Mit genügend Daten könnte man dem Computer aber auch Weltwissen beibringen.
Hochreiter: Mit diesem Argument kann man tatsächlich jede Kritik an der Unzulänglichkeit der KI erschlagen. Man kann immer sagen: Mit genügend Daten wird die KI auch das lernen. Aber die KI braucht eben diese Daten. Menschen lernen viel schneller: Einem Kind können Sie zeigen, wie man ein Bild aufhängt, und es wird das Bild nach wenigen Versuchen selber aufhängen können. Eine KI bräuchte dazu Millionen Versuche.
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Weil dem Menschen das Vermögen logisch zu denken genetisch einprogrammiert ist?
Hochreiter: Das glaube ich nicht. Ich glaube, auch wir lernen an Daten. Formale Logik kann man zwar lernen, aber das meiste, was wir wissen und können, leiten wir aus den Daten ab, die unser Hirn aufgenommen hat. Der Input bestimmt auch bei uns den Output, nur sind wir dabei viel effizienter als Computer.
Eine Blackbox, in der bei der Verarbeitung von Daten etwas passiert, wovon wir nicht genau wissen, was es ist, gibt es also nicht? Weder beim Menschen noch bei künstlicher Intelligenz?
Hochreiter: Doch, es gibt sie schon. Auch ich bin eine Blackbox. Woher kann ich sicher sein, dass ich das, was ich sage, wirklich verstehe und nicht nur deshalb sage, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es in einer bestimmten Situation gut kommt, eine bestimmte Antwort zu geben? Kann ich wirklich sagen, ich habe eine Tat gesetzt, weil sie mir logisch erschien? Oder ist die Entscheidung für diese Tat schon vorher in meinem Kopf festgestanden und ich recht fertige sie bloß im Nachhinein mit Logik? Es gibt ja Aufzeichnungen des menschlichen Gehirns, die zeigen, dass der Impuls, eine bestimmte Handlung zu setzen, früher da ist als das Bewusstsein, diese Handlung setzen zu wollen.
Was uns unvermeidlich zu der Frage nach dem freien Willen führt. Gibt es ihn?
Hochreiter: Da gibt es Leute, die das besser beantworten können als ich. Wenn ich deterministisch denke, dann existiert der freie Wille nicht. Jetzt liefert uns die Quantenphysik aber erstmals Hinweise, dass es in der Natur tatsächlich so etwas wie den Zufall gibt, dass also kein völliger Determinismus herrscht. Aber heißt das automatisch, dass es einen freien Willen gibt? Wenn ich heute in einem Lokal kein Schnitzel bestelle, weil das immer so grauslich schmeckt, ist das wirklich eine freie Entscheidung? Oder ist es eher so, dass mir per Erfahrung einprogrammiert wurde, in diesem Lokal kein Schnitzel zu essen, obwohl ich Schnitzel sonst liebe? Wie viel an unseren Entscheidungen ist das Produkt von Erfahrung und wie viel von wirklich freiem Willen? Ich glaube, das lässt sich nicht sauber definieren.
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Diese letzte Frage muss sein: Wann wird Sie ein Roboter hier am Institut ablösen?
Hochreiter: Also bei manchen Vorlesungen könnte er das schon jetzt, auch bei manchen Übungen. Künstliche Intelligenz ist ja unglaublich geduldig und wenn ein Schüler oder Student zum zehnten Mal denselben Fehler macht, erklärt sie es noch einmal und spuckt stoisch ein elftes Übungsbeispiel aus. In Schulen kann das eine große Chance sein, um Schüler, die bestimmte Lernschwächen haben, zu unterstützen. Dort, wo Erfahrung, Intuition oder Empathie gefragt sind, etwa in Kooperation mit anderen Forschern, sehe ich mich hingegen vor der Ablöse durch den Computer völlig sicher.