Energieversorgung : Gas: Wie die Industrie gegen ein mögliches Embargo ankämpft

Konstruktion eines Teilstücks
der 174 Kilometer langen Unterwasser-
Gaspipeline nach Sochi in Krasnodar 2009

Angst vor Gasembargo: Immer mehr Konzerne stellen sich quer

- © Filippov Alexei / Tass / picturedesk.com

Fast im Stundentakt melden sich inzwischen Manager von großen börsennotierten Konzernen, um auf die Folgen eines möglichen Erdgas-Embargos gegen Russland aufmerksam zu machen. Jüngst machte der Produktionschef von BMW, Milan Nedeljkovic, seine Bedenken publik und warnte: BMW droht bei einer geringeren Gasversorgung der Stillstand. "Rund 37 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs entfallen auf unseren Industriezweig", sagte Nedeljkovic am Montag.Reuters. "Somit würde nicht nur BMW, sondern die gesamte Automobilindustrie zum Stehen kommen." Derzeit beobachte das Unternehmen die volatile Lage genau und sei im Austausch mit den Behörden und den Lieferanten.

Die deutsche Bundesnetzagentur muss bei einem Mangel an Erdgas entscheiden, in welcher Reihenfolge Betriebe weiter beliefert werden oder nicht. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte kürzlich erklärt, dass zu den geschützten Kunden neben Feuerwehr, Krankenhäusern, der Polizei, Schulen, Kitas, Gefängnissen und der Bundeswehr auch alle Privathaushalte mit einem Gasverbrauch von bis zu 10.000 Kilowattstunden Gas im Jahr gehörten. Zu den ersten Betrieben, denen der Hahn zugedreht werden könnte, gehören Schwimmbäder und andere Freizeiteinrichtungen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) will Insidern zufolge der deutschen Regierung ein Konzept vorliegen, damit im Fall einer Gasnotlage besonders auf den Brennstoff angewiesene Firmen ihren Betrieb aufrechterhalten können.

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Die Autobranche benötigt Erdgas unter anderem für die Trocknungsöfen in der Lackiererei. BMW baut derzeit im ungarischen Debrecen ein neues Werk, das gänzlich ohne Erdgas auskommen soll. Für die Trockner dort solle eine Kombination aus Strom und Wärmetauschern genutzt werden, sagte Nedeljkovic. BMW setze dort verstärkt auf Solarenergie und untersuche zudem die Möglichkeiten der Geothermie. "Die Potenziale des Energieträgers Wasserstoff wollen wir in unserem Werk Leipzig intensiv nutzen", sagte Nedeljkovic. Wasserstoff sei sehr gut geeignet, den Gasbedarf zu senken und sogar vollkommen zu kompensieren. "Zusammen mit der Stadt planen wir, eine Infrastruktur zu installieren und Wasserstoff in hohem Umfang ins Werk zu bringen."

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Auch Papierindustrie rebelliert

Doch auch andere Branchen warnen mit dramatischen Worten vor einem Erdgasembargo. Ein möglicher Lieferstopp für russisches Erdgas in Folge des Ukraine-Kriegs könnte nach Angaben der die Papierproduktion erheblich beeinträchtigen. "Ein Gasembargo würde für die Papierindustrie praktisch einen flächendeckenden Produktionsstopp bedeuten", teilte Alexander von Reibnitz, der Hauptgeschäftsführer des deutschen Branchenverband.

Erdgas sei mit einem Anteil von 55 Prozent der wichtigste Brennstoff der Branche. Nur 15 Prozent der jährlich benötigen 26 Terrawattstunden Erdgas könnten bis zum nächsten Winter durch andere Energieträger ersetzt werden.

Österreichische Branchenvertreter äußern sich nahezu wortgleich. Die Branche sei mit einer Verfünffachung der Gaspreise konfrontiert - das sei, wie wenn Benzin an der Tankstelle plötzlich 7 oder 8 Euro kosten würde, verglich Max Oberhumer, Energiesprecher von Austropapier. Er räumte ein, dass er vor einem Jahr wohl gesagt hätte, dass die Branche mit einem solchen Gaspreis nicht wirtschaften könne - "und jetzt leben wir in dieser Situation" und die Produktion läuft weiter. Solange alle Vorprodukte lieferbar sind, werde auch weiter produziert. Ein Teil der Kostensteigerungen sei weitergegeben worden, ein Teil nicht. Welche Preisanstiege die Branche noch an Kunden verrechnen muss sei nicht absehbar, so Maier. Weder könne man die Preise, noch die Lieferbarkeit von Vorprodukten vorhersehen.

