Wertschöpfungsketten : Österreichs Industrie und Russland: Auf Distanz?
Bis vor kurzem lieferte der Feuerwehrausstatter Rosenbauer noch Pumpen für die Löschfahrzeugproduktion seines russischen Produktions-Joint Ventures PA FFST. Die Moskauer Produktion mit 70 Mitarbeitern umfasst verschiedene Typen von kommunalen Tanklöschfahrzeugen, die mit hochwertiger Technik aus dem Rosenbauer Konzern ausgestattet und überwiegend auf Chassis des russischen LKW-Herstellers Kamaz aufgebaut werden. Die jährliche Produktion beläuft sich auf rund 140 Fahrzeuge. „Doch nun, bestätigt ein Rosenbauer-Sprecher, habe man seine Lieferungen eingestellt.
Dieter Siegel, CEO von Rosenbauer International, fasste just am Tag des russischen Einmarsches die Entscheidung. „Auf Grund des russischen Einmarsches in die Ukraine hat der Rosenbauer Konzern seine aktiven Geschäftsbeziehungen mit Russland eingestellt. Das heißt Rosenbauer liefert nicht nach Russland und nimmt auch keine neuen Aufträge entgegen,“ stellt Kiesenhofer gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN klar. „Davon ausgenommen sind vorerst noch Ersatzteile, die für den sicheren Betrieb von Rosenbauer Produkten notwendig sind und die der Rettung von Menschenleben dienen. Dabei wird penibel auf die Einhaltung der geltenden sanktionsrechtlichen Vorgaben geachtet“. Unter diesen Vorzeichen prüfe Rosenbauer derzeit die Fortführung seines russischen Produktions-Joint Ventures in Moskau, an dem man als 49-Prozent-Minderheitseigentümer hält.
International geächtet
Die Liste der internationalen Unternehmen, die sich aus Russland zurückziehen oder das Geschäft aussetzen, wird länger. Von Adidas über Louis Vuitton bis Volkswagen – es kommt zum Exodus westlicher Konzerne aus Russland. Nach Angaben der University of Yale zogen sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs bereits rund 300 Firmen aus Russland zurück oder kündigten entsprechende Schritte an. Wer bleibt, bekommt gerade sehr dratisch zu spüren, dass jahrzehntealte Lieferketten aus den Fugen geraten oder Sanktionen greifen. Das Russlandgeschäft der FACC AG fällt mit nur etwas über 1 Million Euro bei einem Gesamtumsatz von über 500 Millionen Euro „sehr gering“ aus, wie Pressesprecher Jakob Reichsöllner erklärt.
„Darüber hinaus sind wir auch in der Supply Chain nicht betroffen und haben mit Eintreten der Sanktionen auch keine Geschäftstätigkeiten.“ Der Karton-Konzern Mayr-Melnhof ist der größte Faltschachtelproduzent sowie Marktführer in der Russischen Föderation, wo er seit 2005 tätig ist. In Russland werden an zwei Standorten – Sankt Petersburg und Pskov – mit über 600 Mitarbeitern Verpackungen erzeugt. „Wir produzieren dort Konsumgüter-Verpackungen insbesondere Lebensmittel“, sagt Mayr-Melnhof-Sprecher Stephan Sweerts-Sporck. Entscheidende Gründe für das Engagement waren „die Bedienung des lokalen Marktes mit Kartonverpackungen für lokale und internationale Kunden“. In das Russland Geschäft investierte Mayr Melnhof, „unter 100 Millionen Euro".
Die Produktion läuft, aber es ist mit Stillständen in der Verpackungsproduktion zu rechnen. Zugleich haben wir alle Karton-Lieferungen nach Russland gestoppt,“ so Sweerts-Sporck. Schon länger arrangiert hat sich der Nahrungsmittelhersteller Agrana. Das Unternehmen ist mit einem Fruchtzubereitungswerk in Serpuchow, rund 100 Kilometer südlich von Moskau, präsent. Man nahm dort 2005 den Betrieb mit zwei Produktionslinien auf. "In Russland selbst gibt es für Agrana keine wesentlichen Auswirkungen", sagt ein Sprecher Mitte März, Bei der Rohstoffbeschaffung könne man von EU-Ursprüngen auf Nicht-EU-Ursprünge wechseln. So bezieht man seit dem 2014 verordneten russischen Lebensmittelembargo auf EU-Güter Kirschen aus Serbien statt Polen sowie Pfirsiche aus Asien anstelle Spaniens.
