Gasversorgung aus Russland : Zukunft der Gasversorgung: Europas Dilemma mit russischem Gas

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Das Auslaufen des Gastransitvertrags durch die Ukraine legt einen inner-europäischen Konflikt offen.

- © Verbund / Thomas Topf

Mit dem bevorstehenden Auslaufen des Gastransitvertrags zwischen Gazprom und Naftogaz Ende 2024 steht Europa vor einer entscheidenden Frage: Wie kann die Energieversorgung Europas unabhängig von russischem Gas sichergestellt werden? Diese Problematik wirft erhebliche geopolitische und wirtschaftliche Herausforderungen auf. Naftogaz ist das nationale Energieunternehmen der Ukraine und spielt eine entscheidende Rolle im Gastransport von Russland nach Europa. Gegründet im Jahr 1998, ist Naftogaz für die Exploration, Produktion, Verarbeitung, Lagerung und den Transport von Erdgas und Öl zuständig. Das Unternehmen verwaltet auch das ukrainische Gastransportsystem, das eine zentrale Route für den Gasfluss von Russland nach Europa darstellt.

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Einige europäische Länder, wie Österreich und Ungarn, beziehen immer noch einen Großteil ihres Gases aus Russland. Laut dem österreichischen Umweltministerium importierte Österreich im Frühjahr 2023 über 80 Prozent seines Gases aus Russland. Trotz des Krieges in der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland hält diese Abhängigkeit an, was zu Spannungen innerhalb der EU führt.

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Transit-Verträge enden im Dezember 2024

Der bestehende Vertrag zwischen Gazprom und Naftogaz, der den Gastransit durch die Ukraine regelt, endet am 31. Dezember 2024. Dies könnte theoretisch bedeuten, dass kein weiteres russisches Gas durch die Ukraine fließen wird – ein Szenario, das Länder wie die Slowakei, Ungarn, Tschechien und Österreich vor erhebliche Herausforderungen stellt. Sergiy Makogon, ehemaliger Vorstand des ukrainischen Gaspipelinebetreibers, erklärte, dass Gazprom bereits 2017 ankündigte, ab 2020 kein Gas mehr durch die Ukraine leiten zu wollen, da alternative Pipelines wie Nord Stream 2 und Turkstream geplant waren.

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Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, die Abhängigkeit von russischem Gas bis 2027 auf null zu reduzieren. Othmar Karas, Erster Vizepräsident des Europaparlaments, betont die Notwendigkeit, aus den Abhängigkeiten zu lernen und alternative Energiequellen zu nutzen. Die EU-Kommission versichert, dass Europa den kommenden Winter ohne russisches Pipeline-Gas bewältigen und die Speicher für das Frühjahr 2025 füllen kann.

Die aktuelle Lage offenbart tiefe Meinungsverschiedenheiten innerhalb Europas. Das Auslaufen der Transitverträge bietet eine Gelegenheit, die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verringern. Im ersten Quartal dieses Jahres importierte die EU 18 Prozent ihres Gases aus Russland. Ohne die Gaslieferungen durch die Ukraine wären es lediglich 13 Prozent gewesen, wie Daten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zeigen. Diese Zahlen verdeutlichen, wie wichtig die Ukraine-Route für die europäische Gasversorgung weiterhin ist und welche strategische Bedeutung das Thema für die Zukunft hat.

Tricks im Gasfluss durch die Ukraine zu verschleiern?

Trotz dieser offiziellen Positionen gibt es innerhalb der EU weiterhin Befürworter einer Fortsetzung der russischen Gastransporte durch die Ukraine. Es wird befürchtet, dass einige Länder an Tricks arbeiten, um die Transite nach 2024 zu verschleiern. Walter Boltz, Energieberater bei der Anwaltskanzlei Baker McKenzie, sieht dies kritisch und betont, dass eine solche Fortsetzung das europäische Sanktionsregime und die Bemühungen um Energieunabhängigkeit untergraben würde.

