Industriekonjunktur : Geislinger-Chef Torsten Philipp: "Nicht bloß ein Strohfeuer"
INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Philipp, Sie sind ein Heimkehrer, arbeiteten bei Geislinger zehn Jahre in verschiedenen technischen Positionen, ehe Sie nach einer Zwischenstation bei AVL in Deutschland im April 2020 in die Geislinger-Geschäftsführung einzogen. Zu dem Zeitpunkt war an ein normales Tagesgeschäft schon nicht mehr zu denken, oder?
Torsten Philipp: Wir fielen nicht in Schockstarre. Aber wir haben doch sicherlich mehr Zeit mit der Bewältigung der Covid-Krise verbracht als uns lieb war. Seit Jahresbeginn hat die Konjunktur merklich angezogen. Speziell auf den außereuropäischen Märkten. China ist ein Riesentreiber. Dort laufen die Geschäfte wie vor Ausbruch der Pandemie. Auch der amerikanische Markt ist zurück. Die Binnenkonjunktur dieser Märkte beflügelt.
Und ausgehend von Amerika und China erleben wir einen gewaltigen Effekt auf die globale Konsumwirtschaft. Die kommerzielle Schifffahrt hat sich in den vergangenen Jahren nur schwach entwickelt. Aber die Transport- und Marinemärkte ziehen massiv an. Nicht erst, seit im Suezkanal ein Schiff in Seenot geriet.
Bekommen denn die internationalen Reedereien überhaupt das nötige Kleingeld für Investitionen zusammen?
Philipp: Viele stehen seit mehreren Jahren auf der Investitionsbremse, das stimmt. Doch jetzt ist der Knoten geplatzt. Viele Reedereien verdienten - auch dank staatlicher Maßnahmen zur Stützung des Konsums - zuletzt nicht schlecht. Jetzt werden dringend nötige Bestellungen für die Verschiffung von Containern und Energieträgern wie Flüssiggas, die aufgeschoben wurden, nachgeholt. Nach mindestens drei Jahren Investitionsstau ist das jetzt kein Strohfeuer. Große Teile unseres Aufschwungs im Segment Marine werden von dieser Auftragsflut getragen. Es gilt nun, Treibstoffe und andere Güter auf den globalen Seefahrtsrouten zu transportieren .
Wie ist es um die Investitionsfreude in den anderen Segmenten bestellt?
Philipp: Auch im Bahnbereich ziehen die Abrufe an. Und die flächendeckende Bereitstellung von grüner Energie in Industrie- und Schwellenländern, die vor allem durch Windenergie und Fotovoltaik getrieben ist, wird uns - so schwierig eine Prognose aus heutiger Sicht ist - wohl zurück auf unser Niveau 2019 führen. Die Chancen stehen gut, das zu schaffen. Die Segmente Transport und Energie werden dazu maßgeblich beitragen.
Geislinger entwickelt und produziert Kupplungen, Wellen und Drehschwingungsdämpfer für Großmotorenbauer und Werften sowie für die größten Offshore-Windanlagen der Welt. Dafür unterhält man ein globales Fertigungsnetz. Neben den großen heimischen Produktionen in Hallwang und Bad St. Leonhard produziert man in Suzhou, Kobe, Battle Creek und Busan. Strategische Kernkomponenten kommen aus Österreich, der Rest erfolgt häufig vor Ort. Wie belastbar ist ein solches internationales Netzwerk in einer Pandemie?
Philipp: Wir konnten Kapazitätsspitzen gut ausbalancieren. Das ist ein Verdienst unserer sehr penibel geschaffenen lokalen Strukturen. Jeder Standort folgt einer Bestimmung. Busan ist ein Hotspot für die Schifffahrt. Dort fertigen wir sehr große Teile, ein Vorteil in der Logistik. Covid-19 hat daran nichts geändert. Folglich gab und gibt es keinen Plan, zurückzufahren oder im großen Stil Volumen zu verlagern.
In den Werken außerhalb Europas beschäftigen Sie rund 100 Leute. Kamen Sie dort ohne personelle Einschnitte über die Runden?
Philipp: Japan ist primär ein kleiner Servicehub, da blieb alles beim Alten. Im amerikanischen Werk gab es personell etwas höhere Anpassungen, was jedoch der hohen Fertigungstiefe geschuldet ist. Dort arbeiten wir mit großer Produktionsmannschaft. Eine solche muss atmen, wenn die Umfänge schwanken. Aber das waren keine Einschnitte, die den Standort gefährden.
Vor einem Jahr wurde von der Geschäftsführung der Abbau von 120 Stellen am Produktionsstandort Bad St. Leonhard angekündigt. Dazu kam es dann doch nicht, man setzte stattdessen auf Kurzarbeit. Blieb es dabei?
