Elektromobilität : Sinkende Verkaufszahlen: Schlittert die deutsche Auto-Industrie in die Krise?

BMW-Produktion im Werk in Steyr

BMW, VW, Mercedes: Die deutschen Autobauer stecken in der Krise

- © BMW

Die deutsche Automobilbranche sieht sich derzeit mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert, darunter sinkende Verkaufszahlen, rückläufige Gewinne und Stellenstreichungen. Große Akteure wie Volkswagen, BMW, Daimler Truck und der Zulieferer ZF haben mit einer Reihe negativer Schlagzeilen die Sorgen in der Branche verstärkt und damit auch den DAX, den Leitindex der deutschen Börse, belastet.

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Im zweiten Quartal verzeichnete der Volkswagen-Konzern einen Gewinnrückgang von 4 Prozent auf 3,63 Milliarden Euro. Besonders in China, einem Schlüsselmarkt, in dem Volkswagen etwa ein Drittel seiner Fahrzeuge absetzt, schwächelt das Geschäft. Europas größter Autobauer hatte bereits im Juli seine Jahresprognosen gesenkt. Neben den Einbußen im Kerngeschäft bei den profitablen Marken Porsche und Audi belasten die Ausgaben für den Stellenabbau bei der Hauptmarke VW das Unternehmen erheblich. Dafür wurden Rückstellungen in Höhe von 900 Millionen Euro gebildet. Zudem sind Sonderaufwendungen von rund 1,3 Milliarden Euro für die mögliche Schließung des Audi-Werks in Brüssel im laufenden dritten Quartal vorgesehen.

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- © Industriemagazin

VW pessimistisch für China

Volkswagen-Konzernchef Oliver Blume betonte in Wolfsburg: „Jetzt geht es um Kosten, Kosten und Kosten. Vor allem für die Marke Volkswagen, aber auch bei allen anderen Marken.“

Aufgrund der geringen Nachfrage, insbesondere nach Elektroautos, reduziert Volkswagen die Produktion. Die Kapazitäten wurden in Wolfsburg, Emden, Zwickau sowie bei Audi in Ingolstadt und Neckarsulm um ein Viertel gesenkt, und teure Nachtschichten wurden gestrichen.

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Vor allem in China, wo der VW-Konzern über ein Drittel seiner Autos verkauft, schwächelt das Geschäft. In den ersten sechs Monaten wurden dort knapp 1,35 Millionen Fahrzeuge abgesetzt, was einem Rückgang von 7,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Auch beim Absatz von Elektroautos gab es einen Rückschlag. Im ersten Halbjahr lieferte der Konzern weltweit 317.200 Elektrofahrzeuge aus, das sind 4.400 weniger als im gleichen Zeitraum 2023. Hauptverantwortlich für diesen Rückgang war die schwache Nachfrage in Europa und den USA, wo jeweils 15 Prozent weniger E-Autos ausgeliefert wurden.

Für China zeigt sich VW pessimistisch, während BMW vorsichtig optimistisch ist. Blume äußerte: „In China haben wir dieses Jahr zu kämpfen.“ Bereits im Vorjahr musste Volkswagen die Marktführerschaft an BYD abgeben. BMW-Finanzvorstand Walter Mertl erklärte in München, dass die Senkung der Leitzinsen und andere Regierungsmaßnahmen in Peking möglicherweise schon im laufenden Quartal zu einer Stabilisierung führen könnten.

Volkswagen rechnet aufgrund neuer Modelle bald mit spürbar besseren Geschäften, „vor allem im vierten Quartal“. Trotz des herausfordernden Umfelds sollen die vor drei Wochen gesenkten Jahresziele erreicht werden, so Blume: Mindestens 6,5 Prozent des Umsatzes sollen als Betriebsgewinn vor Steuern und Zinsen (EBIT) verbleiben.

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Volkswagen zieht zudem aufgrund der schwachen Nachfrage nach Elektroautos eine Verlängerung der Verbrennermodelle in Betracht, wie Blume mitteilte. Da die Erwartungen an den Hochlauf zu hoch gewesen seien, müsse man die Flexibilität erhöhen. „Möglicherweise werden wir sogar noch einmal ein neues Verbrennermodell an den Start schicken,“ sagte er.

