Autobauer in der Krise : Volkswagen vor Werksschließungen: Wie Überkapazitäten die Auto-Industrie bedrohen

Assembly line production of new car. Automated welding of car body on production line. robotic arm on car production line is working

Rund 500.000 Autos verkauft VW in Europa pro Jahr weniger als noch vor Ausbruch der Coronapandemie 2020

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Die Tarifverhandlungen bei Volkswagen, die diesen Mittwoch beginnen, versprechen hitzig zu werden. Der Wolfsburger Autobauer steht unter dem Druck, aufgrund erheblicher Überkapazitäten in Deutschland Einsparungen vorzunehmen und droht im schlimmsten Fall mit Werksschließungen. Laut Finanzchef Arno Antlitz verkauft Volkswagen in Europa jährlich rund 500.000 Autos weniger als vor der Corona-Pandemie – eine Zahl, die der Produktion von zwei Werken entspricht. Und Antlitz stellt klar: Diese Autos werden auch nicht wieder auf den Markt zurückkehren.

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Das Produktionsvolumen in den deutschen VW-Werken ist stark gesunken, was den Konzern jedoch nicht allein betrifft. Eine Untersuchung von Reuters zu mehreren europäischen Autoherstellern, darunter Ford, Renault und Stellantis, zeigt, dass Überkapazitäten in der gesamten Branche, insbesondere in Westeuropa, ein Problem sind. Die Auslastung der Werke lag 2023 im Durchschnitt bei nur 60 Prozent, zehn Prozentpunkte weniger als 2019 vor der Pandemie.

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- © Industriemagazin

Insbesondere westliche Standorte betroffen

In Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien sank die Auslastung auf 54 Prozent, während sie in Ländern mit niedrigeren Löhnen wie Spanien, der Türkei und der Slowakei nur von 83 auf 79 Prozent zurückging. Damit sind besonders die westlichen Standorte der Branche betroffen. Die optimale Auslastung, um wirtschaftlich arbeiten zu können, liegt in der Regel bei mindestens 70 Prozent. Autobauer streben jedoch eine Auslastung von 80 bis 90 Prozent an, um möglichst effizient zu produzieren und gleichzeitig Raum für Wartung und Modellwechsel zu lassen.

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Erschwerend kommt hinzu, dass die Politik und die Gewerkschaften Volkswagen aufgefordert haben, teure Elektrofahrzeuge in Deutschland zu produzieren – ein Geschäft, das weniger erfolgreich läuft als erhofft. Justin Cox von GlobalData beschreibt diese Entscheidung als „Giftkelch“, da diese Autos bei den Verbrauchern nicht die erhoffte Resonanz finden. VW-Finanzchef Antlitz ergänzt: „Premiumkosten und Mobilität für alle passen nicht zusammen“, insbesondere in den deutschen Werken, wo der Großteil der Elektrofahrzeuge gebaut wird.

Die hohen Lohnkosten in Deutschland erschweren die Situation zusätzlich. Der Branchenverband VDA rechnete 2022 mit durchschnittlichen Arbeitskosten von 59 Euro pro Stunde – im Vergleich zu 21 Euro in Tschechien und 16 Euro in Ungarn. Gleichzeitig gehen die Verkaufszahlen von Elektroautos in Europa zurück, und viele Modelle bleiben in den Verkaufsräumen stehen. Der Gewerkschafter Stephan Soldanski fordert daher, dass Volkswagen preisgünstigere Modelle auf den Markt bringt, die für den Durchschnittsverbraucher erschwinglich sind. In seinem Werk in Osnabrück, wo derzeit unter anderem Porsche-Modelle gebaut werden, sieht es düster aus: Die Produktion soll 2026 auslaufen, und es fehlt an neuen Konzepten. Soldanski warnt: „Wir brauchen Ideen ... wir wollen keinen langsamen Tod.“

Wir brauchen Ideen ... wir wollen keinen langsamen Tod.

Wenig Zeit für eine Wende

Volkswagen stehen nach Aussage von Antlitz ein bis zwei Jahre zur Verfügung, um die Wende zu schaffen. Inzwischen drängen chinesische Konkurrenten wie BYD und Chery auf den europäischen Markt und eröffnen eigene Werke in Ländern wie Ungarn, Polen und der Türkei, um von den dort niedrigeren Löhnen zu profitieren. Das erhöht den Druck auf die westlichen Standorte weiter.

