EU Fit for 55 Paket : Fit for 55: Der EU-Masterplan für die grüne Wende

Glass globe on green moss in nature concept for environment and conservation
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Der „Green Deal“ war insofern auch historisch, als dass damals alle 27 EU-Mitglieder die Gefahr durch den „Klimawandel“ offiziell anerkannten und die EU-Kommission eine erstmals konsistente Vision sowie konkrete Maßnahmen auf den Tisch legte. Teil dieses Konzepts ist das „Fit for 55“-Package, das die Europäische Kommission am 14. Juli 2021 präsentierte. Dieses Paket an Initiativen soll Europa dabei unterstützen, bis 2030 eine Netto-Emissionsreduktion gegenüber dem Ausstoß 1990 von mindestens 55 Prozent zu erreichen. „Wir müssen unsere gesamte Wirtschaft in einen höheren Gang schalten. Deshalb lassen wir nichts unversucht. ‚Fit for 55‘ wird unsere Gesetze mit unserem Ehrgeiz in Einklang bringen“, so Frans Timmermans, damaliger Vizepräsident und Kommissar für Klimaschutz in der EU-Kommission.

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Der Inhalt des Fit for 55 Pakets

„Fit for 55“ beinhaltet verschärfte Klimaziele, marktorientierte Maßnahmen sowie ordnungsrechtliche Vorschriften. Zum einen sollen damit bereits existente Klimaschutzmaßnahmen der EU verschärft, zum anderen neue Ansätze geschaffen werden. Die Vorschläge und Maßnahmen:

  • Emissionshandels-Richtlinie (Emission Trading System)
    Die energieintensive Industrie und Energieversorger müssen entsprechend dem Ausmaß der Emissionen ihrer Anlagen Emissionszertifikate abgeben. Diese werden nach strengen Regeln von Staaten ausgegeben und sind frei handelbar. Eine Anpassung der bestehenden Richtlinie ist derzeit in Verhandlung.
  • Richtlinie für Energieeffizienz (Energy Efficiency Directive)
    Die neue Energieeffizienz-Richtlinie sieht ein verbindliches Jahresziel für die Reduktion des Energieverbrauchs in der EU vor.
  • Verordnung, die Sektoren Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft umfasst (LULUCF-Verordnung)
    Der Rat hat sich im Juni 2022 auf eine allgemeine Ausrichtung zur Überarbeitung der LULUCF-Verordnung geeinigt, mit der Regeln für die Senkung der Emissionen und den Abbau von Co2 in den Sektoren Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) festgelegt werden.
  • Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation)
    Mit der Lastenteilungsverordnung werden den Mitgliedstaaten neue strengere Emissionsreduktionsziele für Gebäude, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und kleine Unternehmen zugewiesen.
  • Energiesteuerrichtlinie (Energy Taxation Directive)
    Die Energiesteuerrichtlinie legt die Rahmenbedingungen der Europäischen Union zur Besteuerung von Strom, Kraftstoffen und den meisten Heizstoffen fest.
  • Co2-Emissionsnormen für PKW und Kleintransporter
    Strengere CO₂-Emissionsnormen für neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sollen den Übergang zu einer emissionsfreien Mobilität darstellen. Nach 2035 dürfen neue Verbrenner in Europa nur noch dann zugelassen werden, wenn sie E-Fuels tanken.
  • Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe
    Ziel dieser Verordnung ist es, dafür zu sorgen, dass im europäischen Raum für Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge ausreichend Infrastruktur zum Laden oder Tanken mit alternativen Kraftstoffen zur Verfügung steht.
  • Nachhaltige Flugzeugtreibstoffe (ReFuelEU Aviation)
    Das Hauptziel der Initiative „ReFuelEU Aviation“ besteht darin, das Angebot an nachhaltigen Flugkraftstoffen, die weniger Co2-Emissionen als fossiles Kerosin verursachen, zu steigern.
  • Emissionsreduktion im Schiffverkehr (FuelEU Maritime)
    Dank der Initiative „FuelEU Maritime“ soll die Nachfrage nach erneuerbaren und kohlenstoffarmen Kraftstoffen und deren konsequente Nutzung erhöht und damit die Treibhausgasemissionen des Schifffahrtssektors verringert werden.
  • Europäisches Co2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism)
    Das CO₂-Grenzausgleichssystem ist eine neue Regelung, mit der Anreize für Erzeuger außerhalb der EU geschaffen werden, ihre Emissionen zu verringern.
  • Europäische Kompetenzagenda für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz
    Damit soll die klimagerechte Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften gefördert werden.
  • Europäische Waldstrategie
    Die neue EU-Waldstrategie wird dazu beitragen, den Abbau von Co2 durch natürliches Senken gemäß dem Europäischen Klimagesetz zu beschleunigen. Sie enthält zudem Maßnahmen zur Steigerung der Quantität, Qualität und Widerstandfähigkeit von Wäldern, zur Wiederherstellung geschädigter Wälder sowie zum Schutz von Primär- und Altwäldern.
  • Klima-Sozialfonds
    Mit dem neuen Instrument des Klima-Sozialfonds sollen u.a. Menschen und Unternehmen, die am stärksten von der Einführung eines neuen Emissionshandelssystems für Gebäude und Straßenverkehr sowie Brennstoffe für weitere Sektoren betroffen sind, finanziell unterstützt werden.

