Neue Härten für Zulieferer : E-Auto-Krise: "Zu 14. unser Konzept verteidigt"
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Das bulgarische Russe ist ein beschauliches Städtchen an der Grenze zu Rumänien, nur 70 Kilometer von Bukarest entfernt. Das kulturelle Zentrum Nordbulgariens umfasst ein Schauspiel- und ein Opernhaus. Und doch ist Russe so viel mehr. Es ist Kulminationspunkt automobiler Hoffnung: Noch heuer laufen im neuen 11.000 Quadratmeter-Werk von GG Group Musterfertigungen für einen Auftrag von Band, den das Unternehmen an Land gezogen hat: Hochvolt-Kabelsätze eines bekannten süddeutschen OEM im Umfang von 400 bis 1000 Volt sollen hier ab 2025 für drei Plattformen gefertigt werden. „Wir sind in Plan“, sagt Holger Fastabend, CSO/CTO bei GG Group.
Dass er und sein Team sich nach Unterzeichnung des Deals eine Flasche guten Sekts öffneten, kommt nicht von ungefähr: Angesichts des E-Auto-Knicks ist im Markt Ernüchterung eingekehrt. "Mit einem anderen OEM hätte das anders ausgehen können“, ist sich Fastabend denn auch sicher.
Elektro-Kater. Und Cost-down-Workshops
Die spontane Feierlaune sei den Zulieferern vergönnt. Denn Elektroautos stecken weiterhin in der Krise: Auch im März hat sich der Absatz der Stromfahrzeuge abgeschwächt. VW, Tesla, Daimler: Alle kämpfen sie mit schwächelndem Absatz. Der deutsche Verband der Automobilindustrie rechnet damit, dass heuer der Absatz rein batteriebetriebener Fahrzeuge von 524.000 Einheiten auf 451.000 Einheiten zurückgehen wird - ein minus von 14 Prozent. Das macht die E-Wende für Zulieferer zum Härtefeld: Zu immensen Vorinvestitionen - Sales und Engineering, dazu Entwicklungsaufwendungen und ein Maschinenpark, „der nicht ohne ist“ (O-Ton Fastabend) und dem Druck, nicht so bald Cash-positiv zu sein - kommt ein Kostendruck, der sich gewaschen hat: Es müssen noch gar nicht die chinesischen Automobilbauer auf den Exportmarkt Europa drängen, um OEMs zu Cost down-Workshops, die auf Zulieferer zielen, zu veranlassen.
Weil es aktuell so wenige, begehrte Schlüsselprojekte gibt, ist der Preisdruck noch einmal höher als beim Verbrenner. „Der Markt tendiert dazu, auch das letzte bisschen Profitabilität zu zerstören“, beobachtet ein Manager. Verstärkt werde dies durch Einkäufer, die viel höhere Volumina anfragen würden als sie letztlich bereit seien abzunehmen. „Zulieferer sind viel höheren Risiko ausgesetzt, in kapitalintensive Investitionen zu gehen“, hört man in der Branche. Welche Antworten haben Österreichs Zulieferer darauf?
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"Stimmung zu pessimistisch"
Der Spezialdrahthersteller HPW expandiert in Europa und den USA - getrieben wird das Wachstum durch die E-Mobilität.
Rund 160 Millionen Euro erwirtschaftete der Spezialdrahthersteller HPW im letzten Geschäftsjahr. "Wir sind mehr als zufrieden", sagt CSO Harald Lackner. Neugeschäft im Bereich Automotive stammt bei den Linzern fast schon zu 100 Prozent aus der Elektromobilität. Am Standort Leonding läuft die Verdoppelung der Produktionskapazitäten, im neuen Werk in Garsten bei Steyr - nur einen Steinwurf des Motorenwerks eines namhaften OEM- entfernt - "läuft die Anlieferung der Produktionsmaschinen zur Belieferung von zwei OEMs mit Lackdrähten", berichtet Lackner.
Ab der Jahresmitte wolle man dort in Serie gehen. Und ab Mitte 2026 werde man auch in Nordamerika - drei Standorte in Midwest sind in die engere Auswahl gerückt - produzieren. Auch hier konnten Aufträge von zwei OEMs gewonnen werden. Das bringt Auslastung für rund 80 bis 100 Mitarbeiter, HPW will 60 bis 80 Millionen Umsatz am neuen US-Standort erzielen. HPW könne insgesamt zufrieden sein, OEMs hätten "wie geplant abgerufen", sagt Lackner. Sei ihm die Stimmung in der E-Mobilität vorher zu euphorisch vorgekommen, sei sie jetzt "zu pessimistisch", sagt er.
