Energiekrise : Energieintensive Industrie: "Keiner weiß, wozu der Preis noch imstande ist"

Martin Wagner, Geschäftsführer VERBUND Energy4Business

Martin Wagner, Geschäftsführer von Verbund Energy4Business: "Nationale Alleingänge sind nicht zielführend, wir müssen international kooperieren."

- © MELZER PR GROUP

Die hohen Energiepreise sind ein Dorn im Auge energieintensiver Industrien. Lösungen gibt es, zumindest zum Teil. Doch solange Unternehmen ihren eigenen Energieverbrauch nicht aktiv managen und die Energieoptimierung nicht an oberster Stelle in der Unternehmensstrategie steht, werden sie auch künftig unter volatilen Preisen leiden.

Zu diesem Fazit kommen Vertreter österreichischer Energieversorgungsunternehmen, die unter dem Namen „Chefsache Energiezukunft Österreich“ in Wien zur Diskussion zusammentrafen.

„Unser Berechnungsmodell sagt, dass die Kosten für Energie für Unternehmen und Konsumenten im nächsten Jahr in etwa 30 Milliarden Euro höher sein werden als im letzten Jahr“, sagt Monika Köppl-Turyna, Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria, im Rahmen des Talks.

„Davon werden etwa 7 Milliarden auf die Haushalte und 23 Milliarden auf die Unternehmen zukommen. Von allen Vorschlägen der Preisdeckelung halten wir die Gaspreisdeckelung für am sinnvollsten. Eine Subventionsgrenze von 125 Euro für den Einsatz von Erdgas würde einer Reduktion des Strompreises von etwa 40 Prozent gegenüber dem Stand von Anfang September entsprechen. Der Strompreis würde dabei weiterhin deutlich über dem langjährigen Schnitt liegen und damit auch kräftige Anreize zur Reduktion des Verbrauches bieten.“

Denn genau das sei entscheidend für ein Umdenken von Politik und Industrie: Nur hohe Preise können eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene bewirken, die jetzt dringend notwendig sei.

„Energiezukunft Österreich“: Monika Köppl-Turyna, Thomas Lutzky u.a. diskutieren.

Die derzeit größte Herausforderung für Energieversorger liege, so die Geschäftsführerin der Energie AG Oberösterreich, Melanie Schönböck, in der Unberechenbarkeit der Preiseentwicklung und den extrem gestiegenen Risiken: „Schon 2021 lag der Strompreis mit 87 Euro pro MWh auf einem All-Time-High, am 26. August 2022 war er rund zwölfmal so hoch. Momentan liegen wir in etwa immer noch bei einer Versechsfachung im Vergleich zu 2021 und beim Gaspreis sieht die Entwicklung ähnlich dramatisch aus. Das Problem, vor dem wir alle stehen, ist, dass keiner weiß, wozu der Preis insbesondere bei einer weiteren Verknappung im Winter noch imstande ist.“

Einig ist man sich in der Runde, dass eine temporäre Deckelung des Gaspreises in Europa, wie von der österreichischen Energiebranche vorgeschlagen, zumindest kurzfristig den Strompreis senken und die Kosten besser kalkulierbarer machen würde.

„Eine wirkliche Erleichterung wird es erst geben, wenn Angebot und Nachfrage wieder besser zusammenpassen“, ergänzt Schönböck. „Denn
nur dann wird der Markt wieder zu ‚normalen‘ Preisen zurückkehren. Das kann durch eine langfristige Diversifizierung der Gasquellen, Einsparungsmaßnahmen und durch eine Erhöhung des Angebots auch am Strommarkt erreicht werden. Dafür müssen auch noch Hürden im Bereich Ausbau der erneuerbaren Energien, Stichwort Genehmigungsverfahren und Netzausbauten, abgebaut werden. Als wesentliche Einflussgröße insbesondere am Gasmarkt ist natürlich auch die geopolitische
Situation zu nennen.“

Geschäftsführerin der Energie AG Oberösterreich, Melanie Schönböck
Geschäftsführerin der Energie AG Oberösterreich, Melanie Schönböck: "Das Problem, vor dem wir alle stehen, ist, dass keiner weiß, wozu der Preis insbesondere bei einer weiteren Verknappung im Winter noch imstande ist.“ - © MELZER PR GROUP

Martin Wagner, Managing Director von Verbund Energy4Business, ist überzeugt, dass Eingriffe in den Markt nur gelingen können, wenn sie europaweit gedacht und umgesetzt werden: „Es muss gemeinsam mit Politik, Wissenschaft und Industrie an einer gesamtheitlichen und dauerhaften Lösung der Energie- und Klimakrise gearbeitet werden. Nationale Alleingänge sind nicht zielführend, wir müssen international kooperieren."

