Russlands Autoindustrie : Auto-Kollaps in Russland: Lada wird zum Symbol der Krise
Inhalt
- Vom Hoffnungsträger zum Krisenmarkt: Russlands Automobilbranche im Wandel
- Das Jahr 2022: Der Tiefpunkt der russischen Autoindustrie
- Strohfeuer statt Aufschwung: Wie Russlands Autohandel ins Straucheln gerät
- Vom Leitmarkt zur Randnotiz: Die neue Realität der russischen Autoindustrie
- Gebrauchtwagen-Boom: Warum Russen alte VW und Renault dem Neuwagen vorziehen
- Vom Hoffnungsträger zum Sorgenkind: Lada als Symbol für Russlands Auto-Absturz

In Sibirien erinnern ausgediente Lada-Modelle an den einstigen Stolz der russischen Autoindustrie – und verweisen zugleich auf deren tiefgreifenden Bedeutungsverlust
- © stock.adobe.comDie Montagelinie läuft zwar noch, doch die Unsicherheit hängt schwer über den Hallen des Lada-Werks in Toljatti. Kaum aus den verordneten Betriebsferien zurück, kündigt der Vorstand von Avtovaz, dem größten Autobauer des Landes, an: Ab dem 29. September soll die Belegschaft in die Vier-Tage-Woche geschickt werden. Offiziell ist von „Herausforderungen am Automarkt“ die Rede – gemeint sind die sinkende Nachfrage, der hohe Leitzins, strengere Vorgaben für Autokredite und die wachsende Einfuhr von Importwagen, die den heimischen Absatz zusätzlich unter Druck setzen.
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Avtovaz ist nicht allein. Schon vor dem Branchenführer haben andere Traditionshersteller gekürzt: der ehemalige Wolga-Produzent Gaz in Nischni Nowgorod – heute vor allem für seine „Gazelle“-Transporter bekannt – schickte Beschäftigte in Kurzarbeit. Auch der Lkw-Bauer Kamaz und der Busproduzent Liaz stellten bereits auf verkürzte Arbeitswochen um.
Der geplante Serienstart des Hoffnungsträgers „Iskra“ wurde auf 2026 verschoben, weil Elektronikkomponenten fehlen. Absatzrückgänge, steigende Preise und teure Kredite verschärfen die Lage. Was sich in Toljatti abzeichnet, ist mehr als ein lokales Problem – es ist ein Symptom für eine ganze Branche, die zwischen geopolitischem Bruch und ökonomischem Absturz gefangen ist.
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Dieser Artikel ist Teil einer dreiteiligen Serie zum russischen Automarkt
- Teil 1 beleuchtet die Lage von Lada und den Absturz des Marktes – von Boomjahren über den Einbruch 2022 bis hin zur heutigen Krise.
- Teil 2 zeigt den Exodus westlicher Autobauer, ihre symbolischen 1-Rubel-Deals und was aus den einst milliardenschweren Fabriken geworden ist.
- Teil 3 widmet sich dem Aufstieg der chinesischen Hersteller, die das Vakuum gefüllt und den Markt in kürzester Zeit dominiert haben.
Vom Hoffnungsträger zum Krisenmarkt: Russlands Automobilbranche im Wandel
Dabei sah die Autowelt in Russland 2010 noch ganz anders aus. Russland galt als einer der aufstrebenden Märkte der Welt. Das Land konkurrierte zeitweise sogar mit Deutschland um den Spitzenplatz bei verkauften Neuwagen in Europa. Im Jahr 2012 erreichte der russische Pkw-Markt mit rund 2,76 Millionen verkauften Neuwagen seinen Höhepunkt, zwei Jahre später wurden immerhin noch 2,49 Millionen Fahrzeuge verkauft. Analysten sprachen damals vom „Detroit an der Moskwa“ – internationale Konzerne investierten Milliarden in neue Werke, Zulieferer siedelten sich an, Ingenieure und Fachkräfte kehrten aus dem Ausland zurück.
