Wasserkraft dominiert vor Windkraft und Fotovoltaik : So stemmt Österreich die Energiewende
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Im Jahr 2030, so steht es jedenfalls im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, soll Österreich seinen Strombedarf bilanziell zur Gänze aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse decken. 2021 wurde das Gesetz beschlossen, 2023 stammten bereits 87 Prozent der Erzeugung aus grünen Quellen – eine beeindruckende Zahl.
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Daraus zu schlussfolgern, Österreich wäre von dem für 2030 proklamierten Ziel nur noch läppische 13 Prozent entfernt stimmt dennoch nicht. Denn die fortschreitende Dekarbonisierung sämtlicher Lebensbereiche wird in den nächsten Jahren den Strombedarf massiv ansteigen lassen. 27 TWh an zusätzlicher Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen muss die Energiewirtschaft daher bis 2030 schaffen, damit das Ziel der bilanziellen Klimaneutralität bei Strom erreicht wird.
Doch was bedeutet das konkret? Wie weit weg sind diese 27 TWh? Michael Strugl kennt diese Frage, sie wird ihm immer wieder gestellt. Denn der VERBUND-CEO ist zugleich auch Präsident von Oesterreichs Energie, der Vertretung der österreichischen Energiewirtschaft, in der alle großen und die meisten kleinen und mittleren Player der Branche zusammengeschlossen sind. „Derzeit“, sagt er, „stehen wir, was die Projekte der Mitglieder von Oesterreichs Energie betrifft, bei rund 14 TWh, also bei rund der Hälfte des nötigen Ausbaus. Das ist eine gute Bilanz. Allerdings sind nicht alle diese Projekte bereits in der Errichtung, viele befinden sich noch in Planung oder Konzeption.“
„Ganz grundsätzlich wünsche ich mir vor allem mehr Pragmatismus. Denn nur so werden wir bei der Energiewende auch schneller in die Umsetzung kommen, anstatt ständig über Zielerhöhungen zu diskutieren.“Michael Strugl, Präsident von Oesterreichs Energie, CEO VERBUND
Energiewende Österreich: Wasserkraft dominiert
Aufgeteilt auf die einzelnen Technologien ergibt sich ein recht differenziertes Bild. Bei Wasserkraft ist Österreich aktuell auf einem Weg, der die Erreichung der Ziele von 2030 ohne größere Hürden ermöglichen sollte. Von den geplanten 5 TWh an zusätzlicher Erzeugung sind 2,4 TWh bereits in Betrieb oder in Bau, für weitere 2,7 TWh gibt es konkrete Planungen. Wasserkraft stellt allerdings die in Österreich am stärksten ausgebaute Form der erneuerbaren Energie dar, die Zubau-Ziele bis 2030 sind mit 5 TWh hier daher relativ niedrig angesetzt. Bei Windkraft und Photovoltaik betragen sie mit 10 TWh bzw. 11 TWh deutlich mehr. 1 TWh sollen überdies aus biogener Masse kommen.
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Vor allem bei Windkraft reicht das aktuelle Wachstum nicht aus, um den geplanten Ausbau zu gewährleisten. Bei Photovoltaik wiederum gibt es einen großen Unterschied zwischen den meist privaten Anlagen, die auf Dächern errichtet werden, und großen Freiflächenanlagen. Bei den ersten ist der Zuwachs derzeit immens: Von den österreichweit installierten rund 6 GWp Photovoltaik-Strom wurde ein Drittel erst im vergangenen Jahr installiert. Bei Freiflächenanlagen tut sich hingegen wenig, nicht zuletzt, weil Zonierungen fehlen.
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„Wir sind auf dem Weg zur Erreichung der Ziele 2030, ob es sich tatsächlich ausgehen wird, kann man aus heutiger Sicht nicht sagen“, urteilt daher Strugl. Das liege auch daran, dass der Ausbau der Kapazitäten nur die halbe Miete sei. Die zweite Hälfte ist der Ausbau der Infrastruktur. „Wir brauchen stärkere Netze und dazu mehr Flexibilität, also vor allem Speicher.“ Und eine Reihe von Investitionen. Allein in das Stromsystem müssen, damit die Ziele für 2030 erreicht werden, rund 60 Milliarden Euro fließen.
