Wirtschaft und industrielle Geopolitik : Die neue Geopolitik der Industrie

Top View of Solar Panel Assembly Line with Robot Arms at Modern Bright Factory. Solar Panel Production Prodcess at Automated Facility

Industriemetalle werden weltweit gefördert. Die Einhaltung von Umweltstandards und Menschenrechten sowie geopolitische Risiken werden zunehmend zu einem Faktor bei der Rohstoffbeschaffung.

- © Getty Images/iStockphoto

Ein Rohstofflieferant, der rücksichtslos Umweltschäden in Kauf nimmt. Ein Bauteilproduzent, der sich in seinen Fabriken einen feuchten Kehricht um Arbeitsrechte und Sicherheitsstandards schert. Ein Handelspartner, der möglicherweise vom politischen Regime in seinem Land bald enteignet wird. Oder ein staatsnaher Betrieb, der von heut auf morgen wegen Wirtschaftssanktionen gegen sein Land zahlungsunfähig wird. Das sind nur einige Beispiele für die zahlreichen neuen geopolitischen Risiken. Die globalen Krisen der letzten Jahre haben zu weitreichenden Veränderungen im Welthandelssystem geführt. Auf die veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen müssen international agierende Betriebe verstärkt Rücksicht nehmen. Österreich ist nach wie vor ein Exportland. Jeder zweite Euro wird im internationalen Warenhandel gemacht.

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Rund 68 Prozent der Exporte gehen ins EU-Ausland. Für Exportbetriebe insbesondere im Industriebereich stellen sich neuerdings eine Reihe von neuen geopolitischen Fragestellungen: Einerseits geht es um zuverlässige Lieferketten für Bauteile, Materialien und Rohstoffe aber auch für den Absatz eigener Produkte. In diesem Zusammenhang wird es zunehmend von Bedeutung, sich genau anzusehen, in welchem geopolitischen Umfeld bewegen sich meine Lieferanten und Kunden und welche Risiken entstehen dadurch für das eigene Unternehmen.

Durch die wissenschaftliche Datenaufbereitung und die vertieften Lieferkettenanalysen wird es möglich sein, strategische wirtschaftspolitische Entwicklungen treffen und in Krisensituationen schnell reagieren zu können.
Caroline Göschl, Pressesprecherin von Bundesminister Martin Kocher

Lieferketten und strategische Rohstoffe

In der EU-Industriestrategie 2020 wurden 137 strategische Abhängigkeiten von Importprodukten identifiziert. 34 davon in Schlüsselprodukten. Gerade im Green-Tech-Bereich sind die Abhängigkeiten etwa von China enorm. Das u.a. vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft neu gegründete Austrian Supplay Chain Intelligence Institute (ASCII) soll strategische Lieferketten analysieren. „Die Arbeit des ASCII fokussiert auf langfristige Lieferkettenanalysen mit Schwerpunkt auf Schlüsselsektoren wie die Automotive Industrie, Halbleiter und Life Sciences.

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Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Entwicklung eines umfassenden Datensystems zu Lieferketten und Produktionsnetzwerken. In diesem Zusammenhang werden auch für die österreichische Wirtschaft strategisch relevante Lieferketten untersucht und auf strukturelle Veränderungen analysiert“, berichtet Caroline Göschl, Pressesprecherin von Bundesminister Martin Kocher. Welche Märkte und Partnerländer sich für Österreich zur Sicherung strategischer Lieferketten anbieten, kann man noch nicht genau beantworten. Hierfür müsse man erste Forschungsergebnisse des ASCII abwarten, so Göschl. Für die Erforschung der Lieferketten stehen von 2023 bis 2027 rund 10 Millionen Euro zur Verfügung.

„Durch die wissenschaftliche Datenaufbereitung und die vertieften Lieferkettenanalysen wird es möglich sein, strategische wirtschaftspolitische Entwicklungen treffen und in Krisensituationen schnell reagieren zu können“, berichtet Göschl. Erste Ergebnisse könne man bereits mit einer Studie zu Lieferengpässen von Antibiotika vorweisen. Eine zentrale Säule für die heimische Industrie ist dabei die Umsetzung des Masterplan Rohstoffe 2030, für den das Finanzministerium zuständig ist.

