Russland-Krise : Gerhard Mangott: "Russland wird Gaslieferungen nicht stoppen"
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Reservenaufstockung, Füllstandsvorgaben und Anreize für die Industrie zur Gasbevorratung: Mit diesen Maßnahmen will die Bundesregierung die Versorgung der Republik über den kommenden Winter mit Gas sicherstellen.
Im Ministerrat wurde ein weitreichendes Maßnahmenpaket zur Befüllung der Erdgasspeicher beschlossen. Ungenutzte Gas-Speicherkapazitäten müssen abgegeben werden und der strategisch wichtige Gasspeicher Haidach in Salzburg soll nach Möglichkeit noch heuer an das österreichische Gasnetz angeschlossen werden.
Weiters soll die strategische Gasreserve um 7,4 Terawattstunden (TWh) auf 20 TWh aufgestockt werden. Durch die Aufstockung der Gasreserve wäre der Gasverbrauch von zwei Wintermonaten abgedeckt. Die zusätzliche Gasmenge der strategischen Reserve soll unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit am Markt aus nicht-russischen Quellen stammen.
"Die Maßnahme wird die Abhängigkeit von russischem Gas deutlich reduzieren", sagte Energieministerin Leonore Gewessler nach dem Ministerrat. Finanzminister Magnus Brunner betonte, man müsse die Resilienz des Standortes Österreich erhöhen und Wachstum generieren.
Österreich ist derzeit bei Gas zu 80 Prozent von Russland abhängig, durch die Aufstockung der strategischen Gasreserve mit nicht-russischem Gas soll der russische Anteil laut Gewessler um 10 Prozentpunkte auf 70 Prozent sinken. Diese Maßnahme wird über den Verordnungsweg erfolgen, eine entsprechende Verordnung werde sie dem Hauptausschuss des Nationalrates "rasch" vorlegen, sagte sie.
Wie können Unternehmen in Zukunft selbst vorsorgen?
Eine wichtige gesetzliche Weichenstellung regelt nach dem Ministerratsbeschluss, dass energieintensive Unternehmen, die Gas bevorraten, im Krisenfall selbst über ihre Reserven verfügen dürfen. Eine Rechtssicherheit, die bisher nicht gegeben war.
Die Vorräte werden in einem ersten Eskalationsschritt nicht in eine verpflichtende Reduktion des Verbrauchs miteinberechnet. Nur im absoluten Notfall, und dann mittels einer rechtssicheren Entschädigung, soll von Industrieunternehmen bevorratetes Gas abgegeben werden müssen. Zudem soll die Industrie bei der Bevorratung in Zukunft auf bisher ungenutzte Speicherkapazitäten zugreifen dürfen.
Lesen Sie hier: Wo die Industrie das meiste Gas verbraucht.
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Was sind ungenutzte Speicherkapazitäten?
Alle nicht an das heimische Gasnetz angeschlossene Speicher in Österreich, wovon es viele gibt, darunter einer der größten Speicher Europas im Salzburger Haidach, müssen innerhalb von vier Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes einen Antrag auf Netzzugang und Netzzutritt stellen.
Im Falle Haidachs ist das bereits passiert, eine Anbindung soll bis 2023 vollzogen sein. Die Betreiber all dieser Gasspeicher werden verpflichtet, ungenutzte Kapazitäten anzubieten oder zurückzugeben. Dies wird Unternehmen ermöglichen, darauf zuzugreifen und die Speicher selbst zu befüllen. Bleiben Speicherkapazitäten systematisch ungenutzt, so können diese jetzt auch erstmals dem Betreiber entzogen werden.
Wie kann die Abhängigkeit von russischem Gas reduziert werden?
Die Finanzierung der strategische Gasreserve wurde aufgestockt. Statt eines durchschnittlichen Monatsverbrauchs soll über Ausschreibungen, die von der Austrian Gas Grid Management AG (AGGM) vorgenommen wird, nun Gas akquiriert und gespeichert werden.
Dieses soll dann für etwa zwei Monate reichen. Das Gas für diese Reserve darf nicht aus sibirischen Gasfeldern kommen, sondern soll über Pipelines aus Norwegen oder per Schiff in verflüssigter Form (LNG) aus anderen Regionen der Welt angeliefert werden. Dieser Vorgang senkt den Marktanteil russischen Gases in Österreich für heuer von 80 Prozent auf 70 Prozent.
Lesen Sie auch: Wie lässt sich russisches Gas ersetzen?
So soll die Verteilung bei Gasknappheit aussehen
Derzeit sind in den österreichischen Lagern rund 25 Terrawatt Gas eingespeichert. Das entspricht einem Verbrauch von fast vier durchschnittlichen Monaten. Der derzeitige Füllstand von 26 Prozent soll bis zum Winter auf zumindest 80 Prozent angehoben werden.
Für die Industrieversorgung im Energielenkungsfall sind zwei Modelle denkbar: Ein Versteigerungsverfahren, in dem das gesamte Kontingent der Industrie zur Verteilung kommt. Oder ein hybrides Verfahren, das zunächst Güterklassen und Branchen mit unterschiedlicher Priorität und dann innerhalb dieser Güterklassen einen Versteigerungsmechanismus festlegt. Innerhalb dieser Güterklassen könnte dann noch die Substituierbarkeit der Güter bei der Versteigerung berücksichtigt werden.
