Strommarkt : Experte: Warum die Energiekrise noch nicht vorbei ist

Mitarbeiterportrait, November 2011

Energie-Experte Christoph Maurer: "Die Energiekrise ist nicht vorbei"

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Nach Ansicht des Energieexperten Christoph Maurer von der Energieberatungsfirma Consentec hat Europa das Zusammentreffen mehrerer voneinander unabhängiger Energiekrisen recht gut gemeistert und ist gut über den Winter gekommen."Aber wir sollten uns auch bewusst sein: Die Energiekrise ist nicht vorbei", warnte Maurer am Mittwochabend beim "Trendforum Oesterreichs Energie". Und auch der nächste Winter könne eine Herausforderung werden.

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In diesem Winter habe es eine Überlagerung von mehreren Energiekrisen gegeben, "die jede für sich genommen durchaus sehr relevant war und das Potenzial hatte, gerade im Stromsystem Versorgungssicherheitsprobleme zu verursachen", so Maurer. Der Ausfall der russischen Gaslieferungen habe nicht erst mit der Invasion in der Ukraine begonnen, sondern mindestens ein halbes Jahr vorher. Die Liefermengen nach Europa hätten unter dem langjährigen Minimum gelegen.

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Christoph Maurer
Christoph Maurer, Consentec - © EES
Die Energiekrise ist nicht vorbei
Christoph Maurer, Consentec

Frankreich produziert so wenig Strom wie zuletzt 1998

Hinzu kämen insbesondere in Frankreich, aber nicht nur dort, Probleme mit der Verfügbarkeit der Kernkraftwerke. "Faktisch hat Frankreich 2022 so wenig Strom aus Atomenergie produziert wie zuletzt davor 1989." Zudem habe die Trockenheit im Sommer und Herbst in sehr vielen Ländern dazu geführt, dass sowohl die Produktion der Laufkraftwerke als auch die Speicher der Speicherkraftwerke extrem niedrig waren. "Österreich war da noch auf der besseren Seite." In Deutschland sei vor allem im Spätsommer kaum noch Kohle verschiffbar gewesen, was zu Problemen bei der Brennstoffversorgung der süddeutschen Kohlekraftwerke geführt habe. "Die Risiken für die Versorgungssicherheit waren größer als in vielen Jahren zuvor."

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Am größten sei das Risiko von Engpässen in Frankreich und Irland, aber auch hier seien die Extremszenarien nicht sehr wahrscheinlich. Der kommende Winter könne aber auch herausfordernd werden, warnte der Energieexperte. "In China fängt die Wirtschaft wieder an zu wachsen. Das wird auf den LNG-Bedarf in Asien relevante Auswirkungen haben. Das wird vermutlich die Preise für Gas in Europa im Laufe des Jahres wieder hochtreiben." Aber auch die Verfügbarkeitskrise der französischen Kernkraftwerke sei noch nicht ausgestanden. Zwar sei es zwischenzeitlich gelungen, rund drei Viertel der Leistung wieder ans Netz zu bringen, "mittlerweile fehlen aber wieder 7 GW gegenüber dem Höchststand von Anfang Februar."

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Keine Evidenz für Versagen des Strommarktdesigns

Es dürfe nicht nur an die Endverbraucherpreise gedacht werden, sondern auch an die Versorgungssicherheit. "Wenn man das schlecht macht und dadurch Anreize verliert, dass Kunden sich systemdienlich verhalten, dann kann das auch dazu führen, dass wir neue Probleme für die Versorgungssicherheit schaffen." Dass die Diskussion um die Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke nur innenpolitisch geführt wurde, hält Maurer für einen Fehler, denn das Thema betreffe die Versorgungssicherheit in ganz Europa. Beim Thema Gas seien gerade in Österreich neue grenzüberschreitende Leitungen notwendig, da in der Vergangenheit viel Gas aus Russland gekommen sei und nun eine Änderung der Transportrouten notwendig sei.

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Der Experte hält es für einen Fehler, dass mehr über die Preise als über die Versorgungssicherheit diskutiert wurde. "Akteure wie zum Beispiel Manuel Macron oder Ursula von der Leyen haben sehr vehement eine Reform des Strommarkt-Designs gefordert und letztendlich gesagt: Das heutige Strommarktdesign passt nicht mehr zu unserer Realität." Das sehe er anders, sagte Maurer. "Ich glaube tatsächlich, dass es keinerlei Evidenz gibt, dass dieses Strommarktdesign nicht funktioniert oder die Krise verschärft hat. Es hat tatsächlich eher geholfen die Krise abzufedern, weil die Märkte eigentlich schon so funktioniert haben, wie man das erwartet hat." Politische Preiseingriffe sind aus Sicht der Versorgungssicherheit eher unerwünscht, da sie die Ersparnisse der Verbraucher schmälern. "Abschöpfungen unterminieren gegebenenfalls das Vertrauen von Akteuren in das Marktdesign, in die Stabilität des Marktdesigns und ihre Investitionsbereitschaft."

"Versorgungssicherheit kostet etwas"

"Versorgungssicherheit kostet etwas", stellte auch Verbund-Chef Michael Strugl fest. Man sei ständig dabei, das System auf Kosteneffizienz zu trimmen, "irgendwann geht das auch auf Kosten der Systemsicherheit und Systemstabilität". Man werde noch sehr lange steuerbare und grundlastfähige Kapazitäten brauchen, so Strugl. In Österreich könne das bis zu einem gewissen Grad die Wasserkraft sein. Aber auch Gaskraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplung seien möglich. "Wir werden die auch über 2030 hinaus noch brauchen, auch wenn uns das vielleicht nicht immer so behagt, weil die sind natürlich fossile Kraftwerke."

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Josef Vasak von der Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich wies darauf hin, dass sich rund ein Drittel der EU-Länder "bisher noch nicht strukturell ausreichend" von der Abhängigkeit von russischem Gas befreit habe. "Wir hoffen auch, dass Österreich den Weg findet, um schnell strukturell weg von russischem Gas zu kommen, damit wir nicht erpressbar sind und auch den russischen Krieg nicht finanzieren helfen."

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Michael Strugl Topmanager Verbund INDUSTRIEMAGAZIN
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