In der Hochrisikogruppe seien aber nicht nur besonders große Unternehmen enthalten, so der CSH-Chef. Auch kleinere Unternehmen, die etwa hochkritischen Firmen zuliefern, zählen dazu. Daher gehe es hier auch nicht nur um Firmen, die für sich in Anspruch nehmen könnten, zu groß zum Scheitern zu sein und damit etwa Druck auf die Politik ausüben. "Das 'too big to fail' löst sich hier auf. Kleine können gleich 'gefährlich' sein, wie große Spieler", betonte Thurner.
Für Österreich schätzt der Forscher die Risikokonzentration nicht so hoch ein wie in Ungarn. Hierzulande habe das Wirtschaftssystem mehr Zeit zum Wachsen gehabt, was eher zu gleichmäßiger verteilten Gefahren und mehr Vernetzung führe. Aber auch ein Ausfall aus der Gruppe der 50 zentralen Firmen könnte hier in etwa 20 Prozent der Wirtschaftsleistung stark beeinträchtigen.
Letztlich könne man mit der neuen Methode analysieren, welche Firmen ein Land tunlichst nicht verlieren sollte. So ließen sich systemisches Risiko in gefährdete Arbeitsplätze über die Firma selbst hinaus umrechnen und damit besonders "sozial relevante Unternehmen" festmachen.
In Österreich kann man so eine Analyse auf Basis von Steuerdaten jedoch nicht durchführen, da im Gegensatz zu Ungarn nicht systematisch erhoben wird, an wen die Mehrwertsteuer fließt, sondern nur wie viel vom jeweiligen Steuerpflichtigen bezahlt wurde. Die Information sei in Österreich aber durchaus vorhanden, bedauert Thurner. Dessen Vision, mehr oder weniger das ganze Wirtschaftssystem abzubilden, um die Schwachstellen der Wirtschaft erkennen zu können, würde damit einen größeren Schritt näher rücken.
Mit so einer Simulation könnte man jedenfalls sehr konkrete Fragen präzise und rasch beantworten - so etwa zur derzeitigen globalen Lieferkettenproblematik. Man könnte aber beispielsweise auch beantworten, wer die Zulieferer eines Landwirtschaftsbetriebes sind, in dem eine Tierseuche ausgebrochen ist. Dazu kämen Fragen zur sozial halbwegs verträglichen Reduktion von CO2-Emissionen in der Industrie oder zu Auswirkungen von Gasimport-Stopps sowie Pandemieauswirkungen. Auch könne man so analysieren, wie das geplante Lieferkettengesetz tatsächlich sinnvoll eingeführt werden könnte oder wer alles unter den Folgewirkungen eines Stopps der heimischen Papierindustrie leiden würde. "Die Abhängigkeiten werden einem dann blitzartig bewusst. Dann kann man versuchen, so durchzusteuern, dass man möglichst wenig Gesamtschaden produziert", sagte Thurner.
In der Folge werde aber auch sichtbar, welche wirtschaftlichen Kreisläufe innerhalb des Landes oder einer Region bestehen. Außerdem zeige sich, welche Kreisläufe im eigenen Land nicht geschlossen ablaufen können, und wo es etwa Zulieferer aus China braucht. Wenn dies nachvollziehbar wird, könne die Politik überlegen, wie das wirtschaftliche Ökosystem so gefördert werden kann, dass der Lieferketten-Kreislauf regional geschlossen werden kann.
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