Unternehmenzentrale : Standort Österreich "nicht mehr das perfekte Verbindungsstück, das es mal war"
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Wie Unternehmenszentralen in Österreich genau aufgestellt sind, war bisher noch nicht systematisch erhoben. Etwas, das sich durch das Projekt „Headquarters in Austria“ ändern soll. Das Projekt wird von der 2021 gegründeten Förderinitiative eXplore!, einer Kooperation von B&C und Michael Tojner, sowie der Austrian Business Agency und der Wirtschaftsagentur Wien unterstützt.
Über die nächsten Jahre profitiert HiA, wie sich das Projekt abkürzt, von den elf Millionen Euro Fördergeldern der eXplore! Initiative. Für den Hochschulsektor eine hierzulande selten hohe Förderung aus dem privaten Sektor, wie Projektleiter Phillip Nell betont.
INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Nell, was prägt einen idealen Standort für eine Unternehmenszentrale – und wie schneidet Österreich hier ab?
Phillip Nell: Idealerweise unterstützt ein Standort die Fähigkeit zur Wertschöpfung einer Unternehmenszentrale. Das geht zum Beispiel über die Nähe zu bestimmten Märkten oder andererseits über die Möglichkeit, Kosten zu reduzieren – etwa weil Steuern, Gehälter oder Erhaltungskosten an dem Standort niedrig ausfallen. Österreich ist hierbei grundsätzlich ein attraktiver Standort.
Nur grundsätzlich?
Nell: Österreich wird hoch gerankt, weil zum Beispiel Lebensqualität hoch und die Korruption im Wesentlichen im Griff ist – und natürlich ist Österreich Verbindungspunkt zwischen den CEE-Märkten und dem Westen. Aber hier ist der Vorsprung geschmolzen. CEE-Länder sind heute deutlich attraktiver für Unternehmenszentralen als noch vor zehn oder 20 Jahren.
Wir haben zum Beispiel eine Studie mit Bosch durchgeführt. Das Unternehmen wollte eine seiner Regional-Zentralen für den CEE-Raum von Stuttgart in die CEE-Region umsiedeln – Stuttgart erschient zunehmend zu weit weg und damit zu „unwissend“, um wertschöpfend die Governance der Region zu übernehmen. Nun, sie sind nach Budapest gegangen und nicht nach Wien. Die ungarische Hauptstadt erscheint inzwischen deutlich attraktiver als noch vor ein, zwei Jahrzehnten. Auch Rumänien, um ein zweites Beispiel zu nennen, welches ich sehr gut kenne, ist in den vergangenen 20 Jahren gut gewachsen, hat eine unglaubliche Dynamik hingelegt, und im Bereich Digitalisierung viel Expertise aufgebaut.
CEE-Länder sind heute deutlich attraktiver für Unternehmenszentralen als noch vor zehn oder 20 Jahren.Phillip Nell
Unternehmenzentralen: von "sticky" zu mobil
Das heißt, einer von Österreichs größten Vorteilen bricht weg?
Nell: Österreichs Vorteil war immer die Kombination: Nah dran an den CEE-Staaten, aber gleichzeitig stabiler und mit qualitativ hochwertigeren Institutionen. Inzwischen haben sich CEE-Städte weiterentwickelt. Sie stehen vielleicht nicht in allen Dimensionen ganz so gut da wie Wien, aber dafür sind sie mittendrin im CEE Geschehen und vielleicht auch günstiger als Wien. Und bei WirschaftsabsolventInnen an der WU sehe ich nicht unbedingt, dass viel Wissen über Zentral- und Osteuropa aufgebaut wird. Viele orientieren sich anders. Ich bezweifle daher, dass wir noch das perfekte Verbindungsstück sind, das wir mal waren. Diese Rolle wird uns streitig gemacht.
Wie oft kommt es dazu, dass ein großes Unternehmen seine Zentrale verlegen will?
Nell: Früher waren Unternehmenszentralen „sticky“: Sie blieben gemeinhin am Gründungsort. Über die vergangenen 20 Jahre hat sich hier aber etwas verändert. Zentralen sind mobiler geworden. Oder anders ausgedrückt: Firmen überlegen inzwischen viel häufiger auch bei ihren Unternehmenszentralen – ob regional, divisional, oder corporate –, ob eine anderer Ort für die Wertschöpfung der Zentrale nicht besser wäre. Vor allem, wenn größere Veränderungen in der Umwelt auftreten.
Etwa die zunehmende Wichtigkeit der Digitalisierung?
Nell: Ja, richtig. Die Digitalisierung wirkt sich natürlich auch darauf aus, was Unternehmenszentralen machen, wie sie Wert schöpfen und damit auch, wo sie angesiedelt sind. Wie sich die Digitalisierung genau auf den Standort Österreich auswirkt, ist dabei noch nicht restlos geklärt. Klar ist, dass die Digitalisierung auch große Investitionen erfordert und die Notwendigkeit mit sich bringt, ExpertInnen zum Beispiel für digitale Prozesse oder Analytics in einer Zentrale zu beschäftigen. Und bei solch „digital talents“ ist Österreich nicht unbedingt vorne mit dabei. Wir machen übrigens hierzu derzeit eine Studie, die wir im Frühjahr publizieren wollen. Dann kann ich zu dem Thema mehr sagen.
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Wissenschaftsfeindlichkeit: Gift für den Standort Österreich?
Abgesehen von Digital Talents – worin hat der Standort Österreich Aufholbedarf?
Nell: Da gibt es einige Baustellen. Zum Beispiel liegt Österreich gemäß des World Competitiveness Rankings vom IMD in Bereich der „Government Efficiency“ auf Rang 34. Das ist hinter Thailand oder Tschechien. Nicht schlecht, aber auch nicht sehr gut. Das Steuern- und Abgabenniveau wird auch oft kritisiert, sowie der Bürokratieaufwand – u.a. etwa bei Zukunftsthemen wie Startup-Gründungen. Was aus meiner Sicht aber wirklich langfristig katastrophal für den Standort ist: die ausgeprägte Wissenschaftsfeindlichkeit. Die wird uns noch auf die Füße fallen.
Was ist die Antwort auf den Mangel an digital talents?
Nell: Schwierige Frage. Das muss sicherlich ganzheitlich gedacht werden. Einiges, beispielsweise die Verbesserung der schulischen Wissensvermittlung zu digitalen Themen, wird ja auch aufgegriffen. Wir an der WU tun auch unser Bestes in der universitären Ausbildung. Was mir persönlich fehlt, ist das Thema Einwanderung. Fachkräfte – ob nun digitale oder andere – brauchen einen leichteren Zugang. Der Mangel ist schließlich jetzt schon riesig und die geburtsschwachen Jahrgänge kommen. Vor diesem Hintergrund ist es mir ein Rätsel, warum Aufenthalts- und Staatsbürgerschaftsrecht so restriktiv sind.