Ukraine-Krieg : Russischer Ökonom: Warum die Sanktionen Russland schaden

Stadtzentrum von Moskau in Russland

Der Experte rechnet mit einem deutlichen Rückgang der Lebensqualität in Russland.

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Der russische Ökonom Sergej Guriew erachtet die westlichen Sanktionen gegen Russland als "sehr gut". Der Vorstand der französischen Elitehochschule Sciences Po, der 2013 aus Russland geflohen war, erwähnte im Gespräch mit der APA vor allem das seit Dezember geltende Ölembargo, das Embargo für Ölprodukte ab Februar und den Ölpreisdeckel. Allein im Dezember sei der Durchschnittspreis für russisches Öl bei 50 Dollar pro Barrel gelegen, während der Brent-Preis 80 Dollar betrug.

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Die Sanktionen hätten die Kapazität des russischen Präsidenten Wladimir Putin reduziert, den Krieg zu führen, sagte Guriew, der für einen Vortrag an der Central European University (CEU) am Montag in Wien war. "Putin hätte sonst viel mehr Ukrainer getötet und viel mehr ukrainisches Land an sich gerissen." Das russische Defizit 2023 werde größer, "was bedeutet, dass es für Putin schwieriger wird, Soldaten anzuheuern, Wagner Geld zu geben und iranische Drohnen zu kaufen. All das ist von Bedeutung", betonte Guriew.

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Es gebe nun außerdem die Möglichkeit, die Sanktionen zu erweitern. "Wenn der Westen das Gefühl hat, mehr tun zu wollen, kann er den Ölpreisdeckel reduzieren: von 60 Dollar auf 55 oder auf 50."

Sergej Guriew: "Sie gehen zurück vom 21. ins 20. Jahrhundert."

Kritik des Ökonomen

Guriew hatte bereits kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ein Importverbot für russisches Öl gefordert. Die Maßnahme komme daher spät. Der Westen habe am 3. Tag nach Kriegsbeginn vom 24. Februar Sanktionen gegen die russische Zentralbank verhängt und 300 Milliarden Dollar an Reserven eingefroren. Gleichzeitig habe Russland weiter Öl exportiert - der Bilanzüberschuss im Jahr 2022 betrage 250 Milliarden. "Das, was eingefroren wurde, wird also fast vollständig durch Ölexporte zurückerhalten." Guriew zeigte Verständnis dafür, dass sich die westlichen Regierungen vor einer Rezession fürchteten und sich besser auf den Winter vorbereiten mussten, "aber das hat seinen Preis: Putin war in der Lage, diesen Krieg 2022 zu finanzieren".

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Die Sanktionen hätten Auswirkungen auf die wirtschaftliche Struktur des Landes: "Die russische Wirtschaft wird noch veralteter", meinte Guriew. Langfristige Sanktionen bedeuteten nämlich eine Abschirmung von globaler Technologie. Russland werde chinesisches Equipment und Autos importieren und zu seiner eigenen Autoproduktion aus den 1990er zurückkehren, verwies Guriew auf den Lada "Niva Legend", der bereits in den 1970er Jahren entwickelt worden sei. "Das wird die Transformation der russischen Wirtschaft: sie gehen zurück vom 21. ins 20. Jahrhundert. Das ist sehr traurig, aber das ist, was man auch in Kuba, im Iran und in Nordkorea sehen kann."

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Freilich werde Russland versuchen, die Sanktionen durch Kooperation mit anderen Ländern auszugleichen. "Es liegt am Westen, Sekundärsanktionen zu erlassen", erklärte Guriew. Bis jetzt habe etwa China kein Militärequipment an Russland geschickt. "Dies ist definitiv eine Folge der Gefahr von Sekundärsanktionen gegen China." Auch die chinesischen Technologieunternehmen hielten sich daran. "Der Handel zwischen Russland und Europa ist kollabiert, aber der Handel mit der Türkei ist gestiegen. Vielleicht wird die Türkei als Zwischenhändler genutzt?"