Gewachsene Partnerschaften.
Die Liste der österreichischen Firmen, die in der Russischen Föderation tätig sind, liest sich wie ein Who´s Who der heimischen Wirtschaft: Alpla, Andritz, AVL, Fischer Sports, RHJ Magnesita, Innio Jenbacher GmbH, Magna, Engel Austria, Kotanyi, Lenzing AG. „Die meisten erfolgreichen österreichischen Unternehmen sind schon lange in Russland tätig und haben viele Krisen – Rubelkrisen, globale Finanzkrise und Krim/Ostukraine-Sanktionen – gemeistert“, erklärt Arnold Schuh, Director – Competence Center for Emerging Markets & CEE an der WU Wien. „Wir wissen von einer Studie zur Internationalisierung österreichischer Unternehmen in CEE, dass etwas mehr als 20 Prozent der damals befragten österreichischen Unternehmen schon vor 1989 in Russland tätig waren.
Dann kam ein starker Anstieg der Markteintritte im Jahr 1990 gefolgt von einer größeren Welle 2002-2008, in den „Boom-Jahren“ in CEE, betont Schuh. Der Bestand an österreichischen Direktinvestitionen in Russland betrug 2020 4,6 Milliarden Euro. Insgesamt waren 50.000 Personen bei den österreichischen Direktinvestoren beschäftigt, das heißt diese Betriebe "spielen eine gewichtige Rolle als Arbeitgeber in Russland,“ so Schuh.
„Als Produktionsstandort ist das flächenmäßig größte Land der Erde umso wichtiger“, erklärt Wirtschaftsdelegierter Rudolf Lukavsky vom WKÖ AußenwirtschaftsCenter Moskau. Das erklärt auch, warum in Unternehmen vielerorts nüchterne Kostenwahrheit vorherrscht. Die Herz-Gruppe ist mit rund 3.500 Mitarbeitern und 40 Produktionsstandorten im In- und Ausland einer der bedeutendsten Hersteller von Armaturen, Fittingen, Regelungen und Thermostatventilen für die Hausinstallation im Bereich Heizung, Kühlung, Sanitär und Gasinstallationen weltweit. Darüber hinaus ist HERZ auch führender Produzent von Biomassekesseln und von Wärmepumpen.
Gerhard Glinzerer, Inhaber der Herz Armaturen Gruppe, stellt klar: „In Bezug auf die aktiven geschäftlichen Verbindungen in Russland und Weißrussland werden wir bestehende Verpflichtungen, soweit überhaupt möglich, erfüllen. Von neuen Geschäftsbeziehungen werden wir unter diesen Umständen und so lange keine friedliche Lösung in diesem Konflikt gefunden wird, Abstand nehmen.“
Seit den 80-er Jahren ist die Lisec Holding bereits in Russland tätig. Lisec wollte einen entsprechenden Bedarf nach Glasverarbeitungslösungen am Markt und eine interessante Marktgröße bedienen. Derzeit arbeiten 18 Mitarbeiter im Vertrieb. „Das Geschäft ist grundsätzlich interessant, mit rund 4 bis 5 Prozent des Gesamtumsatzes jedoch in einem überschaubaren Anteil und für das Unternehmen im Falle eines Wegfalls nicht bedrohlich“, erklärt CEO Gottfried Brunbauer. Russland sei als Absatzmarkt in der Branche grundsätzlich interessant.
Es gebe so gut wie keinen lokalen Wettbewerber. „Insgesamt ist der russische Markt ein Markt für mittlere bis höherwertige technische Lösungen mit einem guten Preisniveau und mit Zukunftspotenzial,“ ergänzt CFO Oliver Pichler. Die Frage, ob es ethisch vertretbar sei, derzeit in Russland Geschäfte zu machen, beantwortet Brunbauer mit einem klaren „ja“. „Politik zu machen, ist Aufgabe der Politiker. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen mit Verpflichtungen gegenüber unseren Stake Holdern und unsere Aufgabe ist es nicht, politische Statements zu setzen.. Pichler erklärt: „Unsere Kunden produzieren auf unseren Anlagen im 2-Schicht- oder 3-Schichtbetrieb. Würden wir unsere Kunden durch einen von uns als Unternehmen willkürlich verhängten Liefer- oder Unterstützungsstopp lahmlegen, hätte das negative Auswirkungen auf unser Image als verlässlicher Partner über Russland hinaus.“
„Grundsätzlich ist es nicht unser Ziel, uns aus dem Markt zurückzuziehen“, so Brunbauer unmissverständlich. „Ob es durch die Sanktionen und Restriktionen demnächst dazu kommen wird, dass wir vertragliche Verpflichtungen überhaupt nicht mehr erfüllen beziehungsweise in Arbeit befindliche Aufträge nicht zu Ende abwickeln können, wird die nächste Zeit zeigen“. Überlegungen, die Geschäfte ruhen zu lassen gebe es „ansonsten nicht".