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Ein möglicher Ausweg könnte sein, dass ein Energieunternehmen aus der EU einen neuen Liefervertrag mit Gazprom abschließt und das Gas durch die Ukraine transportieren lässt. Das Unternehmen könnte das Gas von Gazprom an der russisch-ukrainischen Grenze kaufen, durch die Ukraine in die EU leiten lassen und dafür dem ukrainischen Gastransportnetzbetreiber GTSOU Transitgebühren überweisen.

Diese Lösung würde jedoch die politischen Spannungen innerhalb der EU verschärfen und die Bemühungen um Unabhängigkeit untergraben. Experten wie Boltz sehen diese Optionen kritisch, da sie rechtliche und politische Risiken bergen. Die OMV, der österreichische Gaskonzern, könnte dabei eine Rolle spielen, hat sich aber bisher aus den Gesprächen zurückgezogen. Die OMV selbst wäre wahrscheinlich gar nicht so unglücklich, wenn Gazprom sie nicht mehr über die Ukraine beliefern könnte, weil die OMV so eine Chance hätte, ohne Rechtsrisiko selbst aus ihrem Vertrag mit Gazprom herauszukommen.

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Die OMV hat einen Vertrag mit Gazprom abgeschlossen, der zusätzliche Gaslieferungen bis 2040 vorsieht. Dieser Vertrag kann jedoch nur erfüllt werden, wenn die Gastransite durch die Ukraine weiterhin stattfinden. Das Unternehmen antwortete nicht direkt auf die Fragen, ob es Gespräche über die Zukunft der Gastransite führe oder in Erwägung ziehe, die Rolle von Naftogaz zu übernehmen. OMV verwies lediglich vage auf "die dafür zuständigen Stellen".

Aserbaidschan als Alternative?

Ein weiteres diskutiertes Szenario ist der Import von Gas aus Aserbaidschan über das Pipelinesystem TAP/TANAP, das an Russland und der Ukraine vorbei über die Türkei bis nach Italien führt. Jacopo Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik erläutert, dass dieses Pipelinesystem derzeit voll ausgelastet ist und Aserbaidschan kurzfristig kein zusätzliches Gas liefern kann. Zudem müsste das Gas durch Russland fließen, was die gewünschte Unabhängigkeit nicht erreicht. Pepe betont, dass Gas aus Aserbaidschan faktisch Gas aus Russland ist, da Aserbaidschan selbst in Russland Gas einkauft, um seine Lieferverpflichtungen zu erfüllen.

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Dennoch gibt es offenbar Pläne, zusätzliches Gas aus Aserbaidschan nach Europa zu leiten – und zwar über die Ukraine. Dadurch müsste niemand einen Vertrag mit Gazprom abschließen. Ein Berater des aserbaidschanischen Präsidenten erklärte, dass die EU und Transitländer aufgrund der Transitmöglichkeiten durch die Ukraine an Aserbaidschan herangetreten seien.

Die vermeintliche Lösung hat jedoch einen entscheidenden Nachteil: Wenn Österreich, Ungarn und die Slowakei zukünftig Gas aus Aserbaidschan über die Ukraine importieren würden, könnte dies politisch vielleicht besser verkauft werden, doch in Wahrheit wäre es eine Täuschung. Gas aus Aserbaidschan, das in die Ukraine gelangt, muss zunächst durch Russland fließen, da es keinen anderen Weg gibt. Laut Boltz verkauft Aserbaidschan bereits heute Gas an Russland. Russland hat seinerseits große Gasmengen übrig, seitdem kein Gas mehr über die Nord-Stream-Pipelines nach Europa transportiert wird.