Projekte gekappt - durch Zulieferer
Bereits Ende des vergangenen Jahres zeigten sich die ersten Anzeichen von Unsicherheit in der E-Auto-Branche. Ob in Europa, Asien oder Nordamerika: Laut Franz Reiter, Geschäftsführer von PIA Automation Austria, kamen viele Projekte "wie Schneebälle ins Rollen". Keines wurde gecancelt, jedoch änderten sich die Rahmenbedingungen mehrfach – und zwar signifikant. Als Beispiel nennt er die Lieferung einer Maschine zur Motorengrundmontage im nordamerikanischen Raum. Der Auftrag im Wert von vielen Millionen Euro wurde nach monatelanger Vorarbeit seitens des Auftraggebers von 100.000 Stück auf 20.000 Stück reduziert. "Da haben wir die Notbremse gezogen", erinnert sich Reiter. Ein ähnlicher Fall mit anderen Voraussetzungen ereignete sich im vergangenen Herbst bei einer Projekt-Erstvergabe durch einen Tier-One in Mexiko. Auch hier entschied man sich dafür, die Notbremse zu ziehen.
Für 2024 ist PIA Automation - auch dank eines prestigeträchtigen Auftrags des BMW Werks Steyrs zur Lieferung einer E-Montage-Linie - ausgelastet. Eine selektive Vorauswahl der Projekte ist ein wesentlicher Bestandteil des Erfolges bei einer Projekt Nominierung. Am österreichischen Standort gab es in der Vergangenheit teilweise kuriose Anfragen aus unterschiedlichen Business Segmenten, welche "nicht einmal einen Business Case als Grundlage" hatten, so Reiter. Zusätzlich zu den gegebenen Herausforderungen nähren neue Technologien wie der Axialflussmotor und die direkte Lieferung an OEMs die Zuversicht. Aus Prototypenlinien werden hier "Volumenslinien abgeleitet".
Nachgefragt...
Wie ist der aktuelle Status bei der Errichtung der neuen Getriebe-Montageanlage für E-Antriebe in Steyr?
Klaus von Moltke, Geschäftsführer BMW Group Werk Steyr: Insgesamt haben wir rund 300 Maschinen und Anlagen für die künftige E-Antriebsmontage bereits bestellt. Die Getriebe-Montage macht nur einen Teilbereich davon aus. Die inhouse Getriebe-Montage zeigt: Wir werden die E-Antriebe der sechsten Generation in sehr großer Fertigungstiefe bei uns am Standort Steyr herstellen. Auch das Gehäuse für den E-Antrieb, den Rotor und den Stator werden wir bei uns hausintern herstellen. Was für uns besonders spannend ist: Wir werden erstmals innerhalb der BMW Group die Inverter selbst montieren. Wir schaffen also neue Sauberräume und bauen Elektrotechnik-Knowhow auf.
Verlagerung von Stellen an günstigere Standorte
Gerademal 108 Kilometer - einen Steinwurf - trennen die burgenländische Marktgemeinde Siegendorf von Győr. Dass der Elektronikfertiger Melecs EWS just in dieser Stunde Automotive-Produktionsprogramme aus dem Burgenland im Umfang von 50 Stellen in die westungarische Stadt verlagert, ist durchaus "als Ausfluss des neuen Kostendrucks in der Zulieferindustrie" zu sehen, schildert CEO Bernhard Pulferer. Die Einschnitte am burgenländischen Stammsitz seien schmerzvoll, wiewohl "absolut notwendig", um den neuen Härten des Marktes zu begegnen. Mit Automotive - im besonderen Allradgetriebsteuerungen - ist das Unternehmen groß geworden: 2009 gegründet, erwirtschaftet man heute 60 Prozent innerhalb der Automobilindustrie. Und ist damit eigentlich in einer komfortablen Situation: "Wir wachsen unabhängig von der Antriebsart mit dem im Fahrzeug verbauten Anteil an Elektronik", sagt Pulferer. Doch die milliardenschweren Ausgaben in die E-Mobilität und der akut stotternde Gesamtfahrzeugmarkt setzen die Spirale aus Kosten und Spardruck immer weiter in Gang. Darüber hinaus seien die chinesischen E-Autobauer BYD und Co, die den Kostendruck in der automobilen Zulieferstruktur noch einmal drastisch verschärfen würden, bereits auf den Exportmärkten angekommen.
