Supply Chain : Drohen neue Lieferengpässe aufgrund der Corona-Lage in China?

Was sind Lieferketten? Warum sind Lieferketten für die Globalisierung so wichtig? Welche Modelle könnten Lieferketten zukünftig ersetzen?
EU-Lieferketten-Richtlinien

Wie wird sich die aktuelle Corona-Lage auf die Weltwirtschaft auswirken?

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Das deutsche Wirtschaftsministerium warnt vor erneuten Lieferkettenproblemen für Unternehmen wegen der vielen Corona-Ansteckungen in China. "Das Vertrauen in die chinesischen Zulieferungen wurde bereits im Zuge der Pandemie einem einschneidenden Realitätscheck ausgesetzt", sagte ein Ministeriumssprecher. "Jetzt muss von Neuem mit Lieferrisiken gerechnet werden."

Von Ausfällen in den chinesischen Lieferketten wären europäische Unternehmen betroffen. Mit dramatischen Produktionseinbrüchen sei deswegen aber nicht zu rechnen. "Gleichwohl handelt es sich um eine zusätzliche Belastung für die Unternehmen, mit der sie neben Inflation und Rezession umgehen müssen."

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Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zeichnen ein differenzierteres Bild: "Zunächst tragen die weggefallenen Covid-Restriktionen in China schon jetzt dazu bei, die Situation bei Lieferketten zu entspannen", sagte Timm Bönke vom DIW. "Demgegenüber stehen zunehmende Produktionsprobleme bei chinesischen Unternehmen aufgrund der Häufung der Covid-Erkrankungen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern."

Für die chinesische Wirtschaft falle die Bewertung so insgesamt positiv aus - genau darin liege aber das Konjunkturrisiko für Deutschland und Europa: Die wirtschaftliche Erholung Chinas könne "zu höheren Preisen auf Rohstoff- und Energiemärkten führen und die Inflation anheizen", warnte Bönke. Hinzu komme die von China ausgehende Gefahr einer neuerlichen Corona-Welle.

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"Wenn die chinesischen Häfen und Fabriken geschlossen werden, weil fast alle Beschäftigten krank sind, zieht das dramatische wirtschaftliche Folgen nach sich", sagte Ulrike Malmendier, Ökonomin der US-Universität Berkeley dem deutschen "Handelsblatt". Nach ihrer Ansicht würden dann die Lieferketten wieder zusammenbrechen und damit die Preise für Rohstoffe und Vorprodukte enorm in die Höhe treiben.

Nach fast drei Jahren hatte China Anfang Dezember unter dem Druck von Protesten und einer schwächelnden Wirtschaft ein abruptes Ende seiner strikten Corona-Maßnahmen verkündet. Dies sei laut der deutschen Handelskammer eine "begrüßenswerte Entwicklung". Doch unmittelbar dürfte sich die wirtschaftliche Lage kaum bessern. Seit der auf Gesundheitsexperten planlos wirkenden Kehrtwende in der Corona-Politik schießen die Infektionszahlen nun in vielen chinesischen Städten in die Höhe. Nicht nur sind Krankenhäuser überlastet, viele Apotheken haben auch keine Medikamente gegen Erkältungen und Fieber mehr.

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Rückgang der Produktion

Trotz der Lockerung der strengen Corona-Maßnahmen ist die Produktion in Chinas Fabriken im Dezember zurückgegangen. Der sogenannte Einkaufsmanager-Index (PMI), ein wichtiger Index für die Produktion im verarbeitenden Gewerbe in China, sank auf 47 Punkte, wie das staatliche Statistikamt am Samstag mitteilte. Im November hatte er noch bei 48 Punkten gelegen. Werte unterhalb von 50 deuten auf einen Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität in China hin.

Chinas strenge Null-Covid-Politik mit Lockdowns, Massentests und strengen Quarantäne-Regeln hatte das Wirtschaftswachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt stark ausgebremst. Zahlreiche Fabriken und andere Betriebe mussten ihren Betrieb vorübergehend einstellen, Lieferketten wurden unterbrochen. Die wiederholten Lockdowns dämpften zudem die Konsumlaune.

Anfang Dezember rückte Peking dann in einer radikalen Kehrtwende von der Null-Covid-Politik ab. Es wird nicht mehr flächenmäßig getestet und Infizierte dürfen sich zu Hause isolieren. Zugleich verzeichnet das Land derzeit so viele Neuinfektionen wie noch nie seit Beginn der Pandemie vor fast drei Jahren.