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Europäische Kommission verabschiedet „Fit for 55“-Paket"

Im Oktober 2022 hat die Europäische Kommission die Verabschiedung der zwei noch ausstehenden Säulen des „Fit for 55“-Packages begrüßt. Der Weg für eine konkrete Umsetzung der EU-Klimaziele ist damit geebnet. Mit der Verabschiedung der adaptierten Richtlinie für erneuerbare Energien sowie der ReFuelEU-Verordnung für den Luftverkehr verfügt die Europäische Union jetzt über rechtsverbindliche Klimaziele für sämtliche Schlüsselsektoren der Wirtschaft.

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Eine kurze Zusammenfassung: Das Package beinhaltet nun wichtige Emissionsreduktionsziele für alle relevanten Sektoren sowie ein erneuertes Emissionshandelssystem und offeriert darüber hinaus soziale Hilfe für kleine Unternehmen und Bürger. Zudem soll durch ein Co2-Grenzausgleichssystem gewährleistet werden, dass europäische Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen vorfinden. Weiters existieren nun aktualisierte Zielvorgaben für Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Während die Produktion umweltschädlicher Fahrzeuge 2035 ein Ende finden wird, wird die Nutzung alternativer Kraftstoffe gefördert.

Die Überarbeitung der zuletzt vor zwanzig Jahren aktualisierten Energiesteuerrichtlinie war ein wichtiger Bestandteil des „Fit for 55“-Klimapakets der Europäischen Kommission. In den Mitgliedstaaten beginnt nun sukzessive Umsetzung der „Fit für 55“-Rechtsvorschriften. Diese müssen in den nationalen Energie- und Klimaplänen, die aktuell von den Mitgliedern fertiggestellt werden, implementiert werden.

Fit for 55: Kritik von Umweltorganisationen

Mitunter heftig kritisiert wird „Fit for 55“ von Umweltorganisationen. Nach Ansicht von Greenpeace etwa seien die Ziele des Maßnahmenpakets nicht ambitioniert genug und würden der Wissenschaft nicht stand- und die Zerstörung der Lebensgrundlagen des Planeten nicht aufhalten. Laut WWF Deutschland wiederum seien sie „bei weitem nicht „fit for 1,5°C“. Auch Forscher üben Kritik am EU-Paket zur Klimaneutralität.

Trotz guter Ansätze wirke sich dieses jedoch negativ auf die Speicherung von Co2 sowie die Biodiversität aus, verlautbarte etwa ein Team von Wissenschaftern, darunter Dr. Thomas Kastner vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt, 2022 im Fachjournal „Nature“. Durch falsche Anreize in der EU würden künftig noch mehr wertvolle Flächen für den Holz- statt Nahrungsmittelanbau sowie für die Gewinnung von Bio-Kraftstoffen genutzt, was etwa die Auslagerung der Nahrungsmittelproduktion ins Ausland und damit die Abholzung von Wäldern weiter vorantreiben würde, heißt es weiter im Fachbeitrag.

Neue Gebäudeeffizienzrichtlinie als Teil des „Fit for 55“-Pakets

Auch die Überarbeitung der Gebäudeeffizienzrichtlinie ist beschlossen und Teil des Legislativpakets „Fit for 55“. Lediglich der Ministerrat muss sie noch förmlich billigen, damit sie auch in Kraft treten kann. Mit der neuen Gebäudeeffizienzrichtlinie werden ambitioniertere Energieeffizienzstandards für neue und renovierte Gebäude in der EU festgelegt sowie die Eigentümer von Immobilien zur Renovierung ihrer Gebäude ermutigt. Hintergrund: Nach Angaben der Europäischen Kommission sind die Gebäude in der EU für 40 Prozent unseres Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Nachvollziehbar natürlich, dass deren Energieeffizienz ein relevanter Beitrag für das Erreichen der EU-Klimaziele 2030 ist. Nach Ansicht der EU-Kommission müssen die Treibhausgasemissionen von Gebäuden um rund 60 Prozent gesenkt werden, damit bis 2030 eine Verringerung der Emissionen um 55 Prozent erwirkt werden kann. Hierfür sei aber auch eine Verdopplung der Renovierungsquote vonnöten, was für hohe Vorgaben und kurze Fristen gesorgt hat.

