Elektromobilität : Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer: "Die Zeit der Chinesen ist gekommen"
Mit mehr als 520.000 verkauften Elektroautos im vierten Quartal 2023 hat der chinesische Autobauer BYD - ein Akronym für Build your Dreams - inzwischen sogar den US-Primus Tesla von der Spitze der weltweiten Verkaufszahlen verdrängt - eine Nachricht, die in der Branche für Erstaunen sorgte. Der US-amerikanische Elektroauto-Pionier von Elon Musk verkaufte im gleichen Zeitraum 484.507 Fahrzeuge an Endkunden. Auf Jahressicht hatten die Amerikaner allerdings noch die Nase vorn. Tesla ist nach wie vor die Nummer eins bei Elektroautos auf dem Heimatmarkt in den USA, wo BYD nicht vertreten ist und mit hohen Importzöllen zu kämpfen hätte.
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Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer geht von einem Rollentausch in der Auto-Branche aus. Ein Großteil der heutigen Autokonzerne montiere nur noch Autos. Sie würden zu Zulieferern für die Tech-Giganten. Diese lieferten ihrerseits das Ökosystem und die Intelligenz des Autos. "Blech biegen wird langweilig", so Dudenhöffer.
Das Elektroauto hat seine Heimat in China. Das hat auch damit zu tun, dass China der größte, der weltgrößte Markt ist für Elektroautos.Ferdinand Dudenhöffer
Größte Transformation in der Branche unmittelbar bevor
Dass BYD mit Billigpreisen den chinesischen Markt aufmischt, bekommt auch Europas größter Autobauer Volkswagen zu spüren. Jahrzehntelang waren die Deutschen in China führend. Doch in diesem Jahr hat BYD mit seinem rasanten Wachstum die Deutschen an der Spitze überholt. Das liegt auch daran, dass ihre Elektroautos wie der ID.3 in China zunächst nicht gut angekommen sind. Die Folge: VW musste die Preise für den ID.3 inzwischen deutlich senken, um den Absatz anzukurbeln. "BYD wird Toyota in etwa zehn Jahren ablösen", erwartet Dudenhöffer. Der japanische Konzern ist derzeit der größte Autobauer der Welt.
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Neue Wettbewerber sind die Technologiekonzerne: Xiaomi und Huawei haben mit anderen Unternehmen kooperiert, um eigene Elektroautomodelle auf den Markt zu bringen bzw. im Fall von Huawei eine Marke zu etablieren. Die bisherigen Autokonzerne könnten dadurch zu reinen Fahrzeugherstellern werden, die nur noch Autos zusammenbauen, während die für das Auto wichtige Software von den Technologiekonzernen kommt, so die Einschätzung des Branchenexperten Ferdinand Dudenhöffer. "Es sieht so aus, als würden wir Zeuge der größten Transformation der Branche", erklärte Dudenhöffer.
Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer über die Zukunft der Automobilindustrie
Rudolf Loidl: Wir erleben derzeit scheinbar einen Wendepunkt im globalen Rennen der Elektromobilität: BYD hat unlängst Tesla als größten Elektroauto-Produzenten der Welt abgelöst. Am jahrzehntelangen Marktführer in China, Volkswagen, ist BYD schon Anfang des letzten Jahres vorbeigezogen. Beginnt jetzt, wie der Firmengründer von BYD, sagt die Ära der chinesischen Automobilindustrie?
Ferdinand Dudenhöffer: Ja, absolut. Da bin ich sicher. Man sieht es nicht nur bei BYD, sondern auch den anderen Herstellern aus China: NIO, die unterwegs sind, XPENG, die unterwegs sind. Auch die halbstaatlichen Unternehmen wie Shanghai Automotive (SAIC), die mit Rohe unterwegs sind. Und viele andere, die sich in China in den letzten Jahren auf den Fahrzeug- und Autobau konzentriert haben und die mittlerweile mit den Elektroautos sehr, sehr gut punkten. Dazu kommt, dass die Batterie ihre neue Heimat in China hat. Die großen Batteriehersteller, CATL, Gotion und viele andere, sitzen in China. Und damit ist die Batterie von Südkorea - von Samsung oder LG - nach China gewandert. Das Know-how sitzt dort, die Ingenieure sitzen dort, die Elektrochemie sitzt dort. Das sind die besten Voraussetzungen, sodass wir jetzt in eine Dekade eintreten, die ich die chinesische Dekade nennen würde. Nach den Amerikanern - General Motors, dann Ford - nach den Japanern, nach den Koreanern, scheint jetzt die Zeit der Chinesen gekommen zu sein.
