Russlandkrise : Russlands Krieg und die Folgen für Österreichs Industrie

TANKER LNG

LNG-Tanker bei der Befüllung.

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Der Ausgang des Ukraine-Kriegs bleibt nach wie vor ungewiss. Monatelange Belagerung ukrainischer Städte? Rückzug der russischen Truppen in Richtung Donbas und Lugansk? Provokationen bis haarscharf an die Nato-Grenze? Erfolgreiche Friedensverhandlungen? Waffenstillstand? Kaum eine Option scheint im Moment wahrscheinlicher als die andere. Selbst Szenarien, die noch vor Kurzem gänzlich abstrus wirkten, werden nun ernsthaft diskutiert: ein militärischer Sieg der Ukraine etwa oder der Sturz Putins. Ja selbst der Einsatz von strategischen Atomwaffen bleibt als Worst-Case-Szenario im Hintergrund bestehen.

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Die mittel- und langfristigen Auswirkungen der Krise für Österreichs Industrie zu erfassen, ist vor diesem Hintergrund nicht einfach. Selbst bei Prognosen, die bloß die nächsten Tage und Wochen betreffen, wollen sich Wirtschaftsforscher, aber auch Unternehmer selbst, kaum festlegen. Wie der Ukraine-Krieg die Welt verändern wird, das sagen sie, werde sich erst zeigen. Eines fällt allerdings aus: Je mehr Exposure in der Region eine Branche oder ein Unternehmen hat, desto ungewisser fallen die Aussagen aus.

Die Lage: Wie Österreichs Unternehmen durch die Krise manövrieren


Immerhin rund sieben Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet der Salzburger Kranbauer Palfinger in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, den Großteil in Russland, wo man mit fünf Werken und rund 1.300 Mitarbeitern vertreten ist. Strategisch will sich Palfinger in Zukunft nun weg von Russland und noch stärker als bis jetzt auf die Zukunftsmärkte Nord- und Lateinamerika konzentrieren. Im Tagesgeschäft fahre man hingegen auf Sicht und entscheide immer wieder neu, was, wo und wie lange noch produziert, wird, erklärt CEO Andreas Klauser: „Zur lückenlosen Umsetzung der geltenden Sanktionen haben wir eine Taskforce eingesetzt. Sie evaluiert die Situation täglich neu.“

So oder so ähnlich machen es derzeit viele der auf dem russischen Markt vertretenen Unternehmen. „Da das Thema so dynamisch ist, ist es wichtig die Ereignisse tagespolitisch laufend neu zu bewerten und die Auswirkungen auf das Unternehmen zu prüfen“, teilt etwa eine Sprecherin des Vorarlberger Beschläge-Herstellers Blum auf Anfrage nach den Auswirkungen des Krieges mit. Als weltweiter Player und Marktführer gehört Blum zu jenen Österreichischen Betrieben, für die Russland ein wichtiger Markt ist.

Wie auch für den der Lebensmittelhersteller Agrana, der in Russland und der Ukraine immerhin fast 100 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet und rund 1.100 Mitarbeiter beschäftigt. Bei Agrana, wo man wegen der aktuellen Krise mit Abschreibungen von bis zu 85 Millionen Euro rechnet, sind die Manager allerdings, was Russland betrifft, schon länger krisen- und sanktionenerprobt. Denn bereits 2014, nach der Annexion der Krim durch Russland, hat Moskau als Antwort auf die EU-Sanktionen ein Lebensmittelembargo auf EU-Waren verhängt, das bis heute gilt. Seitdem bezieht Agrana, Kirschen, die man im russischen Werk in Serpuchow verarbeitet statt aus dem EU-Land Polen aus Serbien, Pfirsiche kommen statt aus Spanien aus Asien. Das Werk in Serpuchow, in dem für den lokalen Markt produziert wird, will das Unternehmen weiterhin offenhalten.

Andere wiederum wie der Mutter-Konzern der österreichischen Brau-Union, die niederländische Heineken-Gruppe, brechen ihre Zelte in Putins Reich hingegen komplett ab. Nachdem Heineken schon bald nach dem Angriff auf die Ukraine aufgehört hat, seine Produkte nach Russland zu exportieren, werden nun auch die Werke in Russland selbst geschlossen. „Unter den heutigen Umständen ist es nicht mehr möglich, in dem Land aktiv zu sein“, teilte das Unternehmen Ende März mit. Dabei war Russland für die Brau-Union eigentlich ein Zukunftsmarkt. Das Unternehmen hat erst vor wenigen Jahren die Kapazitäten für die Produktion von Gösser-Bier in Russland auf beträchtliche 600.000 Hektoliter ausgebaut. Das sind fast zwei Drittel der Menge, die man in Österreich herstellt.