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„Oberösterreich ist das Industrieherz Österreichs. Unsere Aufgabe ist es, die Infrastruktur für die grüne Transformation bereitzustellen.“Leonhard Schitter, CEO Energie AG
Flexibilität als Schlüssel zur Energiewende
Flexibilität ist dabei der Schlüsselfaktor. Schon heute schafft es Österreich an Tagen mit viel Sonne und Wind, Strom zu exportieren. Während der sogenannten Dunkelflaute, also vor allem im Winter, muss aber nach wie vor massiv importiert werden. Und: Weil die Speichermöglichkeiten fehlen und die Netze punktuell immer wieder an ihre Belastungsgrenzen kommen, verursacht die Verteilung des Stroms zwischen Produzenten und Verbrauchern immer höhere Kosten. „Wir müssen zunehmend in das System eingreifen“, bestätigt Gerhard Christiner, technischer Vorstand beim Verteilnetzbetreiber APG.
Der Ausbau von großtechnischen Speicherkapazitäten, die überschüssigen grünen Strom aufnehmen können, um ihn abzugeben, wenn Wind und Sonne schwach sind, wird in Zukunft für das Gelingen der Energiewende daher zentral sein.
Dementsprechend ambitioniert nehmen sich die Speicher-Projekte der einzelnen österreichischen Energieversorger aus. Stefan Szyszkowitz, Vorstandssprecher des niederösterreichischen Energieversorgers EVN, berichtet: „EVN geht diese Frage auf verschiedenen Wegen an: vom geplanten Ausbau der Pumpkapazitäten im Kraftwerk Ottenstein über Speicherprojekte wie das `Underground Sunstorage`, die die Möglichkeit bieten, Überschussstrom in Wasserstoff zu verwandeln und in unterirdischen Lagerstätten zu speichern, bis hin zu Großbatterieprojekten.“
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Auch Oberösterreich will sich in den nächsten Jahren unter anderem besonders dem Speicherthema widmen: „Oberösterreich ist das Industrieherz Österreichs. Unsere Aufgabe ist es, die Infrastruktur für die grüne Transformation bereitzustellen“, erklärt der CEO der Energie AG Leonhard Schitter. „Dazu gehört der Ausbau der Erneuerbaren und der Netze, aber auch der Speicherinfrastruktur. Das Pumpspeicherkraftwerk Ebensee wird die grüne Batterie Oberösterreichs sein und mit 451 Millionen Euro die größte Einzelinvestition in der Geschichte der Energie AG.“
„Wir gehen die Frage der Speicher auf verschiedenen Wegen an: vom Ausbau der Pumpkapazitäten, über die Möglichkeit, Überschussstrom in Wasserstoff zu verwandeln, bis hin zu Großbatterieprojekten.“Stefan Szyszkowitz, Vorstandssprecher EVN
Effizienzgewinne durch neue Technologien
Derzeit sind in Österreich im Bereich der Speicher- bzw. Pumpspeicher Anlagen mit einer Leistung von 8,9 GW in Betrieb. Für einen Ausbau auf rund 16 GW liegen bereits Konzepte und Pläne vor. Sie fokussieren weniger auf den Bau neuer Anlagen, obwohl es auch solche Projekte gibt, sondern vor allem auf den Ausbau und die Modernisierung bestehender Wasserkraftwerke, und zwar sowohl was Speicherfähigkeit als auch Erzeugung betrifft.
„Durch den Einsatz moderner Maschinen lassen sich Effizienzgewinne von bis zu fünfzig Prozent und mehr erzielen. In Zeiten, in denen der Netzstabilisierung aufgrund des hohen Anteils an volatiler Energie eine immer größere Bedeutung zukommt, sind diese Steigerungen ein essentieller Punkt für die zukünftige Versorgungssicherheit“, sagt Karl Heinz Gruber, Vorstand der VERBUND Hydro Power und zugleich Spartensprecher Erzeugung bei Oesterreichs Energie.
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Rund 3.000 Wasserkraftwerke existieren in Österreich. Damit bleibt die Wasserkraftwerk nach wie vor das Rückgrat der Energiewirtschaft. Zugleich arbeitet die Branche natürlich auch an neuen Projekten. Aus Industriesicht sind dabei vor allem Vorhaben zur Produktion von grünem Wasserstoff interessant. Denn grüner Wasserstoff bietet eine Möglichkeit, industrielle Prozesse zu dekarbonisieren, die nach dem aktuellen Stand der Technik nicht oder noch nicht elektrifizierbar sind.
„Jeder Euro, der in die Wasserkraft investiert wird, löst über vier Euro an Wertschöpfungsbeitrag aus, wovon rund zwei Drittel in Österreich bleiben.“Karl Heinz Gruber, Geschäftsführer VERBUND Hydro Power
Kann Österreich Wasserstoff?