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Laut Boltz würde sich nichts an den Gasflüssen ändern, wenn Europa nun formal Gas aus Aserbaidschan statt aus Russland beziehen würde, da dadurch keine zusätzlichen Mengen aus Aserbaidschan geliefert würden. Das Gas aus Aserbaidschan sei faktisch das gleiche Gas, das Russland bereits bisher von Aserbaidschan gekauft habe. Es sei auch gut denkbar, dass Aserbaidschan einen Großteil seiner Einnahmen aus den Gasexporten nach Europa an Russland weitergeben würde. EU-Vertreter Karas betont, dass es nicht darum gehe, nach Alternativen für Gastransporte durch die Ukraine zu suchen, sondern vielmehr darum, die bestehenden Verträge zu beenden. Jede Alternative, die Russland weiterhin involviere, stelle eine Schwächung der Europäischen Union dar.

Solidaritätsabkommen greifen bei Gas-Mangel

Das Ende des Jahres bleibt unklar hinsichtlich der Ukraine-Transite. Sollte tatsächlich kein Gas mehr aus Russland über diese Route kommen, müssten Österreich, Ungarn, die Slowakei und Tschechien alternative Versorgungswege finden. Daher ist auch die deutsche Bundesregierung in die Verhandlungen über zukünftige Regelungen involviert. Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums erklärt, dass Deutschland an den Gesprächen teilnimmt, da eventuelle Solidaritätsabkommen greifen würden.

In den letzten Jahren hat sich die deutsche Bundesregierung verpflichtet, in Situationen von Gasengpässen, unter anderem Österreich, zu helfen. Zudem verpflichtet der EU-Notfallplan Gas die Mitgliedstaaten, sich gegenseitig zu unterstützen. Die EU muss also sicherstellen, dass die mittel- und osteuropäischen Staaten langfristig auch ohne russisches Pipelinegas durch die Ukraine versorgt werden können.

Der EU-Notfallplan für Gas, offiziell als "EU-Notfallplan zur Reduzierung der Gasnachfrage" bekannt, wurde als Reaktion auf die drohende Energiekrise infolge der reduzierten Gaslieferungen aus Russland entwickelt. Der Plan zielt darauf ab, die Gasnachfrage in der EU zu senken und die Energieversorgungssicherheit zu erhöhen. Die wichtigsten Punkte des Plans sind:

  1. Verbindliche Reduzierungsziele: Die EU-Mitgliedstaaten haben sich darauf geeinigt, ihre Gasnachfrage in der kommenden Heizperiode um 15 % im Vergleich zum Durchschnittsverbrauch der letzten fünf Jahre zu senken. Diese Maßnahme soll freiwillig erfolgen, kann jedoch bei einer Verschärfung der Krise verpflichtend werden.
  2. Diversifizierung der Gasquellen: Die EU intensiviert ihre Bemühungen, alternative Gaslieferanten zu finden und Verträge mit anderen Ländern, wie den USA, Katar und Norwegen, abzuschließen. Dies soll die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren.
  3. Ausbau der erneuerbaren Energien: Langfristig plant die EU, den Anteil erneuerbarer Energien deutlich zu erhöhen, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Kurzfristig werden auch Maßnahmen zur Förderung von Energiesparprogrammen und zur Steigerung der Energieeffizienz ergriffen.
  4. Notfallmaßnahmen und Solidaritätsmechanismen: Der Plan umfasst Notfallmaßnahmen, die bei einem ernsthaften Gasmangel aktiviert werden können. Dazu gehören Mechanismen zur gegenseitigen Unterstützung zwischen den Mitgliedstaaten und zur Sicherstellung, dass besonders betroffene Länder ausreichend versorgt werden.
  5. Industrie und Haushalte: Industrieunternehmen werden aufgefordert, ihren Gasverbrauch zu senken und, wo möglich, auf alternative Energiequellen umzusteigen. Haushalte werden ebenfalls angehalten, Energie zu sparen, beispielsweise durch reduzierte Heiztemperaturen und den bewussten Umgang mit Energie.
  6. Koordination und Überwachung: Die EU-Kommission übernimmt die Koordination der Maßnahmen und die Überwachung der Fortschritte der Mitgliedstaaten. Regelmäßige Berichte sollen sicherstellen, dass die Ziele erreicht werden und die Versorgungssicherheit gewährleistet bleibt.