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Was die Ad-Hoc-Folgen des Kriegs, betrifft, gilt dennoch für so gut wie alle österreichischen Unternehmen: Existenzbedrohend wurden sie bislang von dem Konflikt nicht getroffen. Russland ist zwar die elftgrößte Volkswirtschaft der Welt und für zwei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. verantwortlich, doch selbst, wenn dieser Markt völlig wegfallen würde, wären die unmittelbaren Folgen nicht allzu dramatisch. „Das Einbrechen aller Exporte nach Russland und in die Ukraine würde für uns einen Rückgang des BIP um 0,45 Prozent bedeuten“, sagt Georg Knill, Chef der Industriellenvereinigung.

Was daran liegt, dass österreichische Unternehmen andere Kernmärkte haben. Ausfälle in Russland und der Ukraine würden daher zwar schmerzen, sagt Knill, wären aber zu verkraften. Auch in seinem eigenen Unternehmen: „Wir durften ein von der ÖKB besichertes Anlagen-Projekt aufgrund der Sanktionen nicht abschließen und liefern. Russland, Belarus und die Ukraine machen aber gerade fünf Prozent unseres Umsatzes aus. Mehr Sorgen mache ich mir um die vielen Freunde, die ich in den Jahren, die wir dort tätig sind, in den drei Ländern gewinnen konnte“, sagt Knill.

Die Aussichten: Wie Industrie-Manager die Zukunft sehen


Sorge um Mitarbeiter und Businesspartner, aber Gelassenheit, was das eigene Geschäft betrifft, diese Haltung ist derzeit bei vielen österreichischen CEOs, die im Krisengebiet tätig sind, zu spüren. Zugleich gilt aber: Kaum ein österreichisches Unternehmen rechnet damit, dass es vom Krieg zwischen Russland und der Ukraine unberührt bleiben wird – auch jene nicht, die auf diesen Märkten gar nicht präsent sind. Allein in der metalltechnischen Industrie sagen fast neunzig Prozent der in einer Umfrage des Fachverbands der metalltechnischen Industrie kontaktierten Geschäftsführer, dass sie massiven Auswirkungen des Konflikts auf ihr Unternehmen schon im aktuellen Jahr erwarten.

Andreas Fill, Eigentümer und Geschäftsführer des oberösterreichischen Sondermaschinenbauers Fill, ist einer von ihnen. In Russland nur marginal und in der Ukraine mit einem größeren aktuellen Projekt engagiert, wird sein Unternehmen, wie er im Interview sagt, was direkte Folgen der Kampfhandlungen betrifft, „schlimmstenfalls mit einem blauen Auge davon kommen“. Auf das Gesamtgeschäft werde sich die Situation aber dennoch massiv Auswirken, vor allem wegen der rapide steigenden Preise für Vorprodukte: „Beim Stahl hatten wir eine Verdopplung innerhalb von zwei Wochen. Das geht richtig ins Geld. Das ist bei vielen Vormaterialien der Fall. Zum Teil sichern dir die Lieferanten einen Preis gerade einmal für drei Stunden zu, denn danach könnte es schon wieder teurer werden.“

Einfach sei das Umfeld tatsächlich nicht, das bestätigt Philipp von Lattorff, der Generaldirektor von Boehringer Ingelheim. Von Wien aus betreut er als Geschäftsführer des Regional Centers Vienna sowohl die Ukraine als auch Russland. „Ich kenne beide Länder und unsere Kollegen und Kolleginnen vor Ort sehr gut. Mein erster Gedanke war daher, sie so rasch wie möglich in Sicherheit zu bringen.“

Was das Geschäft anlangt, so sei es für Boehringer Ingelheim als Pharmaunternehmen gerade jetzt wichtig, die Menschen vor Ort mit Medikamenten zu versorgen. „Das ist in der Ukraine derzeit sehr schwierig, Russland kann weiter beliefert werden.“ Über die längerfristigen Folgen des Konflikts macht sich von Lattroff wenig Illusionen: „Selbstverständlich erwarten wir finanzielle Einbußen. Aus heutiger Sicht ist eine Vorhersage der weiteren Entwicklungen schwierig. Fest steht aber: Europa befindet sich in einer Krise, deren Ende derzeit nicht abzusehen ist.“

Das sagen auch jene österreichischen Unternehmen, die von der aktuellen geopolitischen Lage geschäftlich sogar profitieren wie der niederösterreichische Ausstatter von Erdölfeldern SBO. „Die unsichere Versorgungslage und der Wunsch, so schnell wie möglich von russischen Erdgaslieferungen unabhängig zu werden, werden zu neuen Investitionen führen, in Nordafrika und im Nahen Osten. Das schafft für uns ein gutes Geschäftsklima“, erklärt der CEO von SBO Gerald Grohmann im Interview, schränkt dann aber gleich ein: „Das ist die isolierte, vor allem auf unser Unternehmen konzentrierte Sichtweise. Dass der Konflikt, den wir jetzt haben, eine massiv dämpfende Wirkung auf die gesamte Weltwirtschaft haben wird, wenn er länger andauert, das ist natürlich auch klar. Da hängt sehr viel von der Entwicklung der nächsten Wochen ab.“

Es sind am Ende vor allem zwei Fragen, von denen die Zukunft abhängen wird. Beide sind schwer zu beantworten, beide sind, was es erst recht kompliziert macht, sehr eng mit globaler Geopolitik verwoben: Wird in den nächsten Monaten genug leistbare Energie vorhanden sein, um die Produktion in den Unternehmen ohne Einschränkungen am Laufen zu halten? Und: Wie weit kann sich die ohnehin schon akute Lieferkettenproblematik verschärfen?

Vladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei der Eröffnungszeremonie der Gaspipeline TurkStream 2020

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Geopolitik: Was passiert mit den Lieferketten?

Die geopolitischen Verwerfungen, zu denen der Krieg geführt hat und noch führen wird, sind kaum ermessbar. Während schon jetzt klar ist, dass Europa und die USA angesichts des Kriegs so nahe zusammengerückt sind wie schon lange nicht mehr, bleibt die Position Chinas nach wie vor uneindeutig. Von ihr aber wird es sehr stark abhängen, wie lange Russland den Krieg in der Ukraine fortsetzen kann und wie sehr als Folge davon die Lieferketten österreichischen Unternehmen leiden werden: durch hohe Energie- und Transportpreise, durch Handelseinschränkungen, durch Umwege, die schon jetzt beträchtlich sind, durch mangelnde Verfügbarkeit von Vorprodukten wie Erz, Kobalt oder Nickel.

„Russland steht derzeit ziemlich isoliert da, die strategische Partnerschaft mit China ist eng, aber bislang ist unklar, ob China Russland helfen wird, westliche Sanktionen zu umgehen“, urteilt Margarete Klein, Leiterin der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dazu komme noch: „Jeder Schulterschluss Russlands mit China wird ein Schulterschluss auf unterschiedlicher Höhe sein.“ Denn sowohl militärisch als auch wirtschaftlich sei China jener Partner, der eindeutig stärker ist.

Die Ziel, das Putin mit dem Ukraine-Krieg verfolgt, ist allerdings durchaus mit den geopolitischen Wünschen Chinas vereinbar. Denn, wie Klein betont: „Putin will die Perspektive eines NATO-Beitritts der Ukraine ein für allemal aus der Welt zu schaffen und die europäische Sicherheitsordnung grundsätzlich zu Gunsten Russlands zu verändern.“ Aus Chinas Sicht wäre das zumindest keine negative Entwicklung. Für die Zuverlässigkeit der europäischen Lieferketten hingegen schon.

Ob Russland seine Ziele im Ukraine-Krieg erreichen kann scheint allerdings fraglich. Noch fraglicher ist allerdings, ob der russische Präsident diese Tatsache je akzeptieren wird. Viele Analytiker wie die an der London School of Economics lehrende Geopolitik-Expertin Kristina Spohr rechnen daher mit dem sogenannten afghanischen Szenario – einem langen, aussichtslosen Krieg, der erst dann zu Ende geht, wenn Putin ökonomisch gar nicht mehr in der Lage sein wird, ihn weiter zu führen.

„Das mit Sanktionen belegte Russland wird sich schwer tun, die Ukraine zu okkupieren“, sagt Spohr. „Noch funktionieren Putins Propaganda, die strenge Zensur und das Durchgreifen seines Sicherheitsapparats. Wenn die Lebenskosten immer höher werden. ist es aber möglich, dass dann, wie es in Russland heißt der Kühlschrank über den Fernseher siegt, und die Proteste gegen Putin eine kritische Masse überschreiten und ihn dann zum Rückzug zwingen.“

Einen Rückkehr zum Business as Usual wird es aber auch in diesem Fall nicht geben, meint Spohr. Die Zeit als der schöne Spruch vom Wandel durch Handel die Haltung Europas gegenüber Moskau bestimmte, sei vorbei: „An erster Stelle stehen nun Abschreckung und Verteidigung, dann kommt erst Dialog“, urteilt die Professorin. Auch in wirtschaftlichen Dingen, allein schon deshalb, weil China und Russland schon seit Längerem daran arbeiten, die Welt von Ihren Rohstoffen abhängig zu machen.

Bei Erdgas ist die Rechnung fast aufgegangen. Doch das ist nicht alles. Nickel, den die Autoindustrie dringend braucht und Neon, ohne den die Halbleiterproduktion nicht funktioniert, sind nur zwei weitere von vielen Rohstoffe, von denen Europa zunehmend abgeschnitten werden könnte und für deren Beschaffung dringend Ersatz gefunden werden muss. Ganz unabhängig davon, ob der Krieg in der Ukraine schon bald endet oder noch Jahre dauert.