Um eine funktionierende Infrastruktur für grünen Wasserstoff zu schaffen, hat Österreich gute und schlechte Voraussetzungen zugleich. Denn einerseits gehört Österreich nicht nur bei Pumpspeichern, sondern auch bei Gasspeichern zu den technologisch führenden Ländern. „Aktuell gibt es bei uns daher viel Forschung, die sich damit beschäftigt, wie grünes Gas in Zukunft in Kavernen gespeichert werden kann, in denen bisher Erdgas gespeichert wurde“, erklärt Michael Strugl.
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Andererseits fehlt noch weitgehend ein Plan für eine Infrastruktur, die den Transport von grünem Wasserstoff Transport ermöglicht. Deutschland ist diesbezüglich weiter. Dort hat man bereits mit der Planung eines Wasserstoff-Kernnetzes begonnen. Die Zurückhaltung, die beim Thema grüner Wasserstoff zu spüren ist, hat laut Experten freilich auch damit zu tun, dass es derzeit noch keinen Markt für diesen Energieträger gibt. Investitionen gelten daher nach wie vor als schwierig.
Andererseits eröffnet aber gerade grüner Wasserstoff beachtliche Chancen. Denn während in vielen Feldern der Energiewende die Frage der Technologieführerschaft bereits entschieden, ist das bei grünem Wasserstoff noch nicht der Fall. Hier hat Europa nach wie vor die Möglichkeit, eine führende Rolle zu übernehmen.
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Dass sich frühes Engagement lohnt, hat Österreich bereits bei der Wasserkraft erlebt. Österreichische Unternehmen aus dem Bereich der Wasserkrafttechnik sind heute international nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil viele Technologien, die inzwischen weltweit Anwendung finden, zunächst vor Ort in Österreich eingesetzt und getestet werden konnten. „Heute löst jeder Euro, der in die Wasserkraft investiert wird, über vier Euro an Wertschöpfungsbeitrag aus, wovon rund zwei Drittel in Österreich bleiben“, weist Karl Heinz Gruber auf die positiven Folgen hin, die Technologieführerschaft mit sich bringt.
Bewegung bei Rahmenbedingungen
Ob Österreich das Ziel einer zu hundert Prozent grünen Stromversorgung bis 2030 und der Klimaneutralität bis 2040 schafft, hängt aber nicht nur von Know-how und Wandlungsbereitschaft ab, sondern auch davon, wie gut die rechtlichen Rahmenbedingungen eine rasche Umsetzung der entsprechenden Projekte erlauben. Positiv stimmt die Branche, dass in manche wichtige Gesetzesvorhaben zuletzt Bewegung gekommen ist, vor allem in das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG).
„Das ElWG ist die Bibel der Elektrizitätswirtschaft, die uns zeigt, welche rechtlichen Rahmenbedingungen wir haben, um die grüne Wende Wirklichkeit werden zu lassen“, umfasst Leonhard Schitter die Bedeutung des Gesetzes. Nun bleibe zu hoffen, dass es nach der abgeschlossenen Begutachtung bald verabschiedet wird.
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Ein Wunsch, dem sich auch Michael Strugl anschließt: „Das neue ElWG liefert die rechtliche Grundlage für eine umfassende Transformation des Stromsektors, deshalb wäre es sehr wichtig, dass es noch in dieser Legislaturperiode beschlossen wird.“ Ebenso dringend sei aber auch das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz, das für schnellere Bewilligungen von Erneuerbaren-Projekten sorgen soll.
In der Sache beurteilt die Branche viele Regelungen des ElWG durchaus positiv, darunter die Definition von Pumpspeicherkraftwerken als netzdienlich oder auch die Regelungen zur Spitzenkappung, die es erlauben, mehr PV-Anlagen ans Netz zu bringen. „Nicht abgebildet ist im Entwurf des ElWG leider ein Preisanpassungsmechanismus, der automatische Rechtssicherheit schafft“, bedauert Leonhard Schitter. Hier, findet er, wäre es sinnvoll gewesen, klare Umstände zu definieren, unter denen Preisanpassungen vorgenommen werden können und auch Indices festzulegen, nach denen die Anpassungen erfolgen können.
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Michael Strugl, hat indessen abseits aller rechtlichen und organisatorischen Fragen auch noch einen sehr allgemeinen Wunsch, der, wie er meint, massiv zum Gelingen der grünen Transformation beitragen könnte: „Ganz grundsätzlich wünsche ich mir vor allem mehr Pragmatismus. Denn nur so werden wir bei der Energiewende auch schneller in die Umsetzung kommen, anstatt ständig über Zielerhöhungen zu diskutieren.“