Abhängigkeit von russischem Gas : Erdgas in Europa: Ein Jahr ohne Nord Stream
Vor einem Jahr schockierte der russische Machtapparat die Verbraucher in der Europäischen Union mit einem Stopp der Gaslieferungen. Zunächst nannte Moskau als Grund für die Drosselung der Lieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 eine nach Wartungsarbeiten in Kanada fehlende Gasturbine. Dann wurden die Gaslieferungen wegen Wartungsarbeiten ganz eingestellt. Wegen eines vermuteten Öllecks wurden sie nicht wieder aufgenommen. Am 31. August 2022 strömte zum bislang letzten Mal Erdgas durch die Pipeline in der Ostsee.
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Allerdings war die Menge ohnehin kaum erwähnenswert: 235.000 Kilowattstunden, so viel wie gut 21 Haushalte in Deutschland jährlich verbrauchen. Die EU warf Gazprom damals vor, die Pipeline von Russland nach Deutschland unter Vorspiegelung falscher Tatsachen stillgelegt zu haben. Russland ziehe es vor, Gas zu verbrennen, statt Verträge zu erfüllen. Dies sei ein weiterer Beweis für seine Unzuverlässigkeit als Lieferant.
Russlands Kalkül
Russland wollte mit dem Lieferstopp vor allem den Druck auf Deutschland und die EU erhöhen, die Sanktionen des Westens zu lockern. Diese waren im Zuge des russischen Krieges gegen die Ukraine verhängt worden. Bereits im Mai 2022 war der Transport durch die Jamal-Europa-Pipeline von Russland komplett eingestellt worden. Moskau kalkulierte, dass die fehlenden Gasmengen den Preis weiter steigen lassen würden.
Dieser war bereits seit dem Herbst 2021 in die Höhe geschnellt, weil sich die Weltwirtschaft wieder erholt hatte und später auch durch den Krieg. Auf diese Weise wollte der Kreml erreichen, dass die bereits fertig gestellte Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 doch noch in Betrieb genommen wird. Kremlchef Wladimir Putin warb damit, dass damit viele Probleme auf einen Schlag gelöst würden. Vor allem würden die Preise für die europäischen Verbraucher sinken.
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Doch Deutschland machte klar, dass es sich nicht erpressen lassen werde. Noch bevor die Ostseepipelines auf möglichen Druck der Europäer (wieder) in Betrieb genommen werden konnten, sprengten Saboteure Ende September nahe der Ostseeinsel Bornholm beide Stränge von Nord Stream 1 und einen von Nord Stream 2. Die Ermittlungen zu den Tätern laufen. Zuletzt berichteten "Der Spiegel" und das ZDF nach umfangreichen Recherchen, dass die Spuren in die Ukraine führen.
Bis zu 75% des EU-Marktes für Gazprom verloren
Der Schaden, der dem russischen Gasmonopolisten Gazprom dadurch entsteht, ist immens. Zwar wird in China deutlich mehr Gas abgenommen als je zuvor - allerdings zu vergleichsweise niedrigen Preisen. Einen Ersatz für den EU-Markt, auch wenn Russland weiterhin verflüssigtes Erdgas (LNG) in die EU verkaufen kann, hat Russland bisher nicht gefunden. 65 bis 75 Prozent des angestammten EU-Marktes könnten für Gazprom endgültig verloren sein, schätzen russische Analysten.
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Schon vor dem Streit um die Turbinen hatten Entscheidungen von Kremlchef Wladimir Putin dazu geführt, dass die Liefermengen systematisch reduziert wurden. Zuletzt wurde am 1. Juni 2022 eine übliche Liefermenge von 1.755 Gigawattstunden pro Tag verzeichnet. Danach gingen die Mengen zurück. Viele europäische Kunden haben ihre Verträge mit Gazprom gekündigt. Dies geschah, nachdem Putin angeordnet hatte, die Rechnungen in Rubel und nicht mehr in Euro oder Dollar zu bezahlen.