Rudolf Loidl: Was ist das Erfolgsrezept der chinesischen Hersteller? Ist es nur die Fertigungstiefe, wie Sie es angesprochen haben?
Ferdinand Dudenhöffer: Nein, es ist nicht nur die Fertigungstiefe. Es gibt ja neue Anbieter wie zum Beispiel Xiaomi und Huawei - beides Smartphone-Hersteller - die produzieren selbst gar keine Fahrzeuge, die lassen dann bei anderen produzieren. Das ist die Dynamik, das ist die Geschwindigkeit, die die Chinesen haben. Die sind ein Vielfaches schneller als wir. Und sie sind sehr, sehr stark interessiert an Innovationen. Die Chinesen sind geprägt mittlerweile durch Innovationen, insbesondere im Softwarebereich. Da ist vieles am Kommen.
Dieses sogenannte Software-Defined Vehicle ist das Fahrzeug der Zukunft. Das heißt, wir werden in der Zukunft Sprachsteuerungen in unseren Fahrzeugen haben. Wir werden teilautonomes Fahren haben. Wir werden dieses Smart Cockpit haben, was die Leute unterhält, was den Leuten Informationen gibt. Und da kommt wirklich sehr, sehr viel aus China. Da sind die Tech-Konzerne in China unseren Tech-Konzernen oft überlegen und schneller.
Rudolf Loidl: Sie haben es eben angesprochen: Neben der Batterie-Technologie ist es vor allem die Software, die E-Autos unterscheidbar macht. Autos werden in Zukunft nur mehr von den Autoherstellern zusammengebaut und die Software kommt von den Tech-Konzernen. Kann man also sagen, die größte Bedrohung für die chinesischen Anbieter derzeit sind nicht Tesla oder Volkswagen - sondern Xiaomi oder Huawei?
Ferdinand Dudenhöffer: Es ist so, dass jetzt eine neue Generation antritt: Diese neue Generation hat den Vorteil, dass man den Kunden in seiner digitalen Welt begleitet - über alle Stationen hinweg. Sei es in der Freizeit, sei es im Haushalt, sei es im Büro: Man hat ein Operating-System, das über allem liegt und was den Kunden permanent digital begleitet. Und damit ist das Auto zukünftig ein Ausschnitt, ein Bereich des Kunden. Und wenn ich nun den Kunden in allen Bereichen mit Dienstleistungen, mit Präsentationen, mit Möglichkeiten, sich auszutauschen - über alle Stationen in seinem Leben - versorge, dann habe ich so etwas wie eine goldene Karte, um beim Kunden in der ersten Reihe zu sitzen.
Es sieht so aus, als würden das Xiaomi und Huawei hinkriegen. Ganz im Gegenteil übrigens zu Apple: Apple hat immer wieder diese Geschichten an die Oberfläche gebracht - so ein bisschen wie Loch Ness: Dieses Ungeheuer taucht immer wieder auf, wird aber nie gesehen und verschwindet dann wieder. So war es bei der Geschichte mit dem iCar von Apple. Viele Mythen, aber nichts Konkretes. Die Chinesen sind konkret und die Chinesen sind schnell.
Rudolf Loidl: Was bedeutet das eigentlich alles für die deutsche bzw. für die mitteleuropäische Automobilindustrie?
Ferdinand Dudenhöffer: Es ist eine große Herausforderung - nicht nur für die deutsche, sondern weltweit für die Automobilindustrie. Ich bin relativ stark davon überzeugt, dass in zehn Jahren Toyota nicht mehr der Weltmarktführer im Automobilgeschäft sein wird. Es bedeutet für die Amerikaner - die General Motors, die Stellantis, die Boards - dass sie wichtige Wettbewerber haben. Und das Gleiche gilt für die Deutschen, das Gleiche gilt für die Europäer.
Man muss sich mit diesem Wettbewerb auseinandersetzen und man muss versuchen, mit diesem Wettbewerb Punkte zu sammeln. Und diese Punkte, die sammelt man dadurch, dass man sehr stark in China ist, dass man China sehr gut kennt und - was VW derzeit macht - sehr eng mit den Chinesen zusammenzuarbeiten. Chaopeng ist ein junges Unternehmen, ein Start-up, mit hochtechnologischen Entwicklungen ins einen Fahrzeugen. VW arbeitet mit Chaopeng zusammen. Audi ist mit SAIC zusammen, baut und entwickelt Elektroautos.
