Carbon Capture and Storage : Müllverbrennung reloaded

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Müllverbrennungsanlage in Wien: Eine der wenigen Städte der Erde, in der mitten im Stadtzentrum thermisch verwertet wird – und das sogar in einem künstlerisch hochwertigen Bau.

- © spitelau Müllverbrennungsanlagen

Die Sache ist schwierig. Wer sich einen Überblick über den CO2-Fußabdruck der Müllverbrennung verschaffen will, landet unweigerlich in einem Dickicht aus Zahlen, Statistiken, Graphen und Vergleichen, aus denen ein einheitliches Bild nur mit Mühe zu destillieren ist.

In Norwegen zum Beispiel werden rund fünf Prozent des Energiebedarfs mit Wärme aus der Müllverbrennung gedeckt. Zugleich beträgt der Anteil der Müllverbrennung an den CO2-Emissionen des Energiesektors rund dreißig Prozent. Das liegt aber nicht daran, dass die in Norwegen genutzten Müllverbrennungsanlagen so schlecht wären, sondern daran, dass Norwegen bei der Dekarbonisierung seiner Energiewirtschaft bereits sehr weit fortgeschritten ist. Da fallen die in absoluten Zahlen geringen CO2-Einträge der thermischen Verwertung prozentuell dennoch sehr stark ins Gewicht.

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Komplizierte Datenlage

Ganz anders zeigt sich indessen die Lagen in Italien und vielen andere kontinentaleuropäischen Ländern. In Italien verursacht Müllverbrennung nur fünf Prozent der CO2-Emissionen des Energiesektors, trägt aber auch nur ein Prozent zur Energiegewinnung bei. Das hängt damit zusammen, dass in Italien fossile Energieträger immer noch recht stark genutzt werden und sich der Anteil der Müllverbrennung an den CO2-Emissionen vor diesem Hintergrund bescheiden ausnimmt.

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Und um es noch einmal zu verkomplizieren: Würden Italien und Norwegen weniger Müll in Müllverbrennungsanlagen verwerten, würde sich das nicht zwingend positiv auf die CO2-Bilanz auswirken. Jedenfalls dann nicht, wenn die Abfälle stattdessen auf Deponien lagern und dort das Treibhausgas Methan freisetzen würden.

Deshalb gibt die EU, dort wo Kreislauf oder Recycling nicht möglich sind, der thermischen Verwertung klar den Vorzug vor Deponierung. Deshalb investiert auch China zurzeit massivin die Verbrennung. (Hintergründe dazu siehe Kasten).

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Es wird immer einen Bedarf danach geben, Kohlenstoff unter der Erde sicher und für lange Zeit zu lagern.
Stuart Haszeldine, Universität Edinburgh:

Große Chance: Carbon Capture and Storage

Und dennoch: Auch Betreiber von Müllverbrennungsanlagen stehen vor der Herausforderung, den CO2-Eintrag in die Atmosphäre zu minimieren. Ein Weg, der zu diesem Ziel führen kann, ist Carbon Capture and Storage (CCS) – das Abscheiden von CO2 und seine nachfolgende Bindung entweder in Produkten oder in unterirdischen Lagerstätten.

Nach anfänglichen Widerständen, bei denen vor allem das Argument vorgebracht wurde, dass CCS die Bemühungen um eine CO2-Ausstossreduktion konterkariert, herrscht inzwischen weitgehender Konsens darüber, dass diese Technologie auch bei weitestgehender CO2-Reduktion nötig sein wird. Stuart Haszeldine, Geologe und in Edinburgh lehrender Pionier der CCS-Technologie urteilt daher: „Man kann die Menge der verwendeten Kohlenwasserstoffe reduzieren, sie effizienter verwenden, und trotzdem wird es immer noch einen Bedarf danach geben, Kohlenstoff unter der Erde sicher und für lange Zeit zu lagern.“

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Stuart Haszeldine ist ein angesehener Geologe, der sich auf das Feld der Carbon Capture and Storage (CCS) -Technologie spezialisiert hat. Er ist an der Universität Edinburgh tätig und genießt einen herausragenden Ruf als Vorreiter auf diesem Gebiet. Haszeldine hat wesentlich zur Entwicklung und Erforschung von CCS beigetragen, insbesondere zur Abtrennung von CO2 und dessen anschließender Speicherung, sei es in Produkten oder in unterirdischen Lagerstätten. Er unterstreicht die herausragende Bedeutung von CCS als Technologie, um den Ausstoß von Kohlendioxid zu reduzieren und Kohlenstoff sicher und langfristig im Untergrund zu speichern. Stuart Haszeldine ist eine angesehene Persönlichkeit in diesem Fachgebiet und wird häufig wegen seiner umfassenden Expertise konsultiert.
© The University of Edinburg

EU schafft verbindliche Vorgaben

Die EU bekennt sich daher inzwischen zu Carbon Capture und Carbon Storage, auch wenn sie die Vermeidung von CO2 und die Reduktion von fossilen Energierohstoffen als ihre primäre Klimaziel-Strategie definiert. Unter diesen Prämissen hat die Europäische Kommission im Rahmen des Net-Zero Industry Acts festgelegt, dass in Europa bis zum Jahr 2030 jährliche Carbon Storage Kapazitäten von 50 Millionen Tonnen geschaffen werden sollen. Die genannte Zahl ist, wie die Kommission ausführt, nicht als bloße Empfehlung, sondern als verbindliche Vorgabe zu sehen.