Zwar ist die Papierindustrie mit einem Anteil von 60 % an erneuerbarer Energie Vorreiter bei der Ökoenergieerzeugung, dennoch ist sie noch zu 35 % auf Gas angewiesen. Austropapier Präsident Maier erklärt das so: „Gas ist eine Brückentechnologie, die uns noch einige Zeit lange begleiten wird. Wir investieren aber kontinuierlich in Klimaschutzmaßnahmen, um die Klimaziele zu erreichen“.

Im Falle eines Gasembargos könnte laut Maier nicht mehr weiterproduziert werden. Verpackungen für Lebensmittel und Medikamente, aber auch Hygienepapiere, wären innerhalb kurzer Zeit nicht mehr verfügbar. Auch Lieferungen von Fernwärme und Strom, mit denen die Papierindustrie derzeit über 100.000 Haushalte versorgt, könnten nicht mehr stattfinden. Die Papierindustrie fordert deshalb die verstärkte Förderung von Dekarbonisierungsmaßnahmen und unbürokratische Genehmigungsverfahren, um den Gasbedarf sukzessive zu reduzieren.

Da die Papierindustrie in den vergangenen Jahren bereits den Ausstieg aus fossilen Energieträgern vorangetrieben hat, sind auch die CO2-Emissionen seit dem Jahr 2000 um ein Viertel gesenkt worden. "Wir haben nur kein Rezept, dass wir hier einen Hebel umlegen und über Nacht sagen können, wir brauchen kein Erdgas mehr", so Maier. Selbstverständlich könne man bei einem Mangel zunächst Teile der Produktion stilllegen, aber "in letzter Konsequenz, wenn die Gasflüsse völlig zum Erliegen kommen, müssten wir alle Papierfabriken abstellen".

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BASF-Chef Brudermüller: Eindringliche Warnung

Auch BASF Chef, Martin Brudermüller, einer der einflussreichsten Vertreter der deutschen Chemie-Industrie hat neulich hat vor schweren Folgen eines möglichen Embargos von russischem Erdgas gewarnt. "Wenn über Nacht die Erdgaslieferungen aus Russland wegfallen, würde das zu einer irreversiblen Schädigung der Volkswirtschaft führen", sagte er bei der Hauptversammlung des Unternehmens. Im Extremfall müsste BASF die Produktion im Stammwerk in Ludwigshafen einstellen.

Russland decke rund 50 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs. "Damit bilden die russischen Gaslieferungen die Basis für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie", betonte der BASF-Chef. Dies seien Realitäten. Priorität von Politik und Wirtschaft müsse sein, sich aus dieser Abhängigkeit so schnell wie möglich zu befreien. Dies alles gehe jedoch nicht auf Knopfdruck.

BASF
beziehe kein Gas und kein Öl direkt aus Russland, sondern von westeuropäischen Lieferanten. "In deren Portfolio ist aber auch Erdgas aus Russland. Und damit auch in einem ähnlichen Verhältnis bei BASF am Standort in Ludwigshafen. Um es klar zu sagen: Eine kurzfristige Lösung, Erdgas aus Russland zu ersetzen, gibt es nicht."

Bis spätestens Anfang Juli will BASF den Großteil seiner Geschäfte in Russland und Belarus wegen des Kriegs einstellen. "Eine Ausnahme machen wir: Wir führen unser Geschäft für die Produktion von Nahrungsmitteln fort." Die Ukraine und Russland seien die "Kornkammern der Welt". "Sie sind wichtige Getreideexporteure. Durch den Krieg könnte eine Hungersnot drohen, die vor allem Afrika treffen würde. Wir wollen einen Beitrag leisten, um das zu verhindern."

Die BASF-Geschäfte laufen nach Angaben des weltgrößten Chemiekonzerns zum Jahresbeginn weiter rund. Die positive Geschäftsentwicklung im ersten Quartal 2022 habe sich auch im April fortgesetzt, sagte Brudermüller in einer Telefonkonferenz mit Analysten. Der Auftragsbestand sehe solide aus. Ausnahmen bildeten jedoch die Automobilbranche und China.

Im ersten Quartal des laufenden Jahres habe BASF teilweise höhere Margen realisieren können, teilte das Unternehmen weiter mit. Dies habe in dem Zeitraum zu einer deutlichen Ergebnisverbesserung vor allem in den Segmenten Basischemikalien (Chemicals), Industrial Solutions und Kunststoffe (Materials) im Jahresvergleich geführt. Zu Industrial Solutions gehören unter anderem Dispersionen und Pigmente.

Belastet hätten hingegen deutlich gestiegene Rohstoff- und Energiepreise sowie Transportkosten als Folge des Krieges in der Ukraine und der pandemiebedingten Lockdowns in China. BASF habe die höheren Kosten über Preiserhöhungen kompensieren können. Allerdings sei es zu Unterbrechungen und Störungen in den Lieferketten gekommen. Dies habe zu einer eingeschränkten Nachfrage vor allem aus der Automobilindustrie geführt.

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