Künstliche Intelligenz : Warum 80 Prozent der AI-Projekte in der Industrie scheitern
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Artificial Intelligence ist mittlerweile auch in der Industrie der letzte Schrei. Neue Anwendungsmöglichkeiten versprechen Effizienzsteigerungen und Rendite. Doch laut einer Studie von Fraunhofer Austria kommt der Trend hierzulande nicht so richtig an. In den meisten Unternehmen spielt AI keine Rolle. Dabei kommt zum Vorschein, dass die Größe der Unternehmen ein entscheidender Faktor ist: Während sich große Industrieunternehmen das Investment in die Zukunftstechnologie leisten können, kann der Mittelstand die finanzielle Hürde in der Regel nicht nehmen, oder es scheitert am fehlenden Know-how. KI-Expertise ist Mangelware.
Auch wenn es die Studie vermuten lässt, Österreich ist keine KI-Wüste. Mehr als 150 Unternehmen sind im Bereich der Künstlichen Intelligenz tätig, die überwiegende Mehrheit davon ist in der Industrie angesiedelt. Auch in der Politik wird das Thema aufgegriffen – mit einer eigenen Strategie verfolgt die Bundesregierung das Ziel, bis 2030 den KI-Standort Österreich mit Fokus auf Ethik und Innovation auszubauen, doch konkrete Zahlen für die Förderung werden bislang nicht genannt. Wir fragen bei führenden heimischen AI-Unternehmen nach, wie es um den AI-Standort Österreich bestellt ist.
Tipp der Redaktion: Vertiefungen zum Thema Digitalisierung und KI lesen Sie in unserem Industriemagazin Kontext.
Mitarbeitermanagement mit AI
WorkHeld gehört zu den Paradeunternehmen in der Branche. Mit einer KI-gestützten Softwareplattform wird die Effizienz und Übersichtlichkeit von industriellen Produktions-, Montage- und Serviceprozessen gesteigert. CEO Benjamin Schwärzler zufolge ist das Förderwesen in Österreich im Prinzip nicht schlecht, doch es fehlt der Fokus: „Die Frage ist, ob es richtig eingesetzt wird. Das glaube ich nicht. Denn genau die modernen Themen wie KI werden zu wenig gefördert.“
Das Unternehmen setzt Künstliche Intelligenz bei Spracherkennung bei der Instandhaltung von Anlagen und Maschinen ein, aber auch im Mitarbeitermanagement. „Dabei geht es um Skill-Management und Qualifikations-Tracking. Wenn sich ein Mitarbeiter zum Beispiel neue Fähigkeiten aneignet, erkennt das System das und schlägt ihm bestimmte Aufträge vor. Dahinter steckt eine KI, die diese Fähigkeiten aus vergangen Aufgaben erkennt und bewertet“, so Schwärzler.
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Zu den Kunden von WorkHeld gehören sowohl große Industrieunternehmen als auch KMUs. Schwärzler bestätigt, dass die Hürde für kleine Unternehmen derzeit noch zu hoch ist. „Ich sehe Limitationen: Einerseits die finanziellen und zeitlichen, und andererseits die fehlenden Daten, die eine KI benötigt. Ich glaube, dass es daran meistens scheitert. Deswegen habe ich schon vorgeschlagen, dass sich Unternehmen zusammenschließen und gemeinsam eine Datenbasis aufbauen sollten, um KI weitreichend einsetzen zu können.“
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„Unsere Erfahrung ist, dass man oft schon froh sein muss, wenn die großen Unternehmen auf den Zug aufspringen.“Harald Piringer, CEO Visplore
AI: Erstmal braucht es Sensoren
Das Wiener Start-up Visplore ermöglicht die intuitive Analyse von Big Data für Industrie und Energiewirtschaft. Das Unternehmen wurde als Spin-off eines geförderten Kompetenzzentrums gegründet und ist auf die Auswertung von großen Datenmengen aus Maschinen, Sensoren und Simulationen spezialisiert. CEO Harald Piringer sieht insbesondere im Bereich der Industrie die Herausforderung der Datenqualität. „Sensordaten aus Maschinen sind oft sehr unsauber. Bevor man in Richtung KI auch nur ansatzweise denken kann, sollte man andere Fragen klären. Es fängt damit an, dass Maschinen überhaupt mit entsprechenden Sensoren bestückt sein müssen und erst dann kann man sich den weiteren Komplexitätsfaktoren widmen.“
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Piringer bestätigt den erschwerten Einstieg für kleine Unternehmen in die KI. Er attestiert den österreichischen Unternehmen aber generell eine tendenzielle Abneigung gegenüber dem Thema: „Unsere Erfahrung ist, dass man oft schon froh sein muss, wenn die großen Unternehmen auf den Zug aufspringen und das Potenzial von Datenanalyse und KI erkennen, aber auch die technischen Rahmenbedingungen dafür schaffen. Bei den KMUs sind wir wahrscheinlich noch nicht soweit, aber das Potenzial ist groß.“
„Ich sehe keine Notwendigkeit, dass ein Staat eine KI-Strategie verfolgt, das muss aus der Privatwirtschaft kommen.“Markus Loinig, CEO Senzoro
Förderungen für AI: Von wem müssen sie kommen?
