EU-Parlament : EU-Lieferkettengesetz: Keine Mehrheit unter den EU-Staaten

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Das EU-Lieferkettengesetz hat erneut die benötigte qualifizierte Mehrheit unter den EU-Staaten verfehlt.

- © Pixabay.com/ makabera CCO Public Domain

Die notwendige qualifizierte Mehrheit unter den EU-Staaten für das EU-Lieferkettengesetz ist erneut verfehlt worden. Das wurde am Mittwoch von der belgischen Ratspräsidentschaft auf der Online-Plattform X (ehemals Twitter) mitgeteilt. In der kurzen Mitteilung heißt es, man prüfe nun, wie man gemeinsam mit dem EU-Parlament die Vorbehalte mehrerer Mitgliedstaaten ausräumen könne. In der Tat haben sich die EU-Staaten (der Rat) zusammen mit dem Europäischen Parlament bereits auf einen gemeinsamen Kompromisstext geeinigt. Allerdings ist noch die Zustimmung beider Institutionen zu diesem Text erforderlich. Bereits Mitte Februar war dies bei einem Treffen der EU-Botschafter nicht gelungen, weshalb die Abstimmung im Rat verschoben wurde.

Deutschland und zuletzt auch Österreich hatten Bedenken angemeldet. Die Zeit drängt jedoch. Bis spätestens Anfang März muss eine Einigung erzielt werden, damit das Gesetz noch vor den EU-Wahlen verabschiedet werden kann.

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Die Europäische Kommission hat ihren Vorschlag für ein Lieferkettengesetz bereits vor zwei Jahren vorgelegt. Die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament haben sich im Dezember 2023 auf einen Kompromisstext geeinigt, der aber noch von beiden Institutionen endgültig verabschiedet werden muss. Zuletzt war das Lieferkettengesetz auf EU-Ebene vertagt worden. Österreich mit Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und Deutschland hatten vorab eine Enthaltung angekündigt, die auf ein Nein hinausläuft. Vorbehalte gegen den Text soll laut Medienberichten auch Italien haben.

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KMUs haben ganz klar keine rechtliche Verpflichtung innerhalb der Richtlinie.
Julia Otten, Juristin

Faire Einkaufspraktiken etablieren

Kocher hatte unter anderem kritisiert, dass mit dem Lieferkettengesetz ein großer Teil der Pflichten und Haftungsrisiken auf die kleinen und mittleren Unternehmen abgewälzt werde. Harsche Kritik am aktuellen Entwurf kam etwa auch von der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer. Johannes Jäger, Wirtschaftswissenschaftler bei der FH BFI Wien, sieht dieses Problem nicht. 99,6 Prozent der österreichischen Unternehmen seien Klein- und Mittelbetriebe (KMU). "Wenn man sich die Richtlinie anschaut, ist es aber so, dass KMUs genau nicht erfasst sind", sagte er am Mittwoch in einem Online-Pressegespräch. Umgekehrt seien in Österreich gerade einmal 0,4 Prozent der Unternehmen betroffen. EU-weit dürften rund 20.000 Unternehmen vom Lieferkettengesetz betroffen sein.

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Auch Julia Otten von der zivilgesellschaftlich orientierten Anwaltskanzlei Frank Bold in Brüssel kann die Kritik nicht nachvollziehen: "KMUs haben ganz klar keine rechtliche Verpflichtung innerhalb der Richtlinie". Nur indirekt, etwa als Zulieferer großer Unternehmen, seien kleine und mittlere Unternehmen betroffen. Hier sehe die Richtlinie aber finanzielle Unterstützungsmaßnahmen vor. Etwa wenn sie detaillierte Daten über ihre Produktion liefern müssen. Außerdem sei klar geregelt, dass große Unternehmen die Kosten nicht auf ihre Zulieferer abwälzen dürfen. "Es geht darum, dass große Unternehmen faire Einkaufspraktiken etablieren, davon profitieren letztlich auch KMUs", sagte Otten.

Mit dem EU-Lieferkettengesetz werden große Unternehmen - mit mehr als 500 Beschäftigten oder in Risikobranchen mit mehr als 250 Beschäftigten - zur Rechenschaft gezogen, wenn sie beispielsweise von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen sollen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit den Pariser Klimazielen vereinbar sind, um die Erderwärmung zu begrenzen. Für viele Unternehmen, so Otten, seien die geplanten Sorgfaltspflichten nicht neu. Der Vorschlag zum Lieferkettengesetz basiere auf Leitsätzen der Vereinten Nationen und der OECD, die bereits seit mehr als zehn Jahren existierten. Die Einhaltung dieser Standards sei bisher auf freiwilliger Basis erfolgt.

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Einige europäische Länder wie Frankreich und Deutschland hätten auf Basis dieser Standards auch bereits Lieferkettengesetze auf nationaler Ebene eingeführt, erklärte Werner Raza, Geschäftsführer der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE). "Das führt früher oder später auch zu gewissen Verzerrungen auf dem Binnenmarkt", sagte Raza. "Wenn man ein 'level playing field' haben will, ist ein europäisches Gesetz jedenfalls ein Gebot der Stunde." "Man muss ganz klar sagen, Unternehmen kennen ihre Lieferkette eigentlich recht gut", so Raza. Das sei in ihrem eigenen Interesse, schließlich sei es notwendig, dass die Zulieferer in verlässlicher Qualität produzieren und liefern. "Unsere Erfahrung ist schon die, dass europäische Leitunternehmen sehr viel Zeit und Geld investieren, um ihre Lieferkette auch zu monitoren."

