozent) und Spanien (minus 7,8 Prozent).
Der Krieg in der Ukraine, der anhaltende Halbleitermangel und hochschnellende Rohstoff- und Energiekosten machten Autobauern in ganz Westeuropa - einschließlich der Länder der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA und Großbritannien - in der ersten Jahreshälfte zu schaffen. Am härtesten getroffen waren die Hersteller Volvo und Mazda, mit Rückgängen von 49,1 beziehungsweise 47,5 Prozent. Die deutsche Marke VW büßte 22,3 Prozent gegenüber dem Corona-geprägten Vorjahr ein. Bei BMW waren es minus 19,3 Prozent, bei der Opel-Mutter Stellantis minus 15,4 Prozent und bei Mercedes-Benz minus 2,2 Prozent. Frankreichs Renault wuchs im gleichen Zeitraum um 0,8 Prozent.
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Auslaufmodell Dieselfahrzeuge?
Wer sich ein neues Auto kaufen will, braucht derzeit einen langen Atem. Bei Neuwagen kommt es zu Wartezeiten von teils bis zu einem Jahr. Der Grund sind unter anderem Lieferprobleme, die aus Chipmangel resultieren. Die Branche ist derzeit mit einem ganzen Bündel an Problemen konfrontiert - von den Lockdowns in China über den grassierenden Rohstoffmangel, fehlende elektronische Bauteile bis hin zur Inflation und der drohenden Rezession.
Den stärksten Einbruch gab es bei Neuwagen mit Dieselantrieb. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 gingen diese um rund 29 Prozent zurück. Bei Benzinern betrug der Rückgang etwa 21 Prozent. Die Neuzulassungen von Autos mit Benzin-Hybrid brachen um 11 Prozent ein, jene mit Diesel-Hybrid gingen um 10 Prozent zurück. Auch bei reinen Elektroautos gab es einen Rückgang um 5,6 Prozent.
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Deutlich mehr als ein Drittel (38,4 Prozent) der neu zugelassenen Pkw waren mit einem alternativen Antriebssystem ausgestattet. Reine Elektroautos wurden insbesondere von juristischen Personen, Firmen und Gebietskörperschaften zugelassen, weniger von Privatpersonen. Unter den zehn wichtigsten Pkw-Marken blieb VW mit einem Anteil von 14,0 Prozent Marktführer.
Auch Neuzulassungen von Nutzfahrzeugen sinken stark
Ungebrochen ist der Trend zu Wohnmobilen, die zwischen Jänner und Juni um fast ein Fünftel zunahmen. Einbußen gab es hingegen am Nutzfahrzeugmarkt. Im ersten Halbjahr wurden rund zwei Drittel weniger Neuzulassungen von Lastkraftwagen Klasse N1 zugelassen. Hier ist zu berücksichtigen, dass es im ersten Halbjahr 2021 zu Vorziehzulassungen anlässlich der Änderung des Normverbrauchsabgabegesetzes gekommen ist. Ebenfalls weniger Zulassungen gab es bei Lkw Kl. N3 (minus 26 Prozent), land- und forstwirtschaftlichen Zugmaschinen (minus 10 Prozent) Sattelzugfahrzeugen (minus 3 Prozent) und Lkw Kl. N2 (1,2 Prozent).
Im April seien mit 125.034 Exemplaren um rund 27,1 Prozent weniger gewerblich genutzte Fahrzeuge neu zugelassen worden als im Vorjahresmonat, teilte der Branchenverband Acea mit. Seit Jahresbeginn verzeichnete der Verband damit um ein Fünftel weniger an Neuzulassungen als noch im Vorjahreszeitraum. Zwischen Jänner und April seien 536.408 Nutzfahrzeuge neu zugelassen worden.
Im April mussten die Hersteller in den vier Schlüsselmärkten Frankreich, Spanien, Deutschland und Italien abermals wie schon in den Vormonaten herbe Rückgänge hinnehmen. In allen Segmenten seien weniger Fahrzeuge neu registriert worden, hieß es. Besonders schlecht stand es dabei um die leichten Nutzfahrzeuge bis 3,5 Tonnen Gewicht, deren Neuzulassungszahl um 30,2 Prozent unter die 100.000er-Marke fiel. Vor allem in Spanien ließ das Interesse nach: Dort waren Fahrzeuge der Kategorie um 41 Prozent weniger gefragt. In Deutschland ging die Neuzulassungszahl um ein Drittel zurück.