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Deshalb stehen bei Volkswagen jetzt die Arbeitskosten und die Reduzierung von Kapazitäten im Fokus. Das Unternehmen hat die seit Jahrzehnten geltende Beschäftigungssicherung gekündigt und setzt auf neue Tarifverhandlungen. Andere Hersteller sind in ihren Sparmaßnahmen bereits weiter: Renault hat im Rahmen eines umfassenden Sparprogramms Tausende Stellen gestrichen, während Stellantis bis Ende 2024 knapp 20.000 Stellen abbauen wird. Ford hingegen hat bereits entschieden, sein Werk in Saarlouis zu schließen.

Während Stellantis inzwischen deutlich höhere Renditen erzielt als Volkswagen, steuert der Konzern seine Werke in Ländern mit unterschiedlichen Lohnniveaus seit Jahren erfolgreich. „Man kann den Arbeitern nicht die Schuld geben“, betont Georg Leutert von der Gewerkschaft IndustriAll, der sich für die Autobranche einsetzt. Die Herausforderungen bleiben jedoch bestehen, und die Zukunft der europäischen Automobilproduktion steht auf dem Spiel.

Tarifrunde mit IG Metall vorgezogen

Heute beginnt der erste Verhandlungstag zwischen Volkswagen und der Gewerkschaft IG Metall zu den geplanten Sparmaßnahmen des Unternehmens. Beide Parteien treffen sich ab 11:00 Uhr in Hannover, wie VW und die Gewerkschaft mitteilten. Die Positionen sind klar gegensätzlich: Während Volkswagen auf Kostensenkungen drängt, lehnt die IG Metall jegliche Einschnitte ab.

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"Über Werksschließungen und Massenentlassungen ist mit uns nicht zu reden", betonte Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen, vor den Verhandlungen. Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, ebenfalls IG Metall-Mitglied, hat bereits deutlich gemacht, dass diese Punkte nicht verhandelbar seien.

Ursprünglich für Ende Oktober angesetzt, wurden die Tarifverhandlungen vorgezogen, nachdem Volkswagen Anfang des Monats seinen Sparkurs verschärft hatte. Neben den Entgelten steht auch die von VW gekündigte Beschäftigungssicherung auf der Agenda. Betroffen sind insbesondere die rund 120.000 Mitarbeitenden an den sechs großen westdeutschen Standorten. Für VW Sachsen gelten eigene Vereinbarungen, doch auch dort wurde die Beschäftigungssicherung kürzlich aufgekündigt.

Gewerkschaft fordert Lohnerhöhung von 7 Prozent

Die IG Metall fordert von VW detaillierte Sparpläne, bevor ernsthafte Verhandlungen stattfinden können. Bisher habe der Konzern lediglich Tarifverträge gekündigt, ohne konkrete Maßnahmen zu Werksschließungen oder Entlassungen vorzulegen. Gröger kritisierte scharf: „Damit gießt VW nun zusätzliches Öl ins Feuer.“ Er forderte stattdessen ein „tragfähiges Zukunftskonzept für alle Standorte“, das ohne Schließungen und Entlassungen auskommt.

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Im Rahmen der parallelen Entgeltrunde fordert die IG Metall zudem eine Lohnerhöhung von sieben Prozent für die gesamte Branche, einschließlich VW. Ab Dezember könnte es bei ausbleibendem Fortschritt zu Streiks kommen, da dann die Friedenspflicht endet.

VW-Konzernchef Oliver Blume fordert indes Zugeständnisse seitens der IG Metall: "Ich erwarte dort schon deutliche Bewegung, um auf der Kostenseite voranzukommen", erklärte er am Montag im ZDF. Er betonte jedoch auch: "Wir werden hier in Deutschland auch um jeden Arbeitsplatz kämpfen, das ist ganz klar. Aber dafür ist die Grundlage, dass wir auf der Kostenseite über alle Bereiche deutlich nach unten kommen." Sein Ziel ist es, bis Ende des Jahres eine Einigung zu erzielen.

Die Zeit drängt für beide Seiten: Sollte keine Einigung erzielt werden, könnten die Jobgarantien fallen, die vor 30 Jahren eingeführt wurden. Dies würde auch das Ende von Zugeständnissen wie dem Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld bedeuten. In diesem Fall könnte VW sogar höhere Kosten entstehen. Das Unternehmen warnte bereits, dass "betriebsbedingte Kündigungen nicht auszuschließen sind", wenn bis Juli 2025 keine Lösung gefunden wird.