Auto-Industrie : So baut VW-Chef Oliver Blume die Software-Tochter Cariad um

Oliver Blume räumt bei Cariad auf: Die Entwicklung der konzerneigenen Software ist wichtig für die Margenbringer der Volkswagen AG - insbesondere Audi und Porsche
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Oliver Blume räumt bei Cariad auf: Die Entwicklung der konzerneigenen Software ist wichtig für die Margenbringer der Volkswagen AG - insbesondere Audi und Porsche
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Europas größter Autobauer Volkswagen baut seine IT-Tochter Cariad von Grund auf um. Wie das Handelsblatt aus Konzernkreisen erfuhr, ist neben einem Wechsel an der Spitze auch eine Neuordnung der Arbeitsabläufe geplant.
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Demnach ist geplant, dass Cariad-Chef Dirk Hilgenberg sowie die Geschäftsführer Lynn Longo (Technik) und Thomas Sedran (Finanzen) ihre Posten räumen. Den Kreisen zufolge wird derzeit mit den drei Managern über einen Wechsel in andere Bereiche der VW-Welt gesprochen. Einzig Personalvorstand Rainer Zugehör soll den Plänen zufolge bleiben.
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Neuer Cariad-Chef soll der bisherige Vorstand der britischen Edelmarke Bentley, Peter Bosch, zum 1. Juni werden. Darüber hinaus ist die Berufung von zwei Technikern in den Vorstand geplant, die zu gegebener Zeit benannt werden sollen. Der Cariad-Aufsichtsrat will über die Veränderungen am heutigen Montag entscheiden. Zu den Personalien wollte sich das Unternehmen nicht äußern.
Cariad muss sparen
Ziel des Umbaus ist die rechtzeitige Fertigstellung einer dringend benötigten Software. Sonst drohen sich die Markteinführungen der wichtigen Elektromodelle Audi Q6 E-Tron und Porsche Macan weiter zu verzögern. Milliardenverluste in der Konzernbilanz wären die Folge.
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Konzernvorstand Oliver Blume hat mit einem kleinen Team die Problemlage bei Cariad analysiert und Wege für eine Neuausrichtung aufgezeigt. Bereits im Januar hatte Blume im Handelsblatt für Cariad „eine Neuausrichtung, bei der wir tief in die Organisation hineinleuchten“ angekündigt. Bei Cariad soll in diesem Jahr ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag eingespart werden.
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Cariad-Probleme führten zum Rauswurf Herbert Diess
Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Herbert Diess hatte Cariad 2020 ins Leben gerufen. Ziel ist es, die Entwicklung der Software-Architekturen für die verschiedenen Fahrzeuge der Konzernmarken zentral in einer Hand zu bündeln. Die Leistungsfähigkeit der Betriebssoftware spielt im Zuge der Digitalisierung eine entscheidende Rolle.
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Wiederholte Verzögerungen bei der Entwicklung hatten jedoch vor rund einem Jahr zur Entlassung von Diess geführt. Ihm folgte Anfang September 2022 Porsche-Chef Oliver Blume, der den Konzern seither in Personalunion führt und bei Porsche bleibt. Bei Cariad ist Blume als Vorsitzender des Aufsichtsrats der oberste Kontrolleur der Software-Einheit.
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Wie sein Vorgänger hält Blume die Idee der Verselbstständigung von Cariad für richtig. Doch die Ausgestaltung ist auch aus Sicht des VW-Chefs mangelhaft. „Ich halte es für die absolut richtige Entscheidung, die Softwarekompetenz an einer Stelle im Konzern zu bündeln“, sagte der Topmanager im Januar dem Handelsblatt.
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Für Peter Bosch als neuen Cariad-Chef spreche, so heißt es in Konzernkreisen, dass er bereits eine führende Rolle bei der künftigen Aufstellung von Cariad mit seinen knapp 6.000 Mitarbeitern gespielt habe. Zudem, so eine mit den Vorgängen vertraute Person, habe er bei Bentley gezeigt, dass er Veränderungsprozesse erfolgreich umsetzen könne.
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Ohne Details zu nennen, kündigte er damals bereits einen tief greifenden Umbau der Einheit an. Im Unternehmen und in Branchenkreisen war immer wieder offen über ein Ausscheiden Hilgenbergs als Cariad-Chef spekuliert worden. Hilgenberg war von BMW gekommen und galt als Wunschbesetzung des damaligen VW-Vorstandsvorsitzenden Diess. Die Abberufung von Hilgenberg ist damit auch ein Symbol für die strategische Neuausrichtung des Konzerns, die Blume derzeit auf den Weg bringt.
5-Punkte-Plan
Entscheidend für den Neuanfang bei Cariad seien fünf Elemente, sagte ein eingeweihter Manager. Neben dem Führungswechsel, der gerade vollzogen wurde, gelte es, die Konzerntochter umzustrukturieren, die Technologiepartnerschaften auszubauen, die Abstimmung mit den Marken des Konzerns und eine klare Definition dessen, was die Softwarelösungen leisten müssen.
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Vor allem die Fertigstellung der Software-Architektur 1.2 ist entscheidend für den Erfolg des Konzerns und seiner Margenbringer Audi und Porsche. Sie soll das Herzstück der neuen Elektro-Premiumfahrzeuge Audi Q6 E-Tron und Porsche E-Macan werden, die erstmals auf einer neuen elektrischen Technologieplattform basieren.
