1964, Österreich war angeblich eine Insel der Seligen, hatte man als Student der Montanistischen Wissenschaften ein Jahr Praxiszeit zu absolvieren. Man tat dies z. B. im (mittlerweile geschleiften) Ternitzer Stahlwerk. Beginnend als 4. Ofenhelfer, avancierte der Autor, zu seinem nicht geringen Stolz, binnen dreier Monate zum 2. der Mannschaft rund um den grollenden riesigen Tiegel.
Zeitgleich zu diesem weltbewegenden Ereignis fand ein erbitterter Machtkampf zwischen dem Innenminister und Machtmenschen Franz Olah und Vizekanzler Pittermann statt, der tief in die Betriebe hineingetragen wurde und in der „Jausenzeit“ Gegenstand hitziger Debatten zwischen den – im Stahlwerk überwiegend Olah–freundlichen–Genossen wurde. Der Student allerdings hatte damals andere Sorgen: Das Stipendium betrug öS 1.300.- (nicht inflationsbereinigt etwa 100 €), die stattlichen Studiengebühren wurden pünktlich pro Trimester eingehoben, für jede Prüfung hatte man eine schmerzliche Taxe in der Höhe einer 5-Tages-Zigarettenration zu bezahlen. Dennoch war man fröhlich und zuversichtlich.
Nie mehr eine wichtige News aus der Industrie verpassen? Abonnieren Sie unser Daily Briefing: Was in der Industrie wichtig wird. Täglich um 7 Uhr in ihrer Inbox. Hier geht’s zur Anmeldung!
Es gab auch düstere Momente: Sechs Jahre später kam der junge Ingenieur, von der Wucht einer Knallgasexplosion an die Wand geworfen, blind durch ungeheure aufgewirbelte Staubmassen und geschockt vom Schreien der verbrannten Menschen, in demselben Stahlwerk durch herabstürzende Trümmer fast zu Tode. Die segensreiche Tätigkeit der Errichtung von Atomkraftwerken stand in den Siebziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in hohem Ansehen. Man versprach sich davon die endgültige Lösung der leidigen Energiefrage und ein weltweit wachsendes Geschäft.
Alles über die Industrie in Österreich
Die Spuren der österreichischen Ingenieurkunst finden sich in allen deutschen AKWs, in den iranischen Öfen in Busheer und besonders eindrücklich im heutigen Schau-Atomkraftwerk Zwentendorf. Das erste neues Auto, einen Opel Kadett, erwarb man z. B. aus Mitteln einer Prämie, welche für ein Patent, ersonnen beim Zähneputzen, für einen wichtigen Reaktorteil für das - heute in Verschiß befindliche - Kernkraftwerk Krümmel ausbezahlt wurde. Der damalige Handelsminister Staribacher, Happy Pepi genannt, ließ sich mit diesem Riesending ein paarmal publikumswirksam ablichten. Die Beherrschung der Techniken zum Bau von Atomreaktoren, insbesondere deren metallurgischer Teil, wurde eine Zeit lang zu einer wichtigen Sparte der österreichischen Maschinenindustrie – bis mit Three Mile Island und, viel schlimmer, Tschernobyl dann das Ende kam, schon vorher auch für Bruno Kreisky in der Atom-Volkabstimmung 1978.
Die Krise der Stahlindustrie.
In der Zeit des Wiederaufbaues verzeichnete man zum Teil zweistellige Wirtschaftswachstums-Raten. Zu Anfang unbeachtet, begann zu Ende der Sechzigerjahre still und leise die Krise der Stahlindustrie. Das Ende des mit dem Wiederaufbau verbundenen Baubooms, das Finale des Vietnamkriegs, der Niedergang des Bergbaus und die Schiffbaukrise waren die Hauptursachen. Mit den beiden Ölpreisschocks war eine enorme Steigerung der Energiekosten verbunden, die der Industrie zusätzliche Probleme bereitete.
All diese Entwicklungen beutelten auch die österreichische Stahlindustrie, welche damals zu 100 Prozent in Staatsbesitz und dementsprechend politisch dominiert war, gehörig durch. „Hinein in die Weiterverarbeitung und den Anlagenbau“, hieß daher die Devise. Dass dies leicht gesagt, aber schwer getan und mir hohen Risiken verbunden war, zeigt sich bald. Das beginnende Zeitalter der Weltraumfahrt führte zu einem Wettlauf zwischen Amerikanern und Russen. Mit der Non-Proliferation und Waffenembargos nahm man es im damaligen „Mir wer´n kann Richter brauchen“-Österreich nicht so genau. Die Folge: Viele Projekte, welche auf westliche Hoch- oder Militärtechnologie angewiesen waren, liefen über österreichische Firmen.
