Weltmärkte : "Müssen rosarote europäische Brille abnehmen" – Torsten Philipp (Geislinger) über neue Globalisierung
Ins Auge kann es einem nicht springen, was die vier Vertreter der österreichischen Industrie verbindet. Doch Robert Machtlinger, Andreas Gerstenmayer, Robert Pollmann und Torsten Philipp, die zur Diskussion auf der Bühne Platz nehmen, haben eines gemeinsam. Sie alle haben Produktionen in China.
Beim 23. Industriekongress geht es – wen könnte es wundern – vorwiegend um die Themen Russland, Krieg und Energieversorgung. So wie diese drei Begriffe zusammenhängen, hängt auch China mit drin. Denn China, wie die vortragende Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik erklärt, wäre gerne der große Gewinner in diesem Konflikt. Ob dem Land das gelingen wird, ist derzeit allerdings mehr als fraglich.
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Chinas Ambivalenz im Russland-Ukraine-Konflikt ist allerdings bei weitem nicht der einzige Grund, warum das Land als Produktionsstandort österreichischen Unternehmen derzeit mitunter Kopfzerbrechen bereitet. Denn da wären schließlich auch die langen Lockdowns im Sinne der Zero-Covid-Strategie.
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Auch auf Pollmann, ein Familienunternehmen in der Automobilindustrie, hatte der jüngste Lockdown Auswirkungen. Auf dem zweitätigen Geschäftsführer-Meeting des Konzerns, so erzählt Unternehmenschef Robert Pollmann, war jener des chinesischen Standortes digital zugeschaltet. An sich nichts schlimmes, wäre es nicht exemplarisch für die derzeitige Situation. „China ist konkret abgenabelt“, so Pollmann.
Einen Monat lang hat das Unternehmen in dem Land nicht produzieren können. „Zwei Wochen lang hatten wir eine Closed-Loop-Production: Eine Schicht hat gearbeitet, die andere geschlafen.“
Bei FACC ist der Betrieb während des jüngsten Lockdowns zehn Tage stillgestanden. „Thema war vor allem, Teile rauszubekommen, weil die Containerschiffe in den Häfen standen“, erzählt Vorstandsvorsitzender Robert Machtlinger.
Die EU ist dabei so zahnlos.Robert Pollmann über die Chance der Nachhaltigkeit.
Chinesische Wirtschaft – labiler als gedacht?
Ähnlich und doch wieder ganz anders erging es dem Maschinenbauunternehmen Geislinger. Der chinesische Standort war vom aktuellen Lockdown zwar nicht betroffen, „aber aus dem Werk konnten wir nicht liefern“, so Managing Director Torsten Philipp. Der Grund: „Wir produzieren in China primär für China.“ Das Unternehmen machte in dieser Zeit also keinen Umsatz.
Die chinesische Produktion von AT&S hingegen stand die gesamte Pandemie lang insgesamt nur zehn Tage still, erzählt Vorstandsvorsitzender Andreas Gerstenmayer. Was möglicherweise auch daran liegen könnte, dass der Leiterplattenhersteller in einem Industriezweig daheim ist, der von China nicht nur geduldet, sondern sogar erwünscht ist – und nicht als Konkurrent gesehen wird, wie die anderen Unternehmen.
Doch auch abgesehen von Covid und Russland muss man sich fragen, wie es mit und in China weitergehen wird. Laut der Expertin Weigelin-Schwiedrzik beruht die chinesische Wirtschaft im Grunde auf drei Säulen: dem Immobilienmarkt, dem Exportsektor und den staatlichen Investitionen.
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Der Immobilienmarkt ist in den letzten beiden Jahren stark zurückgegangen, China hat aufgrund seiner staatlich verordneten Zero-Covid-Strategie große Schwierigkeiten im Export und die staatlichen Investitionen sind aufgrund der hohen Schulden im Zuge der Corona-Krise auf ein Minimum zurückgegangen.
Selbst staatliche Gehälter können wohl teilweise nicht mehr gezahlt werden. Die Arbeitslosenzahlen steigen – 250 Millionen Menschen könnten es im Ernstfall dieses Jahr werden. "Es rumort von unten und es gibt keine Führung von oben", so Weigelin-Schwiedrzik.
„Das chinesische Bildungssystem zielt auf Wiederholung ab, nicht auf Innovation."Robert Machtlinger
Wo steht Europas Industrie?
„China hat eine stark technologisch getriebene Strategie“, sagt Machtlinger. „Und verfolgt neben wirtschaftlichen Zielen natürlich auch militärische. Das merken wir, wenn es um Ressourcen geht – das Militär hat in China Vorrang.“ Aber ist das Land auch innovativ in seiner Strategie? „Das chinesische Bildungssystem zielt auf Wiederholung ab, nicht auf Innovation“, findet Machtlinger. Hoch Innovatives entstünde in Europa und den USA.
Wobei der Fokus in Europa mehr auf Technologie, Software und Elektronik gesetzt werden müsse, so der Vorstandsvorsitzender der FACC AG. Hier würden in Österreich noch die Schwerpunkte fehlen.
Auch Pollmann sieht Europa als innovativ an. „Wir haben eine starke Autoindustrie in Europa gehabt“, immerhin hole sie seiner Meinung nach gerade wieder auf. Eine wirkliche Chance sieht er beim Thema Sustainability. „Aber die EU ist dabei so zahnlos.“ Es würde nur schwieriger dadurch, dass verschiedene Länder verschiedene Interessen verfolgen.
„Viele Chancen liegen auf dem Tisch“, sagt auch Torsten Philipp. Um Europa in eine „Position der Stärke“ bringen zu können, müsse man sich einige Fragen stellen, etwa: „Was bedeutet eine Abkehr von fossilen Energien? Was brauchen wir in Zukunft?“ China habe das – nur unter anderem – im Bereich Schiffbau bereits geschafft.
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Was die vier Industrie-Player noch gemeinsam haben: Sie alle haben in den letzten 30 Jahren massiv vom Abbau von Grenzen und Zöllen profitiert. Doch wie wird es gerade hier weitergehen?
Ein Ende der Globalisierung sieht Gerstenmayer nicht am Horizont. Aber „eine andere Art der Globalisierung.“ Physische Warenströme mögen künftig lokaler verlaufen, aber eine zunehmend digitale Welt stehe erst am Anfang einer Globalisierung. „Das lässt sich auch gar nicht aufhalten“, meint Gerstenmayer. „Wir sehen, wie resilient die Wertschöpfungskette ist, wenn sie globalisiert ist.“
Auch Torsten Philipp glaubt eher an eine neue Epoche der Globalisierung – eine mit neuen Spielregeln. „Wir müssen vielleicht die rosarote europäische Brille abnehmen“, sagt der Managing Director von Geislinger mit einem leichten Schmunzeln. „Der Wandel durch Handel war eine hübsche, romantische Geschichte.“