Doch der Traum platzte schneller, als er gekommen war. Mit der Rubelkrise 2014 und den westlichen Sanktionen nach der Krim-Annexion brach der Markt dramatisch ein: 2015 sank der Absatz auf 1,6 Millionen Fahrzeuge, 2016 sogar auf 1,42 Millionen. Erst danach stabilisierte sich das Geschäft zwischen 2017 und 2021 auf einem Niveau von 1,4 bis 1,8 Millionen Neuwagen jährlich – weit entfernt von den Glanzzeiten, aber immer noch groß genug, um internationale Player im Land zu halten.
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Feierlicher Produktionsstart in St. Petersburg: Bei der Präsentation des neuen Lada X-Cross 5 – gebaut in Kooperation mit einem östlichen Partner – gaben Regierungsvertreter und AvtoVAZ-Manager den Startschuss. Bis Jahresende sollen hier bis zu 10.000 Fahrzeuge entstehen, ab 2024 ist eine schrittweise Lokalisierung der Produktion mit Zulieferern aus der Region geplant.
- © AVTOVAZDas Jahr 2022: Der Tiefpunkt der russischen Autoindustrie
Der schärfste Einbruch folgte 2022 – unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine und den daraufhin verhängten Sanktionen. Innerhalb weniger Monate zogen westliche Hersteller ab, Lieferketten rissen ab, und der Neuwagenmarkt brach um fast 59 Prozent ein. Die Zulassungen stürzten auf nur noch 687.000 Fahrzeuge – ein historischer Tiefstand. Besonders hart traf es die Produktion: Viele westliche Zulieferungen stoppten, Software-Updates und Ersatzteile blieben aus. Vor allem sicherheitsrelevante Komponenten wie Airbags, ABS-Module und elektronische Steuergeräte waren plötzlich nicht mehr verfügbar. Russlands größter Produzent AvtoVAZ sah sich gezwungen zu improvisieren – und brachte Modelle ohne diese grundlegenden Sicherheitssysteme auf den Markt, nur um die Bänder nicht komplett stillstehen zu lassen.
Strohfeuer statt Aufschwung: Wie Russlands Autohandel ins Straucheln gerät
2023 kam es dank massiver staatlicher Unterstützung, Nachholeffekten und der Expansion chinesischer Marken zu einer scheinbaren Erholung: Die Verkäufe stiegen um 69 Prozent auf 1,06 Millionen Fahrzeuge. Ein Jahr später folgte ein weiteres Wachstum um 48 Prozent auf 1,57 Millionen Neuzulassungen – doch an die Zeit vor 2022 kam der Markt nicht mehr heran. Die Erholung war jedoch ein Strohfeuer, getragen von Subventionen und chinesischen CKD-Bausätzen, nicht von echter Nachfrage oder Kaufkraft.
Weil die Staatskasse durch die massiven Militärausgaben zunehmend belastet ist, strich die Regierung viele Förderprogramme für den Autokauf – mit unmittelbaren Folgen. Von Januar bis Juli wurden lediglich 646.000 Pkw verkauft – ein Minus von 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hohe Kreditzinsen, sinkende Kaufkraft und stockende Importe dämpfen zusätzlich die Nachfrage. Im Juli sorgten aggressive Rabattaktionen zwar kurzfristig für ein Zwischenhoch: Mit 120.700 Pkw wurden 33,9 Prozent mehr Fahrzeuge verkauft als im Juni. Doch auch dieses beste Monatsergebnis des Jahres lag noch 11,4 Prozent unter dem Vorjahreswert. Die Association of European Businesses (AEB) reagierte und senkte ihre Prognose deutlich: Statt eines Rückgangs von 15 Prozent wie zu Jahresbeginn erwartet die AEB nun ein Minus von 24 Prozent – insgesamt nur noch rund 1,25 Millionen Neuzulassungen im Gesamtjahr.
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Vom Leitmarkt zur Randnotiz: Die neue Realität der russischen Autoindustrie
Noch vor gut einem Jahrzehnt spielte Russland in einer Liga mit den großen Autonationen Europas. 2012 konkurrierte der Markt mit Deutschland um Platz eins – zeitweise war Moskau sogar der größte Pkw-Markt des Kontinents. Heute ist davon nichts mehr übrig.
