Autoindustrie : Michael Ostermann, Frauenthal: „Unsere größte Bedrohung ist der Lockdown in China“

Michael Ostermann, Vorstand Frauenthal Holding und verantwortlich für Division Automotive

Michael Ostermann, Vorstand Frauenthal Holding und verantwortlich für Division Automotive

- © FRAUENTHAL

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Ostermann, viele Konzerne betonen, dass die derzeitigen Lieferkettenprobleme weniger eine Steigerung der Probleme der letzten Jahre sind, sondern eine ganz neue Unvorhersehbarkeit angenommen haben. Entspricht das Ihren Beobachtungen?

Michael Ostermann:
Absolut richtig, das ist eine ganz neue Facette. Waren in der Vergangenheit Abrufe oder Prognosen noch relativ verlässlich, sind diese heute selbst in kurzfristigen Bereich extrem volatil. Wir hatten in den letzten Monaten oft Situationen, dass Kunden von den für den aktuellen Monat prognostizierten Mengen während des Monats nur 70% abgenommen haben. Das macht Kapazitätsplanungen, Vormaterialdisposition und andere Elemente fast nicht seriös planbar. Die Unsicherheit über die tatsächliche Mengenentwicklung war nie größer als heute.

Außerdem war anfangs nicht abzusehen, dass die Verknappung bei den Halbleitern derart lange dauern würde. Es spielt hierbei auch eine Rolle, dass die Autoindustrie lediglich einen einstelligen Prozentanteil der weltweit hergestellten Halbleiter benötigt. Daher hat die Branche eine geringere Einkaufsmacht.

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Sehen Sie hier die größte Bedrohung?

Ostermann:
Nein, unsere größte Bedrohung ist derzeit der aktuelle Lockdown in China. Der Stau von Containerschiffen kann sich deutlich dramatischer auswirken als beim ersten Lockdown im Jahr 2020 und bereits damals hat dieser Stau die Lieferketten nachhaltig gestört. Aktuell stecken in Shanghai 350 Frachtschiffe fest, das werden wir monatelang spüren und wir rechnen darüber hinaus mit weiter steigenden Frachtkosten.

Aber auch in Europa sind wir durch den Ukrainekrieg belastet. Zu Beginn verursachten fehlende Kabelbäume Produktionsausfälle bei fast allen unserer Kunden, aber hier erfolgte bereits eine Verlagerung in andere Produktionsstätten außerhalb der Ukraine, wodurch sich die Situation etwas entspannt hat. Seit das Kampfgeschehen in der Ukraine Richtung Osten verlagert wurde, hat der westukrainische Teil die Produktion teilweise wieder aufgenommen, was zusätzlich die Situation bezüglich der Verfügbarkeit von Kabelbäumen verbessert hat.

Ein weiterer Aspekt ist die schwierige Versorgungssicherheit bei Stahl. Viele disponieren wegen der gesetzten Sanktionen nicht mehr in Russland und der Stahlpreis geht durch die Decke, bei gleichzeitig verschlechterter Verfügbarkeit. Gemeinsam mit den drastisch gestiegenen Energiekosten belasten diese Preissprünge unsere Liquidität maßgeblich.

Michael Ostermann ist seit 1. Januar 2021 als Vorstand der Frauenthal Holding für die Division Frauenthal Automotive zuständig. Er war bereits vom 1994 bis 2008 in der Frauenthal-Gruppe tätig und von 2005 bis 2008 ebenfalls als Vorstand für Frauenthal Automotive maßgeblich am Aufbau der automotiven Sparte verantwortlich.

Schweißarbeit bei frauenthal automotive
© YouTube/ FAIRAIR systems

Trotz alledem hat die Frauenthal Gruppe 2021 erstmals die Umsatzmilliarde übersprungen. In der Division Automotive stieg das EBITDA von 16,1 auf 24 Millionen Euro. Sie sprachen zuletzt von „gezielten Maßnahmen“, die den gestiegenen Kosten für Vormaterialien, Energie und Logistik entgegenwirken konnten.

