Sepp Hochreiter am Deep Dive : Sepp Hochreiter: „Ich möchte Open AI vom Markt fegen“

Matthias Heschl

Beim Deep Dive Meet-up des Industriemagazin im Juli präsentierte Sepp Hochreiter die interessantesten Anwendungsfälle von KI in der Industrie.

- © Matthias Heschl

Irgendwo in Linz, auf den Severn der Johannes Kepler Universität, liegt ein Algorythmus, der das Zeug hat das derzeit so gehypte ChatCPT vom Markt zu fegen. Das behauptet zumindest Sepp Hochreiter, Leiter des Institut für Maschinelles Lernen und des Linz Institute of Technology AI Lab. Und wenn Hochreiter soetwas behauptet, dann hat das ein gewisses Gewicht: Der gebürtige deutsche, der seit über einem Jahrzehnt aus Österreich an Methoden für maschinelles Lernen forscht, hat Ende der 1990er-Jahre mit seiner Forschung zu Long short-term Memory den Grundstein für die Entwicklung moderner KI-Systeme gelegt.

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Noch hält Hochreiter den Algorythmus zurück. Vor allem, weil das Geld für die Rechnerleistung fehlt, die KI anzulernen. Doch das könnte sich bald ändern, wie Hochreiter zum zweiten Deep Dive Meet Up der Industrie des Industriemagazin verriet.

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An ihm geht kaum ein Weg vorbei

Wenn die kanadische Atomsicherheitsbehörde bei der Simulation von Vorgängen in Kernreaktoren Hilfe braucht, wendet sie sich schon mal an Experten in Linz. Wenn deutsche Pharmaunternehmen die Giftigkeit neuer Moleküle errechnen wollen, führt sie der Weg nach Linz. Wenn heimische Stahlkonzerne die Qualitäten potenzieller neuer Legierungen erforschen wollen, führt sie der kurze Weg an die JKU: Das Linz Insititute of Technology AI Lab hat es sich zum Ziel gesetzt, KI-Forschung und industrielle Anwendung zu verbinden und voranzutreiben.

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Kopf des LIT Technology AI Labs ist Sepp Hochreiter, einer der vielen Gründerväter der modernen KI, die mit seinen Entdeckungen zur Entwicklung neuronaler Netze das selbständige Lernen künstlicher Intelligenz in den 1990er Jahren erst effizient möglich gemacht hat. Arbeiten Hochreiters finden sich heute in Software von Apple und Amazon – und nicht zuletzt auch in dem Sprachmodell ChatGPT, das AI in Rekordzeit zu einem Massenphänomen gemacht hat.

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Für Aufsehen gesorgt

Hochreiter hatte Mitte des Jahres für Aufsehen gesorgt, als er behauptete, ein deutlich besseres Sprachmodell als Chat GPT entwickelt zu haben. Im Rahmen des Deep Dive Meet-ups des industriemagazins nannte der KI-Forscher neue Details zu dem Projekt.

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Der Algorythmus sei schneller, energieeffizienter und exakter, sagte Hochreiter am INDUSTRIEMAGAZIN-Event. Kostspielig am Ausrollen des Algorithmus ist vor allem das Anlernen der KI, das viel Rechnerleistung benötigt. Er habe inzwischen Investoren aus aller Welt, die in seine Technologie investieren wollen. Wie sein Sprachmodell umgesetzt werden soll, ist noch unklar, Hochreiter will jedenfalls den Open-Source-Gedanken verfolgen. Eines ist aber sicher: „Unser Sprachmodell ist viel besser als alles, was derzeit auf dem Markt ist. Ich will Open AI vom Markt fegen!“

Der KI-Pionier schließt nicht aus, dass sein Sprachmodell in Österreich weiterentwickelt und zur Marktreife gebracht wird, obwohl es bereits attraktive Angebote von internationalen Investoren gibt. Dem Standort Österreich steht er aber sehr skeptisch gegenüber: „Es ist eine Katastrophe hier! Seit sechs Jahren kritisiere ich, dass man als Forscher, aber auch als Unternehmer in Österreich nirgends andocken kann. Die Industrieunternehmen wissen nicht, was mit KI möglich ist, und die Forscher wissen nicht, was die Industrie braucht“.