Rückgang der Lebensqualität in Russland

Gefragt nach dem Preis der Sanktionen für die russische Bevölkerung antwortete Guriew, dass die Lebensqualität um zehn oder 20 Prozent zurückgehen werde. Es werde kein Wachstum geben. Und die "kreative Klasse, die gebildeten Menschen werden erkennen, dass es keine Zukunft in diesem Land gibt. Sie werden auswandern." In demokratischen Ländern würde es zu großen Demonstrationen kommen, wenn der Lebensstandard um zehn Prozent sinke, und die Regierung würde wahrscheinlich zurücktreten, sagte der Wirtschaftswissenschafter. In Russland sei dies zwar nicht der Fall, aber "alle sind unglücklich. Die Elite ist unglücklich, weil ihre Geschäfte zerstört sind." Nur einige profitieren von der Produktion von Militärgütern, aber im Durchschnitt sei die Situation "schlecht".

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Ob die Sanktionen in der Lage sind, den Krieg zu beenden? Guriew zeigte sich skeptisch bezüglich einer Chance auf einen Friedensvertrag zwischen Moskau und Kiew. Ein Friedensvertrag, der für die Ukraine annehmbar wäre, würde die Rückgabe der besetzen ukrainischen Gebiete, die Zahlung von Reparationen durch Russland und die Auslieferung aller Kriegsverbrecher an internationale Gerichte beinhalten. Dies sei aber für Putin inakzeptabel. "In diesem Sinne wird dieser Krieg andauern, solange Herr Putin im Kreml sitzt." Nur wenn die Ukraine genügend Waffen bekomme, um diesen Krieg zu gewinnen, würde Putins Popularität derart leiden, dass er nicht mehr im Kreml bleiben könne.

Vorstellen kann sich Guriew auch, dass sich der Krieg zu einem eingefrorenen Konflikt entwickelt. Guriew verwies auf Nord- und Südkorea, wo es bis jetzt keinen Friedensvertrag, aber auch keinen heißen Krieg gebe. "In diesem Szenario wird Russland Nordkorea, bleibt unter Sanktionen und die Ukraine beginnt den Wiederaufbau."

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Defizit im russischen Staatsetat

Der russische Staat hat im vergangenen Jahr wegen der hohen Kosten für den Krieg gegen die Ukraine rote Zahlen geschrieben. Das Defizit summiere sich auf 3,3 Billionen Rubel (rund 44 Milliarden Euro), wie Finanzminister Anton Siluanow am Dienstag mitteilte. Das entspricht 2,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Vor Beginn des Krieges am 24. Februar hatte die Regierung einen Überschuss in Höhe von einem Prozent der Wirtschaftsleistung angestrebt. Noch im vergangenen September prognostizierte Präsident Wladimir Putin einen Überschuss von fast einer halben Billion Rubel.

Die Regierung war in den vergangenen Monaten dazu gezwungen, den mit Milliarden gefüllten Staatsfonds anzuzapfen und bei Auktionen bei heimischen Geldgebern neue Kredite aufzunehmen. Grund dafür ist, dass mehr Mittel in den Verteidigungsetat umgeleitet werden. Siluanow räumte kürzlich ein, dass die westliche Preisobergrenze für russisches Öl das Haushaltsdefizit im Jahr 2023 vergrößern könnte. "Ist ein größeres Haushaltsdefizit möglich? Es ist möglich, wenn die Einnahmen niedriger sind als geplant", sagte der Minister vor Reportern. "Was sind die Risiken im nächsten Jahr? Preisrisiken und Einschränkungen."

Die russische Wirtschaft hat sich angesichts der massiven westlichen Sanktionen wegen des Krieges gegen die Ukraine vergleichsweise gut behauptet. Der Herbstprognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge dürfte das BIP 2022 um 3,4 Prozent zurückgegangen sein und könnte 2023 noch einmal um 2,3 Prozent sinken. Die russische Zentralbank warnte zuletzt vor gestiegenen wirtschaftlichen Risiken durch den Krieg. "Der Arbeitskräftemangel nimmt in vielen Branchen aufgrund der Auswirkungen der Teilmobilmachung zu", erklärten die Währungshüter. Diese führe seit September dazu, dass Hunderttausende Russen entweder zur Armee einberufen wurden oder das Land verlassen haben. Sie stehen damit dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung.

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