Immerhin wachse man in der E-Mobilität "linear mit dem Anteil der produzierten E-Fahrzeuge mit", so der Melecs-Manager. So hat das Unternehmen neben vielen antriebsunabhängigen Applikationen, Design- und Produktions-Know how für 48-Volt-Anwendungen wie Start-Stopp-Generatoren. FürHochvoltinverter, deren Entwicklung man anderen überlassen hat, um dem Design-Battle mit den großen Tier-One zu entgehen, bietet Melecs Produktionsdienstleistung an, sagt Pulferer. Aktuell gehen in Siegendorf elektronische Steuerungen für Lenkapplikationen für einen Tier-One in Serie, die gleich in drei E-Automarken mit in Summe über 500.000 Stück/Jahr verbaut werden. "Tier One und Zulieferer sind angehalten, ihr Risikomanagement zu stärken. Bei der Flut von neuen OEM’s und Modellen, wird es welche geben, die nicht fliegen werden", sagt Pulferer. Hier mache sich der Plattformgedanke durch Bündelung auch für Zulieferer bezahlt, findet er: "Ein Ratschlag, der für alle gilt", sagt er.
Nachgefragt...
Was erwarten Sie heuer nach 73 % Vorjahres-Zulassungsplus bei E-Autos?
Christian Morawa, Geschäftsführer BMW Austria: 2024 verfügt die BMW Group über ein BEV Angebot in praktisch jedem ihrer wesentlichen Segmente. Mehr als 15 vollelektrische Modelle aus allen Konzernmarken sind 2024 auf dem Markt. Mit dieser attraktiven und neuen Produktpalette, die konsequent ausgebaut wird, erwarten wir 2024 eine erneute, deutliche Steigerung in den Zulassungen vollelektrische Fahrzeuge der BMW Group am österreichischen Markt.
Besser Fast follower als Pionier
„Sehr ambitioniert“ nennt Pollmann-International-CEO Christian Schreiberhuber das Umsatzziel des Waldviertler Automobilzulieferers in der E-Mobilität. Ein Viertel des Serienumsatzes soll daraus in den kommenden fünf Jahren generiert werden, heute sind es noch weniger als 5 Prozent. Das Anfragevolumen aus der Elektromobilität liege im Haus bei über 50 Prozent. Und Anfragen aus der E-Mobilität nimmt man ernst. In den USA wurde man von einem Tier-1-Zulieferer aus dem süddeutschen Raum gerade für die Lieferung von kunststoffumspritzten Busbar-Stromschienen und AC-DC-Stromwandlern vornominiert.
Man darf die Abtastrunde durch den Tier-1 als sportlich bezeichnen: „Wir waren 14 Pollmann-Vertreter und verteidigten stundenlang unser Konzept“, sagt er. Mit bereits abgesegneten Projekten wie der Lieferung von Busbars an einen europäischen Zulieferer sowie einen europäischen OEM hat man hingegen in Europa einen Fuß in der Tür. „Das ist die Eintrittskarte“, sagt Schreiberhuber. Noch sind Busbars längst nicht Commodity, sie skalieren aber mit den größeren Modellreihen und sollen das Sprungbrett für die Niederösterreicher in den Kreis der großen E-Mobilitäts-Zulieferer darstellen.
Die Zulieferstrukturen seien noch nicht so klar umrissen wie in den etablierten Technologien, beobachtet der Pollmann-Manager. Das bietet „fast followern“ wie Pollmann Chancen, Dritte zu substituieren. Selbst will man davor gefeit sein. Die den Waldviertlern eigene Fertigungskompetenz und ein einmaliger Anlagenautomatisierungsgrad dank eigenem Maschinenbau sollen dafür sorgen, dass man selbst nicht so schnell substituiert wird. Für Schreiberhuber steht fest: Auch das Bestandsgeschäft muss im Fokus bleiben. Gerade in den etablierten Produktgruppen wie Schiebedach und Türschloss sieht er noch viel Potenzial, das es zu erschließen gilt. Er ist einer von wenigen, die das Vorrücken Chinas auf die Exportmärkte Europas zudem als Chance sehen: „Sollten chinesische OEMs in Europa produzieren, werden sie wohl auch ihre bereits aus China bekannten europäischen Lieferanten zum Zug kommen lassen“, sagt Schreiberhuber.