Im Juli 2025 wurden in Russland 120.700 Neuwagen verkauft. Klingt respektabel, doch im europäischen Vergleich reicht das gerade einmal für Platz drei hinter Großbritannien (140.100) und weit abgeschlagen hinter Deutschland, wo im selben Monat über 260.000 Fahrzeuge neu zugelassen wurden. Länder wie Italien (118.500) oder Frankreich (116.400) liegen inzwischen fast gleichauf.
Noch deutlicher wird der Abstand im Jahresvergleich: Von Januar bis Juli 2025 kam Russland auf 646.700 Neuzulassungen – Deutschland brachte es im gleichen Zeitraum auf 1,67 Millionen. Damit verkauft die Bundesrepublik trotz schrumpfender Nachfrage rund zweieinhalbmal so viele Autos wie ganz Russland.
Russland hat damit den Status als Wachstumsmarkt endgültig verloren. Wo 2012 noch Euphorie herrschte, bleibt heute ein Markt, der zwar groß genug ist, um für chinesische Hersteller interessant zu sein, aber im europäischen Vergleich nur noch im Mittelfeld rangiert.
Gebrauchtwagen-Boom: Warum Russen alte VW und Renault dem Neuwagen vorziehen
Während die Neuzulassungen einbrechen, zeigt ein anderer Markt in Russland seit Jahren erstaunliche Stabilität: der Gebrauchtwagenhandel. Zwischen Januar und Juli 2025 wechselten rund 3,3 Millionen Fahrzeuge den Besitzer – mehr als das Fünffache der Neuzulassungen im selben Zeitraum. Seit Jahren wächst der Gebrauchtwagenmarkt um knapp ein Prozent pro Jahr – während der Neuwagenmarkt kollabiert.
Der Grund liegt auf der Hand: die gesunkene Kaufkraft. Hohe Zinsen machen Autokredite unerschwinglich, die Inflation frisst Einkommen, und neue Modelle sind durch den Rückzug westlicher Hersteller und die gestiegene Abhängigkeit von Importen teurer geworden. Selbst chinesische Autos, die zunächst als günstig galten, haben sich durch den schwachen Rubel und höhere Transportkosten spürbar verteuert.
Für viele Russinnen und Russen ist der Neuwagenkauf deshalb keine Option mehr. Stattdessen greifen sie auf gebrauchte Fahrzeuge zurück – häufig Modelle westlicher Hersteller, die vor 2022 produziert oder über Parallelimporte ins Land gebracht wurden. Auf den Straßen dominieren deshalb weiter ältere VW, Renault oder Hyundai, auch wenn ihre Hersteller längst nicht mehr in Russland präsent sind.
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Vom Hoffnungsträger zum Sorgenkind: Lada als Symbol für Russlands Auto-Absturz
Vor gut zehn Jahren war Russland noch der Hoffnungsträger der globalen Autoindustrie. Heute steht das Land für einen Markt, der zwischen geopolitischem Bruch und wirtschaftlichem Niedergang zerrieben wird. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: von fast drei Millionen Neuwagen 2012 auf zuletzt nicht einmal 650.000 in den ersten sieben Monaten 2025. Im europäischen Vergleich ist Russland vom Spitzenreiter zum Nachzügler geworden.
Der Aufstieg des Gebrauchtwagenhandels zeigt, wie tief die Kaufkraft der Bevölkerung gesunken ist. Wer sich überhaupt ein Auto leisten kann, greift lieber auf gebrauchte Modelle zurück – oft westlicher Herkunft, deren Hersteller längst nicht mehr im Land produzieren.
Kein Hersteller steht so sehr für diese Entwicklung wie Lada. Einst Symbol russischer Ingenieurskunst und Stolz der eigenen Autoindustrie, kämpft AvtoVAZ heute ums Überleben: Kurzarbeit, verschobene Modellstarts, improvisierte Produktion ohne grundlegende Sicherheitssysteme. Lada ist damit nicht nur ein Autokonzern, sondern das Sinnbild einer Branche, die ihren Anschluss verloren hat.
Die Geschichte des russischen Automarktes ist damit zur Geschichte eines Absturzes geworden – von großen Ambitionen über eine Phase künstlicher Stabilisierung bis hin zur Abhängigkeit von Importen und dem Rückzug ins Gebrauchtwagensegment. Wer heute auf Russlands Straßen blickt, sieht vor allem Vergangenheit – und kaum noch Zukunft.
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