So kam es, dass sich der Verfasser im zarten Alter von 27 Jahren als Projektleiter einer Weltraumsimulationskammer in Moskau fand, welche unter Zuhilfenahme von High-Tech aus der ganzen Welt, fleißig und von keinen Skrupeln geplagt, auch glücklich fertiggestellt wurde. Die Führung des Konsortiums hatte pikanterweise ein gewisser Erwin Tautner inne, jener zu Anfang bejubelte Manager der Klimatechnik GmbH., der vermittels seiner immer waghalsiger strukturierten Projekte im Mittleren Osten einige Jahre später den Zusammenbruch der ELIN und, in der Folge, der Länderbank verursachte und beim damaligen Finanzminister Franz Vranitzky großen Ingrimm auslöste.
In der Folge lernte man noch etliche zu Anfang gerühmte, später abgestürzte, im Selbstmord endende, ins Ausland geflohene oder auch im Gefängnis gelandete Kollegen und Geschäftspartner kennen – und damit auch, wie man es eher nicht machen soll. Nach mehreren vernichtenden und von Gewerkschaft samt Kanzler Kreisky in den Wind geschlagenen Gutachten setzte sich die normative Kraft des Faktischen durch: Die Stahlindustrie musste mit immer mehr staatlichen Mitteln über Wasser gehalten werden.
Die Erzfeinde VÖEST in Linz und Alpine in der Steiermark wurden zu einer Zwangsehe verkuppelt, ebenfalls die Edelstahltöchter Schoeller Bleckmann und Gebr. Böhler. Die damals üblichen „Sanierungs“-Methoden bestanden hauptsächlich im Zeichnen immer neuer Organisationspläne, Errichtung zahlloser Stabsstellen, neuer Funktionsebenen zur Unterbringung aller Würdenträger und endlosen Diskussionen, wo man hoffnungslos unrentable Produktionen denn doch noch ansiedeln könne. (Ähnlichkeiten mit aktuellen Vorgängen in Noch-immer-Staatbetrieben sind rein zufällig).
Es fand eine ungeheure Blähung statt - aber nicht, wie die Natur es eigentlich verordnet, am Ende des Wertschöpfungskanals, sondern am Kopf, in den Verwaltungsbereichen. Die Folgen blieben nicht aus: Das Desaster wurde immer schlimmer, die Verluste stiegen, der Kampf zwischen den zahllosen Standorten ums Überleben nahm zu. Der schon etwas arrivierte Ingenieur floh vor diesem immer ärger werdenden Graus mit seiner ganzen Familie nach Brasilien und widmete sich dort im Rahmen eines Konsortiums aus Siemens, VOEST, GHH und der Nuclebras dem Wissenstransfer im Kernkraftwerksbau und dem Studium eines faszinierenden fernen Landes.
Der Anfang des Endes der Verstaatlichten.
Flughafen Schwechat, November 1985: Zurückkommend aus Zürich, wird man vom grinsenden Chauffeur erwartet, der triumphierend eine Kronen-Zeitung mit der dicken Schlagzeile „Gesamter VÖEST-Vorstand gefeuert“ in die Höhe hält. (Die VÖEST war damals bei ihren Schwestergesellschaften wegen ihrer mittlerweile geschwundenen Arroganz eher nicht sehr beliebt.)
Diese Überreaktion des damaligen Verstaatlichtenministers Lacina, ausgelöst durch ein missglücktes Spekulationsmanöver der VA-Tochter „Intertrading“ läutete das Ende der Verstaatlichten Industrie ein, deren Umwandlung in ein Konglomerat halb und ganz privatisierter Firmen die Wirtschaftsjournalisten in den nächsten zehn Jahren stark beschäftigen sollte. Pikanterweise war der Lerneffekt für Lacina gering: Als Mitglied des Aufsichtsrates der mittlerweile zwangsaufgelösten Bank Medici fand er sich 2009 im Madoff-Skandal wieder: Ein interessantes Déjà-vu.