Anlageninvestitionen reißen nicht gänzlich ab
Kein Auto-Wonnejahr war 2023 für den Maschinenbauer Fill, dessen Neugeschäft im Automobilbereich schon zu einem Großteil aus der Elektromobilität gespeist wird. "Deutlich verhaltenere Marktsignale, rückläufige Investitionen im E-Mobilitätsbereich, wenig generelle Entscheidungsfreude", fasst CFO Martin Reiter ein durchwachsenes Jahr zusammen. Dem man auch durch Abbau von Leasingpersonal Rechnung zollen musste. Auch im ersten Quartal 2024 mussten die Innviertler zum Teil wegbrechendes Automobilgeschäft durch Segmente wie den stark performenden Aerospace-Bereich kompensieren. Und dennoch: Gewisse Volumina der E-Mobilität, die Auslastung ins Gurtener Werk über 2024 hinaus bringen, konnten sich die Innviertler sichern.
Hierbei handelte es sich vorwiegend um Projekte, die von europäischen OEMs oder Tier-Ones bei Fill platziert wurden. "Man liest überall, dass die Abrufzahlen bei E-Fahrzeugen sinken, was aber glücklicherweise nicht heißt, dass die Anlageninvestitionen zur Gänze abreißen", sagt Reiter. Vielmehr erlebt er, was die Zulassungsstatistiken zum Ausdruck bringen: Plötzlich sind sie wieder da, die Anfragen zu Aufträgen im Verbrennerbereich. "Eine Technologie, die wir bei uns nach Jahren der Flaute natürlich noch immer beherrschen", sagt Reiter.
Gegen den ruinösen Preiskampf, der in der Zulieferindustrie tobt, stemmt sich nach Kräften auch Fill. Wenngleich im Unternehmen das Credo gilt: Die richtigen Besitzverhältnisse - das Unternehmen ist zur Gänze im Eigentum von Andreas und Bettina Fill - schaffen Spielräume. „Da und dort müssen wir Konzepte und Kalkulationen oft mehrmals überarbeiten, um wettbewerbsfähig zu bleiben", schildert Reiter. Mehr denn je gelte es heute innerhalb des klassischen Kalkulationsschemas mit Deckungsbeiträgen "flexibel" zu agieren, um in strategische Projekte bzw. Märkte zu investieren.
Eintritt ins E-Business
Auch er kennt die Härten des Zuliefergeschäfts: 16 Jahre managte Bernd Badurek das Automotive-Geschäft bei Miba. Heute ist er CEO der TroGroup. Und er hat seine alten Kontakte aus der Automotive-Welt aktiviert, um dem Stempelhersteller und Laserspezialisten Neugeschäft zu sichern. Relativ überschaubare fünf Prozent Automotive-Geschäft hat man derzeit, bald schon sollen es 15 Prozent sein. Die Hälfte davon soll sich aus der E-Mobilität speisen. „Wir haben uns die letzten 1,5 Jahre auf Automotive gestürzt und robotergestützt ohne Werkzeugwechsel per Laser mit dem sogenannten VIN-Marker Fahrgestellnummern aufgetragen“, sagt Badurek.
So konnte man bei fast allen deutschen OEMs Fuß fassen. Jetzt soll es auf neuem Terrain weitergehen. „Wir sind an einem Auftrag eines OEM aus dem süddeutschen Raum dran, E-Achsen zu beschriften“, sagt Badurek. Dem besonders die Skalierbarkeit eines solchen potenziellen Auftrags Freude bereiten würde. „Hohe Stückzahlen sind hier garantiert“, sagt er.
Entwicklungsführerschaft als Kit
Sollten die drei Plattformen, in die GG Group liefert, auch unterschiedlich performen - bei gleich dreien „kommt man hinten gut raus“, sagt Fastabend. Auch, dass GG Group im Zusammenspiel mit dem Steckverbinderprofi TE Connectivity in einer Systemlieferantenrolle auftritt, sorgt für ein gewisses Standing. "Wir designten den HV Leitungssatz als System und liefern das Gesamtsetup“, sagt Fastabend. Während der vergangenen 14 Monate - der Konzeptphase - war GG Group im Lead. Was zeigt: So einfach abkoppelbar ersetzbar, sei man als Systempartner nicht. Und: Man habe noch nicht mehr Anteile am Hochvoltgeschäft eingeplant als der e-Mobility Gesamtmarkt derzeit nachfragt, „insofern passt unser Timing gut“, so Holger Fastabend.