In Österreich belief sich das Minus bei Nutzfahrzeugen unter 3,5 Tonnen sogar auf 62 Prozent. Insgesamt wurden um 55 Prozent weniger Fahrzeuge neuzugelassen.
Die CO2-Emissionen von allen neu zugelassenen Pkw (inklusive Elektro- und Wasserstoffantrieb) betrugen laut vorläufigen Daten (basierend auf dem WLTP-Testverfahren) 116,8 g/km (2021: 120,5 g/km). Bei neu zugelassenen Pkw mit Benzinantrieb wurde ein Durchschnittswert von 138,6 g/km (2021: 138,9 g/km), bei jenen mit Dieselantrieb ein Wert von 150,8 g/km (2021: 150,0 g/km) beobachtet. Damit liegen die durchschnittlichen CO2-Emissionen bei neuzugelassenen Autos noch deutlich über dem EU-Ziel von 95 g/km.
"Die Kunden wollen Autos kaufen, aber die Industrie kann nur eingeschränkt liefern."Reinhard Zirpel, Chef des Importeursverbands VDIK
Krieg und Inflation haben Automarkt im Griff
Der Materialmangel und die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine haben den deutschen Automarkt fest im Griff. "Das Problem mit der mangelnden Verfügbarkeit von Teilen ist so schnell nicht aus der Welt zu schaffen", sagte ein Branchenvertreter. Bis auf Mercedes-Benz und die Stellantis-Tochter Opel verbuchten alle großen deutschen Autobauer Verkaufsrückgänge.
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"Der Abwärtstrend auf dem deutschen Automobilmarkt verfestigt sich im laufenden Jahr immer mehr", sagte Reinhard Zirpel, Chef des Importeursverbands VDIK. Grund dafür seien die massiven, weltweiten Beeinträchtigungen der Lieferketten. Gleichzeitig erreichten die Auftragsbestände ein historisches Rekordniveau. "Das zeigt: Die Kunden wollen Autos kaufen, aber die Industrie kann nur eingeschränkt liefern."
Vor diesem Hintergrund müsse die Branche ihre Absatzziele für heuer überdenken, sagte ein Industrievertreter. "Es ist noch gar nicht absehbar, wo das Ende der Fahnenstange ist." In wirtschaftlich schwierigen Zeiten halten sich Käufer ohnehin mit größeren Anschaffungen zurück. Dieser Trend könnte sich nach Meinung von Branchenkennern durch die steigende Inflation noch verstärken.
Bei den Geschäftserwartungen sind die deutschen Autobauer dennoch deutlich zuversichtlicher als zuletzt. Das entsprechende Barometer des Ifo-Instituts kletterte im Mai auf plus 38,0 Punkte, nach minus 20,5 im April. Grund sind die höheren Verkaufspreise, die die Hersteller bei dem knappen Angebot durchsetzen können. Außerdem verkaufen sie mehr größere Fahrzeuge mit teurer Ausstattung. Das zeigt sich auch in den Zulassungszahlen. Demnach legten die Verkäufe von SUV und Fahrzeugen der Oberklasse zu, während Kompakt- und Kleinwagen deutlich weniger gefragt waren als vor Jahresfrist.
Die Produktion stieg laut VDA nach drei Rückgängen in Folge im Mai deutlich, weil mehr Fahrzeuge exportiert wurden. Der vergangene Monat hatte allerdings um zwei Arbeitstage mehr als 2021. Seit Jahresbeginn rollten insgesamt rund 1,4 Millionen Wagen aus den Fabriken der Autobauer, um 6 Prozent weniger. Damit habe das Produktionsniveau in den ersten fünf Monaten um mehr als ein Drittel unter dem Vorcoronajahr 2019 gelegen.
Der Teilemangel macht sich inzwischen immer stärker auch bei rein batteriegetriebenen Elektroautos bemerkbar. "Die Chipkrise ist längst im Elektrosegment angekommen und bremst dort die Produktion", sagte Autoexperte Peter Fuß von der Unternehmensberatung EY. Ein Ende der Krise sei nach wie vor nicht abzusehen. Er sprach von einem ganzen Bündel an Problemen, die den Autobauern und ihren Lieferanten zu schaffen machten - von den Lockdowns in China über den grassierenden Rohstoffmangel, fehlende elektronische Bauteile bis hin zur Inflation und der drohenden Rezession. Für die erhoffte Erholung am Neuwagenmarkt seien das denkbar ungünstige Rahmenbedingungen.