AI : KI-Experte Wasner sieht Österreich als Nachzügler

Clemens Wasner Gründer Enlite

Clemens Wasner Gründer Enlite: "Österreich befindet sich eben immer noch auf dieser strategischen Ebene"

- © WEKA Industrie Medien

Clemens Wasner verantwortet als Vizepräsident des Verbandes AI, Data and Robotics Association (ADRA) ein Budget von 2,7 Milliarden Euro, das die EU bis 2030 für Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz investiert. Der KI-Experte, der viele Jahre in Asien in der Automobilbranche tätig war, beratet seit 2017 mit seinem Start-up „enliteAi“ Unternehmen bei der digitalen Transformation und ist ein bekannter Name innerhalb der österreichischen KI Community. Nicht zuletzt, weil er als scharfer Kritiker der heimischen KI-Strategie auftritt und sich für konkrete Maßnahmen einsetzt.

Warum es der österreichischen KI-Strategie nicht an Absichtserklärungen, jedoch an konkreten Umsetzungsmaßnahmen mangelt, schildert Clemens Wasner, Gründer von Enlite. Das Interview wurde Ende Februar 2022 geführt.

INDUSTRIEMAGAZIN: Was bemängeln Sie an der österreichischen KI-Strategie?

Clemens Wasner:
Es fehlen konkrete Maßnahmen, die man auch umsetzen will. Absichtserklärungen sind ja grundsätzlich nicht verkehrt, aber die EU-Kommission hat schon vor Jahren die EU-Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, nationale Strategien zu entwickeln. Österreich befindet sich eben noch immer auf dieser strategischen Ebene, man weiß nicht genau, wie man die in der man zwar gute Absichten ankündigt, ohne aber konkrete Umsetzungen in Ministerien und Ressorts zu definieren. Durch die Regierungswechsel hatten wir natürlich Störungen, die man nicht steuern kann, aber es ist vor wenigen Wochen auch eine globale Studie des Brookings Institute veröffentlicht worden, die Österreich ganz klar als Nachzügler ausweist.

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Aber um die Kirche im Dorf zu lassen: Auch auf EU-Ebene wird festgestellt, dass viele Staaten auf dieser Absichtsebene stecken geblieben sind. Mit AIDA hat die EU-Kommission einen eigenen Sonderausschuss, der sich mit dem Thema KI auseinandersetzt. Der hat vor kurzem einen Zwischenbericht abgeliefert, in dem steht, dass die Mitgliedsstaaten bei ihren KI-Strategien nicht in die Gänge kommen. Österreich befindet sich mit seinen Versäumnissen auf Umsetzungsseite also durchaus in Gesellschaft.

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Welche EU-Staaten sind im Bereich der KI-Forschung federführend und wie scheidet Österreich im EU-Vergleich ab?

Wasner:
Großbritannien ist ja inzwischen kein EU-Mitglied mehr, aber die haben definitiv das beste Strategiepapier abgeliefert. Interessant ist ja, dass sie gleichzeitig mit Österreichs Absichtserklärung im Sommer 2021 bereits ihr Strategie-Update präsentiert haben und da sieht man ein großes Delta zwischen den beiden Staaten. Gut unterwegs sind aber auch Länder wie Bulgarien oder Slowenien.

Bulgarien und Slowenien gelten ja nicht gerade als Industriezentren. In welchen Bereichen wird dort Künstliche Intelligenz angewendet?

Wasner:
In Bulgarien ist das zum Beispiel die Sprachverarbeitung, die haben mit "Ontotext" eines der größten Start-ups im Bereich der semantischen Suche in der ganzen EU. Der grenzüberschreitende Vergleich hinsichtlich Industrien und Sektoren ist ja wirklich spannend. In diesen Ländern hat die produzierende Industrie keine so überragende Rolle, wie in der DACH-Region gespielt. Dementsprechend hat man aus der Not eine Tugend gemacht und ist stark in den IT-Bereich eingestiegen. Es war also nur eine Frage der Zeit – und das beobachten wir ja auch in Indien – dass man sich in der Wertschöpfungskette nach vorne arbeitet und eigene IT-Unternehmen und Startups entstehen.

Welche Anwendungsfälle sehen Sie für die AI in der österreichischen Industrie?