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Wie aus Konzernkreisen verlautete, sollen die Fehler im System behoben und das Betriebssystem bis Ende des Jahres einsatzbereit sein. Für den Produktionsstart der beiden Modelle im kommenden Jahr ist dies dringend erforderlich. Ursprünglich war die Markteinführung für 2022 geplant. „Eine weitere Verschiebung wird es aus heutiger Sicht nicht geben“, hieß es.
Für die als Nachfolger der 1.2er-Architektur geplante Einheitssoftware 2.0 soll bis Jahresende definiert werden, was das System letztlich leisten muss. VW will damit eine neue Ära einläuten, in der sich Autos autonom durch den Verkehr bewegen.
Anzahl der Cariad-Mitarbeiter wird steigen
Konzernchef Blume hatte die Einführung der Software für die zweite Hälfte des Jahrzehnts in Aussicht gestellt, nach letzten Informationen ist das Releasejahr 2028. Auf die neue Architektur 2.0 sollen künftig auch einzelne Komponenten der Version 1.2 übertragen werden. Bis zum jetzigen Zeitpunkt steht das System jedoch nur in Fragmenten zur Verfügung.
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Im vergangenen Jahr ist der Verlust von Cariad auf mehr als zwei Milliarden Euro gestiegen, wie aus dem Geschäftsbericht hervorgeht. Nun ist es normal, dass Softwareeinheiten für Autokonzerne keine Profitcenter sind: Sie sind Investitionsfelder. Mit 429 Millionen Euro ist der Verlust im ersten Quartal aber schon wieder leicht gestiegen. Als Gegenmaßnahme soll Cariad nach Angaben aus Konzernkreisen in diesem Jahr zwischen 300 und 500 Millionen Euro einsparen.
Die Umstrukturierung bedeutet eine erhebliche Veränderung für die Mitarbeiter von Cariad. Wie aus Kreisen verlautete, ist ein Personalabbau im Zuge der Umstrukturierung bislang aber nicht geplant. Im Gegenteil: Um zu Konkurrenten wie Tesla, aber auch zu neuen chinesischen Anbietern aufzuschließen, brauche VW mehr Software-Know-how. Bei Cariad sollen deshalb in diesem Jahr 1200 neue Mitarbeiter eingestellt werden. „Wir haben aber keinen Mangel an Ressourcen, sondern ein Problem bei unseren Prozessen“, sagt ein beteiligter Manager. Rund 6000 Mitarbeiter beschäftigt Cariad derzeit weltweit. Die Zahl der Mitarbeiter in China soll von 900 auf 1.200 steigen.
„Für viele ist Cariad ein Fremdkörper, auch weil sich deren Leute als das neue Zentrum von VW sehen“VW-Markenmanager
Ziel: IT-Verzahnung der Marken
Beheben will Blume auf diesem Weg einen weiteren Missstand: Bislang ist die Verzahnung der IT-Einheit mit den Marken des Konzerns (Audi, Porsche, Seat, Skoda, VW) unzureichend, was immer wieder Anlass für Konflikte ist. „Für viele ist Cariad ein Fremdkörper, auch weil sich deren Leute als das neue Zentrum von VW sehen“, so ein Markenmanager.
Der von Herbert Diess einst ausgegebene Marschbefehl hat diese Haltung befördert. Demnach sollte sich die Entwicklung eines neuen Automodells an der Software des jeweiligen Modells orientieren. Das sei nicht mehr der Fall, so der Tenor im Konzern. Entscheidend sei vielmehr, wie das jeweilige Automodell auf den Markt komme.
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Ein Manager sagte, das Inseldasein der IT-Sparte müsse ein Ende haben. Ziel sei eine engere Verzahnung von Cariad mit den Marken. Ein zukunftsfähiges Betriebssystem und ein digitales Umfeld für den Kunden seien für Audi, Skoda, Porsche, Seat und VW erfolgsentscheidend. „Wie sehr dies gilt, zeigt sich in China“, sagte der Manager.
Mit dem Einstieg bei Cariad wird die Arbeitsteilung aus Sicht des VW-Managements glatter. Cariad ist für die interne Entwicklung der Betriebssysteme zuständig, die Marken sind für die Zusammenführung der Elemente verantwortlich. „Die Zusammenarbeit muss erheblich verbessert werden“, hieß es aus dem Konzern.
Zahlreiche Allianzen geplant
In der Volksrepublik hatte die Kernmarke von Volkswagen zuletzt ihre Position als Marktführer an den chinesischen Hersteller von Elektroautos BYD verloren. Im ersten Quartal setzten die Deutschen in China nur noch 21.000 Elektroautos ab - ein Viertel weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
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Um den Rückstand im Elektrosegment aufzuholen, will VW künftig verstärkt in China für China entwickeln. Um das zu erreichen, hat Cariad kürzlich beschlossen, ein neues Infotainment-Joint-Venture in dem Land zu gründen. Chinesische Autokäufer legen großen Wert auf einen hohen Grad der Vernetzung ihrer Fahrzeuge mit Diensten, die sie von ihrem Smartphone her kennen. Lokale Wettbewerber wie BYD oder Nio haben hier aber gerade in China die Nase vorn.
Um Kosten zu sparen und das Entwicklungstempo zu erhöhen, will Konzernchef Blume mit Cariad künftig verstärkt auf externe Partner setzen. Mit Bosch und Qualcomm sowie dem chinesischen Anbieter Horizon Robotics hat der VW-Konzern beispielsweise Allianzen für das automatisierte Fahren geschlossen. Außerdem kooperiert VW in diesem Bereich bereits mit der israelischen Intel-Tochter Mobileye.