Das Elektroauto hat seine Heimat in China. Das hat auch damit zu tun, dass China der größte, der weltgrößte Markt ist für Elektroautos. Im letzten Jahr sind deutlich über fünf Millionen Fahrzeuge verkauft worden. Dort kann man dann in die sogenannten Scales kommen. Dort kann man seine Kostenvorteile ausrollen. Dort hat man dann das Geld für Innovationen bei den Batterieherstellern, bei den Software- und Tech-Unternehmen.
Rudolf Loidl: Um den europäischen Markt abzuschirmen oder ein wenig zu schützen, plant die Europäische Union - wie die USA - Einfuhrzölle auf chinesische Elektromobile. BYD versucht dem durch eine eigene Produktion in Ungarn möglicherweise zuvorzukommen. Ist das die Zukunft, dass chinesische Automobile in Europa produziert werden?
Ferdinand Dudenhöffer: Ja, sicher. Da muss man nur So ein bisschen zurückschauen, was vor 30 oder vor 40 Jahren war: Oft denken die Politiker, man kann sich schützen gegen Wettbewerb, wenn man eine Mauer aufbaut. Die chinesische Mauer hat China nicht geschützt, sondern sie hat China isoliert. Schützen kann man sich, wenn man selbst seine Kräfte sammelt und wenn man sich selbst durchtrainiert, wenn man sich selbst dem Wettbewerb stellt und nicht vor dem Wettbewerb versteckt indem man eine Mauer baut.
In Amerika sollten die Japaner damals abgeschirmt werden. Dann hat man Obergrenzen eingeführt und definiert, die nicht überschritten werden durften bei den Importen. Und was ist passiert? Man hat das Ganze untertunnelt, man hat eigene Fabriken gebaut. Heute ist Toyota der wichtigste Autobauer in den USA. General Motors ist mit ein paar Autos manchmal auch vorne, aber Toyota ist head-on. Also der Japaner ist zum amerikanischen Hit geworden durch die Produktion.
Rudolf Loidl: In China gibt es jetzt durchaus auch verhaltenere Stimmen: BYDs Produkte seien gut, aber die Fähigkeit Chinas mit einer Kultur im Ausland eine Verbindung aufzubauen sei schon immer mangelhaft gewesen, heißt es etwa in einer Analyse über BYD. Kaum ein Autokauf, das wissen wir alle, ist zu 100% vernunftbestimmt. Können das die chinesischen Marken überkommen?
Ferdinand Dudenhöffer: Also auch diese Diskussion haben wir immer wieder. Als Marke braucht man lange Wurzeln, Marken brauchen 100 Jahre Erfahrung, Marken brauchen das Geld. Und schauen Sie, dann ist Tesla gekommen: Welche Historie hatte Tesla? Tesla ist ein amerikanisches Unternehmen. Welche Sensibilität hat Tesla? Welche Sensibilität haben Amerikaner für die Kultur und kulturellen Unterschiede in Österreich, in Deutschland, in Italien?
Tesla ist gestartet wie eine Rakete. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass man in so kurzer Zeit eine wichtige Marke im Auto aufbauen kann, im Autobereich. Also die Technologie, die Innovation ist das, was treibt und was den Erfolg ausmacht und da bin ich sicher, die Chinesen können das.
Rudolf Loidl: Eine Abschlussfrage: Im November wurden in Österreich 190 BYT-Fahrzeuge zugelassen. Damit hat man erstmals ein Prozent am Gesamtmarkt erreicht. Am Markt der batteriebedarfen Autos sind das immerhin schon 4,4 Prozent gewesen. Wo sehen Sie den Marktanteil der Chinesen Ende dieses Jahres?
