Modulare Robotik : Wie die Industrie am Automatisierungs-Kit der Zukunft schraubt
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Als Gerald Ihninger vor 25 Jahren seinen Job im Salzburger Flachgau antritt, erlebt er eine Flut an Eindrücken. Einen Arbeitgeber etwa, der es in der Hocheffizienzfertigung von optischen Medien zur technologischen Meisterschaft gebracht hat - und der sich auch heute über florierende Geschäfte freuen darf.
Der Sony-DADC-Europe-Standort in Thalgau hat - auch dank der Gamingindustrie - ein Auslastungshoch vorzuweisen. Und das Werk nennt eine Reinraumproduktion sein eigen, die neben ausgezeichneten Performancewerten auch avantgardistische Züge trägt. Schon vor Ihningers Eintritt ins Unternehmen - und vor vielen anderen Elektronikproduktionen - transportierten hier fahrerlose Transportsysteme, AGVs genannt, "Halbfertigprodukte durchs Werk", erzählt der Engineering-Experte.
Mit Automatisierungstechnik das eigene Werk erschließen
Eine Vorreiterrolle in der Domäne Prozessautomation, die man über die Jahre weiter ausbaute. Die Leistung der aktuell 40 autonom fahrenden Shuttles, die zwischen Spritzgussbereich, Hochregallager und Bedruckungsmaschinen pendeln, wurde sukzessiv in die Höhe geschraubt. Auch andere Bereiche erschloss man im Werk mit Automatisierungstechnik, etwa den Einbau der Matrizen in Spritzgussmaschinen. Dieser erfolgt mithilfe eines kleinen Roboters, welcher vom Sony-eigenen Engineeringteam designt wurde. Und auch diese Dekade will der Hersteller von optischen Speichermedien für Technologieerweiterung nutzen. "Es wäre doch toll, ein noch flexibleres System zum Leben zu erwecken", sagt Ihninger.
Kollaborative Robotik? Ja, aber nicht stupide auf nur eine Funktion ausgerichtet. Ihninger schwebt ein Konzept von Hol- und Bringdiensten durch mobile Einheiten vor, das um kollaborative Robotik erweitert ist. Hochflexibel dafür ausgelegt, an einem Tag Behälter an einer Maschine abzulegen und am anderen Tag "vielleicht an ein Hochregallager anzudocken", sagt er.
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Industrierobotik: "flexible Produktionsassistenzen"
Dass diese Vision, bei der nicht zwingend hochqualifiziertes Personal über die Robotik wachen muss, demnächst schon konkrete praktische Züge annehmen könnte, liegt unter anderem in einem FFG-geförderten Projekt begründet.
Dessen vielsagender Titel lautet "PlugBot" und führt unter der Konsortialführerschaft des Forschungsdienstleisters Profactor und wissenschaftlicher Begleitung von FH Oberösterreich, FOTEC und Joanneum Research die Unternehmen Wittmann Battenfeld, Haba Verpackung, Sony DADC Europe, Blue Danube Robotics sowie Lenze Operations zusammen.
Anmerkung: Das FFG-Projekt PlugBot wurde nach 33-monatiger Laufzeit Dezember 2021 abgeschlossen.
Stoßrichtung: Die Umsetzung einer Entwicklungs-, Integrations- und Konfigurationsumgebung für modulare und sichere Roboterbaukastensysteme. Oder auf den Punkt gebracht: "Plug-and-Produce-Szenarien in der Industrie zu erproben", schildert Markus Ikeda, Forscher und Spezialist für Robotik und Automatisierungssysteme bei Profactor.
So soll die Programmierung und Bedienung komplexer Roboteranlagen intuitiver, die Mensch-Maschine-Kollaboration sicherer und Industrierobotik insgesamt zu "flexiblen Produktionsassistenzen" (O-Ton Ikeda) aufgewertet werden. Skillbasierte Automatisierungsplattformen wie jene von Profactor (XRob) weisen den Weg. Und machen sich Kommunikatonsstandards wie OPC UA, die Interopterabilität von Einzelkomponenten erst ermöglichen, zueigen.
Der Roboter als Komponente
Profactor-CTO Andreas Pichler stellt in dem Zusammenhang klar: Den Roboter jetzt übertrieben stark in den Mittelpunkt zu stellen, liefe am Ansatz eines modularen Automatisierungsbaukastens, der die explodierende Variantenvielfalt in den Produktkatalogen von Unternehmen in den Griff kriegen soll, vorbei. Bei den hybriden Arbeitsformen der Zukunft, bei der Mensch und Maschine interagieren, ist der Roboter in seinem Zutun nur eine Komponente. „Genausogut kann sinnvollerweise eine kognitive Assistenz zum Einsatz kommen“, so Pichler.