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Laut Ministeriumssprecher Michael Ulrich sind „eine Reihe von Leuchtturmprojekten“ bereits realisiert. Beispielsweise soll das Resources Innovation Center Leoben (RIC Leoben) für mehr Innovationskraft im Rohstoffbereich sorgen. Außerdem wurde der österreichische Rohstoffdialog als branchenübergreifendes Netzwerk initiiert. „Der Ende März 2023 tagende Monitoring Beirat hat befunden, dass die Ausrichtung des Masterplans Rohstoffe 2030 aus derzeitiger Sicht ausreichende Lösungsansätze für die aktuelle Rohstoffversorgungssituation bietet“, berichtet Ulrich über die aktuelle Rohstoffsicherheit.

Rohstoffabhängigkeit: Kritiker mahnen mehr Handlungsbedarf an

Dennoch monieren Kritiker in der Industrie, dass vor allem hinsichtlich der Abhängigkeiten von Russland, China und Taiwan mehr geschehen müsse. Trotz dessen, dass viele Unternehmen sich den Risiken nun stärker bewusst sind, werden indirekte Effekte immer noch stark unterschätzt. Bei Energieressourcen, wie etwa Gas, ist die Industrie immer noch von Russland zu abhängig. Bei seltenen Erden, elektronischen Bauteilen und Komponenten ist die Abhängigkeit von China besorgniserregend hoch. Gerade der Green-Tech-Sektor ist davon betroffen. Der Green Deal ist von dieser Abhängigkeit massiv bedroht. Wenn China will, steht der Ausbau von Fotovoltaik- und Windenergie in Europa still. Bei Halbleitern ist man stark auf Taiwan angewiesen, das weltweit das größte Erzeugerland hierfür ist. Ein Krieg mit China oder nur eine Handelsblocke der Insel hätte auf den Weltmarkt fatale Folgen.

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Die EU ist sich dessen bewusst, aber die Suche nach alternativen Produktionsländern und Handelspartnern gestaltet sich schwierig. Abhilfe soll der Critical-Raw-Material-Act der EU schaffen, der derzeit im Entwurf in Verhandlungen steht. „Die darin vorgesehenen Produktionsbenchmarks werden vom BMF unterstützt. Bis 2030 soll die EU von keinem Drittland zu mehr als 65 Prozent beim Import strategischer Rohstoffe abhängig sein“, berichtet Michael Ulrich, Pressesprecher des Finanzministeriums.

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Um Lieferketten und Rohstoffbeschaffung diversifizieren zu können, sind Unternehmen aber darauf angewiesen, dass die EU entsprechende Handelsabkommen mit alternativen Partnerländern abschließt. „Das BMF ist in Abstimmung mit asiatischen, afrikanischen, amerikanischen und ozeanischen Partnerländern. Hierbei werden insbesondere Technologieoffensiven auf Basis konkreter Unternehmenskooperationen forciert. Auf Ebene der Europäischen Union werden in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten laufend strategische Rohstoffpartnerschaften mit Kooperationspartnern weltweit geschlossen“, versichert Ulrich.

Green tech als Wachstumsmotor für Industrie

Grüne Technologien im Energiebereich, in der Mobilität sowie in der Fertigung und im Gebäudesektor sind aktuell ein starker Wachstumsmotor für die heimische Industrie. Doch die Anfälligkeit von Lieferengpässen, Produktionsausfällen und geopolitischen Krisen ist in der Branche besonders hoch. Die geplanten Kreislaufprozesse, um Rohstoffe besser im Inland verwerten zu können, sind vielfach noch nicht skalierbar und kaum in der Lage, Importe zu ersetzen. Politik und Industrie sind sich aber bewusst, dass Green-Tech der große Wachstumsbereich für die nächsten Jahrzehnte sein wird. Vor allem Afrika, Südamerika und Teile Asiens sind als Absatzmärke stark im Kommen. Rund 15 Milliarden Euro erwirtschaftet die heimische Green-Tech-Industrie, über 50.000 Arbeitsplätze werden dadurch gesichert und die Wachstumsrate liegt bei 6-7 Prozent jährlich. Der Exportanteil von rund 72 bis 75 Prozent ist aber sehr hoch.

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Aerial view power plant, Combined cycle power plant electricity generating station industry.
Geopolitische Risiken nehmen für heimische Betriebe zu. Vor allem im Green-tech-Bereich braucht es rasch Antworten. - © Getty Images/iStockphoto

Was braucht die Industrie?

Interview mit Mag. Michael Löwy, Bereichsleiter für Internationale Beziehungen und Märkte bei der IV Österreich.

Die veränderte geopolitische Lage seit der Pandemie bzw. dem Ausbruch des Ukraine Krieges macht es notwendig, dass Industriebetriebe wieder verstärkt geopolitisch denken. Wie bewerten Sie als IV diesbezüglich die Rohstoffsicherheit für heimische Industriebetriebe?


Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sowie die daraus folgenden wirtschaftlichen Folgen, die wir die letzten Monate erlebt haben, zeigten Europa, dass wir uns in Zukunft keine neuen Abhängigkeiten leisten können. Neben der Energie sind es auch andere Bereiche, wie beispielsweise die Halbleiter-Produktion, wo wir zukünftig nicht ausschließlich auf eine Region der Welt setzen sollten. Europa braucht dringend eine eigene starke Halbleiter-Produktion, um nicht abhängig von China und Ostasien zu werden. Für diese Chips als auch für die grüne Transformation werden wir seltene Erden und diversifizierte Energiequellen benötigen. Dafür braucht es wiederum neue Partnerschaften, um die wir uns jetzt annehmen müssen. Ein faires Handelsabkommen mit den vier Mercosur-Staaten liegt bereits vor. Das wäre der erste Schritt, um die Rohstoffsicherheit in Österreich und der Europäischen Union zu erhöhen.

Mag. Michael Löwy, Bereichsleiter für Internationale Beziehungen und Märkte bei der IV Österreich
Mag. Michael Löwy, Bereichsleiter für Internationale Beziehungen und Märkte bei der IV Österreich. - © IV Österreich

Warum ist aus Ihrer Sicht das MERCOSUR-Abkommen aus geopolitischen Überlegungen notwendig?

Die Lage im globalen Kontext ist die Situation äußerst anspruchsvoll, denn die geopolitischen Veränderungen üben einen massiven Druck auf die europäische und österreichische Industrie aus. Eine faire und aktive Handelspolitik, die anderen Demokratien die Hand reicht und gemeinsam die Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen Handel schafft, waren stets Ziele der Europäischen Union. Gerade für Österreich sind Handelsabkommen, wie jenes mit der Mercosur-Region, entscheidend. Österreich ist eine Exportnation – jeder vierte Steuer-Euro geht auf den Export zurück und bildet somit Fundament für Arbeitsplätze, Ausbildung und Gesundheitsversorgung.

Vor welchen Herausforderungen stehen Industriebetriebe hinsichtlich der EU-Lieferkettenverordnung und den Nachhaltigkeitsberichtsregeln?


Wir nehmen unsere Sorgfaltspflichten und Verantwortung entlang der Lieferketten als Industrie selbstverständlich wahr. Aber auch die Rahmenbedingungen müssen so ausgestaltet sein, dass sie praktikabel und im unternehmerischen Alltag für alle Unternehmen entlang der Lieferkette umsetzbar sind. Das Ziel der Richtline ist zu unterstützen – der Weg dorthin ist zu diskutieren. Denn der Erfolg des Lieferkettengesetzes muss sich daran messen, ob sich die Menschrechts- und Umweltsituation weltweit effektiv verbessert. Ein Gesetz, das nicht einhaltbar ist, ist kontraproduktiv. Leider gilt hier gut gemeint nicht immer gut gemacht.

Welche Märkte stehen bzgl. Energie- und Rohstoffeinkauf bzw. als Exportabnehmer für öst. Industriebetriebe strategisch in den nächsten Jahren im Fokus?


Neben einer Diversifikation der Erdgaslieferungen, unter anderem durch den Ausbau der LNG-Kapazitäten, braucht es vorerst einen Ausbau der Energieinfrastruktur. Neue Pipeline-Projekte die den Anschluss verschiedener, neuer gasproduzierender Länder bieten dabei große Chancen. Zusätzlich braucht es auch eine Entwicklung eines Wasserstoffmarktes, denn was heute Erdgas ist, wird in Zukunft Wasserstoff sein.

Wie bewerten Sie die hohe Abhängigkeit heimischer Betriebe bei Rohstoffen und Vorprodukten von Ländern wie China speziell bei Green tech Technologien?


Aktuell hat China durch die vorhandenen Ressourcen und Technologien bei Green Tech die Nase vorn. Es ist aber noch nicht zu spät darauf geschlossen als Europäischen Union zu reagieren. Mit dem Critical Raw Materials Act könnten die richtigen Impulse gesetzt werden, um gravierende Abhängigkeiten zu verringern. Weiters müssen wir befreundeten Demokratien, wie den Mercosur-Staaten, die Hand reichen und gemeinsam die Rahmenbedingungen für einen fairen und nachhaltigen Handel schaffen. Nur mit den seltenen Rohstoffen aus Südamerika schaffen wir die grüne Energiewende und verbreitern unsere Handelspartnerschaften.