Wirtschaftliche Entwicklung Chinas : China: Eine Ära langsamen Wachstums droht

Download von www.picturedesk.com am 19.04.2022 (14:51). dpatop - 11 February 2022, Mecklenburg-Western Pomerania, Mukran: A container is unloaded behind a locomotive with an Asian dragon head and the lettering "Beijing" after the arrival of the first ship of a new "Silk Road" connection between China and Germany at the port of Mukran. The containers from Wuhan in China cover part of the route by water and are reloaded onto rail cars on the island of R?gen. Photo: Jens B?ttner/dpa-Zentralbild/dpa - 20220211_PD12844 - Rechteinfo: Rights Managed (RM)

Sitz China in der Falle? China-Forscher Richard Koo ist sich sicher.

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Das Wachstum ist schwach, die Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie noch nie, die Schulden steigen - China hat mit einer ganzen Reihe von Problemen zu kämpfen. Inzwischen fragen sich nicht nur Ökonomen: Wird das Schwellenland, das lange Zeit als Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft galt, am Ende vielleicht doch nie reich werden?

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Vor nicht allzu langer Zeit gingen Pekinger Regierungsmitglieder und Ökonomen davon aus, dass die Volksrepublik noch in diesem Jahrzehnt die USA als weltgrößte Volkswirtschaft ablösen würde. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs rasant, junge Chinesen strömten in Scharen an die Universitäten, um zukunftsträchtige Fächer zu studieren. Ausländische Unternehmen rissen sich um Investitionen in China. "Es ist unwahrscheinlich, dass die chinesische Wirtschaft die der Vereinigten Staaten innerhalb der nächsten ein oder zwei Jahrzehnte übertreffen wird", sagt nun Analyst Desmond Lachman vom American Enterprise Institute.

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Er rechnet mit einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums auf etwa drei Prozent pro Jahr, "was sich wie eine wirtschaftliche Rezession anfühlen wird". Denn schon jetzt liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20 Prozent.

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Nachlassende Dynamik

Vergleiche mit dem Japan der 1990er Jahre werden gerne in den Raum gestellt. Aber sie hinken. Zu dem Zeitpunkt, als die japanische Wirtschaft zu stagnieren begann, hatte sie das durchschnittliche Pro-Kopf-BIP der Volkswirtschaften mit hohem Einkommen bereits hinter sich gelassen und sich dem Niveau der Vereinigten Staaten angenähert. Dagegen liegt China derzeit, global gesehen, nur knapp über dem durchschnittlichen globalen Einkommensniveau.

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Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ist die Wirtschaft im abgelaufenen zweiten Quartal noch um 6,3 Prozent gewachsen. Doch die Zahl täuscht: Ein Jahr zuvor hatten die drakonische Corona-Politik und Ausgangssperren in Metropolen wie Shanghai die Konjunktur stark belastet. Für 2023 wird erwartet, dass China insgesamt um rund fünf Prozent wächst. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahrzehnt betrug das jährliche Wachstum noch durchschnittlich sieben Prozent, in den 2000er-Jahren sogar über zehn Prozent.

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Die nachlassende Dynamik führen Ökonomen auf die Konsum- und Investitionsschwäche zurück - und nicht mehr auf die Nachwirkungen der Pandemie. So schrumpft die Zahl der Erwerbstätigen, während die der Rentner steigt. "Das demografische Problem, die harte Landung des Immobiliensektors, die hohe Schuldenlast der lokalen Behörden, der Pessimismus des Privatsektors sowie die Spannungen zwischen China und den USA lassen uns nicht optimistisch auf das mittel- bis langfristige Wachstum blicken", sagt deshalb Wang Jun, Chefökonom des Vermögensverwalters Huatai Asset Management.

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Die Probleme sind der mächtigen Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission (National Development and Reform Commission, NDRC) bekannt. Deren Chef Zheng Shanjie betonte im Magazin "Qiushi", China müsse "den Aufbau eines modernen Industriesystems beschleunigen". Zheng verwies auf die Schwierigkeit, von einem mittleren zu einem hohen Einkommensniveau zu gelangen, während die Kosten steigen und die Wettbewerbsfähigkeit sinkt.

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Zwar führen Ökonomen Chinas Boom bei Elektroautos gerne als Beweis für den anhaltenden Fortschritt an. Doch große Teile der Industrie modernisieren sich nicht im gleichen Tempo. Zudem macht der Absatz von Autos im Ausland nur 1,7 Prozent der Exporte aus. "Viele Beobachter sagen: Wow, China kann all diese fantastischen Produkte entwickeln, also sollte die Zukunft rosig sein", sagt Richard Koo, Chefökonom des Forschungsinstituts Nomura. "Meine Frage ist: Haben wir genug von diesen Unternehmen?"