Russland-Experte Mangott bleibt skeptisch
Seit Wochen warnen Industrievertreter vor den Folgen eines möglichen Embargos auf russisches Gas. Doch es gibt auch Gegenstimmen: Österreich könnte auch einen Totalausfall russischer Gaslieferungen vergleichsweise glimpflich überstehen, sagen die Forscher des Complexity Science Hub Vienna. Voraussetzung dafür ist aber eine EU-weite Zusammenarbeit, um das russische Gas zu ersetzen. Ohne Kooperation mit den anderen EU-Ländern wäre der Schaden für Österreichs Wirtschaft um ein Vielfaches größer.
Doch immer noch besteht auch die Möglichkeit eines Gasstopps seitens Russland, sollte Putin den "Westen" und die "unfreundlichen Länder" bestrafen wollen.
Darüber und wie sich die Beziehungen zu Russland weiter entwicklen werden, hat Industriemagazin News mit Univ.-Prof. Dr. Gerhard Mangott, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Innsbruck, gesprochen.
Gerhard Mangott wird am heurigen INDUSTRIEKONGRESS, am 23.Juni im Ritz-Carlton in Wien, mit weiteren hochrangigen Expert:innen über dieses und weitere spannende Themen diskutieren.
INDUSTRIEMAGAZIN NEWS: Eine Einschätzung von Ihnen, wie lange wird dieser Krieg noch dauern?
Gerhard Mangott: Der Krieg wird noch lange dauern. Das russische Ziel ist es ja den gesamten Donbas einzunehmen, also die ukrainischen Provinzen Donezk und Luhansk. Da ist Russland zwar vorwärtsgekommen, aber es fehlen immer noch 20 Prozent dieser Territorien, die Russland unbedingt erobern möchte. Das will die ukrainische Seite vor allem durch die Lieferung schwerer Artilleriesysteme durch den Westen verhindern und dann in die Gegenoffensive gehen. Das heißt, solange beide Seiten glauben, sie können auf dem Schlachtfeld noch Vorteile erringen, um ihre Verhandlungsposition zu stärken, wird dieser Krieg weitergehen.
Sehen Sie als jahrzehntelanger Russland-Kenner ein Szenario, in dem Russland „dem Westen“ das Gas abdreht?
Mangott: Ich halte so ein Szenario für sehr unwahrscheinlich. Zwar ist es tatsächlich so, dass die Ölexporte für Russland und den Staatshaushalt wichtiger sind, als die Gasexporte. Aber die Gasexporte sind eben auch wichtig und Russland würde sich finanziell wesentlich schaden, wenn es die Gaslieferungen unterbricht. Ich halte jedenfalls die Wahrscheinlichkeit eines Gas-Embargos durch die Europäische Union für größer, als eine Entscheidung Russlands eine Gaslieferung einzustellen.
Wird es in diesem Jahrzehnt wieder zu so etwas wie einer Normalisierung der Beziehungen zu Russland kommen?
Mangott: Das kann ich mir nicht vorstellen, unabhängig davon wie dieser Krieg ausgeht. Was es jetzt gibt ist eine Art Eiszeit zwischen dem Westen und Russland und niemand kann sich vorstellen, dass sich diese Beziehungen verbessern werden, solange Wladimir Putin an der Macht und Präsident Russlands ist. Und das kann er, wenn er gesund bleibt, noch sehr lange bleiben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er sich 2024 für eine weitere sechsjährige Amtszeit wählen lässt und 2030 könnte er das nochmal tun. Also er könnte lange bleiben und in dieser Zeit sehe ich keine Möglichkeiten, dass sich die Beziehungen entspannen, sondern dass wir eine politische, wirtschaftliche und militärische Teilungslinie durch Europa haben.
Was würden Sie für eine Nachfolge von Putin sehen? Kommt etwas Besseres nach?
Mangott: Das hängt davon ab, wie Putin aus dem Amt scheidet. Stirbt er, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Nachfolger aus dem Sicherheitsapparat kommt. Tritt er zurück oder wird er zum Rücktritt gezwungen, dann ist es auch so. Wenn Putin gestürzt werden sollte, von unten, aber das ist ein extrem unwahrscheinliches Szenario, wenn es also eine Art Revolte hin zu einem Stimmwechsel gibt, dann wäre es möglich, dass ein Kandidat, der westfreundlicher ist, an die Macht kommt. Allerdings eine solche Revolte ist sehr unwahrscheinlich und es gibt kaum politische Führungsfunktionäre in Russland, die eine westfreundliche Strategie fahren würden.
Wir haben uns mit Österreich als „Brückenbauer“ positioniert – wie sehen Sie diese Position in Zukunft, müssen wir uns neu ausrichten?
Mangott: Ich denke, diese Brückenbauer-Funktion von der immer wieder bei verschiedenen Regierungen die Rede war, ist eine Mischung aus Selbstdarstellung und Selbstüberschätzung. Österreich kann diese Rolle nicht übernehmen, weil Russland natürlich weiß, dass Österreich als kleines Land kaum Einfluss auf die Russland-Politik in der Europäischen Union hat. In der EU hat auch niemand auf Österreich gewartet, um die Beziehungen zu Russland voranzutreiben. Jetzt wo sich Österreich aber, das allerdings zurecht, stark auf der Seite der Ukraine positioniert hat, ist eine solche Brückenbauer-Funktion ohnehin völlig undenkbar. Mediator kann nur jemand sein, der das Vertrauen beider Parteien, in diesem Fall Ukraine und Russland, genießt. Und das genießt Österreich natürlich nicht, weil es sich zurecht auf die Seite der Ukraine stellt.
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