Darunter leidet auch die wirtschaftliche Erholung. "Im Dezember ist Chinas wirtschaftlicher Wohlstand aufgrund der Auswirkungen der Epidemie und anderer Faktoren insgesamt zurückgegangen", erklärte der leitende Statistiker des Statistikamts, Zhao Qinghe. "Die Epidemie hatte erhebliche Auswirkungen auf Produktion und Nachfrage, die Anwesenheit von Mitarbeitern, Logistik und Vertrieb."

Zuletzt Rückgang der Lieferengpässe

Die Lieferengpässe in der deutschen Industrie nahmen zuletzt allmählich ab. In der monatlichen Unternehmensumfrage des Ifo-Instituts berichteten im Dezember 50,7 Prozent der Firmen, dass bestellte Vorprodukte und Materialien schwer zu bekommen seien. Das war bereits der dritte Rückgang in Folge. Im November waren es noch 59,3 Prozent, wie die Wirtschaftsforscher berichteten.

Die Lage ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Am stärksten unter Materialmangel leiden demnach weiter Maschinenbau und Autoindustrie, wo jeweils rund drei Viertel der Unternehmen von Lieferproblemen berichteten. In anderen Industriezweigen wie der Papierherstellung hingegen klagten vergleichsweise wenige Firmen.

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"Eine Auflösung der Engpässe scheint sich nun in vielen Branchen abzuzeichnen", sagte Umfragenleiter Klaus Wohlrabe. "Abhängig von der Entwicklung der Coronalage in China kann es aber auch wieder zu Rückschlägen bei den Engpässen kommen." In der Volksrepublik sind nach dem Ende strenger Coronarestriktionen die Krankheitsraten außerordentlich hoch.

Entspannung bei der Versorgung mit Halbleitern

Insbesondere der Mangel an elektronischen Bauteilen war in den vergangenen 2 Jahren ein Hauptgrund stockender Produktion in der Industrie. Bedeutendster deutscher Hersteller von Halbleitern und Chips ist Infineon. Nach Angaben des Münchner Konzerns hat zur Verbesserung der Lage auch die Abkühlung der Weltkonjunktur beigetragen. "Die Nachfrage nach elektronischen Produkten im Konsumentenbereich war zuletzt schwächer ausgeprägt, was teilweise zu einer Entspannung der Liefersituation führt", sagt ein Infineon-Sprecher. Als Beispiele nennt er Smartphones und Computer.

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Bei manchen Chips gibt es jedoch nach wie vor große Nachschubprobleme. Besonders angespannt war laut Infineon die Liefersituation zuletzt bei Mikrocontrollern. Das sind Chips mit eigenem Prozessor, die beispielsweise in Autos zur Steuerung vieler Fahrzeugfunktionen verwendet werden. "Die Kapazitäten sind noch immer knapp, doch erwarten wir eine zunehmende Entspannung im Jahresverlauf 2023", sagt der Sprecher.

Stark wachsende Nachfrage erwartet Infineon weiter bei Leistungshalbleitern. Das sind elektronische Elemente, mit denen hohe elektrische Spannungen und Ströme gesteuert werden können und die etwa in Elektromotoren oder auch den Stromgeneratoren von Windrädern zum Einsatz kommen.

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Sowohl Mikrocontroller als auch Leistungshalbleiter sind für die Autohersteller wichtig. Die Autoindustrie litt laut Münchner Ifo-Institut im November von allen Industriezweigen am stärksten unter Lieferengpässen. So ist dementsprechend bei Audi in Ingolstadt nicht von Entspannung die Rede, sondern von "struktureller Unterversorgung mit Halbleitern".

Das ist nicht das einzige anhaltende Problem: "Neben der allgemeinen Versorgungsknappheit erschweren zusätzliche Umstände, wie etwa der Ukraine-Krieg, die Energiekrise oder auch Maßnahmen im Rahmen der Corona-Pandemie die reibungslose Aufrechterhaltung der weltweiten Lieferketten", sagt eine Sprecherin - und betont, trotz der Herausforderungen sei Audi bisher gut durch die Halbleiterkrise gekommen. "Wir produzieren, wann immer wir können." Die VW-Tochter geht davon aus, dass sich die Versorgungssituation mit Halbleitern 2023 entspannen wird, allerdings nicht gänzlich. Audi rechnet demnach weiter mit "einzelnen Engpässen bei automotive-spezifischen Halbleitertechnologien".

Neuausrichtung der Lieferketten

Die deutsche Industrie arbeitet mit Hochdruck an der Lösung von Lieferkettenproblemen, die seit Beginn der Corona-Krise weltweit zu Engpässen geführt haben. "Von Schockstarre der Wirtschaft keine Spur", sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier.

