Pipelines : Nord Stream Explosion: was bekannt ist, was nun geschieht

Nord Stream Pipelines Arbeiter
© YouTube/ Stuttgarter Zeitung & Stuttgarter Nachrichten

Wie vor einigen Stunden bekannt wurde, haben Explosionen die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 so beschädigt, dass kein Gas durch die Röhren fließen kann.

Anfang der Woche war zunächst in einer der beiden Röhren der nicht genutzten Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Später meldete der Nord-Stream-1-Betreiber einen Druckabfall auch in diesen beiden Röhren. Dänische Behörden entdeckten schließlich insgesamt drei Lecks an den beiden Pipelines.

Was ist passiert?

Ob es sich um Sabotage oder einen Unfall bei der Beschädigung der Nord Stream Pipelines kam, ist noch nicht restlos geklärt. Vermutungen gibt es freilich bereits viele, auf allen Seiten.

Der deutsche Sicherheitsexperte Johannes Peters hält es für "relativ unwahrscheinlich", dass die Schäden an den Ostsee-Pipelines durch einen Unfall entstanden sein könnten. Er vermutet Russland hinter dem mutmaßlichen Sabotageakt. "Das wirkt vordergründig natürlich etwas widersinnig, die eigenen Pipelines zu zerstören", sagte der Experte vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel am Donnerstag. Es gebe aber durchaus gute Gründe dafür.

Ein Grund sei sicherlich, ein "starkes Signal" an Europa zu senden, vor allem an Deutschland und Polen, dass man dasselbe auch mit Pipelines machen könnte, die für unsere Versorgungssicherheit deutlich wichtiger seien, etwa die Pipelines aus Norwegen, so Peters im ARD-"Morgenmagazin": "Also seid euch mal nicht so sicher, dass ihr für den Winter gut aufgestellt seid und dass ihr in der Lage seid, unser Gas zu kompensieren."

Mehr zur Gasversorgung in Österreich lesen Sie hier!

Ein weiterer möglicher Grund für einen möglichen russischen Sabotageakt sei, dass man im Winter "die noch intakte Nordstream-2-Röhre dazu nutzen kann, um Druck auf Deutschland zu erhöhen, wenn beispielsweise der innenpolitische Druck auf die Regierung wachsen sollte, weil die Gaspreise hoch sind, weil wir vielleicht doch nicht genügend Gas haben für den Winter." Dann könnte Russland anbieten, durch die intakte Leitung doch noch Gas zu liefern. Dafür müsste Deutschland aber "aus dem westlichen Sanktionsregime ausscheren."

Die ebenfalls verbreitete These, dass die USA die Lecks verursacht haben könnten, "um zu verhindern, dass Europa in einem kalten Winter doch zu den Russen zurückfindet", hält Peters indes für nahezu ausgeschlossen.

Der Kreml selbst hatte am Mittwoch Spekulationen über eine russische Beteiligung an der Beschädigung der Pipelines als "dumm und absurd" zurückgewiesen. Russland fordert wegen der Lecks an den Nord-Stream-Gaspipelines nun eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats. Die russische Generalstaatsanwaltschaft leitete außerdem ein Verfahren wegen internationalen Terrorismus ein.

Moskau begründete den Schritt damit, dass mit der Beschädigung der Pipelines "Russland erheblicher wirtschaftlicher Schaden zugefügt" worden sei. Washington reagierte auf Andeutungen Moskaus, die USA könnten in die Vorfälle verwickelt sein. Derartige Aussagen seien "lächerlich", hieß es.

Nord Stream – Quick Facts

Nord Stream (die Ostsee-Pipeline) ist ein System aus Gasleitungen von Russland nach Greifswald in Deutschland. Nord Stream 1 wurde 2011 in Betrieb genommen. Die Arbeiten an Nord Stream 2 wurden 2021 abgeschlossen, doch das Genehmigungsverfahren im Zuge des Kriegs in der Ukraine unterbrochen. Gazprom ist zu 51 % Eigentümer und Betreiber der ersten Pipeline, sowie zu 100 % der zweiten. Die Transportkapazität soll jeweils bei 550 TW/h pro Jahr liegen.

Gazprom ist das größte Erdgasförderunternehmen der Welt und generell eines der größten Unternehmen Europas sowie einer der größten Arbeitgeber Russlands. Etwas über die Hälfte gehört dem russischen Staat, welcher auch die Mehrheit der Sitze im Aufsichtsrat hat.

Grafik Gas Erdgas Nord Stream 2 Pipeline Gazprom OMV Russland Deutschland
© APA

Ist ein Unfall eine wahrscheinliche Erklärung?

Die Ostsee gehört zu den am besten überwachten Seegebieten überhaupt - zumal nach der Eskalation der Spannungen mit Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine. Alle Anrainer beobachten den Schiffs- und Flugverkehr mit Sensoren, und es gibt dabei auf deutscher Seite hoch entwickelte Fähigkeiten.

So werden Bewegungen von Fahrzeugen im Wasser verfolgt, indem die akustische Signatur aufgenommen und mit einer Datenbank abgeglichen wird. Die Marine erstellt aus all diesen Informationen ein "Unterwasserlagebild", das allerdings bei der Beobachtung gegnerischer U-Boote auch an Grenzen stößt.

Das Schadensbild an der Pipeline wird weitere Aussagekraft haben, ob es sich um ein Unfall gehandelt haben könnte oder eher Sabotage dahinter steckt. Weil das austretende Gas aber zunächst erheblich Blasen schlägt, ist eine genauere Analyse erst später möglich. Dänemarks Verteidigungsministerium geht von ein bis zwei Wochen aus, bis die Lecks in etwa 80 Metern Tiefe untersucht werden können.