Thomas Lutzky, Geschäftsführer von Phoenix Contact in Österreich, einem Hersteller von Komponenten für die Elektrotechnik, sieht zusätzlich zum akuten Handlungsbedarf der Politik, auch die Unternehmen selbst gefordert: „Kurzfristig müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um der Gaskrise sinnvoll zu begegnen. Gleichzeitig gilt es auch
die Klimakrise zu adressieren."

Schlüsselfaktoren sind für Lutzky hier der Ausbau erneuerbarer Energie, Speicher und die Sektorenkopplung für mehr Effizienz beim Verbrauch. "Hier geht es neben Neuinvestitionen auch um die Ertüchtigung der bereits installierten Basis", so Lutzky weiter. "Das braucht technische
Innovationen in der Netzwerk- und Automatisierungstechnik, denn vieles was Hochglanzbroschüren heute versprechen, besteht den Praxistest noch nicht.“

In der Arbeit mit heimischen Unternehmen zeige sich zudem, dass das Wissen um den eigenen Energieverbrauch noch nicht ausreichend
vorhanden ist, so Lutzky weiter: „Engmaschiges Monitoring ist die Voraussetzung, dass Einsparungspotentiale erkannt werden. In der Vergangenheit war vieles betriebswirtschaftlich nicht so
relevant, was jetzt dringend geboten ist.“

Martin Wagner ergänzt: „So wie die Pandemie die Entwicklung der Kommunikationstechnologien massiv vorangetrieben hat, wird der Fokus jetzt auf den Ausbau der erneuerbaren Energien gerichtet. Und hier gilt tatsächlich, dass wir jeden freien Zentimeter mit Photovoltaikanlagen bebauen müssen, der möglich ist.“

Thomas Lutzky, Geschäftsführer von Phoenix Contact in Österreich
Thomas Lutzky, Geschäftsführer von Phoenix Contact in Österreich: „Kurzfristig müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um der Gaskrise sinnvoll zu begegnen." - © MELZER PR GROUP

In Österreich und in Europa stehe man allerdings hier vor dem Problem der mangelnden Netzwerkkapazitäten. „Es müssen strategische und ganzheitliche Konzepte zur Energieautarkie entwickelt werden. Denn was nutzen uns die vielen PV-Anlagen, wenn sie das Netz destabilisieren?", so Ulrike Haslauer, geschäftsführende Gesellschafterin vom Elektrohersteller Compact Electric "Es muss dringend in ein besseres Stromnetz investiert werden, um eine gute Basis für die heimische Industrie zu schaffen."

Ulrike Haslauer, geschäftsführende Gesellschafterin vom Elektrohersteller Compact Electric
Ulrike Haslauer, geschäftsführende Gesellschafterin vom Elektrohersteller Compact Electric "Es muss dringend in ein besseres Stromnetz investiert werden, um eine gute Basis für die heimische Industrie zu schaffen." - © MELZER PR GROUP

Außerdem sei es dringend an der Zeit, sinnvolle Alternativen zu angekauftem Strom und Wärme zu nutzen, sagt Martin Mühlbacher, Vice President Operations und Standortleiter von Innio Jenbacher
in Tirol: „Wasserstoff wird künftig notwendig in volatilen Stromzeiten sein. Außerdem müssen Biogase in Österreich viel mehr genutzt werden."

Innio könnte den Jenbacher Standort mit 2.000 Mitarbeitern in Tirol komplett energieautark betreiben und das, trotz energieintensiver Produktion, sogar mit Überschuss: „Neben der Photovoltaikanlage nutzen auch wir Erdgas und Wasserkraft für unseren Bedarf“, so Mühlbacher weiter. „Entscheidend für
ein Unternehmen ist dann auch die passende Software, die mittels künstlicher Intelligenz feststellt, wo Strom und Wärme in dem jeweiligen Augenblick am meisten gebraucht und wo sie zeitgleich am
besten eingespart werden kann.“

Um unabhängig von russischem Gas zu werden, brauche es seitens
der Politik unbedingt einen Ausbau des Wasserstoffnetzes sowie leistbare Produkte. „Derzeit muss für eine effiziente Wasserstoffproduktion der Strom günstig sein. Ein Wasserstoffkonzept funktioniert erst dann gut, wenn Überschussstrom im Netz ist, der abgenommen werden muss", so Mühlbacher weiter. "Es ist eine langfristige Lösung, die wir aber mit einer intelligenten Nutzung von erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne und Wasser erreichen können."