Ferdinand Dudenhöffer: Das ist eine kurzfristige Prognose. Natürlich wachsen die Bäume nicht über Nacht in den Himmel. Aber ich bin absolut sicher, die Chinesen sind in ihrer Wachstumsgeschwindigkeit in Europa bei den Verkäufen eher vergleichbar mit Tesla und weniger mit Toyota. Toyota, Honda, Mitsubishi sind seit 40 Jahren bei uns. Und was ist in den 40 Jahren erreicht worden? Kaum etwas an Marktanteilen, wenn man in viele europäische Länder wie zum Beispiel Deutschland schaut. Einfach deshalb, weil die Japaner das gemacht haben, was VW gemacht hat, was Renault, Peugeots gemacht haben. Sie haben einfach imitiert, auf die gleichen Händlernetze gesetzt. Das ist nicht die Zukunft. Die Zukunft ist, mit intelligenten Händlernetzen oder mit intelligenten Vertriebssystemen voran zu gehen. Das hat Tesla beherrscht und das beherrschen auch die Chinesen.
Rudolf Loidl: Kann ich Sie auf 10% Marktanteil bei den batteriebetriebenen Autos festlegen?
Ferdinand Dudenhöffer: 10% aber nicht zum Ende dieses Jahres. Das wäre eine Utopie, das funktioniert natürlich nicht. Aber die 10% werden erreicht werden, lassen Sie uns sagen, 2030.
Folgen Chinas Industriepolitik zukünftig mehr Handelskonflikte?
Das chinesische Wachstumsmodell treibt die asiatische Großmacht zukünftig in immer neue handelspolitische Konflikte mit dem Westen. Denn die schwache Binnennachfrage in der nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt sorgt dafür, dass Chinas staatlich geförderte Unternehmen ausländische Märkte mit Billigprodukten überschwemmen. Nach Ansicht des ehemaligen Chefs der Welthandelsorganisation (WTO), Pascal Lamy, ist dieser Weg ein Garant für mehr Handelskonflikte. "Das ist nicht nachhaltig. Überkapazitäten werden unweigerlich zu einem Problem führen", sagt der Experte, inzwischen Professor an der China Europe International Business School. Hintergrund sei, "dass ein Teil des chinesischen Produktionssystems nicht vom Marktverhalten bestimmt wird, sondern von Investitionen, die die Kommunistische Partei Chinas steuert".
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Diese Entwicklung zeigt sich in vielen Branchen, etwa in der Stahl-Industrie, bei Elektroautos oder Batterien sowie in der Solarindustrie. So bringen Tiefpreise von chinesischen Anbietern etwa die Schweizer Solarfirma Meyer Burger in Bedrängnis. Falls die Politik der Branche nicht zu Hilfe eile, müsse man die hohe Verluste schreibende Modulproduktion im deutschen Freiberg Anfang April schließen, warnt Meyer Burger. Betroffen wären rund 500 Beschäftigte. "Chinesische Hersteller veräußern Ware in Europa nach unserer Ansicht sehr gezielt weit unter eigenen Herstellkosten", sagt Meyer-Burger-Chef Gunter Erfurt. "Sie können das tun, weil die Solarbranche in China strategisch seit Jahren mit hunderten Milliarden Dollar subventioniert wird. Erfurt sieht einen "massiven Preiskrieg".
Das Analyse- und Beratungsunternehmen Economist Intelligence Unit (EIU) geht davon aus, dass die Produktionskapazität für Batterien in China bis zum Jahr 2027 die Nachfrage um das Vierfache übersteigen wird. Gleichzeitig versucht die Europäische Union, die teilweise starke Abhängigkeit der europäischen Industrie von China auch bei Materialien und Produkten für den grünen Wandel zu verringern. Sie fördert den Aufbau einer eigenen Batterieproduktion.
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Sollte die chinesische Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren jährlich um vier bis fünf Prozent wachsen, könnte Chinas Anteil an den weltweiten Investitionen von 33 auf 38 Prozent steigen. Das schätzt Michael Pettis, Senior Fellow bei Carnegie China. Der Anteil an der weltweiten Produktion in der verarbeitenden Industrie würde von 31 Prozent auf 36 bis 39 Prozent klettern. Entsprechende Einbußen müssten dann andere große Wirtschaftsräume hinnehmen. "Selbst ohne die geopolitischen Spannungen der letzten Jahre und die Politik in den USA, Indien und der Europäischen Union ... wäre dies höchst unwahrscheinlich", betont Pettis, Professor für Finanzen an der Universität Peking. Darüber hinaus müsste die Gesamtschuldenquote Chinas von derzeit etwa 300 auf 450 bis 500 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen, um Chinas hohes Investitionsniveau aufrechtzuerhalten. "Es ist schwer vorstellbar, dass die Wirtschaft einen so erheblichen Anstieg der Schulden verkraften könnte", sagt Pettis.