Ich fordere die EU-Mitgliedstaaten dringend auf, bei diesem wegweisenden Rechtstext Führungsstärke zu zeigen und es über die Ziellinie zu bringen.
UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk

Keine Einigung in Sicht

In der Tat hatten sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusammen mit dem Europäischen Parlament bereits auf einen gemeinsamen Kompromisstext geeinigt. Die endgültige Zustimmung beider Institutionen ist allerdings noch ausstehend. Zuletzt hatte sich jedoch die deutsche Regierungspartei FDP quer gestellt. Sie blockierte die Zustimmung Deutschlands. Der österreichische Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) kündigte daraufhin an, dass sich auch Österreich bei der Abstimmung der Stimme enthalten werde. Auch Italien meldete Bedenken an.

Für eine Annahme des Textes im Rat, in dem die EU-Staaten vertreten sind, wäre eine qualifizierte Mehrheit von 55 Prozent - das sind 15 der 27 Mitgliedstaaten mit mindestens 65 Prozent der Bevölkerung - im Ausschuss der EU-Botschafter notwendig. Trotz theoretischer Mehrheit könnte die belgische Ratspräsidentschaft ein solches Vorhaben nicht gegen den Willen eines großen Landes wie Deutschland durchsetzen.

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Für eine Einigung drängt jedoch die Zeit: Es reicht nicht aus, dass sich die Länder der Europäischen Union untereinander auf eine Änderung einigen. Da der Text bereits Gegenstand von Verhandlungen mit dem EU-Parlament war, muss jede Änderung auch mit dem Parlament abgestimmt werden. Nach einer erneuten Einigung mit dem Parlament muss der Text juristisch korrekt formuliert und in alle EU-Sprachen übersetzt werden. Anschließend müssen EU-Staaten und Parlament erneut ihren Segen geben.

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Da das Parlament im April zum letzten Mal vor den Europawahlen tagt und in dieser Zeit möglicherweise noch weitere Texte verhandelt und übersetzt werden müssen, ist davon auszugehen, dass spätestens Anfang März - wenn nicht früher - eine Einigung unter Dach und Fach sein muss.

Während Deutschlands Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner laut Aussagen vom Dienstag erst nach der EU-Wahl im Frühsommer weiterdiskutieren will, drängt der österreichische UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, auf ein Ja zum EU-Lieferkettengesetz. Der Chef des UN-Menschenrechtsbüros erklärte am Dienstag, mit der Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes würde die EU "eine historische Führungsrolle zeigen". "Ich fordere die EU-Mitgliedstaaten dringend auf, bei diesem wegweisenden Rechtstext Führungsstärke zu zeigen und es über die Ziellinie zu bringen."

Wirtschaft fordert Nachbesserungen

Grundsätzlich befürworte man eine EU-weit einheitliche Regelung. Damit würden einheitliche Standards im EU-Binnenmarkt und vergleichbare Wettbewerbsbedingungen sichergestellt, erklärte IV-Generalsekretär Christoph Neumayer kürzlich in einer Aussendung. "Das ist die nächste Bürokratielawine, die auf uns zurollt", warnte IV-Präsident Georg Knill hingegen im Gespräch mit der APA. Es drohe eine Überregulierung hin zu hochkomplexen Genehmigungsverfahren, die dazu führe, dass Europa gerade in Zukunftsbranchen zunehmend ausgebremst werde, so Neumayer. "Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Die Ausgestaltung der neuen EU-Richtlinie zum Lieferkettengesetz bürdet Unternehmerinnen und Unternehmer in Österreich und Europa unerfüllbare Informations- und Prüflasten auf und droht in der aktuellen Ausgestaltung zum massiven Bürokratiemonster zu werden." Die Industrie stelle das Ziel nicht in Frage, aber die derzeit geplante Ausgestaltung sei "schlichtweg nicht in den unternehmerischen Alltag zu implementieren".

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"Wir unterstützen das Ziel, nachhaltiges und sozial verantwortungsvolles Wirtschaften, wie es in Europa seit jeher praktiziert wird, global zu fördern", so WKÖ-Generalsekretär Karlheinz Kopf, der auch für die ÖVP im Nationalrat tätig ist. "Allerdings teilen wir die gewichtigen Bedenken der deutschen Wirtschaftsverbände zum aktuellen Richtlinienentwurf." Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens seien zwar einzelne Verbesserungen eingearbeitet worden. Dennoch würde die Richtlinie zu einem massiven bürokratischen Mehraufwand für die betroffenen Unternehmen führen. "Um die gewünschten Effekte zu erreichen, braucht es einen wesentlich praxistauglicheren Ansatz, um die EU als Wirtschaftsstandort im internationalen Wettbewerb nicht zu gefährden", so Kopf.