Einen wesentlich positiveren Eindruck von der heimischen KI-Landschaft hat Markus Loinig, CEO von Senzoro. Das Unternehmen kombiniert Ultraschallmessungen und KI, um Instandhaltungskosten zu reduzieren. Die Lösung ist industrieübergreifend im Einsatz und zu den Kunden zählen Unternehmen aus der Automotive-, Papier-, Holz- und Energieversorgungsindustrie.
Die von vielen Stellen geäußerte Kritik am heimischen Förderwesen für den Bereich der KI sieht Loinig mit unternehmerischem Pragmatismus: „Ich lese immer mit Bewunderung, was alles kritisiert wird. Ich sehe es als Aufgabe des Staates, Rahmenbedingungen zu schaffen und mit denen versuche ich als Unternehmer bestmöglich umzugehen. Ich sehe keine Notwendigkeit, dass ein Staat eine KI-Strategie verfolgt, das muss aus der Privatwirtschaft kommen.“
Entscheidend für den Nachholbedarf bei den KMUs sei laut Loinig die Finanzierung: KMUs können es sich gar nicht leisten, herumzuexperimentieren. In diesem Segment werden eher schnelle Lösungen gesucht, langwierige Datascience-Projekte gehen sich wirtschaftlich einfach nicht aus.“
„Derzeit beschäftigen sich alle damit, wie man wieder Schwung aufnimmt, es wird jedoch kaum über neue Lösungsansätze nachgedacht.“Maximilian Mrstik, CEO D-Aria
D-Aria wurde aus der Notwendigkeit heraus, die Lagerinventur zu revolutionieren, gegründet. Das Wiener Unternehmen vertreibt Drohnen, die autonom fliegen und mittels einer Bilderkennungssoftware Etiketten von Paletten auslesen. CEO Maximilian Mrstik ist vom KI-Standort Österreich überzeugt, es mangle nur an der Vermarktung: „Wir sind besser aufgestellt als es dargestellt wird.“
Ein großer Unterschied zu den KI-Vorreiternationen sei die Investitionskultur. „Wenn wir am globalen Markt wettbewerbsfähig sein wollen, müssen wir mehr investieren. Insbesondere weil bei uns Venture-Capital-Investitionen nicht so stark ausgeprägt sind wie in anderen Ländern“, so Mrstik.
Eine besondere Herausforderung sieht Mrstik in den Auswirkungen der Pandemie auf die Unternehmensstrategien. „Derzeit beschäftigen sich alle damit, wie man wieder Schwung aufnimmt, es wird jedoch kaum über neue Lösungsansätze nachgedacht. Für Innovation bleibt derzeit einfach keine Zeit.“
Interview: " In der Fabrik der Zukunft wird es viel mehr Individualisierung geben"
Die meisten Vorhaben von künstlicher Intelligenz in der Produktion gehen (noch) schief. Das INDUSTRIEMAGAZIN sprach darüber mit Patrick Glauner, Professor für AI am Deggendorf Institut of Technology.
INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Glauner, was sind die größten Herausforderungen, wenn es darum geht, KI in Unternehmen einzuführen?