35 Prozent der international aktiven deutschen Unternehmen hätten bereits neue oder zusätzliche Lieferanten für Rohstoffe, Vorprodukte oder benötigte Waren gefunden. Weitere 30 Prozent seien derzeit noch auf der Suche. Dies gelte unabhängig von der jeweiligen Weltregion.

Treier bezog sich auf Daten aus dem Herbst, als die deutschen Auslandshandelskammern 3.100 Firmen befragt hatten. Für knapp zwei Drittel der Unternehmen standen dabei Kostenoptimierungen sowie die Risikominimierung im Vordergrund. "Insgesamt haben sich die Lieferkettenstörungen zwar verbessert, sie sind aber noch längst nicht überwunden", so der DIHK. Für 42 Prozent der Unternehmen seien Störungen in den Lieferketten das Top-Geschäftsrisiko in den kommenden Monaten. Gesucht werden neue oder zusätzliche Lieferanten vor allem in der Nähe ihrer bisherigen Standorte im Ausland. Möglichst kurze Lieferwege spielten hier eine Rolle, ebenso wie der Wunsch, höhere Transportkosten zu vermeiden.

Standortverlagerungen sind laut DIHK für überraschend viele Unternehmen eine Option. Zehn Prozent hätten bereits die Produktion, Teile davon oder ganze Niederlassungen an neue Standorte verlegt beziehungsweise dort neu aufgebaut. 16 Prozent gaben an, dazu Planungen zu haben. Dies sei ein hoher Anteil, weil die damit verbundenen Investitionen und Planungen in der Regel sehr umfangreich seien, sagte Treier. Hauptmotive dieser Firmen sei es, neue Märkte zu erschließen, die Kosten zu optimieren und sich breiter aufzustellen.

China und der Vertrauensverlust

Überall Lockdowns, der Konsum schwächelt, unterbrochene Lieferketten: Die chinesische Wirtschaft hat wegen der strikten Corona-Maßnahmen ein außergewöhnlich hartes Jahr hinter sich. Das raue Klima haben auch europäische Firmen deutlich zu spüren bekommen. Die Folge: Ihr Zutrauen in den chinesischen Markt ist auf einen Tiefstand gefallen.

Wie aus einer veröffentlichten Umfrage der Deutschen Handelskammer (DHK) in China hervorgeht, gab rund jedes zweite Unternehmen (49 Prozent) an, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft seit der letzten Befragung vor einem Jahr an Attraktivität im Vergleich zu anderen Märkten verloren habe.

Nur 51 Prozent der Firmen beabsichtigen demnach noch, ihre Investitionen in China in den nächsten zwei Jahren auszubauen, verglichen mit 71 Prozent im Vorjahr - ein Rückgang um 20 Prozentpunkte. Als größte Herausforderungen wurden Chinas Null-Corona-Politik und geopolitische Spannungen genannt. "Dieses Jahr wurden deutsche Unternehmen von Chinas Null-Covid-Politik geplagt. Die damit einhergehenden Einschränkungen haben das Geschäftsvertrauen, die Attraktivität des Marktes und Geschäftschancen verdorben", sagte Clas Neumann, DHK-Vorsitzender in Shanghai.

Die Null-Covid-Politik hatte tiefe Spuren hinterlassen: 66 Prozent der Kammer-Mitglieder nannten die Pandemie-Maßnahmen bei der diesjährigen Befragung als ihre größte Herausforderung für das operative Geschäft. Sie ist demnach auch der Hauptgrund, Investitionen zu verringern oder den Markt ganz zu verlassen.

Stimmung in der Industrie hellt sich auf

Die Stimmung in den Industrieunternehmen der Eurozone hat sich Ende des vergangenen Jahres weiter verbessert. Der Einkaufsmanagerindex von S&P Global stieg im Dezember zum Vormonat um 0,7 Punkte auf 47,8 Zähler, wie S&P am Montag in London nach einer zweiten Schätzung mitteilte. Ein vorläufiges Ergebnis wurde damit wie erwartet bestätigt.

Der Stimmungsindikator ist damit den zweiten Monat in Folge gestiegen. Mit einem Indexwert von unter 50 Punkten signalisiert der Indikator aber nach wie vor eine schrumpfende Wirtschaftsleistung. "Mit zur Stimmungsaufhellung beigetragen hat, dass sich die Lieferketten stabilisiert haben, der Inflationsdruck deutlich nachgelassen und sich die Besorgnis hinsichtlich einer Energiekrise in der Region - auch dank staatlicher Hilfen - gelegt hat", kommentierte S&P-Chefökonom Chris Williamson die Stimmungsdaten.