Wie leicht wäre eine absichtliche Beschädigung?

Sprengungen unter Wasser sind nicht schwer, vor allem wenn es - wie in der Ostsee - nicht um große Tiefen geht. Militärtaucher aller Nationen sind darin geübt. So werden Seeminen eines möglichen Gegners in der Regel unter Wasser kontrolliert gesprengt, nicht entschärft. Auch zivile Sprengschulen bieten eine solche Ausbildung an, ebenso Zivilschutzbehörden wie im Falle Deutschlands das Technische Hilfswerk (THW).

Prinzipiell ist aber bei einer Pipeline mindestens noch ein zweites Verfahren zur Zerstörung denkbar, sagen Technikexperten. Die Röhre wird mit einem "Molch" gewartet, einem ferngesteuerten Reinigungsroboter, der mit Sprengstoff bestückt werden kann, sofern Täter Zugang zu dem System haben.

Wer die technischen Fähigkeiten dafür mitbringt, ist auch bei der Suche nach den Akteuren wichtig. Von deutscher Regierungsseite gilt ein "staatlicher Akteur" derzeit als wahrscheinlich, falls es sich um Sabotage handelt - wovon EU und Nato ausgehen.

Hätte die Beschädigung verhindert werden können?

So es eine Sabotage war, gab es bereits im Vorfeld Hinweise. Die CIA hatte schon im Juni vor einem möglichen Angriff auf die Gas-Pipelines gewarnt. Wie konkret und zielgerichtet diese Warnung war, ist aber nicht bekannt. Größeren Maßnahmen zog sie nicht nach sich.

Die Verfassungsschützer von Bund und Ländern in Deutschland haben seit Beginn des russischen Angriffs mehrfach Unternehmen der kritischen Infrastruktur vor möglicher Sabotage und Cyberangriffen gewarnt. Im August hatte Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gesagt: "Wir müssen auf Attacken auf Gas-Terminals und andere kritische Infrastruktur gerüstet sein."

Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erklärte am Mittwoch: "Der mutmaßliche Sabotageakt an den Ostsee-Pipelines führt uns erneut vor Augen, dass wir auf kritische Infrastruktur angewiesen sind - auch unter Wasser. Die Umstände dieses beunruhigenden Ereignisses müssen nun schnell geklärt und die Verantwortlichen identifiziert werden." Sie habe vereinbart, Informationen mit Partnerländern zu teilen. Die Marine wird sich bei der Aufklärung einbringen.

Wird die Beschädigung als Angriff gewertet?

Dänemark und Schweden betonen, dass sie nicht angegriffen worden seien. Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen beider Staaten vor der Ostsee-Insel Bornholm gekommen. Die Frage eines Angriffs auf schwedischem oder dänischem Territorium stellt sich aus Sicht beider Regierungen also nicht. Deutschland ist in diesem Sinne - ungeachtet der langfristigen Folgen - noch weniger betroffen.

Ist eine Reparatur möglich?

Der Betreiber der Pipeline Nord Stream 1 schließt eine Reparatur des beschädigten Doppelstrangs zumindest derzeit nicht aus. Zurzeit sei allerdings grundsätzlich nichts auszuschließen, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Für eine Beurteilung müssten zunächst die Schäden begutachtet werden. Bisher gebe es keine Bilder. Erst nach einer Begutachtung könne man ein etwaiges Vorgehen festlegen. Es gebe Erfahrungen und Anbieter für entsprechende Arbeiten. Zu möglichen Kosten und wer diese übernehme, wollte der Sprecher wegen der fehlenden Informationen über die Schäden keine Angaben machen.

Zunächst müssten unbemannte Unterwasserfahrzeugen, die von Schiffen aus gesteuert werden, die Schäden erkunden. Man wolle die Schäden so schnell wie möglich inspizieren, das setze aber voraus, dass die Behörden die verhängten Sperrzonen aufhöben. Für die Nord Stream 2 AG dürften etwaige Erkundungen oder gar Reparaturen auch deshalb schwierig werden, weil das Unternehmen seit Anfang des Jahres unter US-Sanktionen steht, die Geschäfte mit dem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz unmöglich machen.

Gazprom Nord Stream 2 Turkish Stram Schiff Pipeline Erdgas Russland Erdöl Öl Mineralölindustrie
Ein Schiff von Gazprom. Das Erdgasförderunternehmen ist zu 51 % Eigentümer und Betreiber der ersten Pipeline, sowie zu 100 % der zweiten. - © Gazprom

Was passiert mit dem Gas in den Röhren?

Zum Zeitpunkt des plötzlichen Druckabfalls in einer der beiden Nord-Stream-2-Leitungen und beiden Nord-Stream-1-Leitungen befanden sich in den Röhren insgesamt Hunderte Millionen Kubikmeter Gas. Allein in der betroffenen Röhre von Nord Stream 2 waren es laut Betreiber über 170 Millionen Kubikmeter. Nord Stream 1 und 2 sind jeweils Doppelstränge mit ähnlicher Kapazität.

Ein Teil des Gases dürfte zunächst in den Leitungen bleiben, sagte Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek. Das sei der Fall, wenn Wasser- und Gasdruck ein gewisses Gleichgewicht erreichten. Zudem spiele das Gefälle, über das die Leitungen verlegt seien, eine Rolle. Gas noch an den Anlandestation abzulassen, sei seines Wissens nach nicht möglich, weil das Gas schneller aus dem Leck austrete. Man könne Gas auch nicht schlagartig ablassen, weil durch die plötzliche Reduzierung des Drucks Kälte entstehe, die technische Anlagen beschädigen könnte. "Das ist alles nicht so trivial."