Doch alle neuen Technologien eint: Sie sollten Technologen und Maschinenbedienern Vereinfachung bringen. Durch einfachere Programmierwerkzeuge, Virtualisierung oder Vernetzung. So wird bei Profactor seit einiger Zeit der Ansatz untersucht, die Interaktion mit Robotersystemen um innovative Interfaces wie Tablets, projektionsbasierte Interfaces oder Augmented-Reality-Brille anzureichern.
„Das steigert am Ende des Tages natürlich auch die Überzeugung, Industriekomponenten um einiges sinnvoller und länger wiederverwenden zu können“, sagt Pichler. Montagelayouts seien - Stichwort fraktale Fabrik - auch dank der entschiedenen Abkehr, Robotik als repetitive Automatisierungskomponente zu verstehen, die immerfort wiederholgenau dieselben Bewegungen ausführt, im Umbruch.
Mobile Roboter. Gesteuert aus dem ERP
Entsprechend gespannt sieht Sony-Produktionsprofi Gerald Ihninger dem Projektausgang entgegen. Selbst erste Greifer, mit der die nunmehr nahezu zur Gänze ausentwickelte fahrbare Roboterplattform das Teilehandling bewerkstelligen soll, wurden im Salzburger Werk mittels 3D-Drucker prototypisch hergestellt. Als Roboterarm kommt ein Produkt des Herstellers Universal Robots zum Einsatz, die fahrbare Einheit stammt von MiR.
Gesteuert wird das Fahrzeug künftig aus dem ERP-System. „Dem hat sich jeder Prozess hier im Werk unterzuordnen“, schmunzelt Ihninger. Die Herausforderung auf den letzten Metern liegt nun weniger in der Verplanung der Fahrbefehle aus dem Ressourcenplanungstool - übrigens eine Eigenentwicklung wie so vieles am Sony-Standort - „als in der möglichst generische Auftragserteilung“, so Ihninger.
Sicheres Arbeiten mit dem Roboter
Größtmögliche Sicherheit für den Menschen bei der Interaktion mit Robotern: Darauf ist das Robotikunternehmen Blue Danube Robotics spezialisiert. Die Wiener - Partner von Kuka und Stäubli - haben mit einer taktilen Roboterhaut (Airskin) sowie einem Roboter-Kollissionssensor (Safetyflange) schon heute Produkte im Portfolio, die sicheres Arbeiten neben dem Roboter ermöglichen. Bei Berührung stoppt der Roboter umgehend. Auch ein Crash zwischen Greiferfingern und Werkstück ist abgesichert. "Bevor zu hohe Kräfte entstehen, knickt der Satefytflange weg und stoppt den Roboter", schildert CTO Michael Zillich.
Im Projekt sollen sich die Technologien nun in erweiterten Szenarien der Automation bewähren. So gilt der Manipulation von Werkstücken durch den Roboter während der Fahrt der mobilen Plattform ein Augenmerk. Das wäre etwa in der Vorkommissionierung oder vorgelagerten Bearbeitungsschritten "superpraktisch". Zumal es auch aus Normensicht echtes Neuland ist. Es gibt Normen für stehende Roboter und Normen für mobile Robotik - keine Norm aber "verbindet beide Welten", weiß Zillich.
Kleinteilemanagement während der Fahrt
Alfred Ritirc, Leiter Prozessmanagement bei Lenze Operations Austria, kann sich jedenfalls spannende Einsatzmöglichkeiten für mobile Robotik, die auch Assemblier- oder Bestückungsaufgaben während der Fahrt beherrscht, vorstellen. Einen Prozess der Getriebefertigung will er im Projekt genauer untersuchen. So erfolgt die Bevorratung von Kugellagern an der Produktionslinie in Asten über Spenderröhren, die aktuell von Mitarbeitern oder externen Dienstleistern kontinuierlich nachgefüllt werden müssen.
Im Projekt wird untersucht, wie die schon länger eingesetzten mobilen Robotik Fahrzeuge eines europäischen Herstellers - sie befördern Kleinladungsträger vom Hochregallager zur Kommissionier Station - nun diese Arbeit unterwegs vollziehen könnten. Das FTS erhält an der Übergabestelle die Box mit Kugellagern und rüstet die Röhre dann selbsttätig während der Fahrt. Erste Tests mit Kamerasystem und Greifer zeigen: "Die Kugellager werden erkannt, auch wenn sie nicht immer exakt im Raster liegen", so Ritirc. Im zweiten Quartal soll die Lösung nun erprobt werden.
Dieser Beitrag kam erstmals Februar 2021 heraus. Wir fanden, der Inhalt hat es verdient, für Sie aus dem Archiv geholt zu werden.