Patrick Glauner: Es fängt schon damit an, dass viele Unternehmen im Vorhinein sagen, dass sie KI einsetzen wollen. Damit schafft man aber oft Probleme, die es gar nicht gibt. Ich sage immer, wir müssen es möglichst einfach lösen, egal um welches Problem es sich handelt. Wenn das ein Geschäftsprozess ist, der einfach sehr schlecht aufgebaut ist, dann hilft mir KI nicht wirklich. Ich muss zuerst die menschliche Intelligenz bringen und erst dann die künstliche – zunächst den Geschäftsprozess neu durchdenken. Andere typische Probleme sind, dass Fachexperten nicht einbezogen werden. Man benötigt sie aber, um zu bewerten, ob die Entscheidungen der KI tatsächlich auch sinnvoll sind.
Es geht also um die Einschätzung, was in einem Unternehmen sinnvoll ist. Sie betonen immer wieder, dass 80 Prozent der AI-Projekte scheitern. Wie erklären Sie sich das?
Glauner: Scheitern heißt in diesem Sinne: Entweder hat gar nichts funktioniert oder ein Prototyp wird nicht zum Produkt entwickelt und bleibt in der Entwicklungsphase. Eine der Schwierigkeiten ist hier die Datenqualität. Und was mir auch oft auffällt: Jemand muss im Unternehmen die KI ja auch umsetzen. Oft sind das Studenten, manchmal sind das auch Berater. Aber wenn das dann nicht in bestehende Prozesse und Systeme integriert wird, dann scheitert es natürlich auch. Und das alles führt dazu, dass 80 Prozent der Projekte scheitern.
Da stellt sich natürlich auch die wirtschaftliche Frage. Macht es wirklich Sinn, trotz dieser hohen Fehlerquote in KI zu investieren. Das kann ja finanziell ordentlich danebengehen.
Glauner: Man muss natürlich mit den richtigen Leuten arbeiten. Weil wenn Sie sich auf LinkedIn so umschauen, dort ist jeder, der einen einstündigen KI-Kurs belegt hat, auf einmal ein KI-Experte. Diese Leute sind natürlich auch Teil des Problems. Aber wenn man die richtigen Experten gewinnt und bereit ist, zu investieren, dann ist der Erfolgssatz schon deutlich höher. Natürlich muss man auch neu denken, man muss bereit sein, Prozesse zu verändern. Man muss auch die anderen Stakeholder im Unternehmen überzeugen. Viele Menschen haben Angst vor Veränderungen und deswegen muss man im Unternehmen Verständnis für diese Themen schaffen. Wenn man das nicht macht, wird es viele Widerstände geben. Auch dass Mitarbeiter die Projekte mit Absicht scheitern lassen, weil sie womöglich Angst davor haben, dass die KI ihre Arbeit übernehmen könnte.
Sie haben sich viel mit dem Thema KI im Maschinenbau auseinandergesetzt. Was sind da die spezifischen Herausforderungen?
Glauner: Da denken viele immer nur an Predictive Maintenance – da hört das Thema meistens auf. Ich glaube aber, da fängt das Thema gerade erst an. Man kann mit KI im Maschinenbau sehr viele tolle Dinge machen. Zum Beispiel die Vorhersage von Verbräuchen, automatische Generierung von Layouts, den Ersatz von sehr kostenintensiven Simulationen. Die Herausforderung ist aber auch hier die Datenqualität. Das ist ein Thema, um das man sich im Maschinenbau früher nicht so gekümmert hat. Natürlich ist der Maschinenbau ein sehr konservatives Feld, wo die Menschen manchmal nicht so offen sind für Veränderungen. Aber das kann man alles schaffen.
Wohin führt dieser technologische Wandel in der Industrie? Wie könnte die Fabrik der Zukunft ausschauen?
Glauner: Die Veränderungen sind gewaltig. Wir haben grundsätzlich schon einen sehr hohen Automatisierungsgrad in den Fabriken. Und da geht es eigentlich immer darum, repetitive Dinge zu automatisieren – also Arbeitsschritte, die immer gleich sind. Der Mensch ist dafür nicht gemacht, weil er schnell ermüdet oder sich langweilt. Wir als Mensch sind aber sehr gut darin, individuelle Dinge zu erledigen. Die KI ist dahingehend vielversprechend, genau diese Arbeit zu übernehmen und menschliches Entscheidungsverhalten zu automatisieren. Deshalb wird es in der Fabrik der Zukunft viel mehr Individualisierung geben.
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Dass repetitive Tätigkeiten aussterben werden, sagen auch viele Studien. Wie sehr wird KI zum Jobkiller werden?