Audi konnte seine E-Auto-Verkäufe zwar geringfügig steigern, von 75.600 auf 76.700 Fahrzeuge. Allerdings sanken die Auslieferungen des Top-Modells Q8 e-tron von 19.500 auf 17.900 Einheiten. Aufgrund der schwachen Nachfrage nach dem E-Modell Q8 e-tron denkt die VW-Tochter nun darüber nach, die Produktion dieses Modells in Brüssel vorzeitig einzustellen. Dadurch ist der gesamte Standort mit rund 3.000 Mitarbeitern gefährdet.

Porsche-Chef Oliver Blume, künftiger CEO Volkswagen
VW-Chef Oliver Blume - © Porsche
Jetzt geht es um Kosten, Kosten und Kosten. Vor allem für die Marke Volkswagen, aber auch bei allen anderen Marken.
Oliver Blume, VW

BMW kritisiert Klimapolitik der EU

BMW verzeichnete ebenfalls Rückgänge bei Absatz, Umsatz und Gewinn, bestätigte jedoch im Gegensatz zur Konkurrenz seine Prognose für das Gesamtjahr. Im zweiten Quartal sank der Gewinn nach Steuern um fast 9 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro. Hauptursache sind höhere Ausgaben: BMW investiert aktuell verstärkt in den Neu- und Umbau von Produktionsstätten, neue Batteriefabriken und die Einführung neuer Modelle. Gleichzeitig steigen die Forschungs- und Entwicklungsausgaben erheblich. Ab Ende nächsten Jahres sollen in Debrecen (Ungarn) und München die ersten Elektroautos der „Neuen Klasse“ mit neuen Batterien und Software produziert werden.

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BMW verkauft mehr als doppelt so viele vollelektrische Fahrzeuge wie Mercedes-Benz und Audi zusammen, jedoch sind diese teuren Elektrofahrzeuge noch nicht so profitabel wie Benziner und Dieselautos. Dies macht sich bei einem Anteil von 17 Prozent am Gesamtabsatz von BMW bemerkbar. Außerdem gibt es Probleme im Kredit- und Leasinggeschäft: Die Preise für Gebrauchtwagen sinken weiter, und Leasingrückläufer lassen sich schwieriger vermarkten. Zudem ist die Zahl der Kreditausfälle gestiegen.

Vorstandschef Oliver Zipse kritisierte die EU-Kommission wegen ihrer Klimapolitik. Er forderte, dass eFuels schnell und umfassend für die große Bestandsflotte der Verbrennungsfahrzeuge gefördert werden müssten, um den CO2-Ausstoß sofort und nicht erst in der Zukunft deutlich zu senken. Dazu müsse Brüssel auch den Einsatz CO2-armer Kraftstoffe beschleunigen und praktikabel machen.

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Im Gegensatz zu den Rivalen im Premiumsegment, Audi und Mercedes, blieb die Elektromobilität bei BMW ein Wachstumstreiber. Auf Gruppenebene stiegen die Auslieferungen reiner Elektrofahrzeuge bei BMW um etwa ein Viertel auf 190.600 Fahrzeuge. Dennoch hat sich das prozentuale Wachstum auch bei BMW deutlich abgeschwächt: Im Gesamtjahr 2023 verzeichnete BMW bei den reinen Elektrofahrzeugen noch ein Plus von rund 75 Prozent.

Vertriebsvorstand Jochen Goller bewertete die Entwicklung "in einem herausfordernden Marktumfeld" positiv: "In den ersten sechs Monaten des Jahres ist es uns gelungen, mit vollelektrischen Fahrzeugen sowie Modellen aus dem oberen Premiumsegment zweistellig zu wachsen."

BMW-Chef Oliver Zipse
Oliver Zipse, BMW - © BMW

Kurzarbeit bei Daimler Trucks

Bei Mercedes entfielen fast 960.000 Auslieferungen auf den Bereich Mercedes-Benz Cars, was ebenfalls einen Rückgang von 6 Prozent darstellt. Der Bereich Vans verzeichnete ein Minus von 4 Prozent und kam auf 209.000 Auslieferungen. Besonders die Elektromobilität erwies sich bei Mercedes als Hindernis: Der Absatz von vollelektrischen Fahrzeugen sank auf Konzernebene um 16 Prozent auf 101.600 Einheiten, während er bei den Cars um 17 Prozent auf 93.400 zurückging. Laut Unternehmen verlangsamte sich der Hochlauf bei Elektrofahrzeugen in wichtigen Märkten.

Modellwechsel und Verfügbarkeitsengpässe hätten den Absatz im ersten Halbjahr beeinflusst, erklärte Mercedes. Im Premiumsegment, zu dem unter anderem die S-Klasse gehört, sanken die Verkaufszahlen um 22 Prozent. Dies sei auch auf ein zurückhaltendes Marktumfeld in Asien zurückzuführen. Im wichtigen Markt China gingen die Verkäufe um 9 Prozent zurück.