Ostermann:
Es war natürlich ein ganzes Paket an Maßnahmen. Aufgrund der aktuellen Volatilität war die Flexibilisierung unserer Ressourcen und Kapazitäten extrem wichtig und einer unserer Schwerpunkte und Fokusbereiche im vergangenen Jahr. Wir müssen es schaffen, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten, unsere Kapazitäten und Ressourcen flexibel zu planen und kurzfristig anzupassen. Working Capital Management ist im Lichte der Volatilität ebenfalls eine äußerst schwierige Herausforderung. Hier haben wir Abläufe entwickelt, die uns helfen schneller als bisher auf Schwankungen zu reagieren.

Wie reagieren Sie auf die Teuerungen bei Energie?


Ostermann:
Steigende Energiekosten haben uns nicht nur im letzten Jahr dazu veranlasst, unser Energiemanagement und unsere Verbräuche zu optimieren. 2021 und 2022 haben wir beispielsweise insgesamt drei Investitionsprojekte lanciert, um Photovoltaikanlagen in verschiedenen Werken zu installieren. Dies sind die ersten kleineren Schritte, weitere werden folgen. Parallel dazu setzen wir Projekte zur Reduktion des Energieverbrauchs um.

Gestiegene Produktionspreise werden wohl aber auch an Kunden weitergegeben?


Ostermann:
Die Profitabilität- und Margensituation ist in der gesamten Automobilzulieferindustrie extrem angespannt. Es ist daher unumgänglich, dass wir gestiegene Material- und Energiekosten an unsere Kunden weitergeben müssen. Dabei setzen wir auf eine transparente und klare Kommunikation mit unseren Kunden, weil wir ausschließlich die tatsächlichen Mehrkosten weiterverrechnen. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Finanzierung der steigenden Materialpreise in unserem Working Capital immer mehr Liquidität verzehrt. Auch dieses Thema muss beachtet und adressiert werden.

Die an der Wiener Börse notierte Frauenthal-Gruppe ist ein Mischkonzern mit den beiden Divisionen Frauenthal Automotive sowie Frauenthal Handel. Frauenthal Automotive ist Entwicklungspartner der europäischen Nutzfahrzeug- und PKW-Industrie und produziert Press- und Schweißkomponenten aus Metall (Frauenthal Gnotec), Druckluftbehälter (Frauenthal Airtank) sowie Schmiedepleuel und Ausgleichswellen (Frauenthal Powertrain) an sieben Standorten in vier europäischen Ländern, einem in China und einem in den USA.

Die Frauenthal-Gruppe beschäftigte zum 31. Dezember 2021 im Durchschnitt rund 3.255 Mitarbeiter und erzielte im Jahr 2021 einen Umsatz von MEUR 1.024,1.

frauenthal
© YouTube/ FAIRAIR systems

Und das alles in Ihrem ersten Jahr als Vorstand der Holding. Sind Sie zufrieden, wenn Sie auf die letzten 16 Monate zurückblicken?

Ostermann:
Seit meinem Start in der Frauenthal Holding im Jänner 2021 haben wir die Krise auch genutzt, um Hausaufgaben zu erledigen, die manchmal im Trubel des Tagesgeschäftes liegen bleiben. Hier haben wir große Fortschritte hinsichtlich Effizienz und Kosteneinsparungen erzielt, teilweise unterstützt durch Investitionen, teilweise durch organisatorische Maßnahmen. Wir haben ein Programm eingeleitet, um die Kostenstrukturen zu flexibilisieren und skalierbar zu machen. Damit sind wir auf kurzfristige Nachfragerückgänge aber auch Wachstum vorbereitet, weil sich Unsicherheiten in der Stückzahl- und Variantenentwicklung reduzieren. Andere Beispiele sind die Harmonisierung des IT-Bereichs, Investitionen in IT-Security und Digitalisierung.