Glauner: Viele der repetitiven Tätigkeiten in den Fabriken sind ja schon ausgestorben. Wenn sie in eine moderne Fabrik zum Beispiel eines Autoherstellers gehen, dann haben sie da einen Automatisierungsgrad von weit über 90 Prozent. Es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit wird die KI den Arbeitsmarkt verändern und da gibt es natürlich auch Ängste. Da muss man aber sagen, es gibt heutzutage kaum noch Jobs, die es vor hundert Jahren gegeben hat. Der Arbeitsmarkt hat sich seit Beginn der industriellen Revolution immer gewandelt. Und das ist sicher eine Herausforderung, wo man sich im Bereich der lebenslangen Weiterbildung Gedanken machen und viel dafür unternehmen muss, damit die Menschen vom Wandel auch profitieren und dass es zu keiner Massenarbeitslosigkeit kommt.
"Schlussendlich ist die KI kein Selbstzweck"
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen herkömmlichen statistischen Methoden und der Auswertung mit KI?
Glauner: Da sprechen Sie ein ganz spannendes Thema an. Wie definiert man künstliche Intelligenz? Wenn ich mit meinen Kollegen spreche, habe ich den Eindruck, dass es sehr verschiedene Auffassungen gibt. In der Statistik geht es darum, Daten zu analysieren und Zusammenhänge zu erkennen, gewisse Hypothesen zu bestätigen. Die KI hat eigentlich ein anderes Ziel, jedenfalls beim maschinellen Lernen. Dabei geht es nicht darum, was im Datensatz enthalten ist, sondern man will generalisieren – also für neue Eingaben Vorhersagen treffen.
Dabei geht es aber auch um die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Maschine, die durch den Input des Menschen dazulernt und sich verbessert.
Glauner: Das ist sehr wichtig, dass man hier eher ein Miteinander als ein Gegeneinander sieht. Schlussendlich ist die KI kein Selbstzweck, sie ist da, um uns Menschen zu unterstützen. Wir sollten der KI auch nicht blind vertrauen. Sie macht natürlich auch Fehler und da ist es dann wichtig, dass menschliches Feedback in die KI eingeht, damit sie im Laufe der Zeit noch besser wird.
Mit Ihrem Beratungsunternehmen führen Sie Unternehmen durch diesen Prozess. Um welche Firmen handelt es sich dabei?
Glauner: Das ist ganz bunt gemischt. Vom Start-up über den Mittelständler bis hin zum Konzern ist da wirklich in jeder Größe etwas dabei. Das sind aber ganz unterschiedliche Fragestellungen. Manche Kunden sagen, sie wollen erst mal verstehen, was KI überhaupt ist. Andere sagen konkret, es gibt ein Problem, das sie mit KI lösen wollen. Dann gibt es auch strategische Problemstellungen. Da ist man dann die Feuerwehr, wo zuvor vielleicht ein anderer Berater viel verbrannte Erde hinterlassen hat.
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Als Professor für KI bilden Sie die Experten der Zukunft aus. Welche Herausforderungen sehen Sie für den Bildungsbereich?
Glauner: Wir müssen das Ganze sehr praxisnahe gestalten – mit Projekten, wo am Ende auch konkrete Dinge rauskommen und nicht nur Gleichungen, die man dann vielleicht auswendig lernt. Und es ist auch wichtig, dass die Studenten nicht nur die reine Technik beherrschen, sondern auch ein Verständnis von Betriebswirtschaft und Innovationsmanagement haben. Man kann nämlich noch so tolle Methoden haben, am Ende muss es auch umsetzbar sein und es muss Geld verdienen.
Glauben Sie, dass die klassischen technischen Studien wie Maschinenbau noch zeitgemäß sind?
Glauner: Ich glaube, die brauchen wir nach wie vor. Sie sind sogar sehr wichtig, denn der KI-Experte kann nicht jeden Maschinenbauer ersetzen, sondern es ist am Ende wieder ein Miteinander. Die KI kann natürlich unterstützen, indem man gewisse Prozesse automatisiert, schwerfällige Aufgaben in der Konstruktion oder Berechnung übernimmt. Aber ich bin davon überzeugt, dass jene Studien, die keinerlei Bezug zur Digitalisierung haben, irgendwann die Absolventen für die Arbeitslosigkeit ausbilden werden. Denn den Fortschritt der Digitalisierung können wir nicht mehr aufhalten.