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Noch ist Carbon Storage allerdings eine Technologie, die sich erst in der Entwicklung befindet. Als Vorreiter dabei gilt Norwegen, das über das öffentliche Longship-Programm CCS-Projekte in verschiedenen Branchen fördert, darunter auch in der Abfallwirtschaft. Das bekannteste davon ist jenes in der Klemetsrud-Müllverbrennungsanlage in Oslo. Erweist sich das Projekt als praxistauglich, könnte Klemetsrud die erste Müllverbrennungsanlage der Welt mit negativer CO2-Bilanz werden. Es würde mehr CO2 binden als ausstoßen. Zudem wäre das Konzept auf rund 500 Anlagen ähnlicher Größe in ganz Europa skalierbar.

Unser klares Ziel ist es immer noch, die CO2-Abscheidung in der Müllverbrennungsanlage Klemetsrud zu etablieren.
Knut Inderhaug, Hafslund Oslo Celsio

Kostenfrage dämpft Optimismus

Die grundsätzliche technische Durchführbarkeit des Vorhabens steht außer Streit: In einem Pilotprojekt ist es gelungen, die CO2-Abscheidungen so aufzubereiten, dass sie stabil und transportfähig sind. Der Transport selbst soll zunächst per Schiene zum Hafen von Oslo und dann per Tanker zu den Lagerstätten in der Nordsee erfolgen.

Die hohen Kosten haben allerdings im April dieses Jahres zu einer deutlichen Verlangsamung der Arbeiten am Projekt geführt. Eine aktualisierte Schätzung, schrieben die Betreiber in einer Mitteilung im Frühling, haben gezeigt, dass ein starker Anstieg der Preise, geopolitische Instabilität und ein gesunkener Kurs der norwegischen Krone es notwendig machen, das Vorhaben in eine, wie formuliert wird, kostensenkende Konsolidierungsphase zu führen.

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Zugleich betonen die Betreiber aber, dass das Projekt nicht für ewig aufs Eis gelegt werden soll: „Unser klares Ziel ist es immer noch, die CO2-Abscheidung in der Müllverbrennungsanlage Klemetsrud zu etablieren, aber wir müssen den Weg zum Ziel anpassen“, sagt der geschäftsführende Direktor der Betreibergesellschaft Hafslund Oslo Celsio, Knut Inderhaug.

Zu viel investiert?

China setzt auf Müllverbrennung. Und auf Recycling. Doch möglicherweise sind den Verantwortlichen dabei ein paar Planungsfehler unterlaufen.

Eigentlich ist es eine gute Nachricht. Chinas Sammel- und Recyclingsysteme für Haushaltsabfälle wachsen in einem beeindruckenden Tempo. In Shanghai etwa wurden 2018 nur 21 Prozent der gesammelten Haushaltsabfälle dem Recycling zugeführt, 2021 bereits 54 Prozent. Zugleich errichtete China unzählige neue Müllverbrennungsanlagen, sodass Abfall, der nicht sortiert und wiederverwertet werden kann, in die thermische Verwertung geht, anstatt wie früher auf Deponien gelagert zu werden.

Einen Haken hat die Erfolgsgeschichte allerdings doch. Vieles deutet darauf hin, dass China seine Müllverbrennungskapazitäten trotz immer wieder aufflammender Anrainerproteste größer dimensioniert hat als nötig. Über 927 solcher Anlagen verfügt das Land mit Stand November 2023, noch vor zwölf Jahren waren es bloß 130.

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Angesichts der vielen Anlagen und der steigenden Recyclingmengen geht den Betreibern nun in manchen Regionen der Stoff aus, also der Abfall, der thermisch verwertet werden soll. 8.499 Betriebsunterbrechungen gab es in chinesischen Müllverbrennungsanlagen allein im Mai dieses Jahres. Nicht alle davon gehen auf Mangel an Material zurück, doch die Vermutung, dass die Stopps vor allem damit zu tun haben, wird auch von Zahlen gestützt.

So existiert zwar über alle Provinzen gerechnet in China de facto ein Gleichgewicht zwischen den anfallenden Mengen von Abfall, der thermisch verwertet, werden soll und den Verwertungskapazitäten. Bei einer genaueren Betrachtung zeigt sich allerdings, dass einerseits in vielen Provinzen massive Überkapazitäten bestehen, in Hebei zum Beispiel mit 177 Prozent oder in Hainan mit 169 Prozent, während anderswo nach wie vor massiver Nachholbedarf herrscht, etwa in der Inneren Mongolei wo die Kapazitäten gerade einmal 41 Prozent des Bedarfs betragen oder in Xinjiang, wo sie 45 Prozent erreichen.