Der Stellenwert der Digitalisierung erhöht sich durch die Auswirkung von Corona noch rasanter. Die Integration mit den Kunden in den Bereichen Logistik, RFQ-Prozess und Entwicklung erfordert laufend höhere Kompetenzen der Zulieferer, die Prozesse digital abzubilden. Einen Meilenstein in diesem Bereich ist unser erfolgreich absolviertes TISAX-Audit für VW und AUDI. Diese Zertifizierung ist ein unternehmensübergreifendes Prüf- und Austauschverfahren für Informationssicherheit in der Automobilindustrie. Damit kann Frauenthal Automotive digital Anfragen seitens VW, aber auch BMW und anderer OEMs empfangen und spielt dadurch in der höchsten Liga unter den Zulieferern mit.
Trotz der problematischen Marktlage verfolgen wir konsequent unsere im 1. Halbjahr 2021 erarbeitete Unternehmensstrategie „Route 500“. Das Ziel ist, mit einem profitablen Wachstumskurs bis 2025 einen Umsatz von 500 Millionen Euro zu erwirtschaften.

Und das trotz der massiven Kostensprünge in der Automobilindustrie. Wie viel kann die Branche überhaupt noch ertragen?


Ostermann:
Die Situation in der gesamten Automobilzulieferindustrie ist extrem angespannt. Für uns ist es unumgänglich, dass wir gestiegene Material- und Energiekosten konsequent an unsere Kunden weitergeben müssen. Es geht uns um die Weitergabe der tatsächlichen Mehrkosten und nicht um Profitmaximierung. Wir haben weder die finanziellen Ressourcen noch die Profitabilität, diese Mehrkosten selbst zu schultern. Nach meinem Wissen geht es vergleichbaren Zulieferern sehr ähnlich und ich würde davon ausgehen, dass auch diese um eine Weitergabe nicht herumkommen.

Insgesamt erhöht die vorliegende Lage den Druck auf Zulieferer. Die Kunden benötigen Lieferanten, die vermehrt Entwicklungs- und R&D-Arbeiten übernehmen können. Parallel dazu erwarten sie, dass ihre strategischen Partner sie in allen Märkten unterstützen und vor Ort produzieren können. Insbesondere durch unsere neue Strategie sind wir gut auf diese Entwicklung ausgerichtet. Im Vergleich zu vielen Mitbewerben ist Frauenthal Automotive als Division eines starken und finanzkräftigen Mischkonzerns aber besser aufgestellt und daher für Kunden ein zuverlässigerer Partner.

Frauenthal-Vorstandsvorsitzender Hannes Winkler rechnet die positiven Konzernzahlen den Investitionen der vergangenen Jahre für die guten Konzernzahlen. Welche Investments sind für das Segment Automotive geplant?


Ostermann:
Die Frauenthal-Gruppe investiert permanent in produktivitätsverbessernde oder kapazitätssteigernde Projekte. Unser erklärtes Ziel ist es, auch den Automatisierungsgrad zu erhöhen. Im Jahr 2021 haben wir unser bis dato größtes Investitionspaket zum Ausbau der Kapazitäten in unserem Werk in der Slowakei gestartet. Bis 2025 werden hier ca. 14 Millionen Euro investiert werden und somit die bestehende Kapazität annähernd verdoppelt.

Darüber hinaus haben wir in unserem Werk in den USA eine große Investition freigegeben. In diesem Jahr werden wir dort eine Fertigungslinie für Aluminium-Luftdruckbehälter in Betrieb nehmen. Zusätzlich siedeln wir gerade mit unseren Standorten in den USA und in China um. In beiden Ländern haben die neuen Standorte größere Produktionsflächen und werden uns helfen, unseren geplanten Wachstumskurs auch in diesen Märkten weiter fortzusetzen.

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