Russlandkrieg : Russisches Erdgas: Wie Europa die Abhängigkeiten senken kann

Gazprom-Mitarbeiter bei Arbeiten an einem Teilstück der Pipeline in Sibirien, aufgenommen 2019

Gazprom-Mitarbeiter bei Arbeiten an einem Teilstück der Pipeline in Sibirien, aufgenommen 2019

- © MAXIM SHEMETOV / REUTERS / picturedesk.com

Für Vitali Klitschko, den Bürgermeister von Kiew, ist die Sachlage klar. Es gebe Länder, die versuchen auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Sie verurteilen, den Krieg, füllen aber Putins Kriegskasse auf, indem sie nicht bereit sind, ein Embargo auf russisches Erdgas einzuführen, sagte er kürzlich. Österreich war explizit mit gemeint, denn die für den Westen wenig schmeichelhaft Aussage machte Klitschko ausgerechnet in einem Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Um dann noch nachzulegen: „Wer will findet einen Weg, wer nicht will, findet eine Ausrede.“

So wichtig es sei, Alternativen aufzubauen, ein sofortiger Verzicht auf russisches Gas würde Österreichs Wirtschaft einen kaum zu verkraftenden Schaden zufügen, findet hingegen der Chef der Industriellenvereinigung Georg Knill: „Zu sagen: Wir können russisches Erdgas in einem Jahr durch Erneuerbare und LNG ersetzen, ist nicht nur naiv, es ist fahrlässig. LNG ist im Moment ein Beruhigungsschlagwort.“ Denn weder seien derzeit die Mengen am Markt vorhanden, noch sei Infrastruktur wie Pipelines und Terminals gegeben, um das benötigte Gas nach Österreich befördern zu können.

80 TW/h russisches Erdgas hat Österreich im Vorjahr aus Russland bezogen, diese Menge kurzfristig ersetzen zu wollen, sei ein Vorhaben, das scheitern muss, findet Knill: „Im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ist die Rede davon, dass Österreich bis 2030 zusätzliche 27 TW/h aus erneuerbaren Energien produzieren soll. Schon dieses Ziel ist mehr als ambitioniert. Vieles deutet darauf hin, dass wir es nicht erreichen werden. Und jetzt sollen wir plötzlich von heute auf morgen zusätzliche 80 TW/h als Ersatz für russisches Gas schaffen?“

Zu dem kommt: Die Frage der Verfügbarkeit ist nur eine Folge der Russland-Krise, die Frage des Preises eine andere. Das Szenario, dass zwar genug Energie vorhanden ist, aber zu Preisen, die ein gewinnbringendes Arbeiten kaum erlauben, ist durchaus real, auch wenn es bislang nur vereinzelt in besonders energieintensive Branchen eingetreten ist. So musste zum Beispiel der Papierhersteller Norske Skog sein Werk in Bruck an der Mur wegen hoher Energiepreise kurzfristig stoppen. Inzwischen läuft die Produktion wieder.

Die Frage der Verfügbarkeit ist freilich noch dringlicher. Dass Putin selbst den Gashahn zudreht, hielten die meisten Ökonomen die längste Zeit für wenig wahrscheinlich. Seit der russischen Forderung, westliche Staaten sollen das Erdgas in Rubel bezahlen, ist ein Stopp der Lieferungen aber als Möglichkeit wieder im Fokus, jedenfalls dann, wenn über die Zahlungsmodalitäten keine Einigkeit erzielt werden kann. „Sollte Russland tatsächlich die Gaslieferungen einstellen, dann stelle ich mir die Wiederaufnahme dieser Verbindung sehr schwierig vor“, kommentiert Sebastian Koch von der Forschungsgruppe Makroökonomie und Wirtschaftspolitik am IHS.

Er weist aber auch auf eine derzeit wenig beachtete Tatsache hin. Die Erdölpreise seien im Moment zwar massiv gestiegen, werden aber dennoch in einem möglicherweise übertriebenen Ausmaß als bedrohlich empfunden: „Gemessen am Einkommen waren die Energiepreise in der Vergangenheit auch schon höher. Im Juni 2008 hatten wir bereits Preise von 140 Dollar pro Barrel.“ Und, was auch wichtig, ist: Nach fast jedem Peak gab es eine starke Bewegung nach unten. Dass der Preis auf Dauer um oder über 100 Euro pro Barrel bleibt, könne daher, müsse aber nicht passieren, urteilt Koch: „Der Versuch Gas- und Ölpreise vorherzusagen misslingt immer wieder. Da gibt es kaum Signale, die unmittelbar interpretierbar wären. Die Entwicklung ist oft sehr erratisch, oft sehr stark von psychologischen Faktoren bestimmt.“

Wahr ist allerdings auch: Selbst wenn die Erdölpreise sich wieder auf einem niedrigeren Niveau als derzeit einpendeln: Das Ziel, von russischen Erdgaslieferungen unabhängig zu werden, kann auf Dauer nur durch eine weitgehende Dekarbonisierung der Energieträger erreicht werden.