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Die Regierung muss sich entscheiden, ob sie die Verbrauchernachfrage ankurbeln oder die Exportindustrie stärken will. Präsident Xi Jinpings Strategie des "gemeinsamen Wohlstands" und sein Kampf gegen Ungleichheit haben zu Lohnkürzungen im Finanzsektor und anderen Wirtschaftszweigen geführt. Viele Kommunen haben die Gehälter ihrer Mitarbeiter gekürzt, weil sie rote Zahlen schreiben. Hinzu kommt ein wenig tragfähiges soziales Netz, weshalb viele Chinesen Geld zur Seite legen, um selbst vorzusorgen. Viele Ökonomen fordern daher eine bessere staatliche Gesundheitsversorgung, höhere Renten und mehr Arbeitslosengeld, damit die Verbraucher weniger sparen und mehr konsumieren.

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Sitzt China in der Falle?

Der Nomura-Forscher Richard Koo sieht China in einer "Bilanzrezession": Verbraucher und Unternehmen zögen es vor, ihre Schulden zu tilgen, anstatt Kredite aufzunehmen und Investitionen zu tätigen. Dagegen helfen nur "schnelle, substanzielle und nachhaltige" fiskalische Anreize. Doch die sind nach Ansicht der Experten angesichts der Schuldenprobleme nicht in Sicht.

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Gleichzeitig wird der außenpolitische Gegenwind stärker: Industrieländer wie Deutschland sind auf der Suche nach einer Verringerung ihrer Abhängigkeit von China. Als Druckmittel will Peking wiederum den Export von Rohstoffen wie Metallen für Halbleiter einsetzen. "Jedes Mal, wenn die USA eine Anti-China-Politik ankündigen, kommt die chinesische Regierung mit einer Gegenmaßnahme", sagt Koo. "Aber die Amerikaner befinden sich nicht in der Falle des mittleren Einkommens. China schon."

China-Experte und -Forscher Richard Koo

"Ein Jahr zum Vergessen"

Viele Experten gehen davon aus, dass Regierung und Notenbank versuchen werden, die Konjunktur mit weiteren Hilfen anzukurbeln. "Wir erwarten in den kommenden Monaten eine Lockerung der Geldpolitik und gezielte fiskalische Unterstützung für Schlüsselbranchen, darunter Immobilien und Baugewerbe", prognostizieren die Ökonomen von Goldman Sachs. "Aber diese zusätzliche Unterstützung wird kein Allheilmittel sein. 2023 sieht für China zunehmend wie ein Jahr zum Vergessen aus."

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Der Exportweltmeister leidet unter der schwächelnden Auslandsnachfrage, weil wichtige Absatzmärkte wie Deutschland in der Rezession stecken. Im Juni brachen die Exporte deshalb so stark ein wie seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie vor mehr als drei Jahren nicht mehr. Ein weiteres Problem ist der Immobilienmarkt, der rund ein Viertel der Wirtschaft ausmacht. Nach Berechnungen von Reuters brachen die Immobilieninvestitionen im Juni um 20,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat ein, nach minus 21,5 Prozent im Mai.

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Auch der Konsum schwächelt: Die Einzelhandelsumsätze stiegen im Juni nur noch um 3,1 Prozent, nach 12,7 Prozent im Mai. Ein Grund für die Konsumschwäche dürfte die steigende Arbeitslosigkeit sein: Die Arbeitslosenquote unter jungen Chinesen erreichte im Juni mit 21,3 Prozent einen Rekordwert, da Millionen von Schul- und Universitätsabgängern nur ein begrenztes Jobangebot zur Verfügung steht.

Einfluss auf die Staatsfinanzen

In Chinas Staatsfinanzen macht sich die schwächere Konjunktur bemerkbar. Die Steuereinnahmen stiegen im Juni nur noch um 5,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das geht aus am Mittwoch veröffentlichten Daten des Finanzministeriums hervor. Ein Plus von 32,7 Prozent hatte es im Mai noch gegeben.

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Im ersten Halbjahr stiegen die Steuereinnahmen um 13,3 Prozent auf 11,9 Billionen Yuan (1,47 Billionen Euro), während die Staatsausgaben um 3,9 Prozent auf 13,4 Billionen Yuan zulegten.

Die Einnahmen aus Grundstücksverkäufen - eine wichtige Einnahmequelle der Kommunen - brachen im Juni um 24,26 Prozent ein, fast doppelt so stark wie im Mai. Diese Entwicklung deutet auf eine anhaltende Zurückhaltung der Bauträger beim Kauf von Grundstücken hin. Der Immobiliensektor war jahrelang ein wichtiger Konjunkturmotor, kämpft aber seit zwei Jahren mit einer schweren Schuldenkrise.

Angesichts der schwachen Konjunktur und einer Jugendarbeitslosigkeit auf Rekordniveau wird der Staat nach Einschätzung von Ökonomen mehr Geld zur Ankurbelung des Wachstums in die Hand nehmen. Erwartet werden Maßnahmen, um große Infrastrukturprojekte zu finanzieren, die Unterstützung für Verbraucher und Privatunternehmen zu erhöhen und die Immobilienpolitik zu lockern. Ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von fünf Prozent strebt die Regierung in diesem Jahr an. Ökonomen gehen davon aus, dass dies ohne weitere Unterstützung von Regierung und Zentralbank nur schwer zu erreichen sein wird.