Philipp: Wir rangen nach einer Lösung. Wir setzten auf Kurzarbeit und konnten im Kärntner Werk das Stammpersonal trotz der wirtschaftlichen Verwerfungen großteils halten. Durch Maßnahmen wie Bildungskarenz, Job Rotation und Frühpensionierungen konnten wir den erwartet tiefen Einschnitt abwenden und die Anpassungen merklich unter der von Ihnen genannten Zahl halten. Wir hielten Kollegen aus Kärnten, indem wir sie teils im Salzburger Werk beschäftigten. Wir haben jetzt 600 Mitarbeiter in beiden heimischen Werken, die das Herzstück des Unternehmens sind. Ich will uns nicht zu sehr loben, aber ich bin überzeugt, dass wir uns ohne signifikante Abgänge beim Kernpersonal so aufgestellt haben, um vor dem Aufschwungsjahr keine Angst haben zu müssen.
Die Pandemie kam auch insofern zur Unzeit, als Geislinger das Kärntner Werk gerade um 15 Millionen Euro erweitert. War es eine Option, den Ausbau zu kappen?
Philipp: Management und Eigentümervertreter sind von der Erholung des Markts überzeugt und waren das auch vor einem Jahr. Also haben wir uns gegen eine Notbremse entschieden. Natürlich auch, weil ein einmal begonnenes Bauvorhaben nur mit Schmerzen zu stoppen ist. Aber der Charme des Ausbaus bleibt. Mit den zwei neuen Fertigungsflächen können wir die Produktion entflechten. Wir schaffen Platz für die Fertigung von Wellen aus Faserverbundwerkstoffen, die einem anderen Materialfluss unterliegen. Deshalb wird jetzt genau so gebaut, wie wir es schon 2015 geplant hatten.
Bei der digitalen Verkettung von Prozessen und Maschinen galten die heimischen Geislinger-Werke schon vor einem Jahrzehnt als Vorreiter. Das ist nicht dem Zufall geschuldet, oder?
Philipp: Wir nehmen die digitale Transformation ernst. Das schließt die effiziente Nutzung von Maschinendaten nach innen ein. Und auch die Verkettung der Produktion über Werke. Die Warenflüsse sind so viel besser abgestimmt. In Hallwang wird nicht nur gespiegelt produziert, was in Kärnten produziert wird. Wir haben am Stammsitz auch die Endassemblierung und Qualitätsprüfung, die Wertschöpfungskette ist voll digital abgebildet. Das rührt sicher aus der DNA des Unternehmens. CEO Cornelius Geislinger will immer einen Schritt voraus sein. Er ist der personifizierte Treiber.
Als Hersteller von Antriebslösungen unterhält das Unternehmen mittlerweile auch einen Geschäftsbereich Digitalisierung, es gibt die Geislinger-Cloud. Ein Appendix, ohne den es nicht mehr geht?
Philipp: Wir entwickelten uns zum Lösungsanbieter. Monitoringlösungen werden bei der Vergabe von Schiffsaufträgen heute schlagend. In der Windkraft und anderen Anwendungsfeldern drehmomentübertragender Produkte wie großen Kupplungen und Dämpfern für Hilfsaggregate genau dasselbe Bild. Etwa auch, um die Kontrolle über die Geräuschkulisse einer Anwendung zu behalten.
Geislinger stattet auch kommerzielle Luxusyachten aus. Dort ist das Gehör vermutlich noch einmal feiner ausgeprägt?
Philipp: Einmal beanstandete ein Eigner einer Yacht zu lauten Motorenlärm beim Tennisspiel an Deck. Der Sportplatz war über dem Motorraum angelegt. Das sind natürlich Luxusprobleme. Die für Ingenieure freilich sehr spannende Herausforderungen bergen. Aber wenn sie auf den möglichen Kontakt zur Welt der Schönen und Reichen anspielen: Den gibt es so kaum. Unsere Partner sind die Werften. Und da spricht man von Ingenieur zu Ingenieur.
Und wohl immer öfter über Daten. Wird Geislinger zum Betreiber einer Datenraffinierie?
Philipp: Wir begehen sicherlich nicht den Fehler, nur Daten bereitzustellen und das zu einem festen Marktpreis und ohne klaren USP. Es gilt, für jede Lösung, ob Schifffahrt oder Stromerzeugung aus Windkraft, die Anforderungen neu zu diskutieren und werthaltige Produkte auf Basis der Nutzung von Felddaten zu entwickeln. Case by Case. Nur so werden wir mit digitalen Services nachhaltig wachsen.
Mit Adrian Geislinger, Sohn von Cornelius Geislinger, ist seit dem Vorjahr die vierte Generation im Unternehmen tätig. Er soll den Bereich Digitale Services entwickeln.
Philipp: Mit seiner exzellenten wirtschaftlichen Ausbildung und seinen neuen Ansätzen als Digital Native ist Adrian genau der richtige für den Job.
Ein Projekt, gewichtsparende Carbonflügel (sog. Foils) fürs Kitesurfen, trägt maßgeblich seine Handschrift. Wie kam das?
Philipp: Was als Idee, von Adrian Geislinger mit der nötigen Vehemenz und Hartnäckigkeit verfolgt, zunächst in den Aufbau eines Inhouse-Startups mündete, ist heute eine vollwertige Entwicklung und Produktion von Carbonflügel im Werk Kärnten. Ein tolles Projekt. Wir lernen jeden Tag daraus.