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WEKA-Geschäftsführerin Beatrice Schmidt und IM-Chefredakteur Rudolf Loidl begrüßten rund 60 Entscheider aus der Industrie beim Deep Dive im Haus der Ingenieure in Wien. - © Matthias Heschl
KI wird in allen Bereichen im Hintergrund laufen und uns unterstützen.
Sepp Hochreiter

Die vielen Anwendungen von KI in der Industrie

In seiner Keynote widmete sich Hochreiter einer ganzen Reihe von Anwendungsmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz in der Industrie. „Die großen Fragen der Menschheit: Energie, Klimawandel, Lebensmittelproduktion, Medizin und Mobilität - in allen Bereichen wird KI im Hintergrund laufen und uns unterstützen“, so Hochreiter.

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Als Beispiel zeigte Hochreiter die Zukunft im Energiesektor - ein komplexes, länderübergreifendes Netzwerk von Energieerzeugern und -verbrauchern, die durch den Einsatz von KI ständig in Kontakt stehen und sich gegenseitig optimieren. „Die Energieerzeugung der Zukunft wird sich ständig an die jeweilige Situation anpassen, das Wetter vorhersagen und selbstständig mit den Verbrauchern verhandeln, um die bestmögliche Verteilung im Netz zu gewährleisten“, so Hochreiter. Ein ähnliches System kann sich der Experte auch für den Verkehr vorstellen. So könnte KI den Verkehrsfluss steuern und damit den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren.

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Dass die Expertise aus Linz weltweit gefragt ist, bestätigt ein weiteres Beispiel aus Hochreiters Keynote. So setzt die kanadische Regierung bei der Simulation eines Kernfusionsreaktors auf Technologie, die an der JKU Linz entwickelt wurde. Auch in der Automobilindustrie setzt man große Hoffnungen in künstliche Intelligenz. Bei Audi etwa wird KI eingesetzt, um den Innenraumkomfort zu optimieren.

Matthias Heschl
Sepp Hochreiter widmete sich in seiner Keynote den interessantesten Anwendungsfällen von KI in der Industrie. - © Matthias Heschl
Es kann doch nicht sein, dass genau jene ein Moratorium fordern, die schon einen Vorsprung haben.
Sepp Hochreiter

Gegen ein Moratorium für KI-Forschung

Hochreiter schloss seine Keynote mit einem Kommentar zur Forderung vieler IT-Unternehmen nach einem Moratorium für die Forschung und Entwicklung von KI-Systemen. „Man muss sich nur anschauen, wer diese Forderung unterschrieben hat. Das sind genau die Unternehmen, die bereits ein KI-System auf dem Markt haben. Es kann doch nicht sein, dass genau die ein Moratorium fordern, die schon einen Vorsprung haben. Das ist nicht glaubwürdig, das ist einfach ein Schmarren!“

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Einer Regulierung von KI steht Hochreiter offen gegenüber, diese müsse aber auf staatlicher Ebene erfolgen und dürfe nicht den Unternehmen überlassen werden. Das sei aber aus heutiger Sicht nicht realistisch.

Deutscher KI-Innovationspreis für JKU Forscher Sepp Hochreiter

Hochreiter, Vorstand des Instituts für Maschinelles Lernen und Leiter des LIT AI Lab der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), wurde Ende September von der Medienmarke Welt" mit dem Deutschen KI-Preis in der Kategorie Innovation ausgezeichnet. Die Auszeichnung ist mit 35.000 Euro dotiert. Grund für die Auszeichnung ist auch die aktuelle Forschung des KI-Pioniers an einem eigenen Sprachmodell. Dieses ist nach ersten Tests sogar GPT4 überlegen. GPT4, auf dem der Chatbot ChatGPT basiert, ist das Nachfolgesystem von GPT-3.5.

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„Der deutsche KI-Innovationspreis ist eine große Auszeichnung und eine Bestätigung meiner bisherigen Forschungsarbeit. Sie ist für mich und mein Team an der JKU aber auch Ansporn, die Künstliche Intelligenz im Sinne der Menschen und zum Nutzen unserer Gesellschaft nachhaltig weiterzuentwickeln", so Hochreiter.