Der Lkw-Konzern Daimler Truck senkte nach einem schwachen zweiten Quartal seine Prognose für das laufende Jahr: Der Umsatz werde um 2 Milliarden Euro niedriger ausfallen als bisher erwartet, und der Betriebsgewinn werde nicht steigen, sondern um mindestens 15 Prozent sinken. Vorstandschef Martin Daum kündigte Kurzarbeit in den deutschen Werken ab September an, wobei noch unklar ist, wie viele Beschäftigte betroffen sein werden.

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Der bedeutende Autozulieferer ZF reduzierte nach einem Rückgang von Umsatz und Ergebnis im ersten Halbjahr seine Umsatzprognose von mindestens 45 Milliarden auf höchstens 43,5 Milliarden Euro. Das Unternehmen erwartet eine Verschlechterung der Situation im zweiten Halbjahr. ZF hatte vergangene Woche bekannt gegeben, bis Ende 2028 in Deutschland zwischen 11.000 und 14.000 Stellen abzubauen. „Welche der 30 Standorte wie betroffen sind, wird gerade diskutiert,“ erklärte ZF-Chef Holger Klein in Friedrichshafen am Bodensee.

Laut einer Umfrage der Unternehmensberatung Horváth unter 50 Automobilzulieferern nehmen die Autobauer den Zulieferern bis zu 50 Prozent weniger E-Fahrzeugkomponenten ab, als zuvor in Aussicht gestellt. „Die Umstellung auf die Module und Bauteile für E-Fahrzeuge erfordert erhebliche Investitionen, und viele Zulieferer haben aufgrund der reduzierten Nachfrage hohe Einbußen bei Umsatz und Ertrag,“ erklärte Branchenexperte Frank Göller. Aufgrund der angespannten Lage sei mit weiteren Fusionen und Übernahmen zu rechnen.

Die Autoindustrie schlittert damit weiter in die Krise.

Stimmung ist schlecht

Im Juli hat sich die Stimmung in den Führungsetagen der deutschen Automobilbranche erheblich verschlechtert. Der Indikator für das Geschäftsklima dieser bedeutenden Industrie sank laut einer Managerumfrage des Münchner Ifo-Instituts von minus 9,5 Punkten im Juni auf minus 18,3 Punkte. Anita Wölfl vom Ifo-Zentrum für Industrieökonomik und neue Technologien erklärte: "Die Autoindustrie schlittert damit weiter in die Krise."

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Diese negative Entwicklung beruht sowohl auf der Bewertung der aktuellen Geschäftslage als auch auf den Zukunftserwartungen für die kommenden sechs Monate. Der Indikator für die momentane Situation fiel um zehn Punkte von plus 3,2 auf minus 6,8 im Juli. Das Barometer für die Erwartungen stürzte von minus 21,3 Punkten im Juni auf minus 29,1 Punkte ab. Wölfl kommentierte dazu: "In den nächsten Monaten ist vermutlich nicht mit einer deutlichen Verbesserung zu rechnen."

Auch die Kapazitätsauslastung ist auf 77,7 Prozent gesunken, was 9 Prozentpunkte unter dem langfristigen Durchschnitt liegt. Außerdem beklagen 43,1 Prozent der deutschen Unternehmen einen Auftragsmangel, verglichen mit 29,2 Prozent im April. Die Exporterwartungen sind ebenfalls gesunken und liegen nun bei minus 16,8 Punkten, was einen Rückgang von mehr als 13 Punkten im Vergleich zum Vormonat bedeutet.

Der schleppende Hochlauf der Elektromobilität bringt die Zulieferindustrie in Österreich und Deutschland zunehmend in Schwierigkeiten. Von großen System- und Modulzulieferern wie Bosch, Continental oder Mahle bis hin zu den kleinen, hochspezialisierten Komponenten- oder Teile-Lieferanten: Die deutlich geringeren Abrufzahlen der Markenhersteller führen zu Leerlauf, Umsatzrückgängen und bringen Amortisationspläne in Gefahr. Weil man zwischen OEMs und Zulieferern einfach die alten Rahmenverträge aus Verbrenner-Zeiten übernommen hat, als Abrufzahlen planbarer und drastisch Rahmenveränderungen nicht geregelt waren, ist derzeit in vielen Unternehmen unklar, wer auf den Millionenkosten sitzen bleibt.