Wasner:
Was besonders auffällt ist, dass die Entwicklung in der DACH-Region zunächst sehr stark von Effizienz in der Produktion getrieben ist, was wiederum an der hohen Komplexität unserer Industriegüte liegt. Deswegen versuchen unsere Unternehmen seit Jahrzehnten bei der Effizienz auch noch den letzten Cent rausholen, was sich in KVP-Prozessen ausdrückt. Aus KI- und Digitalisierungssicht ist dies aber eigentlich der falsche Ansatzpunkt, da Effizienzeinsparungen ein sehr viel kleinerer Hebel als Preisoptimierungen sind.

Wir sitzen ja gerade im Starbucks: Das Unternehmen könnte versuchen, ihre Papierbecher um einen Cent billiger zu machen oder man könnte jeden Monat einen neuen Frappuccino auf den Markt bringen, der sieben oder acht Euro kostet. Es ist klar, womit man mehr Geld verdienen kann.

In der Autoindustrie aber auch im Dienstleistungsbereich wird KI deswegen vermehrt für intelligentes Portfolio- und Komplexitätsmanagement eingesetzt, was sich in intelligenten Produktkonfiguratoren ausdrückt, die bereits während dem Bestellvorgang die Auswirkungen entlang der ganzen Lieferkette bei Preis und Lieferzeit abschätzen können. Dadurch wird eine genaue Steuerung möglich, die noch vor wenigen Jahren nur den globalen Konzernen vorenthalten waren, da man eine Kombination aus Unternehmensberatern und IT-Lösungen auf das Thema dransetzen konnte.

Die EU räumt dem Thema Datenschutz auch in der KI-Strategie eine große Rolle ein. Wie wirkt sich das auf die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und den USA aus?


Wasner:
Das Beratungsgremium (Anmerkung: AIDA), das für eine Analyse der KI-Strategie der EU-Kommission verantwortlich ist, sagt mittlerweile, dass die DSGVO ein kompletter Misserfolg war, da sie zu großer Unsicherheit bei einheimischen Unternehmen geführt hat. Im Entwurf des europäischen AI-Act gibt es auch gewisse Ungleichbehandlungen. So müssen sich kleine Unternehmen auf Punkt und Beistrich an den AI-Act bei der Modellerstellung halten, während die globalen Unternehmen davon teilweise ausgenommen sind, weil es ja gar nicht mehr möglich wäre, das umzusetzen oder zu überprüfen.

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Wasner beim Adra-e Kick Off Meeting

Regulierung muss aber nichts Schlechtes sein, ganz im Gegenteil: Im Industriebereich gibt es ja mit EU-Arbeits- und Naturschutzrechten einige Erfolgsstories, wo man mit Regulierung positive globale Auswirkungen erzielt hat. Der große Denkfehler, den man gemacht hat ist, dass man nicht verstanden hat, dass der Digitalbereich anders funktioniert und dass man über einen weitaus kürzeren Hebel verfügt. Wenn man sich zum Beispiel das Projekt Gaia-X anschaut: Wieso gibt es kein ähnliches Projekt in den USA oder China? Diese Regionen könnten das jederzeit machen, wenn sie wollten. Deswegen frage ich mich, wie man überhaupt auf die Idee kommt, den Fokus auf Big Data zu legen, wenn Privatwirtschaft und andere Wirtschaftsräume dermaßen stark auf AI setzen.

Gaia-X
soll ja eine ethische und sichere Alternative zu den großen Hyperscalern von Alibaba, AWS und Microsoft werden ...


Wasner:
Ja, aber ist ein finanziell unterdimensioniertes Gaia-X auch das richtige Mittel? Das Thema Daten wird auch zu abstrakt gedacht. Das merkt man auch daran, dass es bis dato keine bekannten Erfolgsstories gibt und sie werden kaum jemanden finden, der Ihnen sagen kann, worum es bei Gaia-X überhaupt geht. Wir hatten bei AI Austria vor kurzem eine Konferenz zu AI in AgriTech und ich war erstaunt, wie wenig zu dort vorhandenen Gaia-X Use-Cases kommuniziert wurde. Die EU hat einen unglaublichen Fokus auf das Thema Daten, aber man hat dabei lange Zeit ignoriert, wie ein Hyperscaler überhaupt funktioniert.

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