„In der gesamten Unternehmensgruppe werden im Augenblick cirka 75 Mitarbeiter beschäftigt“, erzählt Harald Lassmann, Inhaber und CEO der Wiener Russia Fachspedition Dr. Lassmann GmbH. Von Politik will Lassmann nichts wissen: „Wir sind ein 100% österreichisches Familienunternehmen welches seit mehreren Jahrzehnten in Russland und diversen anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion tätig ist. Wir werden auch in Zukunft unseren Kunden mit logistischer Dienstleistung zur Verfügung stehen. Welche zukünftigen russischen Gesetze, unsere kleinen operativen eigenständigen russischen Tochterunternehmen beeinflussen werden, können wir jetzt nicht vorhersehen. Im Augenblick ist die operative lokale Tätigkeit möglich.“ Lassmann baut auf Kontinuität. Was anders sei als vor einem Monat beschreibt Lassmann so: „Natürlich verändert sich das Umfeld für die die aktuelle Tätigkeit im Bereich der internationalen Logistik laufend, was einen mittelständischen Spezialisten täglich zur Anpassung an die bestmöglichen Logistik- Prozesse zwingt. Solange es die österreichischen und internationalen gesetzlichen Bestimmungen zulassen und die Auftraggeber das nicht versicherbare Risiko am Transportweg selbst übernehmen, werden wir als neutraler Dienstleister zur Unterstützung der betroffenen Unternehmungen und der Warenempfänger gleich Patienten, Produktionsbetriebe im medizinischen Sektor, Lebensmittelproduktion und artverwandte Branchen unsere Tätigkeit fortführen.“
Seit über 25 Jahren ist das Röhren- und Pumpwerk Bauer in steirischen Voitsberg mit 20 Mitarbeitern in Taganrog in Russland tätig. Der dortige Agrarbereich ist für den Bereich Beregnung, Abwassertechnik, Rohre- und Armaturen ein wichtiger Markt, in dem das Unternehmen über 10 Prozent des Umsatzes generiert. Insgesamt verfügt das Unternehmen mit 430 Beschäftigten am Stammsitz über 25 Standorte international. „Derzeit sind wir gerade dabei einen neuen Produktionsstandort in Russland in der Nähe von Rostow in Betrieb zu nehmen“, erklärt Inhaber und CEO Otto Roiss. „Wir stellen Dinge her, die von jeglichen Sanktionen ausgenommen sind und halten uns an alle Regeln.“ Bis vor einem Monat seien die Geschäfte ganz normal verlaufen. Jetzt sei ein importieren, exportieren sehr eingeschränkt, wenn überhaupt – aus praktischen Gründen – möglich. „Im Moment läuft alles sehr schleppend“. Dass sich das Röhren- und Pumpwerk Bauer aus Russland nicht zurückziehen möchte, ist selbstredend. „Nur, wenn wir müssen“, so Roiss.
"Direktlieferungen eingeschränkt".
Der Landtechnikhersteller Pöttinger hat bereits 2010 eine Vertriebstochter in Russland gegründet. Aktuell sind dort 15 Personen beschäftigt. Mit cirka 10 Millionen Euro Umsatz (Maschinenvertrieb und Ersatzteile), einem Anteil am Gesamtumsatz von ca. 2,5 Prozent im Geschäftsjahr 2020/2021 ist das Geschäft überschaubar. Gregor Dietachmayr, Sprecher der Geschäftsführung, betont. Wir stimmen mit unserem Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen überein, der die Geschehnisse am 24.2.2022 wie folgt kommentiert hat: „Ich verurteile aufs Schärfste den kriegerischen, völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine, der die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine eklatant verletzt“. Derzeit seien die Lieferungen nach Russland „sehr eingeschränkt“.