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Die wohl wichtigste Bestimmung der Richtlinie ist der Ausweis über die Energieeffizienz, da von deren Klasse abhängt, welche Fristen und Vorgaben gelten. Ein Energieausweis wird dann benötigt, wenn ein Gebäude gebaut, renoviert, vermietet oder verkauft wird. Mit den Vorschriften will die EU erreichen, dass alle neuen Gebäude bis 2030 (öffentliche ab 2028) Nullemissionsgebäude sind und bestehende bis 2050 in Nullemissionsgebäude umgewandelt werden. Die Mitgliedstaaten müssen Mindestvorgaben
für die Gesamtenergieeffizienz, also die maximale Energiemenge, die Gebäude pro Quadratmeter jährlich verbrauchen können – auf der Grundlage des gesamten Gebäudebestands im Jahr 2020 – festlegen. Gemäß der neuen Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten bis 2030 16 Prozent sowie bis 2033 26 Prozent der Nichtwohngebäude mit der schlechtesten Gesamtenergieeffizienz sanieren lassen. Und somit dafür sorgen, dass diese die Mindestanforderungen an die Gesamtenergieeffizienz erfüllen.

EU-Richtlinie fordert schrittweise Installation von Solaranlagen

Sofern wirtschaftlich und technisch realisierbar, müssen die Mitgliedstaaten bis zum Jahr 2030 darüber hinaus schrittweise Solaranlagen in öffentlichen Gebäuden und Nichtwohngebäuden – je nach Größe – sowie in allen neuen Wohngebäuden installieren lassen. Weiters haben sie Maßnahmen zur Dekarbonisierung von Heizungsanlagen und zum allmählichen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen bei der Wärme- und Kälteversorgung zu ergreifen. Konkret heißt das: Bis 2040 soll es keine Heizkessel, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, mehr geben. Ab 2025 dürfen eigenständige mit fossilen Brennstoffen betriebene Heizkessel auch nicht mehr subventioniert werden. Weiter zugelassen werden hingegen finanzielle Anreize für hybride Heizanlagen sein, bei denen etwa Heizkessel mit Solarthermieanlagen oder Wärmepumpen kombiniert werden,

Anmerkung
: Für Wohngebäude wird es keine Sanierungspflicht, sondern Vorgaben zur Reduktion des Energieverbrauchs geben. Lediglich für die energetisch schlechtesten Nichtwohngebäude sind Sanierungspflichten vorgesehen. Auch in Österreich war im Zuge der „Fit for 55“-Diskussionen mitunter von „Enteignung“ die Rede. Eine Enteignung von Wohneigentum sieht der Kommissionsvorschlag jedoch nicht vor.

Pflicht zur E-Auto-Ladestation und Fahrradstellplätzen

  • Bestehende Nichtwohngebäude und öffentliche Gebäude müssen bis 2027 die Klasse F und spätestens 2030 die Klasse E erreichen (für private Wohngebäude ist die Frist jeweils um drei Jahre länger)
  • Neu errichtete oder renovierte Nichtwohngebäude müssen, wenn sie mehr als fünf Stellplätze haben, künftig über mindestens eine Lademöglichkeit für E-Fahrzeuge verfügen (sowie die anderen Stellplätze vorverkabeln)
  • Für jeden Autostellplatz gilt es zudem, in Zukunft einen Fahrradstellplatz zu errichten
  • Jeder zweite Stellplatz in neuen oder renovierten Bürogebäuden muss eine Möglichkeit zum Aufladen offerieren
  • In bereits bestehenden Nichtwohngebäuden mit mehr als 20 Stellplätzen müssen bis 2027 ein Ladepunkt je zehn Stellplätze sowie Fahrradplätze im Ausmaß der Autostellplätze geschaffen werden.

Industriellenvereinigung fordert Schutzmaßnahmen für Schlüsselindustrien

Auch die Österreichische Industriellenvereinigung unterstützt das EU-Ziel der langfristigen Klimaneutralität. „Solange im Sinne der klimapolitischen Anstrengungen jedoch weiterhin keine gleichen Wettbewerbsbedingungen herrschen, erfordert das höhere 2030 EU-Treibhausgasziel einen ausreichenden Abwanderungs- und Verlagerungsschutz und die Vermeidung von Mehrbelastungen für Schlüsselindustriezweige“, so der Präsident der Industriellenvereinigung Georg Knill im Sommer 2021 in einer Presseaussendung. Ihm zufolge würden die damals präsentierten Eckpunkte nicht im Ansatz genügen, „um Industrieunternehmen, die sich in einem globalen Wettbewerb befinden, eine hinreichende Perspektive für eine erfolgreiche Transformation am Standort Europa zu eröffnen.“