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Unter dem Druck dieser Maßnahme und im Zuge der Sanktionen sanken die Exporte laut Gazprom im vergangenen Jahr um fast die Hälfte (45,5 Prozent) auf 100,9 Milliarden Kubikmeter. Nach Einschätzung von Energieexperten könnte der Export in diesem Jahr um weitere 50 Prozent einbrechen. Analysten rechnen mit Exporterlösen von durchschnittlich nur noch 1,4 Milliarden US-Dollar (1,3 Milliarden Euro) pro Monat - ein Minus von 60 Prozent im Vergleich zum Jahresdurchschnitt. Im vergangenen Jahr lagen die Einnahmen für Russland wegen der hohen Preise zeitweise bei rund 8 Milliarden US-Dollar pro Monat. Jetzt sind die Preise wieder auf Vorkriegsniveau.
Ukraine kündigt Verträge mit Russland
Voraussichtlich 2024 werden die russischen Gaslieferungen über die Ukraine nach Österreich enden. Das ist das Fazit von Ex-OMV-Chef Gerhard Roiss. "Darauf haben wir uns in Österreich vorzubereiten." Der ukrainische Vize-Energieminister habe ihm kürzlich mitgeteilt, dass die Ukraine den Vertrag mit Russland über den Gastransit nicht über Ende 2024 hinaus verlängern werde.
Der russische Staatskonzern Gazprom hatte Ende 2019 mit der Ukraine einen Fünfjahresvertrag über russischen Gastransit abgeschlossen. Dieser endet am 31. Dezember 2024. Über diese Pipeline wird auch Österreich mit russischem Erdgas versorgt.
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Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) hatte von Roiss und dem ehemaligen E-Control-Chef Walter Boltz ein Konzept für den Ausstieg aus dem russischen Gas ausarbeiten lassen und Ende April präsentiert. Die Ministerin will die Energieversorger bei der Speicherung von nicht-russischem Gas stärker in die Pflicht nehmen und Teile des OMV-Gasgeschäfts in die Staatsholding ÖBAG ausgliedern. Außerdem soll sich Österreich Gasmengen der OMV in Norwegen und Rumänien samt Transportkapazitäten sichern.
Die Gaslieferungen schwanken "monatlich ziemlich stark"
Ein Jahr später hat sich die Versorgungslage mit Erdgas in Europa entspannt. Über Pipelines fließt Erdgas vor allem aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden nach Deutschland. Über drei neue LNG-Terminals in Nord- und Ostsee kommen kleinere Mengen hinzu. Der Bau weiterer Terminals ist in Planung. Verflüssigtes Erdgas kommt zum Beispiel aus den USA.
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Österreich sei es zwar gelungen, seine Abhängigkeit von Russland zu verringern, sie liege aber immer noch deutlich über dem EU-Durchschnitt. Nach Ansicht der EU-Kommission hat Österreich keinen "klar definierten kurzfristigen Plan", um sich vollständig von russischen Gasimporten unabhängig zu machen. Positiv hob die EU-Kommission hervor, dass der Anteil von russischem Gas an den Gesamtimporten in Österreich 2022 bei 57 Prozent lag - im Jahr davor waren es noch 80 Prozent. Der Anteil schwanke "monatlich ziemlich stark", sagte die Energieministerin. "Wir sind noch nicht am Ziel, wir sind noch nicht über den Berg.
Gazprom rutscht in die roten Zahlen
Der russische Energiekonzern Gazprom ist im zweiten Quartal tief in die Verlustzone gestürzt. Wie das staatlich kontrollierte Unternehmen mitteilte, stand unter dem Strich ein Verlust von 18,6 Milliarden Rubel (180,40 Millionen Euro). Grund dafür sei ein Einbruch bei den Gasexporten nach Europa gewesen. Im Vorjahr war Gazprom noch ein Nettogewinn von 1,03 Billionen Rubel zugeflossen.
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Zudem habe der Rubel-Kurs, der in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gegenüber dem US-Dollar um 24 Prozent an Wert verloren habe, das Ergebnis belastet, teilte der Staatskonzern mit. Österreich will bis 2027 unabhängig von russischem Gas werden, ebenso wie die anderen EU-Staaten. Dem steht allerdings ein 2018 - vier Jahre nach dem ersten russischen Einmarsch in die Ukraine - geschlossener Vertrag zwischen OMV und Gazprom entgegen, der eine Abnahmeverpflichtung bis 2040 vorsieht.